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Zu den Versen +P/51 bis +P/100

Zu den Versen +P/101 bis +P/141

 
+P/1

1555. D’vn presage sur ladicte année.
1555. Aus einer Prophezeiung über das besagte Jahr.
D’Esprit diuin l’ame presage1) atteinte,
Vom göttlichen Geist [wird] die Seele mit [einer] Ahnung1) berührt.
Trouble, famine, peste2), guerre courir:
[Von] Verwirrung, Hunger, Pest2) [und einem] kommenden Krieg.
Eaux, siccitez, terre & mer de sang teinte,
[Von] Überschwemmungen, Trockenheiten [und dem] mit Blut gefärbten Land und Meer.
Paix, tresue, à naistre4) Prelats3), Princes mourir.
[Von] Frieden [und] Waffenruhe. Prälaten3) [haben] zu erscheinen4), Fürsten zu sterben.

1) Vgl. lat. "praesagium" (u.a. Ahnung).
2) "Pest" bezeichnet im Mittelfranzösischen jede Seuche mit hoher Sterblichkeit, daneben aber auch generelles Unheil und Unglück.
3) Hohe kirchliche Würdenträger.
4) Oder auch: "geboren zu werden".

Kommentar


1. Zeile
: Nostradamus beschreibt hier, wie er zu seinen Prophezeiungen gekommen ist, vgl. dazu z.B. 1/2. Er bestätigt noch einmal die göttliche Natur seiner Quelle. In diesem Fall stimmt übrigens das Jahr in der Überschrift mit dem Inhalt des Verses überein.

2. bis 4. Zeile: Unser Seher zeigt auf, was ihm alles in seinen Visionen offenbart wurde. Chaos und Krieg, Hunger, Seuchen, Naturkatastrophen, Aufstieg und Fall der Mächtigen.


 +P/2

De l’Espistre luminaire sur ladicte annee1).
Aus dem "erhellenden Brief" über das besagte Jahr1).
La mer Tyrrhene2), l’Occean3) par la garde4),
Das Tyrrhenische Meer2) [und] der Ozean3) [werden] durch die Garde4)
Du grand Neptun & ses tridens5) soldats:
des großen Neptun und seine Dreizack5)-Soldaten [beherrscht].
Prouence seure par la main du grand Tende6),
[Die] Provence [ist] sicher dank der Hand des großen "Tende"6).
Plus Mars Narbon7) l’heroiq de Vilars8).
Zudem [herrscht] Krieg [in] Narbonne7) [durch] den Heldenhaften von Villars8).

1) Damit ist 1555 gemeint.
2) Das Meer zwischen Italien, Korsika, Sardinien und Sizilien.
3) Der Atlantik.
4) Oder auch: "Wache, Wachsamkeit".
5) Lat. "tridens" (u.a. Dreizack).
6) Unklar. Es gibt natürlich den Ort Tende an der französisch-italienischen Grenze, etwa 50 km nordöstlich von Nizza, mit dem dazugehörigen Berg Col de Tende. Doch hier scheint eher von einer Person die Rede zu sein. Vielleicht stammt diese ja aus Tende?
7) Narbonne liegt in Südwestfrankreich nahe der Mittelmeerküste. Ich bezweifele, daß "Mars Narbon" als "Narbo Martius" zu verstehen ist, obwohl das der lateinische Name dieser Stadt wäre. "Mars" dürfte hier einfach "Krieg" heißen.
8) Es gibt in Frankreich einige Orte mit Namen "Villars". Hier ist von einem heldenhaften Feldherren die Rede, der scheinbar aus einem dieser Orte stammt oder vielleicht in einem dieser Orte einen heldenhaften Sieg errungen hat.

Kommentar


Überschrift
: Unklar, was mit diesem "erhellenden Brief" gemeint ist. Möglicherweise die Widmung an König Heinrich II. Dort skizziert ("erhellt") Nostradamus nämlich den Lauf der Weltgeschichte "nach 1951" bis zu deren Ende (5351/52 n.Chr.). Das würde aber heißen, daß dieser Vers in die Zeit zwischen 1951 und 5352 gehört und nichts mit 1555 n.Chr. zu tun hat. Und tatsächlich hat sich in diesem Jahr nichts zugetragen, was irgendwie zu den beschriebenen Vorgängen passen würde.

1. und 2. Zeile: Hier wird Vers 2/59 wiederholt. "Neptun" (die USA?) beherrscht den Atlantik und das Tyrrhenische Meer.

3. Zeile: Die Provence scheint hier von einem großen "Tende" vor Angriffen geschützt zu werden. Doch wer ist dieser "Beschützer"? Ein fremder Besatzer oder im Gegenteil der Befreier dieses Landes? Ich vermute Letzeres.

4. Zeile: Südfrankreich scheint befriedet zu sein. Nur im Südwesten wird noch gekämpft. Und zwar unter Beteiligung des "Heldenhaften von Villars".

 
Dieser Vierzeiler gehört zum Neptun-Thema und beschreibt Zukünftiges.


 +P/3

Ianuier.
Januar [1555].
Le gros airain qui les heures ordonne,
Der große Bronzene, der den Stunden gebietet,
Sur le trespas du Tyran cassera:
wird beim Hinscheiden des Tyrannen sich vollfressen.
Pleurs, plaintes & cris, eaux, glace pain ne dône.
Weinen, Klagen und Schreie. Fluten [und] Eis, [das] gibt kein Brot.
V.S.C.1) paix, l’arme2) passera.
"V.S.C."1) [erlebt dann aber doch] Frieden [und] der Krieg2) wird vorübergehen.

1) Bisher wurde hier "Charles V. Successeur" (Nachfolger Karls V.) hineininterpretiert und der Vers auf den spanischen König Philipp II. bezogen. Mit Blick auf den italienischen Kontext des Vierzeilers würde ich eher zu einer Ausdeutung wie z.B. "Vrbs Sanctae Cathedrae" (die Stadt des Heiligen Stuhls = Rom) neigen. Oder, falls eine Person dahinterstecken sollte, zu "Vicarius Salvatoris Christi" (Stellvertreter unseres Heilandes Christus = Papst).
2) Vgl. lat. "arma" ("Waffe", aber auch "Krieg, Kampf").

Kommentar


1. und 2. Zeile
: Hier ist von Saturn/Kronos die Rede. Saturn war im antiken Mythos der Herr der Zeit, der Gebieter der Stunden. Der "große Bronzene" dürfte ein Wortspiel mit dem lat. "aes" (Kupfer, Erz, Bronze) und dem lat. "aesar" (Gott) sein. Saturn, der Vater der olympischen Götter verschlang diese (seine Kinder) aus Angst, sie könnten ihn einmal entmannen, so wie er es selber mit seinem Vater, Uranus, gemacht hatte. Nostradamus prophezeit hier also, daß die "Kinder des Saturn" erneut aufgefressen werden, wenn ein nicht näher beschriebener Tyrann stirbt. Als "gens Saturnia" (saturnisches Geschlecht) wurden in der Antike aber die Italer oder Latiner bezeichnet. Hier dürfte also vorhergesagt sein, daß es den Italienern sehr schlecht ergehen wird, wenn dieser ominöse Tyrann stirbt.

3. Zeile: Hier erfahren wir, was passiert. Italien wird von Naturkatastrophen (Überschwemmungen und wohl einem sehr kalten Winter) heimgesucht, was eine Hungersnot auslöst. Doch wahrscheinlich kommt es zudem noch zu Gewalttätigkeiten, zu einem Krieg, worauf das Weinen, Klagen und die Schreie hindeuten dürften.

4. Zeile: Rom (?) erlebt beim Tod dieses Tyrannen einen Krieg, der aber auch einmal vorbeigehen wird.

 
Ein eher allgemeiner Vierzeiler, der nur durch den Tod dieses Tyrannen mit anderen Versen in Verbindung zu bringen sein wird.


 +P/4

Feburier.
Februar [1555].
Prés du Leman1) la frayeur sera grande,
Nahe des Genfer Sees1) wird die Angst groß sein.
Par le conseil, cela ne peut faillir:
Innerhalb des Rates kann das nicht fehlschlagen.
Le nouueau Roy fait apprester sa bande2).
Der neue König läßt seine Armee2) bereitstellen.
Le ieune meurt faim, pœur fera faillir3).
Der Junge stirbt. Hunger [und] Furcht werden ihn scheitern3) lassen.

1) Lat. "Lemannus lacus" (Genfer See).
2) Das mittelfranzösische "bande" bedeutet u.a. "Armee, Gruppe, Clique".
3) Nach LEONI. Textvariante bei LE PELLETIER: "saillir" (springen u.a.).

Kommentar


2. und 3. Zeile
: Hier dürfte Folgendes beschrieben sein: Einem neuen, jungen König wird vom Ministerrat vorgeschlagen, einen Feldzug zu unternehmen. Der Rat hält es dabei für undenkbar, daß diese Expedition fehlschlagen könnte. Der wohl unerfahrene König mobilisiert daraufhin seine Armee und marschiert los.

4. Zeile: Aber das Unternehmen endet in einer Katastrophe. Hunger, vielleicht infolge der schlechten Vorbereitung des Krieges, und Furcht, die wohl aus der mangelnden Erfahrung des Herrschers entspringen dürfte, lassen ihn scheitern. Er kommt dabei sogar ums Leben. Spätestens hier kann man sich die Frage stellen, ob der Rat vielleicht nicht absichtlich den jungen König in den sicheren Tod schickt. Steht der neue Monarch möglicherweise den Interessen der Ratsmitglieder im Weg?

1. Zeile: Hier ist entweder das Ziel des gescheiterten Feldzug beschrieben oder der König beherrscht diese Region, die von außen bedroht wird, und versucht nun, die Bedrohung durch einen präventiven Gegenangriff abzuwehren.

 
Da von einem jungen, gescheiterten König die Rede ist, und nicht etwa nur von einem Herzog oder Grafen, vermute ich hier Zukünftiges beschrieben.


 +P/5

Sur Mars.1)
Über [den] März [1555].1)
O Mars2) cruel, que tu seras à craindre,
Oh grausamer Krieg2), wie wirst du zu fürchen sein.
Plus est la Faux3) auec l’Argent4) conioint:
Zudem ist die Sense3) mit dem Silber4) verbunden.
Classe5), copie6). eau, vent7) l‘ombriche8) craindre,
[Die] Flotte5), [die] Truppen6) [und das] Wasser. [Der] "Wind"7) [und] die "ombriche"8) [sind] zu fürchten.
Mer, terre trefue. L’amy9) à L.V.10) s’est ioint.
[Auf dem] Meer [und auf dem] Land, [kommt es zu einem] Waffenstillstand. Der Freund9) von "L.V."10) hat sich verbündet.

1) Nach LEONI.
2) Lat. "mars" = "Krieg". Oder: "März".
3) Damit ist der Saturn gemeint, vgl. lat. "deus falcifer".
4) In der klassischen Astrologie wird das Silber dem Mond zugeordnet, der hier gemeint ist.
5) Lat. "classis" (Flotte, Heer).
6) Lat. "copiae" (Truppen).
7) "Vent" (Wind) bedeutet auch "öffentliche Meinung, Gerücht".
8) "Ombriche" ist eine nostradamische Neukonstruktion. Wahrscheinlich aus "ombre" (Schatten, Vorwand u.a.) und "riche" (stark, bedeutend, mächtig, wertvoll, reich usw.). "Ombriche" müßte demzufolge etwa als "bedeutender Vorwand" verstanden werden.
9) Auch im Sinne von "Verbündeter".
10) Unklare Abkürzung. Ich sehe darin Lucius Valerius Poplicola ("Poplicola" = "Volksfreund"). Valerius war 449 v.Chr. römischer Konsul und verfaßte zusammen mit Marcus Horatius plebejerfreundliche Gesetze. Der "Freund von L.V." wäre demnach das Volk.

Kommentar


1. und 2. Zeile
: Nostradamus betreibt hier ein Wortspiel mit "Krieg" und "März". Es wird aber in jedem Fall ein Krieg stattfinden. Es scheint zu dieser Zeit, vielleicht tatsächlich in einem März, eine Konjunktion von Saturn und Mond stattzufinden - eine Aufgabe für einen Astronomen.

3. Zeile: Nostradamus gibt an, was das kriegführende Land alles zu fürchen hat: die fremden Land- und Seestreitkräfte und das "Wasser", möglicherweise das Meer. Aber es gibt auch innere Probleme. Die öffentliche Meinung ("Wind") und dieser "bedeutende Vorwand" ("Ombriche"). Das Volk könnte kriegsmüde sein und einen "bedeutenden Vorwand" finden, um den Kämpfen ein Ende zu machen.

4. Zeile: Es kommt tatsächlich zu einem allgemeinen Waffenstillstand. Möglicherweise weil sich das Volk organisiert oder mit dem Feind verbündet hat.

 
Ein nachvollziehbares Geschehen. Doch in wann und wo findet es statt?


 +P/6

Auril.
April [1555].
De n’auoir garde seras plus offensé,
Da keine Wache vorhanden, wirst [du noch] stärker angegriffen,
Le foible fort1), l’inquiet2) pacifique:
[du,] die schwache Festung1). Die Beunruhigte2) [ist] friedfertig.
La faim on crie. le peuple3) est oppressé,
"Hunger!" schreit man. Das Volk3) ist bedrängt.
La mer rougit, le Long4) fier5) & inique.
Das Meer wird rot. Der "Lange"4) [ist] grausam5) und ungerecht.

1) Oder auch: "der schwache Starke" bzw. "der starke Schwache".
2) Wörtlich: "der Beunruhigte, Unruhige". Ich habe diese Stelle auf die "schwache Festung" bezogen und deswegen in der weiblichen Form übersetzt.
3) Auch im Sinne von "Kriegsvolk, Truppe".
4) Hier betreibt Nostradamus wieder ein Wortspiel, vgl. Kommentar.
5) Das mittelfranzösische "fier" bedeutet u.a. "stolz, hochmütig; schlecht, schrecklich; grausam, fürchterlich".

Kommentar


1. und 2. Zeile
: Eine schwache Festung (?) wird stärker als zuvor angegriffen, da keine Wachen vorhanden sind. Sie scheint sich nicht aktiv zu wehren und bleibt friedfertig.

3. Zeile: In der angegriffenen Festung scheint Hunger zu herrschen. Gleichzeitig dürfte das hungernde Volk noch von der eigenen Obrigkeit unterdrückt oder bedrängt werden.

4. Zeile: Es müßte sich um eine Festung, bzw. Stadt am Meer handeln. Das Meer färbt sich rot, und Nostradamus liefert auch gleich die Erklärung dafür, weshalb. Es dürfte so sein, daß der grausame und ungerechte "Lange" der Herr dieser Festung/Stadt ist und das hungernde Volk mit brutaler Gewalt unterdrückt. Der "Lange" ("Long") ist dabei wohl eine Anspielung auf Lucius Cassius Longinus Ravilla, 125 v.Chr. römischer Zensor (Vermögenseinschätzer, Sittenrichter u.a.). Cassius Longinus war für seine Strenge und Gerechtigkeit bekannt. Der hier erwähnte "Lange" dürfte ein ähnliches Amt bekleiden, aber in vielem das Gegenteil von Cassius Longinus sein (grausam und ungerecht statt streng und gerecht). Da Rom nicht am Meer liegt, ist es aber sehr fraglich, ob hier von der Ewigen Stadt die Rede ist.

 
Wir bräuchten Begleitverse, um mehr sagen zu können.


 +P/7

May.
Mai [1555].
Le cinq, six, quinze, tard & tost l’on seiourne1),
Die Fünf, Sechs [und] Fünfzehn. Früher oder später bleibt1) man [dort].
Le né2) sans fin3): les citez reuoltées:
Der Geborene2) [ist] ohne Grenze3). Die Städte [sind] aufständisch.
L’heraut4) de paix vint & trois s’en retourne,
Der Herold4) des Friedens ist gekommen, und [die] Drei wendet sich dazu um [und]
L’ouuert cinq serre. nouuelles inuentées.
umschließt die offene Fünf. [Die] Neuigkeiten [sind] erfunden.

1) Oder auch: "ruht man aus, liegt man brach" u.a.
2) Oder auch: "Sohn", vgl. lat. "natus" (u.a. Sohn).
3) Möglicherweise im Sinne des lat. "fines" (Gebiet).
4) Herolde waren im Mittelalter u.a. Kriegs- und Friedensboten.

Kommentar


Ein Vers, der v.a. rätselhafte Zahlen enthält. Ich interpretiere ihn wie folgt:

1. und 2. Zeile: Die Zahlen verstehe ich als Buchstaben des lateinischen Alphabets: 5 = E, 6 = F, 15 = O (oder P, wenn I und J zusammengefaßt werden). Und diese Buchstaben interpretiere ich als Hinweise auf die Namen der aufständischen Städte der zweiten Zeile. Z.B. "E" = Evreux, "F" = "Franciscopolis" (Le Havre). "O" ist unklar. Es könnte vielleicht eine Anspielung auf den heiligen Ouen sein, der Bischof in Rouen war. Rouen taucht nämlich in den Zenturien zweimal zusammen mit Evreux als aufständische Stadt auf (4/100, 5/84). Der "Geborene" oder "Sohn" ohne Land, vgl. Anmerkungen 2) und 3), könnte ein rechtmäßiger Thronfolger, d.h. König, sein, der sich seine Herrschaft aber erst noch erkämpfen muß. Auch das wäre mit den erwähnten Zenturienversen in Einklang zu bringen. Die Städte sind jedenfalls aufständisch, doch über kurz oder lang scheint sich dort doch der rechtmäßige Herrscher durchzusetzen, wie wohl aus der ersten Zeile zu entnehmen ist.

3. und 4. Zeile: Hier taucht eine neue Zahl auf, die Drei. Diese würde gemäß meiner Interpretation dem Buchstaben "C" entsprechen. Und das "C" sehe ich als Abkürzung für "Chyren", den großen französischen König und Helden aus den Zenturien. Es dürfte hier aus Evreux (5 = E) ein Friedensbote zu Chyren gekommen sein. Doch der König wendet sich sofort der Stadt zu und belagert sie weiter. Die "offene Fünf" ist ein Hinweis darauf, daß mit dieser Zahl das "E" gemeint ist. Denn im Gegensatz zum "B" etwa, ist das "E" ein vom Schriftbild her "geöffneter Buchstabe". Ganz zum Schluß erfahren wir, weshalb Chyren nicht auf das Friedensangebot eingeht. Er hat nämlich erkannt, daß diese "Neuigkeiten erfunden", d.h. nur vorgetäuscht sind.

 
Sollten meine Ideen und Interpretationen zutreffen, würde der Vierzeiler zum Chyren-Thema und zu 4/100 und 5/84 gehören.


 +P/8

Iuin.
Juni [1555].
Loin1) prés de l’Vrne2) le malin3) tourne arriere,
Spät1) [und] nahe des Wasserkrugs2) dreht sich der Bösartige3) [nach] hinten.
Qu’au grand Mars feu4) donra empeschement:
[Dann,] wenn dem großen Mars [das] Feuer4) [ein] Hindernis sein wird.
Vers l’Aquilon5) au midy la grand fiersl6).
[Aus] Richtung Norden5) [kommt] in den Süden die große Stolze6).
FLORA7) tiendra la porte8) en pensement.
Florenz7) wird das Tor8) im Gedächtnis behalten.

1) Das mittelfranzösische "loin" bedeutet neben "fern" usw. auch "spät".
2) Lat. "urna" (u.a. Wasserkrug). Hier ist das Sternbild Wassermann gemeint (vgl. LEONI).
3) Das ist der Saturn (vgl. LEONI).
4) Das ist die Sonne.
5) Lat. "aquilo" (Nordnordostwind, Sturm, Norden).
6) Ein Druckfehler. Lies: "fière". Das mittelfranzösische "fier" bedeutet u.a. "stolz, hochmütig; schlecht, schrecklich; grausam, fürchterlich".
7) Nach LEONI u.a. wohl Florenz (lat. Florentia).
8) Oder auch: "die Pforte" (das Osmanische Reich).

Kommentar


1. und 2. Zeile
: Spät wird sich der Saturn in der Nähe des Wassermanns "nach hinten" drehen, und dann wird sich die Sonne in der Bahn des Mars befinden. Eine Aufgabe für einen Astronomen, die möglichen Daten zu berechnen.

3. und 4. Zeile: Ohne Begleitverse hängen diese Zeilen in der Luft. Die "große Stolze/Schreckliche" könnte vielleicht die Germania sein, die hier wieder ins lateinische Europa einfällt.

 
Wir müssen diesen Vierzeiler einstweilen so stehen lassen.


+P/9 

Iuillet.
Juli [1555].
Huit, quinze & cinq quelle desloyauté.
Acht, fünfzehn und fünf. Welche Unredlichkeit!
Viendra permettre l’explorateur malin:
Der Spion wird kommen, [um den] Bösartigen zuzulassen.
Feu du ciel foudre. pœur, frayeur Papauté,
[Das] Feuer vom Himmel, [den] Blitz. Angst [und] Schrecken [verbreitet das] Papsttum.
L’Occident tremble. trop serre vin Salin.
Der Westen zittert. Zu sehr drückt [der] salzige Wein.


Kommentar


1. Zeile
: Ich vermute, daß die genannten Zahlen wieder eine Abkürzung umschreiben sollen: H.O.E. Aufgrund des Verskontextes könnte ich mir dabei eine Ausdeutung als "hierarchia optima ecclesiae" (die vorzüglichste Hierarchie der Kirche) vorstellen. Diese Hierarchie wird hier aber als sehr unredlich beschrieben.

2. Zeile: Ein Agent wird dafür sorgen, daß der "Bösartige" zugelassen wird. Dieser "Bösartige" müßte hier der heidnische Gott Jupiter sein, der in der nächsten Zeile erwähnt wird. Es gibt Verse in den Zenturien, die davon berichten, daß die Kirche einmal in eine heidnische Religionsgemeinschaft umgewandelt wird (5/77, 10/18). Könnte der Agent, der "Spion", vielleicht ein Heide sein, der sich in der Kirche eingeschlichen und es dabei bis zum Papst gebracht hat (vgl. 10/18)? Das würde dann erklären, weshalb er Jupiter und das ganze Heidentum in der Kirche zulassen kann.

3. Zeile: Das Feuer vom Himmel, der Blitz, ist Jupiter, der heidnische Blitzgott. Dieses neue, heidnische Papsttum verbreitet Angst und Schrecken. Wahrscheinlich geht dieser Verrat am Christentum nicht reibungslos über die Bühne, und es kommt zu Widerstand in verschiedenen Ländern, der von dieser Heidenkirche aber mit Gewalt gebrochen wird.

4. Zeile: Der "salzige Wein" steht für die übel und unbrauchbar gewordene abtrünnige Kirche (der Meßwein ist ungenießbar geworden). Der Westen zittert vor der Macht dieser Religionsgemeinschaft, die mit Gewalt ihren Glauben durchzusetzen versucht. Mit dem "Westen" könnte Frankreich gemeint sein, das später das Ende dieser pervertierten Kirche herbeiführt (vgl. 5/77).

 
Dieser Vers gehört zum Jupiter-Thema oder zur Apokalypse oder vielleicht zu beiden Themenkreisen. Vgl. jedenfalls 5/77 und 10/18.


 +P/10

Aoust.
August [1555].
Six, douze, treze, vint1) parlera2) la Dame,
[Die] Sechs, Zwölf [und] Dreizehn ist gekommen1) [und die] Dame wird sprechen2).
Laisné sera par femme corrompu3):
Der älteste Sohn wird von [der] Frau verdorben3).
Dijon4), Guyenne5) gresle, foudre l’entame,
[In] Dijon4) [und der] Guyenne5) [gibt es] Hagel. [Der] Blitz verletzt ihn,
L’insatiable de sang & vin repeu.
den Unersättlichen, [der] mit Blut und Wein gesättigt [ist].

1) Damit könnte auch "vingt" (zwanzig) gemeint sein.
2) Auch: "verhandeln".
3) Oder auch: "vernichtet, zugrunde gerichtet", vgl. lat. "corrumpere".
4) Stadt im ostfranzösischen Burgund.
5) Ehemalige Provinz in Südwestfrankreich, um Bordeaux herum.

Kommentar


1. Zeile
: Ich deute die Zahlen wieder als Buchstaben: 6 = F, 12 = L, 13 = M. Und diese Abkürzung interpretiere ich als "Francorum legitimus monarcha" (der rechtmäßige Monarch der Franken, d.h. Franzosen). Wir haben hier also den rechtmäßigen französischen König vor uns. Doch wer ist diese verhandelnde "Dame"? Frankreich? Die republikanische Staatsform?

2. Zeile: Dieser "älteste Sohn" ist entweder der Thronerbe oder der König aus der ersten Zeile, der aber erst noch um Anerkennung kämpfen muß. Die "Frau" könnte mit der schon erwähnten "Dame" identisch sein. Doch wie wird der älteste Sohn "verdorben"?

3. Zeile: Ost- und Südwestfrankreich erleben entweder Naturkatastrophen oder Kriege ("Hagel").

3. und 4. Zeile: Ein "Unersättlicher" hat sich ausgiebig dem Blutvergießen und dem leichten Leben (Wein) gewidmet. Doch wer ist damit gemeint? Der verdorbene Königssohn aus der zweiten Zeile? Der "Blitz" könnte den heidnischen Blitzgott Jupiter meinen, der vielleicht Frankreich im Südwesten und Osten angreift und dabei den verdorbenen Königssohn trifft.

 
Dieser Vers könnte zum Jupiter-Thema gehören und würde dann Zukünftiges beschreiben.


 +P/11

Septembre.
September [1555].
Pleurer le ciel. à il cela faict faire,
[Zu] weinen [hat] der Himmel. Da er dies machen läßt.
La mer s’appreste. Annibal1) fait ses ruses:
Das Meer bereitet sich vor. Hannibal1) wendet seine Schliche an.
Denys2) mouille. classe tarde. ne taire3),
Dionysius2) benetzt [sie]. [Die] Flotte [kommt] spät. [Aber] nicht, [um] sich zu mäßigen3).
N’a sçeu secret. & à quoy tu t’amuses4).
[Man] hat [das] Geheimnis nicht gekannt. Und deswegen verspätest4) du dich.

1) Berühmter karthagischer Feldherr (247 - 183 v.Chr.) und Todfeind der Römer. Er zog mit seiner Armee über die Alpen nach Italien und belagerte u.a. Rom.
2) Dionysius I. (405 - 367 v.Chr.) war Tyrann von Syrakus (Stadt an der Ostküste Siziliens). Er einigte die griechischen Städte auf Sizilien im Kampf gegen Karthago. Er vertrieb die nordafrikanischen Eindringlinge von der Insel und erweiterte seinen Herrschaftsraum durch die Eroberung griechischer Städte in Süditalien.
3) Das mittelfranzösische "taire" bedeutet neben "schweigen" u.a. auch "sich mäßigen, sich beherrschen".
4) Das mittelfranzösische "amuser" bedeutet u.a. "jemanden aufhalten, verspäten".

Kommentar


1. und 2. Zeile
: Ein neuer Hannibal, ein nordafrikanischer Gegner Italiens, bereitet sich auf einen Angriff vor. Er läßt das Meer sich auf den Kampf vorbereiten. Dazu muß man wissen, daß Karthago lange eine überragende Seemacht des Altertums war. Hier rüstet der neue Hannibal also eine mächtige Flotte für den Angriff auf Italien, den er zudem mit List und Tücke führt. Der Himmel kann ob all dieser Dinge nur noch weinen.

3. und 4. Zeile: Hier wird Hannibals Gegner vorgestellt, ein neuer Dionysius. Es dürfte sich dabei um einen Beherrscher Siziliens und vielleicht auch Süditaliens handelt. Dieser läßt seine Flotte auslaufen ("sie mit Meerwasser benetzen"). Doch der Gegenangriff kommt zu spät. Nicht, weil sich Dionysius zurückgehalten hätte. Vielmehr scheint man ein "Geheimnis" nicht gekannt zu haben, was der Grund für die Verspätung ist. Bei diesem Geheimnis dürfte es sich um eine der "Schlichen" Hannibals handeln. Vielleicht ein geheimes Abkommen mit einer dritten Macht oder eine Geheimwaffe?

 
Ein sicher zukünftiges Geschehen.


 +P/12

Octobre.
Oktober [1555].
Venus1) Neptune2) poursuiura l’entreprinse.
Venus1) wird [wie] Neptun2) das Unternehmen weiterverfolgen
Serrez pensifs. troublez les opposans:
Eingeschlossen [sind die] Nachdenklichen, verwirrt die Gegner.
Classe3) en Adrie. citez vers la Tamise,4)
[Die] Flotte3) [ist] in [der] Adria. [Und bei den] Städten in der Nähe der Themse.4)
Le quart bruit blesse de nuict les reposans.
Der vierte Lärm verletzt bei Nacht die Ruhenden.

1) Damit ist der Islam gemeint, der den Venustag feiert (lat. "dies Veneris" = Freitag).
2) Neptun war der römische Meeresgott. Damit ist wohl eine große Seemacht gemeint, möglicherweise die USA.
3) Lat. "classis" (Flotte, Heer).
4) Es ist nicht ganz klar, ob die "citez vers la Tamise" inhaltlich noch zur dritten oder schon zur vierten Zeile gehören.

Kommentar


1. Zeile
: Es könnte sich wieder um den Konflikt zwischen den USA und dem Islam handeln, den wir schon aus anderen Neptun-Versen kennen.

2. Zeile: Ohne Zusammenhang nicht einzuordnen. Vgl. aber den Kommentar zur vierten Zeile.

3. Zeile: Wessen Flotte ist in der Adria und in der Nähe Südenglands? Die des Neptun oder vielleicht doch die der Venus? Es muß hier in Erinnerung gerufen werden, daß das lat. "classis" auch "Heer, Landstreitkräfte" bedeuten kann. Zur generellen Übersetzungsproblematik vgl. Anmerkung 4). Vgl. den Kommentar zur vierten Zeile.

4. Zeile: Das könnte eine Anspielung auf die Offenbarung des Johannes sein: "Der vierte Engel blies seine Posaune. Da wurde ein Drittel der Sonne und ein Drittel des Mondes und ein Drittel der Sterne getroffen, so daß sie ein Drittel ihrer Leuchtkraft verloren und der Tag um ein Drittel dunkler wurde und ebenso die Nacht." (Offenb. 8, 12). Ich glaube aber nicht, daß dieser Vers deswegen zur Apokalypse gehört. Denn im vorliegenden Vierzeiler ist vom Islam die Rede, und wie aus den Zenturien hervorgeht, wird diese Religion wohl nicht so lange Bestand haben (siehe 3/95). Ich vermute, die zitierte Bibelstelle wurde von Nostradamus v.a. deshalb angesprochen, weil hier von einer Verdunkelung der Sonne die Rede ist. Die Sonne symbolisiert bei unserem Seher aber das Christentum, die Religion, die den Tag der Sonne feiert. Das würde heißen, daß hier das christliche Europa durch den Islam großen Schaden nimmt. Der "vierte Lärm", die "vierte Posaune" in dieser Zeile, entspräche dann der Religion Muhammads. Sie scheint die "schlafenden" Europäer "bei Nacht" zu überrumpeln und zu verletzen. Sind diese vielleicht mit den "eingeschlossenen Nachdenklichen" und den "verwirrten Gegnern" der zweiten Zeile identisch? Wenn hier wirklich von einem großen Teilsieg des Islam über Europa die Rede sein sollte, wäre auch klar, wessen Kampfverbände in der dritten Zeile in der Adria und bei Südengland stehen. Was den "Mond" und die "Sterne" aus der zitierten Bibelstelle angeht, so vermute ich, daß sie von Nostradamus einfach nicht berücksichtigt wurden, da ihre Symbolik nicht in den Verskontext paßte (der "Mond" steht in den Zenturien nicht für den Islam sondern für eines der apokalyptischen Tiere. Die Sterne könnte man höchstens mit dem amerikanischen Sternenbanner in Verbindung bringen, hätte dieses zur Zeit unseres Sehers schon existiert).

 
Dieser Vers beschreibt Zukünftiges und gehört in die großen Auseinandersetzungen zwischen Abendland und Islam und zum Neptun-Thema.


 +P/13

Novembre.
November [1555].
Le grand du ciel soubs la Cape donra,
Der Große des Himmels unter dem Ornat wird
Secours. Adrie1) à la porte2) faict offre:
Hilfe leisten. "Hadrie"1) macht der Pforte2) [ein] Angebot.
Se sauuera des dangers3) qui pourra,
Sich vor den Gefahren3) retten wird, wer kann.
La nuict le Grand blessé poursuit le coffre.
[In] der Nacht [wird] der Große verletzt. Die Kiste verfolgt [ihn].

1) Das ist eine Figur aus den Zenturien, vgl. 1/8.
2) Das Osmanische Reich, die Türkei.
3) "Danger" bedeutet im Mittelfranzösischen u.a. auch "Angriff".

Kommentar


1. und 2. Zeile
: Hier ist von einem (großen) Papst die Rede. Er wird als "des Himmels" bezeichnet, was eine Anspielung auf den Papstnahmen "Cölestin" (der Himmlische) ist. Entweder wird dieser Papst tatsächlich so heißen, oder Nostradamus vergleich ihn mit einem der fünf bisherigen Cölestins. Es gibt dafür v.a. einen Kandidaten, Cölestin III. (1191 - 1198). Dieser krönte Heinrich VI. zum Kaiser, blieb aber im Streit um Süditalien ein Gegenspieler des Deutschen. Wem leistet der neue Cölestin aber Hilfe und in welcher Form? Geht es wieder um Süditalien?

2. Zeile: "Hadrie" dürfte ein Gegenspieler des Papstes sein (vgl. 10/38). Er könnte somit Heinrich VI. entsprechen und vielleicht sogar ein Deutscher sein. Dieser Papstgegner wird dem "Osmanischen Reich" (oder einfach einer großen islamischen Macht) ein Angebot machen. Für den gemeinsamen Kampf gegen die Kirche?

3. Zeile: Von was für Gefahren ist hier die Rede? Von einem Bündnis zwischen "Hadrie" und den Muslimen?

4. Zeile: Überraschend ("in der Nacht") wird der "Große" (der Papst?) verletzt. Die "Kiste" (der Sarg) verfolgt ihn. Er könnte diesem Angriff somit erliegen.

 
Ein Vers, der Zukünftiges beschreibt und zum Hadrie-Komplex gehört.


 +P/14

Decembre.
Dezember [1555].
La porte1) exclame trop frauduleuse & feinte,
Die Pforte1) ruft laut, [aber] ziemlich betrügerisch und geheuchelt,
La geule ouuerte, condition2) de paix:
mit offenem Maul, [nach einem] Friedensvertrag2).
Rosne au cristal3). eau, neige, glace teinte,
[Die] Rhone ist kristallen3). Wasser, Schnee [und] Eis [sind] befleckt.
La mort, mort, vent4). par pluye cassé faix.
Der Tod, [der] Tote [und das] Unheil4). Während [des] Regens [wird diese] Last weggenommen.

1) Das Osmanische Reich, die Türkei.
2) Vgl. lat. "condicio" (u.a. Vertrag, Vereinbarung usw.).
3) D.h. wohl gefroren.
4) Lat. "ventus" (Wind; Unheil, Unruhe u.a.).

Kommentar


1. und 2. Zeile
: Das Osmanische Reich, oder eine analoge islamische Macht, ruft laut nach einem Friedensvertrag. Wahrscheinlich, weil ihm nichts Anderes mehr übrigbleibt. Darauf deutet auch das "offene Maul" hin, was wohl bedeuten soll, daß es nach Luft schnappt (vgl. die französische Wendung "crever la gueule ouverte", "mit offenem Maul krepieren"). Doch aufgepaßt! Diese Macht ist nur zum Frieden bereit, weil sie sonst zugrunde geht. Ihre wahren Absichten sind eigentlich nicht so friedlich.

3. und 4. Zeile: Hier erfahren wir, wo und wann dies alles geschieht. An der Rhone während eines Winters. Die Region wurde "befleckt", wahrscheinlich durch die "osmanischen" Besatzer. Doch das Unheil der islamischen Besetzung, der durch sie verbreitete Tod und ein Toter werden während des "Regens" beseitigt. Der "Tote" könnte vielleicht der gefallene Anführer der Muslime sein. Doch was hat es mit dem "Regen" auf sich? Werden die bereits geschlagenen Eindringlinge erst im Frühling (Regen statt Schnee) endgültig vertrieben? Jedenfalls ist das Land nachher erleichtert.

 
Ein klar zukünftiges Geschehen.


 +P/15

1557. Ianuier.
1557. Januar.
L‘indigne orné craindra la grand fornaise,
Der unwürdige Geschmückte wird den großen Glutofen fürchten.
L’esleu premier, des captifs n’en retourne:
Der gewählte Erste der Gefangenen kehrt nicht dahin zurück.
Grand bas du monde, L’Irale1) non alaise,
Große Niedergeschlagenheit der Welt. Italien1) geht es nicht gut.
Barb. Ister2), Malte. Et le Buy3) ne retourne.
Barbarisch [sind die] untere Donau2) [und] Malta. Und der Leere3) kehrt nicht zurück.

1) "Irale" dürfte wahrscheinlich ein falsch gedrucktes "Itale" (Italien) sein.
2) Lat. "Hister" (untere Donau).
3) Wahrscheinlich auch im negativen Sinne, vgl. lat. "inanis" (u.a. leer, wertlos, eitel, unnütz).

Kommentar


Ein eigentlich eher allgemeiner Vers, den ich aber folgendermaßen einordnen bzw. deuten möchte.

3. und 4. Zeile: Die Welt (antike Ökumene, Mittelmeerraum) ist betrübt, und besonders Italien geht es nicht gut. Wir erfahren auch, was geschehen ist. Die "Barbaren" (Orientalen?) haben Malta und die untere Donau erobert und bedrohen nun wahrscheinlich u.a. die Apenninenhalbinsel. Ein "leerer" (wertloser) Mensch hat wohl dieses gefährdete Italien verlassen und kehrt auch nicht mehr zurück.

1. und 2. Zeile: Hier wird näher erläutert, wer dieser wertlose Mensch ist. Es handelt sich dabei um einen Unwürdigen, der aber (mit einem hohen Amt) "geschmückt" ist. Aus Angst vor dem "Glutofen" (der "Hölle" der barbarischen Besetzung), flieht er und läßt die "Gefangenen", die ihn einst zum Oberhaupt gewählt hatten, zurück. Das dürfte ein Papst sein, der aus dem von Orientalen bedrohten Italien flieht und dabei seine "Herde" (hohe Geistliche wie Laien) als "Gefangene" der "Barbaren" zurückläßt. Das verurteilt Nostradamus. Es gibt in den Zenturien einige Verse, die zu einer kommenden Verlegung des Heiligen Stuhls gehören. Es sind dies 6/87, 8/99 und 10/31.


 +P/16

May.
Mai [1557].
Conioint icy, au ciel appert1) depesche,
[Der] Verbundenene [ist] hier, am offenen1) Himmel. [Der] geöffnete Brief
Prise, laissée. mortalite non seure:
[wird] genommen [und] gelassen. [Das] Massensterben [ist] nicht sicher.
Peu pluye, entrée. le ciel la terre seche,
Wenig Regen [bei] Beginn. Der Himmel trocknet die Erde.
De fait, mort, pris, arriué à mal heure.2)
Tatsächlich [ist er] tot, gefangen [und] zur schlechten Stunde [angekommen].2)

1) Lat. "apertus" (offen).
2) Unklare Zeile, die auch anders übersetzt werden könnte.

Kommentar


1. Zeile
: Der "Verbundene" könnte das Sternzeichen Zwillinge meinen. Nach mittelalterlicher Auffassung wäre damit die Zeit vom 18. Mai bis 16. Juni umschrieben. D.h. dieser Vers würde dann zurecht die Überschrift "Mai" tragen.

1. und 2. Zeile: Unklar, was hier gemeint ist. Der "geöffnete Brief" könnte ein amtliches Dekret sein, das einmal befolgt wird und ein andermal nicht. Vielleicht befiehlt der Erlaß, eine bestimmte Bevölkerungsgruppe zu verfolgen. Doch da dieser Befehl nicht konsequent umgesetzt wird, ist das geplante Massensterben nicht sicher.

3. Zeile: Eine Trockenperiode scheint in dieser Zeit zu beginnen.

4. Zeile: Völlig unklar, von wem oder was hier die Rede ist.

 
Ein ziemlich unklarer Vierzeiler, den man im Augenblick so stehen lassen muß.


+P/17 

Iuin.
Juni [1557].
Victor naual1) à Houche2), Anuers3) diuorce,
[Der] Sieger zur See1) [ist] in "Houche"2) [und] Antwerpen3) [in] Entzweiung.
4) grand, du ciel feu, tremblement haut5) brule:
Erschienen4) [ist das] große, vom Himmel [kommende] Feuer. [Das] "hohe Zittern"5) brennt.
Sardaigne bois, Malte, Palerme, Corse,
Sardinien [unterliegt dem] Holzstock. Malta, Palermo [und] Korsika [ebenfalls].
Prelat6) mourir, l’vn frape sus la Mule.
[Der] Prälat6) [hat zu] sterben. Der eine schlägt auf das Maultier ein.

1) Lat. "victor navalis" (Sieger zur See).
2) Unklar. Entweder ist damit ein Ort gemeint oder es könnte bedeuten, daß der Sieger vielleicht tot ist. Denn "houche" bedeutet "Schutzüberzug", was man hier als Leichensack verstehen könnte.
3) Stadt im nordwestlichen Belgien.
4) Das mittelfranzösische "naistre" bedeutet neben "geboren werden" auch "erscheinen".
5) Das ist ein ungelöstes Wortspiel. Nostradamus scheint hier den Namen einer Stadt zu umschreiben, die brennt (vgl. 2/81).
6) Ein hoher kirchlicher Würdenträger.

Kommentar


1. Zeile
: Unklar, worum es hier geht, und in welchem Zusammenhang diese Zeile mit dem Rest des Verses steht.

2. und 3. Zeile: Hier wird an Vers 2/81 angeknüpft. Dort erfahren wir, daß eine Stadt wegen "Feuers vom Himmel" fast (ganz) verbrennen wird. Und zur gleichen Zeit wird Sardinien vom "punischen Knüppel" mißhandelt. Im vorliegenden Vers wird der Name der Stadt verschleiert mitgeteilt ("hohes Zittern"). Zudem erfahren wir, daß nicht nur Sardinien, sondern auch Malta, das sizilianische Palermo und Korsika vom Holzstock der "Karthager" geschlagen werden. Das erinnert ein wenig an 7/6, wo die gleichen Gebiete ebenfalls genannt sind.

4. Zeile: Der "Prälat" könnte ein Papst sein, der sterben muß. Das "Maultier" taucht in 2/60 auf, in einem Vierzeiler, der auch von einem "punischen Glauben" berichtet. Doch was mit diesem "Maultier" gemeint ist, ist dort ebenfalls nicht ersichtlich. Und wer schlägt hier auf das Tier ein?

 
Es dürfte sich aber wohl um Zukünftiges handeln.


 +P/18

Iuillet.
Juli [1557].
L’heraut errant du chien au Lion tourne,
Der herumreisende Herold wendet sich vom Hund dem Löwen zu.
Feu ville ardra, pille, prise nouuelle:
[Das] Feuer wird [die] Stadt verbrennen. [Es kommt zur] Plünderung [und einer] neuen Eroberung.
Decouurir fustes. Princes pris, on retourne,
[Es gilt, die] Schiffe zu entdecken. [Die] Fürsten [werden] gefangen. [Doch] man kehrt zurück.
Explor,1) pris Gall.2) au grand iointe pucelle.
[Der] Aufklärer1) [wird vom] Gallischen2) ergriffen. [Mit] dem Großen [ist] die Jungfrau im Bund.

1) "Explor" steht für "explorateur" (Aufklärer, Kundschafter, Spion).
2) "Gall." steht wohl für "gallique" (gallisch, französisch). Die ganze Stelle könnte man auch im umgekehrten Sinne übersetzen: "[Der] Gallische [wird vom] Aufklärer ergriffen."

Kommentar


1. Zeile
: Ein Herold (hier wohl eine Art Unterhändler) wechselt die Seiten und geht vom "Hund" zum "Löwen" über. Unklar ist, welche Mächte hier umschrieben werden.

2. Zeile: Ebenfalls unklar, welche Stadt hier gemeint ist. Jedenfalls wird sie niedergebrannt und möglicherweise später noch einmal erobert und geplündert. Oder die Plünderung und Eroberung gehen dem Brand voraus.

3. Zeile: Ohne Zusammenhang nicht einzuordnen.

4. Zeile: Ein Aufklärer oder Spion scheint von den Franzosen enttarnt und festgenommen zu werden. Der "Große", ich vermute, es handelt sich hier um den französischen Herrscher, erfährt Unterstützung von der "Jungfrau". Damit dürfte wahrscheinlich die Jungfrau Maria bzw. die Katholische Kirche gemeint sein.

 
Ohne Begleitverse muß man diesen Vierzeiler einstweilen so stehen lassen.


 +P/19 

Aoust.
August [1557].
De la grand Cour banni. conflit, blessé,
Vom großen Hof [wird er] verbannt. [Im] Konflikt [wird er] verletzt,
Esleu. rendue. accusé, mat.1) mutins:
[der] Gewählte, [und] ausgeliefert. Angeklagt [wird er von den] weltlichen1) Aufständischen.
Et feu cité Pyr2), eaux venins, pressé
Und [es gibt] Feuer [in der] Pyrenäen2)-Stadt. [Und] Fluten [und] Gifte. [Er wird] gezwungen,
Ne voguer onde3), ne facher les latins.
nicht das Meer3) zu befahren [und] nicht die Latiner zu verärgern.

1) Ich vermute "mat." meint sinngemäß "materialis" (lat. u.a. für "weltlich").
2) "Pyr." dürfte wohl eine Abkürzung für "Pyrénées" sein, vgl. LEONI.
3) "Onde" bedeutet im Mittelfranzösischen nicht nur "Welle" sondern u.a. auch "Meer".

Kommentar


Ich vermute, es könnte um etwa Folgendes gehen:

1. und 2. Zeile: Ein gewählter Papst wird von der Kurie in Rom ("großer Hof") verbannt und verläßt die Ewige Stadt. Er dürfte in eine Stadt in den Pyrenäen ausweichen. Doch auch dort kommt es zu einem Konflikt. Der Papst wird dabei verletzt und an Aufständische ausgeliefert, die jedoch keine kirchlichen Ämter innehaben. Die Rebellen klagen den Pontifex an. Vielleicht hat er den Aufstand provoziert?

3. Zeile: Diese ungenannte Pyrenäen-Stadt erlebt schlimme Zeiten. Feuer und "Gifte" (vergiftete Stimmung?) und zudem noch eine Naturkatastrophe, eine Überschwemmung (außer die "Fluten" würden z.B. die vielen Tränen meinen, die der Konflikt hervorruft).

3. und 4. Zeile: Der Papst scheint vorgehabt zu haben, von den Pyrenäen aus übers Meer nach Rom zurückzukehren. Doch die Aufständischen verbieten ihm das. Wahrscheinlich wollen sie keinen Konflikt mit den Italienern bzw. Römern riskieren.

 
Jedenfalls ein zukünftiges Geschehen.


 +P/20

Septembre.
September [1557].
Mer, terre aller. foy, loyauté rompuë,
Meer [und] Land [sind zu] begehen. Glaube [und] Treue [sind] gebrochen.
Pille, naufrage. à la cité tumulte:
[Es kommt zu] Plünderung [und] Schiffbruch. In der Stadt [herrscht] Aufruhr.
Fier1), cruel acte. ambition repeuë,
[Es ist eine] schreckliche1) [und] grausame Handlung. [Der] Ehrgeiz [ist] befriedigt.
Foible offensé le chef du fait inulte2).
[Der] Schwache [wird] angegriffen, der Hauptverantwortliche der Tat [bleibt] ungestraft2).

1) Das mittelfranzösische "fier" bedeutet neben "stolz" usw. auch "schrecklich, grausam, fürchterlich" u.a.
2) Lat. "inultus" (ungerächt, ungestraft, unangefochten).

Kommentar


1. und 2. Zeile
: Der "Glaube" und der "Schiffbruch" könnten den Vers geographisch festlegen. Die Kirche wird bei Nostradamus gelegentlich als "Schiff, Boot" (des Fischers Petrus) umschrieben. In diesem Fall hätten wir hier einen Aufruhr in Rom vor uns, bei dem u.a. der Vatikan geplündert wird und die Kirche "Schiffbruch" erleidet. Meer und Land sind zu durchqueren; das deutet auf eine große Fluchtbewegung aus der Ewigen Stadt hin.

3. Zeile: Der Aufruhr ist sehr gewalttätig. Er scheint von jemandem angezettelt zu werden, der sehr ehrgeizig ist. Vielleicht geht es um die Papstwürde? Der Aufwiegler scheint jedenfalls erfolgreich zu sein und kann seinen Ehrgeiz befriedigen.

4. Zeile: Wer ist der "Schwache"? Der bekämpfte Papst? Der Hauptverantwortliche des Umsturzes scheint tatsächlich Erfolg zu haben und bleibt somit ungestraft.

 
Ein zukünftiges Geschehen.


 +P/21

Octobre.
Oktober [1557].
Froid, grand deluge1). de regne dechassé,
[Die] Kälte [führt zu] großem Unglück1). Von [der] Herrschaft [wird er] vertrieben,
Niez2), discord. Trion3) Orient mine:4)
[der] Neffe2), [während der] Auseinandersetzung. [Der] Norden3) [bedroht den] Osten.4)
Poison5). mis siege. de la Cité chassé,
[Das] "Gift"5), [das die] Belagerung durchgeführt [hatte, wird] aus der Stadt vertrieben.
Retour felice6). neuue secte7) en ruine.
[Es kommt zu einer] glücklichen6) Rückkehr, [wenn die] neue Sekte7) zerfallen [sein wird].

1) Das mittelfranzösische "deluge" bedeutet neben "Überschwemmung" auch "allgemeines Unglück, Katastrophe" usw.
2) Oder auch: "Enkel, Idiot" (LE PELLETIER, LEONI).
3) Lat. "triones" (u.a. Norden).
4) Oder auch umgekehrt.
5) Damit dürfte Nostradamus wahrscheinlich auf das lat. "venenum" anspielen, das neben "Gift" auch "Unheil, Verderben" bedeuten kann.
6) Lat. "felix" (glücklich).
7) Im Mittelfranzösischen bezeichnet "secte" eine Gruppierung im weitesten Sinne, religiöser wie nichtreligiöser Natur.

Kommentar


1. und 2. Zeile
: Ich vermute, diese "Kälte" ist mit dem "Norden" identisch, der in diesem Vers großes Unheil verursachen wird. Es dürfte so sein, daß der "Norden", zu dem wohl die "neue Sekte" der letzten Zeile gehört, den "Neffen" durch eine militärische Aktion vertreibt. Nachdem er das geschafft hat, wendet sich der nördliche Aggressor dem Osten zu, um auch dort seine Herrschaft ausdehnen zu können.

3. und 4. Zeile: Doch die Herrschaft des Nordens dauert nicht ewig, das "Gift", der Angreifer, der einst die Stadt des "Neffen" belagert und diesen damit vertrieben hatte, wird selber aus der eroberten Stadt vertrieben. Und der "Neffe" kann seine glückliche Rückkehr feiern, wenn diese "neue Sekte" des Nordens zerfallen sein wird.

Dieser Vers dürfte zum Sektenunwesen gehören, das Nostradamus in seiner Widmung an König Heinrich II. für die erste Hälfte des 4. Jahrtausends vorhergesagt hat (vgl. den Kommentar zu dieser Widmung). Dabei müßte der im vorliegenden Vers erwähnte "Norden" der deutschen Sekte entsprechen, die die Weltherrschaft erringen wird. Ich könnte mir vorstellen, daß der "Neffe" ein Papst ist, der von dieser unchristlichen deutschen Sekte vertrieben, dann aber nach deren Niederlage wieder zurückkehren wird.


 +P/22

Novembre.
November [1557].
Mer close, monde1) ouuert, cité renduë,
[Das] Meer [ist] verschlossen, [der] Mundus1) offen [und die] Stadt ausgeliefert.
Faillir le Grand. esleu nouueau grand brume2):
Der Große [hat] zu fallen. Gewählt [wird der] neue Große [an der] Wintersonnenwende2).
"Floram patere"3), entrer camp. foy rompuë,
"Während des Frühlings ist das Offenstehen"3) [zu vermelden. Die] Armee [hat] einzuziehen [und der] Glaube [ist] zerbrochen.
Effort fera seuere à blanche4) plume5).
Gewalt wird [der] Harte mit blankem4) Pfeil5) anwenden.

1) "Monde" bedeutet grundsätzlich "Welt". Hier dürfte unser Seher das lat. "mundus" gemeint haben, was seinerseits ebenfalls "Welt" bedeutet. Doch "mundus" bezeichnete daneben auch eine runde Opfergrube in Rom, die als Eingang zur Unterwelt den unterirdischen Göttern geweiht war und nur dreimal im Jahr geöffnet wurde. In Nostradamus’ Vers ist dieser Eingang zur Unterwelt geöffnet, d.h. es wird Tote geben, die diesen Eingang zu benutzen haben.
2) Oder einfach: "im Winter", vgl. lat. "bruma" (Wintersonnenwende, Winter).
3) Ich bezweifle, daß in diesem lateinischen Satz "Flora" wie an anderen Stellen als "Florentia" (Florenz) zu verstehen ist. Vielmehr dürfte damit die römische Blumen- und Frühlingsgöttin Flora gemeint sein, deren Fest vom 28. April bis 3. Mai gefeiert wurde. Es kann sein, daß Nostradamus genau diese Tage gemeint hat. Ich habe diese Stelle aber im Hinblick auf die Frühlingsöttin Flora etwas allgemeiner als "Frühling" übersetzt.
4) "Blanc, blanche" bedeutet auch einfach "weiß".
5) Ich vermute, Nostradamus betreibt hier ein kleines Wortspiel. "Plume", bzw. lat. "penna", heißt "Feder". In der Sprache der Römer bedeutet "penna" aber u.a. auch "Pfeil".

Kommentar


1. Zeile
: Das "Meer", ich vermute das Mittelmeer, ist "verschlossen", d.h. wohl vom Feind eingekreist und abgeschnitten. Die Stadt, die ausgeliefert wird, dürfte Rom sein. Und es wird bei dieser Übergabe Tote geben, denn der Eingang zum Reich der Toten, zur Unterwelt, ist geöffnet.

2. Zeile: Ich vermute, mit den erwähnten "Großen" sind Päpste gemeint. Der eine scheint mindestens sein Amt zu verlieren, vielleicht sogar sein Leben. Beschreibt Nostradamus den Eingang zur Unterwelt deswegen als offen? Doch jedenfalls wird im Winter ein neuer Pontifex Maximus gewählt, wahrscheinlich im Exil (vgl. weiter unten).

3. Zeile: Hier beschreibt unser Seher den Fall Roms. Er wird sich im Frühling (vor der neuen Papstwahl im Winter) zutragen, wenn die Stadt offen und aufgegeben daliegt. Der "Glaube", die Kirche in Rom, ist zerstört, wenn der Feind mit seiner Armee einmarschiert.

4. Zeile: Hier haben wir eine Parallele zu 10/65, wo ebenfalls ein "Harter" einen "Pfeil" im Kampf um Rom einsetzt. Und in jenem Vers scheint auch angedeutet zu werden, daß die Kurie die Ewige Stadt verlassen wird. So vermute ich, daß der neue Papst, der im Winter gewählt zu werden scheint, an einem anderen Ort die Nachfolge Petri antreten wird.

 
Ein zukünftiges Geschehen, vgl. 10/65.


 +P/23

Decembre.
Dezember [1557].
Tutelle à Veste.1) guerre meurt, translatée2),
[Der] Schutzherr des Vestatempels1), [der im] Krieg stirbt, [wird] überführt2).
Combat naual. honneur. mort. prelature:
[Die] Seeschlacht [bringt] Ehre [und] Tod [für die] Prälatenwürde.
Entrée, decez. France fort augmentée,
[Der] Einzug [des Neuen erfolgt nach dem] Tod [des Alten]. Frankreich [ist] sehr erhöht.
Esleu passé, venu à la mal’heure.
[Der] Gewählte [ist] angenommen. [Er ist aber] unter schlechtem Vorzeichen gekommen.

1) Lat. "tutela vestae". Das ist der Pontifex Maximus, der römische Oberpriester, der zusammen mit den jungfräulichen Vestalinnen das heilige Feuer im Tempel der Vesta bewachte. Später wurde mit "Pontifex Maximus" der Papst bezeichnet, der hier wohl gemeint ist.
2) Lat. "translata" (u.a. überführt).

Kommentar


1. und 2. Zeile
: Ein Papst scheint in einer Seeschlacht zu fallen, was dem Papsttum Ehre einbringt. Es bestände die Möglichkeit, daß mit der "Seeschlacht" vielleicht auch innerkirchliche Auseinandersetzungen gemeint sind, da Nostradamus gerne die Kirche als "Schiff" (Petri) bezeichnet. Doch wohin überführt man den toten Papst?

3. Zeile: Nach dem Tod des alten wird ein neuer Papst gewählt. Frankreich wird dadurch sehr "erhöht" (geehrt). Damit dürften wir einen Franzosen als Pontifex Maximus vor uns haben.

4. Zeile: Der neue französische Papst wird zwar akzeptiert, doch wird er in seinem Pontifikat große Probleme zu bewältigen haben (schlechte Vorzeichen).

 
Ein Geschehen der Zukunft.


 +P/24

1558. Ianuier.
1558. Januar.
Puisné Roy fait funebre epithalame,
[Der] jüngere König macht [ein] schauerliches Hochzeitsgedicht.
Sacrez esmeus festins, ieux, soupi2) Mars1):
[Die] Geweihten [sind] aufgewiegelt. [Während den] Festmählern [und] Spielen [ist] Mars1) eingeschlafen2).
Nuit larme3) on crie. hors on conduit la Dame,
[Bei] Nacht schreit man "Alarm"3)! Hinaus führt man die Dame.
L’arrest & pache rompu de toutes pars.
Das Dekret und [das] Abkommen [werden] von allen Seiten gebrochen.

1) D.h. der Krieg, vgl. lat. "mars".
2) "Soupi" steht für "assoupi" (beruhigt, eingeschlafen), vgl. LEONI.
3) "Larme" bedeutet "Träne" usw. Ich sehe hier wegen des Sinnzusammenhangs aber eher ein verkürztes "alarme" oder, nach LE PELLETIER, "[à] l’arme" ("zur Waffe"!) gemeint.

Kommentar


1. und 2. Zeile
: Ich interpretiere diesen Vierzeiler dahingehend, daß ein noch junger (unverheirateter) König mit einer anderen Macht kriegführt. Doch diese Auseinandersetzung wird dadurch vorläufig beendet, daß der Herrscher eine Prinzessin des Feindstaates ehelicht. Während den Hochzeitsfeierlichkeiten herrscht auch tatsächlich Waffenruhe. Doch etwas scheint Nostradamus und die erwähnten Geistlichen ("Geweihten") sehr zu stören. Unser Seher nennt ein "schauerliches Hochzeitsgedicht". Da die Priester aufgebracht sind, scheint der junge König im religiösen Bereich etwas Ungeheuerliches getan zu haben. Ich vermute, es geht darum, daß der Herrscher bei seiner Hochzeit mit einer Nichtchristin auch gleich deren Religion angenommen hat. Und die feierliche Übertrittserklärung nennt Nostradamus ein "schauerliches Hochzeitsgedicht".

3. und 4. Zeile: Doch der ganze Friede war faul. Bei Nacht (d.h. überraschend) bricht der Krieg wieder aus, und man führt die fremde Königin aus dem Palast weg. Der Frieden, möglicherweise auch die Ehe, wird von allen Betiligten gebrochen.

 
Ein zukünftiges Geschehen. Ist die nichtchristliche Prinzessin vielleicht eine Muslima? Der Vers gehört jedenfalls zu +P/39.


 +P/25

Mars.
März [1558].
Vaine1) rumeur dedans la hierarchie,
[Ein] leeres1) Gerücht [geht] in der Hierarchie [um].
Rebeller Gennes: courses, insults, tumultes:
[Zu] rebellieren [hat] Genua. [Es kommt zu] Angriffen, Aufständen [und] Unruhen.
Au plus grand Roy sera la monarchie,
Dem größten König wird die Herrschaft zufallen.
Election. conflit, couuerts, sepultes2).
[Die] Wahl [führt zum] Konflikt [in den] Hallen. [Es wird] Bestattete2) [geben].

1) Oder auch: "eitles".
2) Lat. "sepulti" (Bestattete).

Kommentar


1. Zeile
: In der Kirchenspitze (Hierarchie) scheint eine Verleumdungskampagne oder Intrige zu laufen.

2. Zeile: Zur gleichen Zeit rebelliert Genua. Doch gegen wen? Und hat dieser Aufstand etwas mit den Vorgängen in der Kirche zu tun?

3. Zeile: Unklar, wer dieser "größte König" ist. Vielleicht "Chyren", der Held aus den Zenturien? Dem "großen König" wird jedenfalls die Herrschaft, die Monarchie zufallen. Damit könnte das aufständische Genua gemeint sein.

4. Zeile: Nostradamus spricht wieder von der Kirche. Ein neuer Papst wird gewählt, doch das führt zum Konflikt, der vielleicht auch in den "heiligen Hallen" des Vatikans blutig ausgetragen werden könnte. Es wird jedenfalls Tote ("Bestattete") geben. Das "Gerücht" aus der ersten Zeile dürfte der Grund für die Auseinandersetzung sein.

 
Man sollte an ein künftiges Geschehen denken.


 +P/26

Auril.
April [1558].
Par la discorde deffaillir au defaut,
Während des Streits [hat er] in [seiner] Not [machtmäßig] abzusinken.
Vn tout à coup le remettra au sus:
[Doch] einer wird ihn plötzlich wieder oben einsetzen.
Vers l’Aquilon1) seront les bruits si haut,
In Richtung Norden1) werden die Schmähungen sehr anmaßend sein.
Lesions, pointes à trauers, par dessus.
[Es kommen] Verletzungen [und] querdurch Spitzen dazu.

1) Lat. "aquilo" (Nordnordostwind, Sturm, Norden).

Kommentar

Dieser Vers dürfte zur biblischen Apokalypse gehören.


1. Zeile
: Der erste Antichrist, das erste apokalyptische Tier, unterliegt in einer Auseinandersetzung. Vgl. Offenbarung des Johannes, 13, 1 - 3.

2. Zeile: Doch der zweite Antichrist, das zweite Tier, setzt seinen Vorgänger wieder in Amt und Würden ein. Vgl. Offenbarung, 13, 4.

3. und 4. Zeile: Und Nostradamus folgt weiter Johannes: "Und es [das erste Tier] wurde ermächtigt, mit seinem Maul anmaßende Worte und Lästerungen auszusprechen; es wurde ihm die Macht gegeben, dies zweiundvierzig Monate zu tun. […] Und es wurde ihm erlaubt, mit den Heiligen zu kämpfen und sie zu besiegen. Es wurde ihm auch Macht gegeben über alle Stämme, Völker, Sprachen und Nationen." (Offenbarung, 13, 5 - 7). Die von Nostradamus erwähnten "Spitzen" stehen dabei für Waffen (Speerspitzen usw.). Wir erfahren hier, daß der Angriff von Süden nach Norden geht.


 +P/27

May.
Mai [1558].
La mer Tyrrhene1) de differente voile.
Das Tyrrhenische Meer1) [wird] von [einem] geteilten Schiff [befahren].
Par l’Ocean2) seront diuers3) assaults:
Im Ozean2) werden schreckliche3) Angriffe [durchgeführt].
Peste4), poison,5) sang en maison de toile6),
Pest4), "Gift"5) [und] Blut [sind] im Haus der Leinwand6).
Presults7), Legats8) esmeus marcher mer haut.
[Es kommt zu] Angriffen7). [Die] Unterfeldherren8) [werden] in Bewegung gesetzt, [um auf die] hohe See vorzustoßen.

1) Das Meer zwischen Italien, Korsika, Sardinien und Sizilien.
2) Das ist hier der Atlantik.
3) Das mittelfranzösische "divers" bedeutet u.a. auch "außergewöhnlich, schrecklich, böse".
4) "Pest" bezeichnet im Mittelfranzösischen jede Epidemie mit hoher Sterblichkeit, daneben aber auch generelles Unheil und Unglück.
5) Möglicherweise meint Nostradamus hier das lat. "venenum", das neben "Gift" auch "giftige Reden, Geifer, Verbitterung; Unheil, Verderben" bedeuten kann.
6) Oder auch: "Tuch, Stoff, Leintuch" u.a.
7) "Presults" ist ein nostradamisches Kunstwort. Es wurde dabei "insult" (Angriff) genommen und die Vorsilbe gegen "pre" ausgetauscht (vgl. LE PELLETIER). Den Wortsinn ändert dies bloß dahingehend, daß es sich dabei nun eigentlich um "vorangegangene Angriffe" handelt. Das lat. "praesul" (Vortänzer) paßt hier nicht recht in den Kontext.
8) Lat. "legatus" (Gesandter, Unterfeldherr, Statthalter).

Kommentar


1. Zeile
: Das "Schiff" steht für das Schiff Petri, die Kirche. Diese ist geteilt, d.h. es existiert ein Schisma. Rom, der Vatikan, liegt in der Nähe des Tyrrhenischen Meeres. Vielleicht will Nostradamus hier aussagen, daß sich der Sitz des Gegenpapstes ebenfalls in der Nähe dieses Meeres befindet? Dann wäre das "Schiff" zur Gänze in oder bei diesem Gewässer und doch geteilt.

2. Zeile: Zur gleichen Zeit tobt im Atlantik ein schrecklicher Krieg. Doch zwischen wem?

3. Zeile: Das "Haus der Leinwand" ist wieder die Kirche. Dabei steht die Leinwand (=Segel) für das Schiff Petri. In diesem innerkirchlichen Konflikt scheint sogar Blut vergossen zu werden. Näheres erfahren wir aber leider nicht.

4. Zeile: Der Krieg im Atlantik tobt weiter. Doch wer reagiert hier auf wessen Angriffe?

 
Ein Geschehen der Zukunft.


+P/28  

Iuin.
Juni [1558].
Là ou la foy estoit sera rompue,
Da, wo der Glaube war, wird [er] zerstört werden.
Les ennemis les ennemis paistront:
Die Feinde werden die Feinde weiden.
Feu ciel pleuura, ardra, interrompue1),
Feuer wird [der] Himmel regnen lassen [und den] zerrissenen1) [Glauben] verbrennen.
Nuit entreprise. Chefs querelles mettront.
[Bei] Nacht [läuft das] Unternehmen. [Die] Oberhäupter werden [die] Streitigkeiten verursachen.

1) Lat. "interrumpere" (u.a. "auseinanderreißen, zerreißen; unterbrechen".)

Kommentar


Dieser Vers gehört zur biblischen Apokalypse.

1. und 2. Zeile: Hier ist von der völlig pervertierten Kirche der Endzeit die Rede. Der christliche Glaube in ihr ist zerstört. Feinde des Christentums haben ihre Leitung übernommen und weiden ihre "Schäfchen", die klarerweise ebenfalls Feinde Christi sind.

3. Zeile: Es ist nicht ganz klar, ob dieses "Feuer vom Himmel" tatsächlich auf das direkte Eingreifen Gottes zurückzuführen ist oder ob es vielleicht nur einen Luftkrieg umschreiben soll. Jedenfalls ist das Resultat dieses "Feuers" die Zerstörung der entarteten Kirche.

4. Zeile: Nur im Zusammenhang mit anderen Vierzeilern einzuordnen.


 +P/29

Iuillet.
Juli [1558].
Guerre, tonnerre, maints champs depopulez,
[Der] Krieg [und der] Donner [führen dazu, daß] viele Landschaften entvölkert [sind].
Frayeur & bruit1), assault à la frontiere:
Schrecken und Lärm1) [bringt der] Angriff an der Grenze.
Grand Grand failli. pardon aux Exilez,
[Der] große Große [ist] gefallen. Verzeihung [wird] den Verbannten [gewährt].
Germains, Hispans2), par mer Barba.3) banniere.
[Es kommen] Germanen [und] Hispanier2) [und] über [das] Meer [das] barbarische3) Banner.

1) Oder u.a. auch "Ruhm".
2) Lat. "Hispanii" (Spanier).
3) Eine Abkürzung für "barbare" (barbarisch).

Kommentar


Es könnte um einen Krieg Frankreichs gegen Deutschland, Spanien und das "barbarische Banner" gehen, in dem große Teile des Landes entvölkert werden und der französische Herrscher fällt. Wir bräuchten Begleitverse, um mehr sagen zu können.


+P/30 

Aoust.
August [1558].
Bruit1) sera vain. les defaillans troussez,
[Der] Lärm1) wird vergeblich sein. Die Ohnmächtigen [werden] weggeführt.
Les Razes pris: esleu le Pempotan2):
Die Rasierten [werden] gefangen. Gewählt [wird] der Allmächtige2).
Faillir deux Rouges & quatre bien croisez,
[Zu] fallen [haben] zwei Rote und vier wahre Kreuzfahrer.
Pluye empeschable au Monarque potent.
[Der] Regen [ist] für den mächtigen Monarchen unerfreulich.

1) Oder auch: "Ruhm".
2) Griechisch-lateinisch: "pan-potens" (allmächtig). In 10/100 ist damit England gemeint.

Kommentar


1. bis 3. Zeile
: Hier ist von Vorgängen in der Kirche die Rede. Der "Allmächtige" (Pempotan) scheint in den Zenturien für England zu stehen. Nostradamus meint hier wohl, daß verschiedene Länder Papstkandidaten stellen, und dann England bzw. dessen Kandidat gewählt wird. Doch diese Wahl scheint nicht ohne Zwischenfälle zu verlaufen. In der ersten Zeile werden "Ohnmächtige" weggeführt. Vielleicht entmachtete Kirchenfürsten, die gefangengenommen werden? Die "Rasierten" der zweiten Zeile werden jedenfalls verhaftet ("Rasierte" = Tonsurträger = Mönche u. Geistliche). In der dritten Zeile erfahren wir, daß zwei "Rote" (Kardinäle mit rotem Ornat) und vier echte Kreuzfahrer in Zusammenhang mit dieser Wahl ihre Machtstellung verlieren. Die vier Kreuzfahrer könnten die "Ohnmächtigen" sein, denen ihr Lärm oder Ruhm (vgl. Anmerkung 1)) nichts mehr nützt. Dann wären die beiden roten Kardinäle die verhafteten "Rasierten".

4. Zeile: Unklar, wer mit diesem "mächtigen Monarchen" gemeint ist. Der "Regen" könnte aber Jupiter meinen (vgl. lat. "Iuppiter" = u.a. "Regen, Hagel").

 
Ein Vers, der Zukünftiges beschreibt. Er könnte möglicherweise zum Jupiter-Thema gehören.


+P/31 

Octobre.
Oktober [1558].
Pluye, vent,1) classe Barbare Ister2). Tyrrhene3),
"Regen [und] Wind".1) [Die] barbarische Flotte [steht am] Unterlauf der Donau2) [und im] Tyrrhenischen [Meer]3).
Passer holcades4) Ceres5), soldats munies6):
[Um das Gebiet der] Olchades4) [zu] durchqueren, [am Fest der] Ceres5), [werden die] Soldaten ausgerüstet6).
Reduits bien faicts par Flor. franchie8) Sienne7),
[Die] Bollwerke von Florenz [sind] gut gemacht. Siena7) [ist] durchquert8).
Les deux seront morts, amitiez9) vnies.
Die Beiden werden tot sein, [die] Bündnisse9) [sind] vereinigt.

1) Möglicherweise eine Anspielung auf die französische Redensart: "Petite pluie abat grand vent" (ein kleiner Regen bezwingt einen großen Wind). Diese existiert seit dem 15. Jahrhundert und bedeutet, daß oft ein unscheinbares Ereignis genügt, um große Turbulenzen abzumildern oder zu beenden.
2) Lat. "Hister" (Unterlauf der Donau).
3) Meer zwischen Italien, Korsika, Sardinien und Sizilien.
4) "Holcades" ist wohl ein Anagramm für "Olchades" (iberischer Stamm, der am oberen Guadjana, etwa 140 km südlich von Madrid lebte).
5) Nach LEONI. Ceres war die römische Göttin des Ackerbaus, des Getreides usw. Ihr Fest wurde am 12. April gefeiert. Es existiert auch die Textvariante "Geres" (Genua? Gers in Südwestfrankreich?), vgl. LE PELLETIER.
6) "Munies" sollte im Hinblick auf die Soldaten wohl "munis" heißen.
7) Stadt südlich von Florenz.
8) Oder auch: "befreit".
9) Oder einfach nur: "Freundschaften".

Kommentar


Dieser Vers gehört zu 3/64.


1. Zeile
: Die "barbarische Flotte" dürfte wohl zu den orientalischen Angreifern Europas gehören, so wie auch der "Chef von Persien" aus 3/64. Doch worauf beziehen sich "Regen und Wind", bzw. die vermutete Redewendung? Sind die "Barbaren" in der Offensive oder Defensive?

2. Zeile: Persien rüstet sich hier am 12. April für den Durchmarsch durch das Olchades-Gebiet. Doch wiederum stellt sich die Frage, ob es ein Angriff oder Rückzug werden soll.

3. Zeile: Auch hier ist nicht ganz klar, ob es sich um einen "barbarischen" Angriff oder einen europäischen Gegenangriff handelt. Wurde Siena befreit oder nur "durchquert"?

4. Zeit: Wer ist "tot"? Die genannten Städte? Dann hätten wir wohl einen (erfolgreichen) Angriff der "Barbaren" vor uns. Und die vereinten Bündnisse müßten dann "barbarische" Allianzen sein.

 
Ein Vers, der jedenfalls Zukünftiges beschreibt.


 +P/32

Novembre.
November [1558].
Venus1) la belle2) entrera dedans FLORE3),
Venus1), die Schöne2), wird in Florenz3) einziehen.
Les Exilez secrets lairront la place:4)
Die geheimen Verbannten werden den Ort verlassen.4)
Vefues beaucoup. mort de Grand on deplore,
Witwen [wird es] viele [geben]. [Den] Tod des Großen beweint man,
Oster du regne. le Grand Grand ne menace.5)
der von der Herrschaft [zu] entfernen [ist]. Der Große bedroht [den] Großen nicht.5)

1) Das ist der Islam, die Religion, die den Tag der Venus feiert (lat. "dies Veneris" = "Tag der Venus" = Freitag).
2) Möglicherweise eine Anspielung auf die römische Kriegsgöttin Bellona. Wir hätten dann einen "kriegerischen Islam" vor uns.
3) "Flore" dürfte wohl "Florence" meinen, vgl. LE PELLETIER und LEONI.
4) Oder: "Die Verbannten [und die] Geheimnisse werden den Ort verlassen."
5) Oder: "Der große Große droht nicht."

Kommentar


1. und 2. Zeile
: Eine islamische Macht wird in Florenz einziehen, was zu einer Flucht der "geheimen Verbannten" führt. Wer damit gemeint sein könnte, bleibt aber unklar. Sollte die in Anmerkung 4) angebotene Variante zutreffen, müßte man sich fragen, um welche "Geheimnisse" es sich handelt. Sind vielleicht Geheimarchive aus dem südlicheren Italien vor dem vorrückenden Islam nach Norden in Sicherheit gebracht worden? Vielleicht die des Vatikan?

3. und 4. Zeile: Daß es in einem Krieg viele Witwen gibt, ist nicht ungewöhnlich. Der Rest kann nur zusammen mit anderen Versen eingeordnet werden.

 
Ein Geschehen der Zukunft.


+P/33 

Decembre.
Dezember [1558].
Ieux, festins, nopces. mort Prelat1) de renom,
Spiele, Festmähler [und eine] Hochzeit [finden statt, beim] Tod [des] Prälaten1) mit gutem Namen.
Bruit2), paix de trefue pendant l’ennemy mine:
[Ein] Gerücht2) [und der] Friede des Waffenstillstandes [herrschen,] während der Feind droht.
Mer, terre & ciel bruit. fait du grand Brennon3),
Meer [wie] Land [wie] Himmel grollt. Verursacht [wird das] vom großen Brennus3).
Cris or, argent. l’ennemi l’on ruine.
[Man gibt] Schreie, Gold [und] Silber [von sich]. Den Feind wirft man nieder.

1) Ein hoher kirchlicher Würdenträger.
2) Oder auch "Lärm, Ehre" u.a.
3) Brennus war der Anführer der Kelten (Gallier), die 387/386 v.Chr. die Römer besiegten, die Ewige Stadt eroberten und niederbrannten. Die Römer zogen sich während dieses Kampfes auf das Kapitol zurück und bezahlten den Galliern ein großes Lösegeld für ihren Abzug. Die Kelten ließen sich auf dieses Angebot ein, nahmen die große Beute an und zogen aus Rom ab.

Kommentar


1. Zeile
: Da in diesem Vers von Rom die Rede ist, dürfte es sich bei dem Prälaten um einen Papst handeln. Wir erfahren nur, daß er einen guten Namen hatte und stirbt. Und in diesem Augenblick feiert man in der Stadt eine Hochzeit. Näheres erfahren wir nicht.

2. Zeile: Es herrscht ein "Friede des Waffenstillstandes". D.h. der Friede, den Rom genießt, ist nur provisorisch und brüchig. Und ein Feind droht bereits. Während dieser Zeit geht ein Gerücht in Rom um. Vielleicht über die Todesursache des Prälaten?

3. Zeile: Der Feind Roms ist ein neuer Brennus. Ist er vielleicht tatsächlich ein Franzose? Warum erobert er Rom?

4. Zeile: Es scheint, der neue Brennus macht eine beachtliche Beute. Der Rest der Zeile ist etwas unklar. Entweder werden die Römer den neuen Brennus trotz seines Triumphes in Rom später dennoch besiegen, oder Nostradamus meint mit dem "Feind" in dieser Zeile jemand anderen. Doch wer könnte das sein? Vielleicht jemand innerhalb Roms, der die Römer in diese mißliche Lage gebracht hat?

 
Ein zukünftiges Geschehen.


 +P/34

1559. Sur ladicte annee.
1559. Über das besagte Jahr.
Pœur, glas grâd pille. passer mer, croistre regne,
[Es gibt] Furcht [und] Aufruhr. [Die] große Beute [hat das] Meer [zu] überqueren [und so die] Herrschaft anwachsen [zu lassen].
Sectes1), Sacrez outre mer plus polis2):
[Die] Sekten1) [und] Geweihten jenseits des Meeres [sind] kultivierter2).
Peste3), chaut, feu. Roy d’Aquilon4) l’enseigne,
[Es kommen] Pest3), Hitze [und] Feuer. [Vom] König des Nordens4) [kommt die] Standarte,
Dresser trophée5). cité d’HENRIPOLIS6).
[um] den Sieg zu würdigen5). [Und zwar in der] Stadt "Henripolis"6).

1) "Sekte" bezeichnet im Mittelfranzösischen jede Gruppierung, religiöser wie nichtreligiöser Natur.
2) Oder auch: "höflicher".
3) Im Mittelfranzösischen bezeichnet "Pest" jede Epidemie mit hoher Sterblichkeit, im übertragenen Sinne aber auch generelles Unglück und Unheil.
4) Lat. "aquilo" (Nordnordostwind, Sturm, Norden).
5) "Dresser trophee" bedeutet im Mittelfranzösischen "einen Sieg ehren, würdigen".
6) Zu deutsch: "Heinrichstadt". Solange nicht klar ist, welchen Heinrich Nostradamus hier meint, kann über die Identität dieser Stadt nur spekuliert werden. Sollte "Chyren" aus den Zenturien dieser Heinrich sein, dann wäre wohl seine Geburtsstadt Blois gemeint.

Kommentar


1. Zeile
: Es scheint, als würde eine Macht das Meer (welches?) überqueren, um das dahinter liegende Land auszuplündern. Sie tut das, um ihre eigene Macht zu sichern. Möglicherweise gab es zuvor Unruhen, die in ökonomischen Schwierigkeiten begründet waren ("Furcht", "Aufruhr").

2. Zeile: Nostradamus meint zu diesem Vorgehen, daß die "Sekten" und Geistlichen ("Geweihte") auf seiten der Ausgeplünderten viel zivilisierter ("kultivierter") sind als bei den Plünderern. Das würde darauf hindeuten, daß die Macht aus der ersten Zeile auf Anraten ihrer Geistlichkeit auf diesen Raubzug gegangen ist.

3. und 4. Zeile: Unklar, welche Stadt mit "Henripolis" gemeint ist. Der "König des Nordens" ist ebenfalls nicht geklärt. Hier können wir nur auf Begleitverse warten.

 
Ein wohl zukünftiges Geschehen.


+P/35 

Ianuier.
Januar [1559].
Plus le Grand n’estre1). pluye2). au char, le cristal3).
Der Große [hat] nicht länger [zu] leben1). Regen2). Im "Wagen" [ist] der "Kristall"3).
Tumulte esmeu, de tous biens abondance:
[Der] Aufruhr [ist] angestachelt. Von allen Gütern [gibt es im] Überfluß.
Razez, Sacrez, neufs, vieux espouuental,4)
[Den] Rasierten [und] Geweihten, [den] Neuen [und] Alten [wird es] fürchterlich [ergehen].4)
Esleu ingrat5). mort, plaint, ioye, alliance.
[Der] Gewählte [ist] unangenehm5). [Von ihm gehen] Tod [und] Klage [aber auch] Freude [und ein] Bündnis [aus].

1) Wörtlich: "[zu] sein".
2) Eine Anspielung auf Jupiter. Vgl. lat. "Iuppiter" (u.a. auch "Regen, Hagel").
3) Ich vermute in diesem Satz einige Wortspiele: "Wagen" = lat. u.a. "currus" und "vehiculum", was beides zudem aber auch "Fahrzeug" und "Schiff" bedeutet. Ich denke, Nostradamus hat hier so "Schiff" verschleiert mitgeteilt. Der "Kristall" meint wohl das lat. "crystallus" (Eis, Bergkristall, Pokal). Ich vermute, hier wird auf das Eis abgezielt, das im Lateinischen ("glacies") zudem aber auch "Kälte" und "Härte" bedeutet. Somit verstehe ich diesen Satz folgendermaßen: "Im Schiff (=Kirche) [ist] die Kälte."
4) Erklärung: "Rasierte und Geweihte" = Priester (mit und ohne Tonsur), "Neue" = Novizen (lat. "novicius" = "Neuling, Novize"), "Alte" = Äbte (lat. "abbates" = "Väter, Äbte").
5) Nach lat. "ingratus" (u.a. "unangenehm, undankbar, unersprießlich").

Kommentar


1. und 2. Zeile
: Hier ist von innerkirchlichen Vorgängen die Rede. Der "Große" ist ein Papst, der stirbt. Ob allerdings eines natürlichen oder gewaltsamen Todes, wird hier nicht klar. Sein Nachfolger dürfte ein Heide, ein Anhänger Jupiters, sein, vgl. Anmerkung 2). Nostradamus beschreibt ihn als Harten und Kalten, der im Schiff Petri sitzt, vgl. Anmerkung 3). Er dürfte es sein, der den Aufruhr anstachelt. Wahrscheinlich gegen seine christlichen Gegner innerhalb der Kirche. Die Massen versucht er, mit materiellen Geschenken für seine Ziele zu gewinnen (es gibt nun alle Güter im Überfluß). Wahrscheinlich verwendet er dafür den Kirchenbesitz.

3. Zeile: Den (christustreuen) Priestern und Ordensleuten wird es unter diesem Pontifex sehr schlecht gehen.

4. Zeile: Dieser Papst ("Gewählte") ist wirklich sehr unangenehm. Von ihm gehen für die treuen Christen Tod und Leid ("Klage") aus, für andere Kreise aber Freude. Er scheint auch ein Bündnis zu begründen. Möglicherweise mit antichristlichen Gruppen außerhalb der Kirche.

 
Ein zukünftiges Geschehen.


 +P/36

Feurier.
Februar [1559].
Grain corrompu. air1) pestilent. locustes,
[Das] Korn [ist] verdorben, [der] Hauch1) pestbringend [und voller] Heuschrecken.
Subit cherra. noue nouuelle naistre:
[Die Alte] wird plötzlich fallen. [Eine] neue Weide [hat zu] entstehen.
Captifs2) ferrez. legers3), haut bas, onustes4),
[Die] Gefangenen2) [sind] in Eisen gelegt. [Die] Leichtsinnigen3) [kommen von] oben [nach] unten [und werden] bedrückt4) [sein].
Par ses5) os mal qu’à Roy n’a voulu estre.
Durch ihre5) Knochen [stößt] dem Schlechtes [zu], der nicht als König vorgesehen sein wollte.

1) Hier ist wohl das lat. "aura" gemeint, das neben "Luft" auch "Hauch, Luftzug" u.a. bedeuten kann.
2) Oder auch: "Verführten".
3) Oder auch: "Eitlen".
4) Lat. "onustus" (beladen, bedrückt).
5) "Ihre" als Singularform. Auch möglich: "seine".

Kommentar


1. Zeile
: Ich sehe in diesem "Korn" eine Anspielung auf das Gleichnis vom Senfkorn aus dem Neuen Testament (z.B. Matthäus 13, 31f.). Hier ist mit diesem (Senf-) Korn die Kirche gemeint, die von Gott als Keim des kommenden Himmelreiches in die Welt gesetzt wurde. Doch Nostradamus beschreibt in diesem Vers das Korn, die Kirche, als verdorben. Ihr Hauch bringt die Pest (= Unheil) und ist "voller Heuschrecken". Letztere spielen wohl auf eine der ägyptischen Plagen an: "Da streckte Mose seinen Stab über Ägypten aus, und der Herr schickte den Ostwind in das Land, einen ganzen Tag und eine ganze Nacht lang. Als es Morgen wurde, hatte der Ostwind die Heuschrecken ins Land gebracht" (Exodus, 10, 13). Wie wir in anderen Versen schon gesehen haben, wird die Kirche in der Endzeit ihren christlichen Charakter verlieren. Somit könnte der vorliegende Vers in jene Epoche gehören.

2. Zeile: Die "Weide" steht wieder für die Kirche, die Heimat der Gläubigen, der Herde Gottes. Die "alte Kirche" dürfte wohl diese degenierte Kirche sein, die plötzlich zerfallen wird. Ihre Stelle wird eine neue "Weide" bzw. Kirche einnehmen.

3. Zeile: In dieser Zeile dürfte es darum gehen, daß die Protagonisten der degenerierten Kirche gefangen und eingesperrt werden. Für viele von ihnen bedeutet das ein Sturz von den Höhen der Macht in die Tiefen der Ohnmacht.

4. Zeile: Doch die "Knochen", die Überreste, der zerfallenen Kirche können immer noch einem König oder Kronprinzen wider Willen schaden. Näheres dazu erfahren wir nicht.

 
Ein Geschehen der Zukunft, möglicherweise aus der Apokalypse.


 +P/37

Mars.
März [1559].
Saisis au temple, par sectes1) longue brigue2),
[Die] Ergriffenen [sind] im Tempel.Von [den] Sekten1) [geht ein] langer Streit2) [aus].
Esleu raui3) au bois forme querelle:
[Der] Gewählte, [der] im Wald entführt3) [wurde], erzeugt [einen] Streit.
Septante pars naistre nouuelle ligue,
Siebzig Gefährten. [Wegen ihnen hat ein] neues Bündnis [zu] entstehen.
De la leur mort. Roy appaisé nouuelle.
Von dort [kommt] ihr Tod. [Der] König [ist] beruhigt [über diese] Neuigkeit.

1) "Sekte" bezeichnet im Mittelfranzösischen jede Gruppierung, religiöser wie nichtreligiöser Natur.
2) Oder auch: "Intrige".
3) Oder auch: "beraubt".

Kommentar


1. Zeile
: Es könnte um Konflikte innerhalb oder unter Beteiligung der Kirche gehen, die aber von diesen "Sekten" ausgelöst wurden. Der "Tempel" steht für "Kirche". Doch was für "Ergriffene" sich dort befinden, ist unklar.

2. Zeile: Der "Gewählte" ist ein Papst. Ein Papst, der einen Streit erzeugt. In Zusammenhang mit diesen "Sekten"? Die Angabe "im Wald entführt" (= aus dem Wald geholt) könnte ein Hinweis auf den Namen des Papstes oder ein historisches Pendant sein. Als Namen kämen z.B. Silvester oder Silvanus in Frage (lat. "silva" = "Wald"). Oder Nostradamus denkt an die Päpste aus dem Geschlecht der Orsini (lat. "ursini" = "die Bärenhaften"). Diese stammen, was ihren Namen angeht, ja auch aus dem Wald. Dann wäre an Cölestin III. (1191 - 1198) und Nikolaus III. (1277 -1280) zu denken, die beide mindestens in starker Konkurrenz zu den deutschen Kaisern standen.

3. und 4. Zeile: Eine Gruppe von siebzig Leuten oder Parteien regt ihre Gegner dazu an, ein Bündnis zu schließen, das die siebzig auch besiegen wird. Ein König ist beruhigt, als er von der Niederlage der siebzig hört. Ohne Begleitverse kann zu dieser Passage aber nicht mehr gesagt werden.


 +P/38

Auril.
April [1559].
Roy salué Victeur1), Impereateur2),
[Der] König [wird] begrüßt [als] Sieger1) [und] Kaiser2).
La foy faussée. le Royal fait cognu:
Der Glaube [wurde] verraten. Die königliche Tat [ist] bekannt.
Sang Mathien3). Roy fait supereateur4),
[Das] Blut Emathions3). [Von ihm wurde der] König zum Besieger4) gemacht,
De gent superbe5) humble par pleurs venu.
vom stolzen5) Volk, [das] unter Tränen demütig wurde.

1) Lat. "victor" (Sieger).
2) Lat. "imperator" (Beherrscher, Oberfeldherr, Kaiser).
3) "Mathien" sollte "Aemathien" (Emathion) heißen. Vgl. LE PELLETIER.
4) Lat. "superator" (Überwinder, Besieger).
5) Auch im Sinne von "hochmütig, arrogant".

Kommentar


1. Zeile
: Das "Victeur" ist der Schlüssel zum Verständnis des Verses. Damit ist nämlich Chyren, der Held aus den Zenturien, gemeint, der auch in 6/70 diesen Titel erhält. Im gleichen Vierzeiler wird er als "Oberhaupt der Welt" bezeichnet (ähnlich in 4/77). 4/86 und 5/6 berichten davon, daß ein Mann sowohl zum französischen wie deutschen König gekrönt wird, was ihn de facto zum abendländischen, römischen Kaiser macht. Ich vermute stark, daß es sich bei diesem Mann um den Franzosen Chyren (Heinrich) handelt, der hier als "Imperator" (u.a. "Kaiser") bezeichnet wird.

2. Zeile: Wir erfahren, daß der Glaube zuvor verraten wurde, die Tat des Königs aber bekannt (auch "berühmt") ist. Vers 5/74, den ich auf Chyren beziehe, berichtet davon, daß der französische König die katholische Kirche wieder in ihre alte vorrevolutionäre Machtposition einsetzen wird. Ich denke nun, daß Nostradamus mit dieser "königlichen Tat" eben das meint. Der Glaube, der im republikanischen Frankreich mehr als einmal "verraten" wurde, kommt nun wieder zu seinem Recht.

3. und 4. Zeile: Emathion taucht u.a. in 9/38 auf. Er steht für den Machthaber oder Anführer aus dem arabischen und/oder nordostfrikanischen Raum. Sein "Blut", sein (stolzes) Volk, die Araber, machen Chyren zum Sieger, d.h. er wird dieses Volk militärisch besiegen. Und das schlägt wieder den Bogen zu 5/74, wo der französische König, der die Kirche wieder in ihre alte Machtposition einsetzt, auch die Araber aus seinem Land vertreibt. Chyren wird an verschiedenen Stellen übrigens als "Chyren Selin" bezeichnet, als "Heinrich der Islambesieger" (siehe 4/77).

 
Ein Vers des Chyren-Themas, der Zukünftiges beschreibt.


 +P/39

May.
Mai [1559].
Par le despit nopces, epithalame,
Wegen des Ärgers [bei] Hochzeit [und] Hochzeitsgedicht
Par les trois parts Rouges, Razez1) partis:
[werden] von den drei Teilen [die] Roten [und] Rasierten1) weggetrennt.
Au ieune noir2) remis par flamme l’ame,3)
Vom jungen Bösartigen2) [werden sie] herabgesetzt wegen [der] Flamme [der] Seele.3)
Au grand Neptune4) Ogmius5) conuertis.
Dem großen Neptun4) [und] Ogmios5) [haben sie sich] zugewandt.

1) Die "Roten" sind die Kardinäle mit rotem Ornat, die "Rasierten" (Tonsurträger) die Geistlichen generell.
2) Lat. "niger" (u.a. schwarz; boshaft, tückisch, böse).
3) Oder z.B. auch: "Durch [die] Flamme [der] Seele des jungen Bösartigen [werden sie] herabgesetzt [werden]." An der grundsätzlichen Aussage ändert dies aber wenig.
4) Römischer Meeresgott, der bei Nostradamus eine große Seemacht oder deren Anführer umschreibt.
5) Ogmios ist die gallische Version des Herkules, vgl. 5/80.

Kommentar


Hier dürfte Vers +P/24 fortgeführt werden.

1. und 2. Zeile: Die Hochzeit und der von mir vermutete Religionswechsel des jungen Königs ("Hochzeitsgedicht", vgl. +P/24) führen zur Auflehnung der Geistlichkeit, was hier mit "Ärger" umschrieben wird. Die Reaktion des Königs besteht darin, daß er den Klerus, vgl. Anmerkung 1), aus der Gesellschaft ausschließt. Die drei "Teile" meinen dabei die drei Stände der feudalistischen Gesellschaftsordnung (Klerus, Adel, Bürgertum), von denen der erste also beseitigt wird.

3. Zeile: Der "junge Bösartige" ist der junge, vom Glauben abgefallene König. Er scheint die Geistlichkeit zu erniedrigen. Was mit der "Flamme der Seele" gemeint ist, bleibt allerdings unklar. Vielleicht das "Verderben der Seele", der Religionswechsel (lat. "flamma" = u.a. das Verderben).

4. Zeile: Die Geistlichkeit hat sich zuvor von ihren König ab- und Neptun und Ogmios zugewandt. Neptun könnte, wie ich schon öfters vermutet habe, vielleicht für die USA stehen. Ogmios ist hingegen, wie aus den Zenturien hervorgeht, ein französischer Feldherr und Fürst. Seine Erwähnung verlegt den Vers jedenfalls in die Zukunft.


 +P/40

Iuin.
Juni [1559].
De maison sept par mort mortelle suite,1)
Sieben [Leute] des Hauses [werden] durch [den] Tod [eine] tödliche Verfolgung [erleiden].1)
Gresle, tempeste. pestilent mal, fureurs:
[Diese wird begleitet von] Hagel, Sturm, pestbringendem Übel [und] Rasereien.
Roy d’Orient2) d’Occident tous en fuite,
[Der] König des Orients2) [wird, wenn die] aus [dem] Westen alle auf der Flucht [sind],
Subiuguera ses iadis conquereurs.
seine einstigen Eroberer unterwerfen.

1) Ohne Kontext ist diese Zeile nicht endgültig zu übersetzten. So könnten etwa die Sieben die tödliche Verfolgung auch selber durchführen.
2) Oder auch einfach: "des Ostens".

Kommentar


1. und 2. Zeile
: Ohne Kontext nicht endgültig zu übersetzen, geschweige denn zu deuten.

3. und 4. Zeile: Verständliche Zeilen, die aber ebenfalls Begleitverse benötigen, um eingeordnet werden zu können.


 +P/41 

Iuillet.
Juli [1559].
Predons1) pillez chaleur, grand seicheresse,
[Die] Räuber1) [werden] ausgeplündert [während der] Hitze [und der] großen Trockenheit.
Par trop non estre. cas non veu, inoui:
Weil [es] nicht allzuviel geben [wird]. [Die] Sache [wurde] nicht gesehen [und bleibt] ungehört.
A l’estranger la trop grande caresse2),
Dem Ausländer [wird] die zu große Schmeichelei2) [zuteil].
Neuf pays Roy.3) l’Orient4) esblouy5).
[Ein] neues Land [für den] König.3) Der Orient4) [ist] geblendet5).

1) Lat. "praedones" (Plünderer, Räuber, Seeräuber; Entführer; Frevler).
2) Oder auch: "Freundschaftsbezeugung".
3) Oder umgekehrt: "[Ein] neuer König [für das] Land". "Neuf" kann natürlich auch "neun" bedeuten. Dann könnte man die Stelle so verstehen: "Neun Länder [für einen] König".
4) Oder auch: "Osten".
5) Oder auch: "verblendet".

Kommentar


Wieder ein Vierzeiler, der ohne Begleitverse nicht vollumfänglich zu verstehen ist.

1. und 2. Zeile: "Räuber" scheinen während einer Hitze- und Trockenperiode ausgeplündert zu werden, da es vielleicht zuwenig Lebensmittel gibt. Dieses Ausplündern scheint von ihnen nicht vorhergesehen worden zu sein und bleibt auch später geheim, man schweigt darüber. Oder Nostradamus meint mit dem "ungehört", daß sich die "Räuber" zwar nachher beschweren, aber ihre Klagen nicht berücksichtigt werden.

3. und 4. Zeile: Zur Übersetzungsproblematik siehe Anmerkung 3). In der gewählten Übersetzung könnte es darum gehen, daß ein König eines Landes von einem anderen Land als Herrscher anerkannt wird. Der König wäre in diesem Fall der Ausländer, dem vom anderen Land, gemäß Nostradamus’ Einschätzung, zu große Schmeichelei zuteil wird. Es könnte "der Orient" sein, der in seiner Verblendung einen fremden König akzeptiert.


 +P/42

Aoust.
August [1559].
L’Vrne trouuée. la cité tributaire,
Die Urne [wird] gefunden, die Stadt tributpflichtig [sein].
Champs diuisez. nouuelle tromperie:
[Das] Land [ist] aufgeteilt. [Es kommt zu einem] neuen Täuschungsmanöver.
L’Hispan1) blessé. faim, peste2), militaire,
Der Spanier1) [wird] verwundet. Hunger [und] Pest2) [bringt der] Soldat.
Moq3) obstiné, confus. mal, resuerie.
[Der] Spötter3) [ist] starrsinnig [und] verwirrt. [Wegen des] Übels [und der] Träumerei.

1) Lat. "Hispanus" (Spanier).
2) "Pest" bezeichnet im Mittelfranzösischen jede Epidemie mit hoher Sterblichkeit, daneben aber auch generelles Unheil und Unglück.
3) "Moq" dürfte für "moqueur" (Spötter) stehen.

Kommentar


1. und 2. Zeile
: Welche "Urne" wird gefunden und was meint Nostradamus damit? Von welcher Stadt und welchem Land ist die Rede? Von Paris und Frankreich?

3. und 4. Zeile: Unklar, wer mit dem "Spanier" und dem "Spötter" gemeint ist.

 
Ein typisches Beispiel für die Verse, die erst zusammen mit anderen einzuordnen sind.


 +P/43

Septembre.
September [1559].
Vierges & vefues, vostre bon temps s’approche,
Jungfrauen und Witwen, eure gute Zeit nähert sich.
Point ne sera ce que l’on pretendra:
In keiner Weise wird geschehen, was man anstrebt.
Loin1) s’en faudra que soit nouuelle approche,
In der Ferne1) wird es nötig sein, daß [ein] neuer Vormarsch [unternommen] wird.
Bien aisez pris. bien remis. pis tiendra.
[Die] Wohlhabenden [werden] ergriffen [und] sehr herabgesetzt. [Das] Schlimmste wird andauern.

1) Oder u.a. auch "spät".

Kommentar


1. und 2. Zeile
: Unklar, wovor die Jungfrauen und Witwen verschont bleiben werden.

3. und 4. Zeile: Ein Krieg tobt, in dem ein neuer Angriff bevorsteht. Die letzte Zeile verbindet den Vers mit Vierzeiler 8/17, der wohl zum kommenden islamisch-europäischen Konflikt gehören dürfte. Demgemäß stehen die "Wohlhabenden" hier für die überfallenen Europäer.

 
Ein Geschehen der Zukunft. Vgl. 8/17.


 +P/44

Octobre.
Oktober [1559].
Icy dedans se paracheuera,
Hier drin wird [es] sich vollenden.
Les trois Grâds hors le BON BOVRG1) sera loing:
Die drei Großen [sind] außerhalb. Der "Bon Bourg"1) wird fern sein.
Encontre d’eux l’vn d’eux conspirera,
Gegen sie wird sich der eine von ihnen verschwören.
Au bout du mois on verra le besoin.
Am Ende des Monats wird man die Not sehen.

1) LEONI vermutet hier ein Wortspiel mit "Bourbon". "Bon bourg" bedeutet etwa "gute kleine Stadt".

Kommentar


Der Vers bildet mit +7/44 eine Einheit.


1. und 2. Zeile
: Hier ist wieder von der geheimnisvollen kleinen Stadt aus +7/44 die Rede. In ihr wird sich etwas vollenden. Was, das erfahren wir nicht. Drei nicht näher beschriebene "Große" befinden sich außerhalb des Ortes. Der "Bon Bourg" ist der Mann aus +7/44, der aus dieser kleinen Stadt stammt und dazu noch ihren Namen trägt. Er wird aber weit weg sein. In +7/44 erfahren wir auch weshalb. Er ist im vorliegenden Vers wohl noch auf der (unrechten) Flucht.

3. und 4. Zeile: Hier werden Konflikte unter den drei "Großen" beschrieben. Näheres erfahren wir nicht.


 +P/45

Nouembre.
November [1559].
Propos1) tenuz, nopces recommencées,
[Die] Reden1) [werden] gehalten [und die] Hochzeit [wird] wieder begonnen.
La Grande Grande sortira hors de France:
Die große Große wird aus Frankreich hinausgehen.
Voix à Romagne2) de crier non lassée,
[Die] Stimme in [der] Romagna2) [wird] nicht müde zu schreien.
Reçoit la paix par trop feinte asseurance
[Man] bekommt den Frieden durch [eine] ziemlich geheuchelte Zusicherung.

1) Oder auch: "Gespräche".
2) Region im südlichen Norditalien.

Kommentar


1. und 2. Zeile
: Ohne Zusammenhang nicht einzuordnen. In welcher Beziehung steht die große Große zur Hochzeit, die wieder begonnen wird, nachdem sie zuvor scheinbar unterbrochen wurde? Ist sie vielleicht eine abgelehnte Braut?

3. und 4. Zeile: In der Romagna scheint Krieg zu herrschen, der aber durch eine unehrliche Zusicherung (vorläufig?) beendet werden kann. Wer gibt die Zusicherung? Die Romagna?

 
Ohne Begleitverse ist dieser Vierzeiler nicht einzuordnen. Die "große Große" taucht auch in +P/55 auf.


 +P/46

Decembre.
Dezember [1559].
La ioye en larmes viendra captiuer Mars,1)
Mars wird kommen, [um] die Freude in Tränen gefangenzunehmen.1)
Deuant le Grand seront esmeus Diuins2):
Vor dem Großen werden [die] "Göttlichen"2) aufgewiegelt sein.
Sans sonner mot3) entreront par trois pars,
Ohne [den] Trompetenklang3) ertönen zu lassen, werden [sie] von drei Seiten her eindringen.
Mars assoupi. dessus glas4) troutent5) vins.
Mars [ist] gesättigt. Über [das] Getöse4) fließen5) [die] Weine.

1) Oder auch umgekehrt.
2) Wahrscheinlich im Sinne des lat. "divini" (Seher, Propheten).
3) Das mittelfranzösische "mot" bedeutet u.a. "Trompetenklang".
4) Neben "Eis" bedeutet das mittelfranzösische "glas" u.a. auch "Tumult, Getöse, Lärm" u.a.
5) Nach LEONI vom provenzalischen "troutar" (rennen, laufen).

Kommentar


1. Zeile
: Ich vermute, dieser Vers gehört zu 5/77, wo die Umwandlung der Kirche in eine heidnische Glaubensgemeinschaft beschrieben wird. Die "Freude in Tränen" interpretiere ich als "Mater Dolorosa", die schmerzensreiche Mutter Gottes, die hier die Kirche symbolisiert (Maria, bzw. die Kirche als Freude für die Welt). Der heidnische Gott Mars steht für das Heidentum, das auch kriegerische Aspekte aufweisen dürfte. Es übernimmt in dieser Zeile die Kirche.

2. Zeile: Der "Große" müßte der in 5/77 erwähnte französische König sein, der diese Heidenkirche später einmal vernichten wird. Doch lange vorher werden "Seher" (vgl. Anmerkung 2)) sich gegen das Christentum erheben. Das könnten z.B. neuheidnische, unchristliche Esoteriker sein.

3. Zeile: Diese scheinen heimlich ("ohne Trompetenklang") in die Kirche einzudringen. Sie dürften sie in einem "langen Marsch durch die Hierarchie" unterwandern. Ein Gebäude hat grundsätzlich vier Seiten. Daß die "Seher" von nur drei Seiten her eindringen werden, könnte man so verstehen, daß sie die Kirche nicht offen durch die Vordertür betreten, sondern verstohlen durch Hinter- und Seiteneingängen hereinkommen.

4. Zeile: Mars, das Heidentum, ist "gesättigt", d.h. zufrieden über diesen Triumph. Nostradamus bezeichnet die heidnische Kirche und ihre Riten verächtlich als "Getöse". Daß über dieses Ströme von Wein fließen, dürfte bedeuten, daß man nach antikem Vorbild den leiblichen Genüssen auch innerhalb der "Kirche" wieder einen sehr hohen Stellenwert zumessen wird.

 
Ein jedenfalls zukünftiges Geschehen.


 +P/47

1560. Ianuier.
1560. Januar.
Iournée, diete, interim1), ne concile2),
[Es ist eine] Tagung, [eine] politische Versammlung, jedoch1) kein Konzil2).
L’an paix prepare, peste3), faim4) schismatique:
Das Jahr, [in dem man den] Frieden anbahnt, [bringt] Unheil3) [und] schismatische Begierde4).
Mis hors dedans. changer ciel, domicile5),
[Die] Ausgestoßenen [sind] drin, [um den] Himmel [zu] verändern, [aber auch den] Palast5).
Fin du congé. reuolte hierarchique6).
[Das bringt ihnen das] Ende der Zulassung. [Und einen] Aufstand [in der] Hierarchie6).

1) Lat. "interim" (u.a. "bei alledem, jedoch, doch").
2) Ein Konzil ist eine vom Papst einberufene Versammlung der kirchlichen Würdenträger zur Regelung kirchlicher Angelegenheiten.
3) Das mittelfranzösische "peste" kann neben todbringenden Epidemien auch generelles Unheil und Unglück bedeuten.
4) Das mittelfranzösische "faim" bededeutet neben "Hunger" u.a. auch "Begierde". Vgl. auch lat. "fames".
5) Lat. "domicilium" (u.a. "Wohnsitz, Haus, Palast, Residenz").
6) Wörtlich: "einen hierarchischen Aufstand". Mit der Hierarchie ist natürlich die Kirchenhierarchie gemeint.

Kommentar


1. Zeile
: Es geht um ein Konzil, das Nostradamus eher als politische Tagung denn als kirchliche Versammlung betrachtet. Das dürfte heißen, daß sein sakraler Charakter nur sehr schwach ausgeprägt ist und nicht nur kirchliche sondern auch allgemeine politische Probleme diskutiert werden.

2. Zeile: Es scheint während dieses Konzils wenigstens zeitweise Krieg zu herrschen. Wird dort vielleicht über diesen Konflikt gestritten? Doch der Krieg geht zu Ende. Dafür kommt es innerhalb der Kirche zu Spannungen. Ein Teil des Klerus scheint einer Kirchenspaltung zuzuneigen.

3. Zeile: Die "Ausgestoßenen" dürften die Kleriker sein, die die Kirche spalten wollen und deshalb vom Restkonzil an den Rand gedrängt werden. Die Ziele der Spalter bestehen darin, den Glauben, die Theologie zu ändern ("Himmel") aber auch die Kirche als Organisation ("Palast"). Der Hinweis mit dem "Palast" könnte aber auch bedeuten, daß sie gegen die herrschende politische Ordnung opponieren. Daß diese Kreise immer noch am Konzil teilnehmen dürfen, ist wohl auf einen Entscheid des scheinbar toleranten Papstes zurückzuführen.

4. Zeile: Doch ihre Forderung nach Veränderung der Theologie, der Kirche und vielleicht auch der weltlichen Macht bringt das Faß zum Überlaufen. Der restliche Klerus scheint zu revoltieren, was den Papst dazu veranlaßt, diesen Spaltern die Zulassung zum Konzil zu entziehen.


Man ist hier natürlich versucht, das Konzil von Trient (1545-49, 1551-52 und 1562-63) zu vermuten, an dem auf Befehl Kaiser Karls V. auch tatsächlich Nichtkatholiken (Protestanten) von 1551 bis 1552 teilnahmen. Doch damals ging es hauptsächlich um die Stellung zum Protestantismus und die Reform der Kirche. Ein drohendes Schisma etwa stand nicht im Zentrum des Interesses. Wir dürften hier vielmehr Zukünftiges vor uns haben.


 +P/48

Feburier.
Februar [1560].
Rompre diete. lantiq sacré1) rauoir,
[Um die] politische Versammlung [zu] zerschlagen [und] den antiken Geweihten1) [zu] entführen, [werden sie kommen].
Dessoubz les deux. feu2) par pardon d’ensuiure:
Hinunter [werden] die beiden [gebracht]. Feuer2) [hat] aus [der] Vergebung [zu] erwachsen.
Hors d’armes Sacre: long Rouge voudra auoir,
Außerhalb des Waffengangs [findet die] Weihe [statt]. [Der] lange Rote wird [sie] haben wollen.
Paix du neglect3). l’Esleu le Vefue4) viure.
[Es ist ein] Friede der Gleichgültigkeit3). Der Gewählte, der Beraubte4), [hat zu] leben.

1) Der "antike Geweihte" ist der "Pontifex Maximus", der Oberpriester im alten Rom. Später wurden mit diesem Titel die Päpste bezeichnet. "Lantiq sacré" könnte man aber auch bloß mit "der alte Geweihte" übersetzen. Dann hätten wir einfach einen betagten Geistlichen vor uns.
2) Wahrscheinlich im Sinne des lat. "incendium" (Feuer; äußerste Gefahr, Verderben).
3) Lat. "neglectio" (Vernachlässigung, Gleichgültigkeit).
4) Das mittelfranzösische "veuve, veve" (beides sind sowohl männliche wie weibliche Formen) bedeutet neben "Witwe, Witwer" auch einfach "der/die Beraubte". Vgl. lat. "viduus".

Kommentar


1. und 2. Zeile
: Ein Papst scheint an einer politischen Versammlung teilzunehmen. Da tauchen zwei Leute auf, die die Tagung zerschlagen und den Pontifex entführen wollen. Doch ihr Vorhaben scheitert. Beide werden ergriffen und in den Kerker geworfen ("hinunter gebracht"). Doch wir scheinen einen sehr großzügigen Oberhirten vor uns zu haben. Er vergibt seinen Attentätern und dürfte sie begnadigen. Das würde bedeuten, das sich das ganze im Vatikan oder einem neuen Kirchenstaat zuträgt, wo der Papst als Staatsoberhaupt diese Möglichkeit hat. Doch aus dieser Vergebung erwachsen große Probleme.

3. und 4. Zeile: Es finden bewaffnete Kämpfe statt, bei deren Ende ein anscheinend großgewachsener Kardinal (der "Rote") zum Papst geweiht wird. Er ist ein Gegner des eigentlich noch amtierenden Papstes, der den Entführern vergeben hatte. Es herrscht nun Frieden. Doch der Frieden ist nicht auf Gerechtigkeit aufgebaut sondern auf Gleichgültigkeit. Vielen ist es egal, wer auf dem Stuhl Petri sitzt, Hauptsache der Krieg ist vorbei. Aber immerhin kann der rechtmäßige Papst, der einst gewählt wurde, weiterleben, wenn er auch seines Amtes beraubt bleibt.

 
Ein zukünftiges Geschehen.


 +P/49

Mars.
März [1560].
Fera paroir esleu de nouueauté1),
[Er] wird [ihn, den] Gewählten des Wechsels1), erscheinen lassen,
Lieu de iournée. sortir hors des limites:
[der] Ort der Versammlung. [Jener wird] die Grenzen [zu] überschreiten [haben].
La bonté fainte de changer cruauté,
Die geheuchelte Güte [hat sich in] Grausamkeit [zu] verwandeln.
Du lieu suspect2) sortiront trestous viste.
Den furchterregenden2) Ort werden [dann] alle schnell verlassen.

1) Das mittelfranzösische "nouveauté" bedeutet neben "Neuigkeit, Wechsel" aber u.a. auch "Aufruhr, Revolution" usw.
2) Lat. "suspectus" (u.a. furchterregend).

Kommentar


1. und 2. Zeile
: Es ist von einer Papstwahl die Rede. Das Konklave oder ein Konzil wählt einen Papst, der die Grenzen überschreiten wird. Möglicherweise die seiner Amtsbefugnis oder des christlichen Glaubens. Oder sollte er vielleicht seine Macht militärisch erweitern? Möglicherweise wird dieser Pontifex von einer aufrührerischen Wahlversammlung auf den Stuhl Petri gebracht (vgl. Anmerkung 1)).

3. Zeile: Der neue Papst heuchelt zuerst Güte. Doch schon bald zeigt er sein wahres, grausames Gesicht.

4. Zeile: Als Reaktion darauf verlassen alle fluchtartig den Ort seiner Residenz. Das kann, muß aber nicht Rom sein.

 
Ein zukünftiges Geschehen.


 +P/50

Auril.
April [1560].
Du lieu esleu Razes1) n’estre contens,
Mit [dem] gewählten Ort [werden die] Rasierten1) nicht zufrieden sein.
Du lac Leman conduite non prouuée:
[Die] Leitung vom Genfer See [wird] nicht gebilligt [werden].
Renouueller on fera le vieil temps,
Wieder auferstehen lassen wird man die alte Zeit.
Espeuillera2) la trame tant couuée.
[Man] wird das Komplott, [das] dermaßen lange [schon] herangereift [ist], aus der Scheide ziehen2).

1) Die Geistlichen (Tonsurträger).
2) "Espeuiller" dürfte eine sehr eigentümliche Form von "despouiller" sein. Und dieses bedeutet u.a. "das Schwert aus der Scheide ziehen", d.h. es zum Kampf hervorholen.

Kommentar


1. und 2. Zeile
: Es scheint so zu sein, daß man eines Tages den Sitz der Kirche wenigstens zeitweise an den Genfer See verlegen wird, womit aber die Geistlichkeit nicht einverstanden ist. Der Klerus akzeptiert diese neue Leitung nicht.

3. Zeile: Unklar, worauf Nostradamus anspielt. Vielleicht meint er mit der "alten Zeit" das Schisma von 1378 bis 1417, durch das die Kirche und Europa in zwei Lager gespalten wurde (Päpste in Avignon und Rom). Dann würden hier erneut Teile des Klerus eine Kirchenspaltung anstreben.

4. Zeile: Dieses "Komplott", das schon sehr lange vorbereitet wurde, könnten eben Pläne zur Spaltung der Kirche sein. Diese entsprächen dann einem Schwert, das man aus der Scheide zieht, um den Leib Christi entzwei zu hauen.

 
Ein Geschehen der Zukunft.

 

Zu den Versen +P/51 bis +P/100

Zu den Versen +P/101 bis +P/141

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