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Zu den Versen +P/1 bis +P/50

Zu den Versen +P/101 bis +P/141

 

+P/51

May.
Mai [1560].
Pache Allobrox1) sera interrompu,
[Der] Vertrag [mit dem] Allobroger1) wird gebrochen werden.
Derniere main2) fera forte leuée3):
[Der] letzte Kampf2) wird [eine] kräftige Steuererhebung3) mit sich bringen.
Grand coniuré ne sera corrompu4),
[Der] große Verschwörer wird nicht erschöpft4),
Et la nouuelle alliance approuuée5).
und das neue Bündnis anerkannt5) [sein].

1) Lat. "Allobrox" (Allobroger). Die Allobroger waren eine kriegerische Völkerschaft in den französischen Westalpen (Savoyen und Dauphiné).
2) Lat. "manus" (Hand; Kampf, Handgemenge).
3) Oder auch: "Truppenaushebung".
4) Oder: "verdorben, in schlechtem Zustand; bestochen".
5) Oder auch: "geprüft".

Kommentar


1. und 2. Zeile
: Wer hat mit diesem Allobroger einen Vertrag und welche Seite bricht ihn? Wir erfahren nur, daß es infolge dieses Vertragsbruches zu Kämpfen kommt, von denen der letzte entweder eine große Steuererhebung oder eine große Truppenaushebung mit sich bringt.

3. und 4. Zeile: Ich vermute, dieser "große Verschwörer" war am Vertragsbruch aus der ersten Zeile beteiligt. Doch er ist noch lange nicht müde und spinnt sein Komplott weiter. Er scheint ein neues Bündnis herbeizuführen. Doch zwischen welchen Parteien?

 
Ohne Begleitverse hängt dieser Vierzeiler in der Luft.


 +P/52

Iuillet.
Juli [1560].
Longue crinite1) leser le Gouuerneur,
[Der] große Komet1) [hat] den Regierenden [zu] verletzen.
Faim, fieure ardante, feu & de sang fumée2):
[Es kommen] Hunger, brennendes Fieber, Feuer und blutige Auseinandersetzungen2).
A tous estats3) Iouiaux4) grand honneur,
Von allen Ständen3) [wird den] Jovialisten4) große Ehre [zuteil].
Sedition par Razes5) allumée.
[Der] Aufruhr [wird] von Rasierten5) angestachelt.

1) Lat. "longa [stella] crinita" = großer, langer Komet.
2) Das mittelfranzösische "fumée" bedeutet neben "Rauch" usw. auch "Streit, Wut" u.a.
3) Oder auch: "Würden, Häusern".
4) Oder auch: "die Jovialen, Fröhlichen".
5) Die Geistlichen (Tonsurträger).

Kommentar


1. und 2. Zeile
: Hier gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder ist wirklich von einem Kometen am Himmel die Rede, oder diese Stelle ist sinnbildlich zu verstehen. Im ersten Fall könnte der Vers den Kometen meinen, der auch in den Zenturien erwähnt wird, vgl. 2/15. Sollte diese Erscheinung am Himmel sinnbildlich zu verstehen sein, könnte sie für den heidnischen Gott Jupiter stehen, der indirekt in der dritten Zeile erwähnt wird (Jupiter war u.a. der Gott des himmlischen Lichts). Das Auftauchen dieses "Kometen" ist jedenfalls ein Zeichen dafür, daß ein ungenannter "Regierender" verletzt wird, sowie Hungersnöte, Seuchen ("brennendes Fieber"), Verwüstungen ("Feuer") und blutige Auseinandersetzungen ins Haus stehen.

3. und 4. Zeile: Zur gleichen Zeit ist auch der Aufstieg eines neuen Heidentums zu verzeichnen, der "Jupiter-Religion", die wir auch schon aus den Zenturien kennen. Ihre Vertreter (Jovialisten = Jupiterleute) werden von allen Ständen der feudalistischen Gesellschaftsordnung (Klerus, Adel, Bürgertum) mit großen Ehren empfangen. D.h. auch der Klerus läuft zum Heidentum über. Es sind sogar besonders die (abgefallenen) Geistlichen, die die Revolte gegen das Christentum anheizen.

 
Ein Geschehen der Zukunft.


 +P/53

Aoust.
August [1560].
Peste1), faim, feu & ardeur2) non cessée,
[Es kommen] Pest1), Hunger, Feuer und unbegrenzte Hitze2).
Foudre, grand gresle3) temple du ciel frapé:
[Durch den] Blitz, [den] großen Hagel,3) [wird der] Tempel vom Himmel [aus] geschlagen.
L’edit, arrest, & grieue loy cassée,
[Ein] Erlaß, [ein] Dekret [wird verabschiedet] und [das] strenge Gesetz [ist] gebrochen.
Chef inuenteur4) ses gens & luy hapé.
[Sein] Oberhaupt [ist ein] Lügner4). [Wie] seine Leute [wird auch] er ergriffen.

1) Im Mittelfranzösischen bezeichnet "Pest" jede Epidemie mit hoher Sterblichkeit, daneben aber auch generelles Unheil und Unglück.
2) Auch im Sinne von "brennendes, heftiges Verlangen".
3) Das umschreibt beides den heidnischen Gott Jupiter, der u.a. Blitzgott war und dessen Name ("Iuppiter") im Lateinischen auch "Hagel" bedeuten kann.
4) "Inventeur" kann im Mittelfranzösischen neben "Erfinder" usw. auch "Lügner" bedeuten.

Kommentar


1. und 2. Zeile
: "Pest, Hunger und Feuer" symbolisieren Plagen, die die Menschen heimsuchen werden. Die "unbegrenzte Hitze" könnte das unmäßige Verlangen der Jupiter- Religion meinen, an die Macht zu gelangen. In der zweiten Zeile wird der Angriff dieses Heidentums auf die Kirche (Tempel) erwähnt.

3. und 4. Zeile: Was ist mit dem "strengen Gesetz" gemeint? Jedenfalls scheint eine Verordnung der Jupiterleute dieses "Gesetz" zu zerbrechen, was dazu führt, daß dessen lügnerisches Oberhaupt zusammen mit seinen Leuten ergriffen wird. Ich könnte mir vorstellen, daß Nostradamus mit diesem "strengen Gesetz" den Islam meint, der in den Zenturien gelegentlich auch zusammen mit Jupiter erwähnt zu werden scheint (3/13, 5/24).

 
Jedenfalls ein Geschehen der Zukunft.


 +P/54

Septembre.
September [1560].
Priués seront Razes1) de leurs harnois2),
Beraubt werden [die] Rasierten1) ihrer Kleider2).
Augmentera leur plus grande querelle:
Verstärken wird [man] ihren allergrößten Streit.
Pere Liber3) deceu fulg.4) Albonois5),
Vater Liber3) [wird] getäuscht [vom] strahlenden4) Albanus5).
Seront rongées sectes6) à la moelle.
Abgenagt werden [die] Sekten6) bis aufs Mark.

1) Die Geistlichen (Tonsurträger).
2) Neben "Harnisch, Bewaffnung" usw. bedeutet das mittelfranzösische "harnois" u.a. auch "Kleidung, Aufmachung".
3) Liber, ein altitalischer Gott der Zeugung und der Anpflanzung, wurde in der Antike mit dem Weingott Bacchus/Dionysus, einem Sohn Jupiters, gleichgesetzt. Es wäre möglich, diese Stelle als "Vater [des] Liber" zu verstehen. Dann wäre von Jupiter die Rede. Doch das paßt nur schlecht zum Verskontext.
4) Hier wird gewöhnlich das lat. "fulgur" (Blitz) vermutet, was dann wohl ein Hinweis auf Jupiter wäre. Ich hingegen vermute hier, mit Rücksicht auf den Verskontext, eher z.B. das mittelfranzösische "fulgent" ("strahlend, leuchtend" usw.).
5) "Albonois" steht für "Albanois" (Mann aus Alba Longa).
6) "Sekte" bezeichnet im Mittelfranzösischen jede Gruppierung, religöser wie nichtreligiöser Natur.

Kommentar


Die Erwähnung des "Albanus" in der dritten Zeile weist diesen Vers dem Alba-Longa-Thema zu.

1. und 2. Zeile: Hier werden die innerkirchlichen Querelen erwähnt, die der Intervention aus Alba Longa vorausgehen (vgl. 5/46, 91). Der Verlust der "Kleider" könnte ausdrücken, daß sich der Klerus mit seinen internen Konflikten selbst entblößt und blamiert. Doch dieser merkt das nicht und intensiviert noch die inneren Spannungen. Oder sollte der Zank von außen zusätzlich angeheizt werden?

3. Zeile: Wer ist "Vater Liber"? Ich vermute ein Papst (heiliger Vater). Doch was soll dieses "Liber" andeuten? Ist er vielleicht (im übertragenen Sinn) dauernd "betrunken" wie Dionysus? Jedenfalls wird er vom Großen aus Alba Longa getäuscht. Näheres erfahren wir allerdings nicht.

4. Zeile: Die "Sekten" dürften in diesem Fall die innerkirchlichen Streitparteien sein, die, wahrscheinlich vom Mann aus Alba Longa, "bis aufs Mark abgenagt", d.h. vollkommen vernichtet werden.

 
Ein Geschehen der Zukunft. "Vater Liber" taucht noch in +P/125 und +P/127 auf.


 +P/55

Octobre.
Oktober [1560].
Sera receuë la requeste1) decenté,
Empfangen wird die anständige Bitte1).
Seront chassez & puis remis au sus:
[Sie] werden vertrieben und dann wieder oben plaziert.
La Grande Grande se trouuera contente,
Die große Große wird sich zufrieden finden.
Aueugles, sourds seront mis au dessus.
Blinde [und] Taube werden oben eingesetzt.

      1) Oder u.a. auch "Herausforderung".

      Kommentar

      1. Zeile: Ohne Zusammenhang nicht näher zu erläutern.

      2. und 4. Zeile: Es dürften diese "Blinden" und "Tauben" sein, die zuerst vertrieben, aber dann wieder in wichtige Positionen eingesetzt werden. Doch wo? In einem Staat? In der Kirche? Es scheinen jedenfalls Leute zu sein, die gewisse Dinge nicht sehen und hören können oder wollen.

      3. Zeile: Die "große Große" taucht schon in +P/45 auf, doch das hilft hier auch nicht viel weiter.

       
      Uns bleibt nichts weiter übrig, als auf Begleitverse zu warten.

       

      +P/56

Nouembre.
November [1560].
Ne sera mis1). les Nouueaux dechassez.
[Es] wird nicht gezögert1) [werden]. Die Neuen werden vertrieben.
Noir2) & de LOIN3) & le Grand tiendra fort:
[Der] Bösartige2) und [der] von fern3) [werden kommen] und der Große wird standhalten.
Recourir armes. Exilez plus chassez,
[Zu den] Waffen [ist zu] greifen. [Die] Verbannten [werden] weiter verfolgt.
Chanter victoire. non libres reconfort4).
[Zu] feiern [ist der] Sieg. [Die] Unfreien [erhalten] Trost4).

    1) "Mettre" weist im Mittelfranzösischen eine Unmenge von Bedeutungen auf, u.a. "zögern, zaudern".
    2) Oder auch: "Schwarze". Vgl. lat. "niger" (schwarz; boshaft, tückisch, böse).
    3) "LOIN" könnte auch ein Anagramm sein, vielleicht für "LION" (Lyon). Oder die ganze Stelle ist lateinisch zu verstehen: "de LOIN" = "de NILO" (vom Nil).
    4) Oder auch: "Stärkung, Hilfe".

    Kommentar


    1. Zeile
    : Wer sind die "Neuen", die ohne zu zögern vertrieben werden? Die "Verbannten" aus der dritten Zeile? Wer vertreibt sie?

    2. Zeile: Völlig unklar, wer sich hier bekämpft. Es könnte vielleicht ein Orientale in diese Auseinandersetzung verwickelt sein, vgl. Anmerkung 3).

    3. und 4. Zeile: Ohne Klärung der ersten Vershälfte sind diese Zeilen nur schwer einzuordnen. Wer sind die "Unfreien"?

     
    Wir müssen auf Begleitverse warten.


     +P/57

Decembre.
Dezember [1560].
Les deuils laissez1), supremes alliances,
Die Trauer [wird] beendet1). [Die] Höchsten [gehen] Bündnisse [ein].
Raze2) Grand mort. refus fait en3) à l’entrée4):
[Der] rasierte2) Große [ist] tot. [Seine] Ablehnung drückt man3) [bereits] beim Amtsantritt4) aus.
De retour estre bien fait en oubliance,
Zurückgekehrt, [hat die] Wohltat in Vergessenheit [zu] geraten.
La mort du iuste à banquet perpetrée.
Der Tod des Gerechten [wird] beim Festmahl herbeigeführt.

    1) Oder auch: "unterlassen".
    2) D.h. es ist ein Geistlicher, denn er trägt eine Tonsur.
    3) Das Mittelfranzösische weist für "on" (man) auch die Form "en" auf.
    4) Oder auch einfach: "Einzug, Beginn".

    Kommentar


    2. Zeile
    : Ein Papst ("rasierter Großer") ist tot. Er wurde von vielen immer abgelehnt, schon bei seinem Amtsantritt.

    3. Zeile: Er scheint auf Reisen gewesen zu sein und dabei eine Wohltat vollbracht zu haben. Doch bei seiner Rückkehr in den Amtssitz ist das alles schon vergessen.

    4. Zeile: Man scheint ihn während eines Festmahles zu ermorden. Nostradamus nennt ihn dabei einen "Gerechten". Und gerade das dürfte ihn bei vielen weniger Gerechten unbeliebt gemacht haben.

    1. Zeile: Es dürfte zu Trauerfeierlichkeiten kommen (oder auch nicht, vgl. Anmerkung 1)!), die aber wahrscheinlich bald beendet werden. Die Mächtigen schließen sofort wieder Bündnisse. Stand der Papst diesen Bündnissen vielleicht im Weg?

     
    Ein wohl zukünftiges Geschehen.


     +P/58

1561. Sur ladicte annee.
1561. Über das besagte Jahr.
Le Roy Roy n’estre. du Doux1) la pernicie2),
Der König [hat] nicht König [zu] sein. Vom Sanften1) [kommt] das Verderben2).
L’an pestilent3). les esmeus nubileux:
Das Jahr [ist] pestbringend3). Die Aufgewiegelten [sind] finster.
Tien’ qui tiendra4) des grands non letitie5):
[Das] "jeder für sich"4) der Großen [bringt] keine Freude5).
Et passera terme da6) cauilleux7).
Und vergehen wird [die] Zeit des6) Spötters7).

    1) Wohl tatsächlich, wie LE PELLETIER vermutet, eine Anspielung auf den Namen "Klemens" (der Sanftmütige). Dann könnte damit ein Papst gemeint sein.
    2) Lat. "pernicies" (u.a. "Vernichtung, Verderben, Untergang").
    3) Hier im Sinne von "unheilvoll".
    4) Gemäß LE PELLETIER vom lateinischen "teneat qui tenebit" (u.a. "besitzen möge, wer besitzt"). Nach LEONI entspricht das etwa dem heutigen "jeder für sich".
    5) Lat. "laetitia" (Freude, Fröhlichkeit).
    6) "Da" sollte "du" oder "de" heißen.
    7) Lat. "cavillator" (Spötter, Sophist, Wortspalter).

    Kommentar


    LE PELLETIER sieht hier die Ermordung des französischen Königs Heinrich III. durch den Dominikanermönch Jacques Clément (1589), während Frankreich von Religionskriegen geschüttelt wurde. Ich habe jedoch meine Zweifel, ob unser Seher den Familiennamen eines eher unbedeutenden Akteurs in einer seiner Prophezeiungen verewigt hätte. Ansonsten wäre LE PELLETIERs Ausdeutung durchaus möglich.

    1. Zeile: Ich vermute wie LE PELLETIER, daß Nostradamus hier auf den Namen Klemens hinaus will. Jedoch dürfte unser Seher einen sehr bedeutenden Träger dieses Namens im Auge gehabt haben, Papst Klemens VII. (1523 - 1534). Dieser Papst stand in Opposition zu Kaiser Karl V., dessen Truppen Rom plünderten und das Kirchenoberhaupt gefangennahmen. Und dieser Pontifex war es auch, der der Scheidung des englischen Königs Heinrich VIII. nicht zustimmen wollte, was letztlich zur Abspaltung der Anglikanischen Kirche führte. Hier wird vorhergesagt, daß ein neuer "Klemens" auftaucht, von dem Verderben ausgeht. Es dürfte wohl darum gehen, daß ein König von der Kurie nicht als rechtmäßiger König akzeptiert wird.

    2. Zeile: Diese unheilbringende Entscheidung stürzt das wahrscheinlich katholische Land in einen Bürgerkrieg, wobei die Gegner des Königs finstere Gesellen zu sein scheinen.

    3. Zeile: In diesem Bürgerkrieg kämpft jeder Fürst für seine persönlichen Interessen, was das Land folglich ins Elend stürzt und jede Freude vertreibt.

    4. Zeile: Wer ist der Spötter oder Wortspalter (vgl. Anmerkung 7))? Vielleicht der Papst "Klemens", der das Land durch seine spitzfindige Nichtanerkennung des Königs ins Elend gestürzt hat?

     
    Ich vermute ein zukünftiges Geschehen.


     +P/59 (um 3163/64 n. Chr.)

Mars.
März [1561].
Au pied du mur le cendré cordigeré1),
Am Fuße der Mauer [steht] der aschfarbene Franziskaner1).
L’enclos liuré foulant caualerie:
Der Gefangene [wird der] bedrängenden Reiterei ausgeliefert.
Du temple hors Mars & le Falcigeré2),
Außerhalb des Tempels [befinden sich] Mars und der Sichelträger2).
Hors. mis, demis, & sus la resuerie.
Außen [wird er] eingesetzt [und] enthoben. Und [das alles] während der Träumerei.

    1) Lat. "chordam gerens" (u.a. "Strickträger"). LEONI weist aber darauf hin, daß im Mittellatein "cordiger" auch "Franziskaner" bedeuten kann.
    2) Lat. "falcem gerens" (Sichelträger). Damit wird gewöhnlich Saturn umschrieben, vgl. dazu aber den Kommentar.

Kommentar


1. und 2. Zeile
: Ist der Franziskaner der Gefangene, der den Reitern übergeben wird? Wer hat ihn gefangengehalten?

3. Zeile: Mars und Saturn könnten zu einer astronomischen Konstellation gehören, die hier den Zeitpunkt des Geschehens angibt. Doch was wäre dann mit dem "Tempel" gemeint? Da der "Tempel" bei Nostradamus für "Kirche" steht, könnte damit vielleicht das Sternbild der Fische gemeint sei (Tempel = Kirche = Fischerboot, in dem sich Fische befinden).

4. Zeile: Ich vermute, hier ist vom Franziskaner die Rede, der von seinen Befreiern als Papst eingesetzt wird. Das wäre ein Parallele zu 10/91, wo ebenfalls ein Angehöriger dieses Ordens zum Papst gemacht wird. Dort erfahren wir, daß dies alles im Jahr 3163/64 n.Chr. passieren wird, und daß es sich bei diesem Pontifex um einen boshaften Menschen handelt. Kein Wunder, daß er im vorliegenden Vers später auch wieder seines Amtes enthoben wird. Vollziehen wird sich das alles wohl in einer Phase der "Träumerei" oder Schwärmerei, in der der klare Verstand vernebelt ist.


+P/60 

Auril.
April [1561].
Le temps purgé, pestilente1) tempeste,
Die Zeit [ist] gereinigt [vor dem] pestbringenden1) Sturm.
Barbare insult. fureur, inuasion:
[Der] barbarische Angriff [bringt] Raserei [und] Invasion.
Maux infinis par ce mois nous appreste,
Übel ohne Ende bereitet [man] uns in diesem Monat.
Et les plus Grands, deux moins, d’irrision.
Und die Größten, außer zwei, [sind] des Spottes [würdig].
    1) Hier im Sinne von "unheilbringend".

    Kommentar


    1. Zeile
    : Es herrscht Ruhe vor dem Sturm, der viel Unheil mit sich bringen wird.

    2. Zeile: Die Barbaren (Orientalen) greifen an. Doch wen? Frankreich?

    3. Zeile: Von welchem Monat spricht Nostradamus? Vielleicht tatsächlich von einem April?

    4. Zeile: Die "Größten", vielleicht die Staatsoberhäupter Europas, machen sich allesamt lächerlich, mit Ausnahme von zweien.

     
    Ein Vierzeiler, der ohne Begleitverse nicht genauer einzuordnen ist. Er erinnert ein wenig an +P/62.


     +P/61

May.
Mai [1561].
Ioye non longue, abandonné des siens,
[Seine] Freude [dauert] nicht lange, verlassen [wird er] von den Seinen.
L’an pestilent1), le plus Grand assailli:
Das Jahr [ist] pestbringend1). Der Größte [wird] angegriffen.
La Dame bonne aux champs Elysiens2),
Die gute Dame [ist] in den elysäischen Feldern2),
Et la plus part des biens froid non cueilly.
und [auch] der größte Teil der Güter. [Aber die] Kälte [wurde] nicht mitgenommen.

    1) D.h. unheilvoll.
    2) Das Elysium, die Inseln der Seligen in der antiken Mythologie, wurde von den Alten am Westrand der Welt lokalisiert.

    Kommentar


    1. und 2. Zeile
    : Ein "Größter" erlebt ein schlimmes Jahr, da er angegriffen und von seinen eigenen Leuten im Stich gelassen wird. Näheres erfahren wir nicht.

    3. und 4. Zeile: Die "elysäischen Felder" dürften Amerika meinen. Eine "gute Dame" ist zusammen mit allen ihren Gütern dorthin ausgewichen oder geflohen. Doch wer mit dieser Dame gemeint ist, ist ebenso unklar wie der Hinweis mit der Kälte.

     
    Hier könnne wir nur auf Begleitverse warten.


     +P/62

Iuin.
Juni [1561].
Courses de LOIN1), ne s’apprester conflits,
[Die] Angriffe [kommen] von fern1), [und die] Auseinandersetzungen [haben] sich nicht vorzubereiten.
Triste2) entreprise. l’air pestilent3), hideux:
[Es ist ein] unglückverheißendes2) Unternehmen. Die Luft [ist] unheilschwanger3) [und] schrecklich.
De toutes parts les Grands seront afflits4),
Von allen Seiten werden die Großen niedergeschlagen4) [werden].
Et dix & sept assaillir vint & deux.5)
Und zehn und sieben [haben] zwanzig und zwei anzugreifen.5)

    1) "LOIN" könnte auch ein Anagramm sein. Vielleicht für "LION" (Lyon) oder das lat. "NILO" (vom Nil). Vgl. +P/56.
    2) Vgl. lat. "tristis" (u.a. auch "unglückverheißend").
    3) Wörtlich: "pestbringend".
    4) Oder auch nur: "betrübt, bekümmert".
    5) Das bedeuet wohl, 17 werden 22 angreifen. Rein sprachlich gesehen wäre es auch möglich, daß die 22 die 17 angreifen.

    Kommentar


    1. Zeile
    : Ein Land wird von einer Macht angegriffen, die von weit her kommt. Vielleicht vom Nil (vgl. Anmerkung 1))? Die Auseinandersetzungen haben sich nicht lange vorzubereiten, d.h. es dürfte ein eher überraschender Angriff sein.

    2. Zeile: Der Angriff wird viel Unglück mit sich bringen. Die ganze Atmospähre ist von Unheil und Schrecken angefüllt.

    3. und 4. Zeile: Verständlich, aber ohne Zusammenhang nicht einzuordnen. Wer sind die 17 und 22? Vielleicht sind damit die Buchstaben Q und V gemeint, doch das würde auch nichts zur Klärung beitragen.

     
    Der Vers erinnert ein wenig an +P/60.


    +P/63 

Iuillet.
Juli [1561].
Repris, rendu. espouuenté du mal1),
[Er wird] angeklagt [und] übergeben. [Er wird] vom Übel1) erschreckt [werden].
Le sang par bas, & les faces hideuses2):
Das Blut [ist] unten und die Gesichter [sind] furchterregend2).
Aux plus sçauants l’ignare espouuental,
Den Gelehrtesten [wird der] Unwissende [zum] Schreckbild.
Porte3), haine, horreur. tomber bas la piteuse.
[Die] Pforte3) [verbreitet] Haß [und] Schrecken. [Doch sie hat] hinunter zu fallen, die Jämmerliche.

    1) Oder u.a. auch: "vom Üblen".
    2) Oder einfach nur "häßlich, gräßlich".
    3) Damit ist das Osmanische Reich, die Türkei gemeint.

    Kommentar


    1. und 2. Zeile
    : Jemand wird angeklagt und dem Henker übergeben. Als er sieht, was ihm bevorsteht, erschrickt er verständlicherweise. Der Verurteilte könnte enthauptet werden, so daß sein Blut auf den Boden spritzt. Die Umstehenden scheinen finstere Gesellen zu sein, die sich vielleicht sogar noch über die Hinrichtung freuen.

    3. Zeile: Der Verurteilte aus den ersten beiden Zeilen könnte ein Gelehrter gewesen sein, der eine Ansicht vertreten hat, die seinem ungebildeten oder unwissenden Oberhaupt nicht gepaßt hat. Dieser Herrscher scheint für alle Gelehrten zum Schrecken zu werden.

    4. Zeile: Das Osmanische Reich oder ein ähnliches islamisches Reich verbreitet Haß und Schrecken. Ist der Unwissende vielleicht der Herrscher dieses Reiches? Jedenfalls wird diese Macht eines Tages jämmerlich zugrunde gehen.

     
    Hier dürfte wieder Zukünftiges beschrieben sein.


     +P/64

Aoust.
August [1561].
Mort & saisi.1) des nonchelans le change,
[Sie ist] tot und gefangen,1) die Veränderung der Sorglosen.
S’eslongnera en s’approchant plus fort:
[Sie] wird sich, im stärkeren Näherkommen, entfernen.
Sarrez vnis en la ruine, grange2),
[Die] Gefangenen [sind] vereint im Verfall, mich schaudert2).
Par secours long estonné le plus fort3).
Durch [die] lang andauernde Hilfe [wird] der Stärkste3) ins Wanken gebracht.

    1) D.h. wohl leblos und fruchtlos ("tot") sowie in Irrtümern "gefangen".
    2) Nostradamus betreibt ein kleines Wortspiel. "Grange" bedeutet "Scheune", was auf Lateinisch soviel wie "horreum" heißt. "In der Scheune" also "[in] horreo". Nun bedeutet "horreo" aber auch: "mich schaudert, ich bin entsetzt" u.a.
    3) Auch: "Härteste" u.a.

    Kommentar


    1. Zeile
    : Ich vermute, hier geht es um Veränderungen in der Kirche. "Sorglose" scheinen die Theologie und/oder die Kirchenorganisation dahingehend verändert zu haben, daß diese fruchtlos und in Irrtümern gefangen sein werden, vgl. Anmerkung 1).

    2. Zeile: Je näher diese Veränderung kommt, d.h. je weiter sie sich durchsetzt, desto weiter entfernt sich die Kirche vom eigentlichen Christentum und ihrem Auftrag.

    3. Zeile: Die "Gefangenen" sind die Sorglosen der ersten Zeile, die in ihren Irrtümern gefangen sind. Diese vereinen sich in einer veränderten Kirche, die Nostradamus nur noch als "Verfall" bezeichnen kann, was ihn zu entsetzen scheint, vgl. Anmerkung2).

    4. Zeile: Wer ist der "Stärkste" und wer schickt welche Art von "Hilfe"? Ist der "Stärkste" vielleicht ein rechtgläubiger Papst, der durch das Netzwerk der "Sorglosen" in der Kirche ins Wanken gebracht wird? Ein Netzwerk, das seinen eigenen Papstnachfolger schon in petto hat?

     
    Ein Geschehen der Zukunft.


     +P/65

Octobre.
Oktober [1561].
Gris, blancs & noirs, enfumez & froquez1),
Graue, Weiße und Schwarze, Beweihräucherte und Kuttenträger1)
Seront remis, demis, mis en leurs sieges:
werden eingesetz, enthoben [und wieder] an ihren Platz geschickt.
Les rauaisseurs2) se trouueront mocquez3),
Die Verführer2) werden sich getäuscht3) vorfinden,
Et les Vestales4) serrées fortes riegges5).
und die Vestalinnen4) [sich hinter] starken Gittern5) eingesperrt.

    1) Das Mittelfranzösische "froquer" bedeutet u.a. "eine Mönchskutte anziehen, jemanden ins Kloster schicken".
    2) Oder natürlich auch: "Räuber, Entführer".
    3) Oder auch: "verspottet".
    4) Die Vestalinnen waren die jungfräulichen Hüterinnen des heiligen Feuers des römischen Staatsherdes auf dem Forum Romanum.
    5) Nach LEONI vom provenzalischen "riege" (Gitter, Vergitterung).

Kommentar


Es geht eindeutig um Vorgänge in der Kirche.

 
1. und 2. Zeile: Die "Grauen" stehen für die Franziskaner, vgl. auch 10/91, die "Weißen" und "Schwarzen" für andere Orden (Dominikaner und Benediktiner?). Die "Beweihräucherten" sind wohl die (gewöhnlichen) Priester, die "Kuttenträger" stehen synonym für "Ordensleute". Wir erfahren hier, daß Priester und Mönche ihrer Stellung enthoben, später aber wieder eingesetzt werden.

3. und 4. Zeile: Zwei Gruppen werden hier genannt. "Verführer" und "Vestalinnen", die Dienerinnen eines heidnischen Kultes. Ich vermute, die "Verführer" sind Neuheiden, die die Kirche in eine pagane Glaubensgemeinschaft umgewandelt und bei dieser Gelegenheit auch die Christustreuen Priester und Ordensleute entfernt haben. Doch ihre Zeit ist abgelaufen, sie werden "getäuscht" und wohl auch beseitigt. Genau so, wie ihre weiblichen Spießgesellen, die hinter Gittern landen.

 
Ein Geschehen der Zukunft.


 +P/66

1562. Sur ladicte annee.
1562. Über das besagte Jahr.
Saison d’hiuer1). ver bon, sain. mal ésté,
[Der] Winterszeit1) [folgt ein] guter [und] gesunder Frühling [aber danach auch ein] schlechter Sommer.
Pernicieux auton, sec, froment rare:
[Der] Herbst [ist] verderblich [und] trocken, so daß [der] Weizen knapp [wird].
Du vin assez. mal yeux2). faits. molesté3),
Wein [wird es] genug [geben]. [Das] Übel [kommt an den] "Augen"2), [nämlich die] Untaten [des] Belästigten3).
Guerre, mutin. seditieuse tare.
[Diese sind] Krieg [und] Aufstand. [Doch er begeht einen] aufrührerischen Fehler.

1) Oder auch: "[dem] Feldzug des Winters", da "saison" im Mittelfranzösischen u.a. auch "Feldzug" bedeuten kann.
2) Damit dürfte das Datum gemeint sein: "Oculi" (dritter Fastensonntag, im Februar/März).
3) Unklar, worauf Nostradamus hier anspielt.

    Kommentar


    1. und 2. Zeile
    : Verständlich, aber ohne Zusammenhang nicht einzuordnen.

    3. Zeile: Der reichlich vorhandene "Wein" könnte ein großes Blutvergießen meinen (vgl. Offenbarung des Johannes 14, 17 - 20). Die Identität dieses "Belästigten", der für alles verantwortlich ist, ist im Moment nicht zu klären.

    4. Zeile: Der "Belästigte" scheint einen Krieg und Aufstand auszulösen, aber dabei auch einen Fehler zu begehen. Doch welchen?

     
    Ohne Begleitverse muß man diesen Vierzeiler einstweilen so stehen lassen.


     +P/67

Ianuier.
Januar [1562].
Desir occult pour le bon paruiendra,
[Das] verborgene Verlangen nach dem Guten wird hochkommen.
Religion, paix, amour & concorde:
[Nach] Religion, Frieden, Liebe und Eintracht.
L’epithalame du tout ne s’accordra,
Das Hochzeitsgedicht wird [dem] überhaupt nicht zustimmen.
Les haut qui bas, & haut mis à la corde.
[Es sind] die Hochgestellten, [die] unten [sind], und [die] Hochgestellten [werden] an den Strick gebracht.


    Kommentar


    1. und 2. Zeile
    : Wessen verborgenes Verlangen nach dem Guten wird hochkommen? Wieso war es verborgen?

    3. Zeile: Ein "Hochzeitsgedicht", möglicherweise eine feierliche Erklärung, ist mit diesem Streben ganz und gar nicht einverstanden. Doch leider erfahren wir dazu nichts Näheres.

    4. Zeile: Waren es vielleicht diese "Hochgestellten", die nach dem Guten verlangt haben? Werden sie deswegen gestürzt und hingerichtet?

     
    Ohne Begleitverse hängt dieser Vierzeiler in der Luft.


     +P/68

Feburier.
Februar [1562].
Pour Razes1) Chef ne paruiendra à bout,
Wegen [den] Rasierten1) wird [das] Oberhaupt nicht [sein] Ziel erreichen.
Edicts changez, les serrez mis au large2):
[Die] Erlasse [werden] geändert [und] die Eingesperrten in Bewegungsfreiheit versetzt2).
Mort Grand trouué. moins de foy. bas debout
Tot [wird der] Große aufgefunden. Weniger [wird der] Glaube, [der jetzt ganz] unten steht.
Dissimulé, transi frappé à bauge3).
Verleugnet [wird er], [der] erstarrte [Große, der] in [der] Barke3) erschlagen [wurde].

    1) Das sind Geistliche (Tonsurträger).
    2) Diese Stelle könnte auch anders verstanden werden, z.B. "[...] die Bedrängten in Wohlstand versetzt."
    3) Ich neige wie LEONI dazu, hier einen Druckfehler zu sehen. Es sollte wohl nicht "bauge" (Schlammgrube) sondern "barge" (Barke) heißen, was sich auch wesentlich besser auf "large" reimen würde.

    Kommentar


    Hier ist von Vorgängen in der Kirche die Rede.

    1. Zeile: Das "Oberhaupt" ist der Papst, der wegen der Opposition der Geistlichkeit nicht sein Ziel erreichen kann.

    2. Zeile: Es dürfte der Papst sein, der die "Erlasse" ändert und damit anscheinend Gefangene freiläßt.

    3. Zeile: Doch das wird dem Kirchenoberhaupt nicht gut bekommen. Er wird tot aufgefunden. Der Glaube innerhalb der Kirche wird in der Folgezeit einen sehr kleinen Stellenwert haben.

    4. Zeile: Der Papst wurde in der "Barke" (Schiff Petri, die Kirche) erschlagen. Jetzt, wo er kalt und starr ist, wird er verleugnet. Das dürfte wohl heißen, daß seine Maßnahmen rückgängig gemacht werden.

     
    Ein wohl zukünftiges Geschehen.

     

    +P/69
Mars.
März [1562].
Esmeu de LOIN1), de LOIN prés minera,2)
[Der] in Bewegung Gesetzte aus der Ferne1), wird von fern nahe drohen.2)
Pris, captiué3). pacifié par femme:
[Aber er wird] ergriffen [und] bezaubert3). Beschwichtigt [wird er] von [der] Frau.
Tant ne tiendra comme on barginera,
Solange wird [sie] nicht bleiben, wie man feilschen wird.
Mis non passez, oster de rage4) l’ame.
[Die] Ausgesandten [werden] nicht akzeptiert, [die] die Seele von der Wut4) wegzubringen [haben].

    1) Oder auch: "de LION" (aus Lyon) oder "de NILO" (vom Nil).
    2) Oder auch: "wird nahe bei Lyon drohen". Dann wäre von einer Invasion Frankreichs die Rede. "LOIN" muß im Übrigen nicht immer dasselbe bedeuten. Es würde Nostradamus’ Stil nicht grundsätzlich widersprechen, wenn er zur Verwirrung des Lesers ein Wort oder Anagramm im selben Satz mit verschiedenen Bedeutungen verwendet hätte.
    3) Oder auch: "verführt".
    4) Oder auch: "Schmerz".

    Kommentar


    1. Zeile
    : Ein Machthaber aus der Ferne fällt in ein Land ein, vielleicht in Frankreich, vgl. Anmerkung 2).

    2. Zeile: Doch es geschieht etwas Unerwartetes. Er wird vom Charme einer Dame der Gegenseite ergriffen und bezaubert. Und dieser Frau gelingt, was die Waffen ihres Landes nicht vermocht haben. Sie kann den Eindringling beschwichtigen und zu einem Waffenstillstand überreden.

    3. Zeile: Es kommt zu langandauernden Verhandlungen, die einem Feilschen um den Frieden gleichen. Doch die Dame bleibt nicht solange beim Eindringling, bis der Frieden ausgehandelt ist und verläßt ihn.

    4. Zeile: Der verlassene Invasor reagiert darauf mit Wut, und ist nun nicht bereit, die Abgesandten des überfallenen Landes zu den Verhandlungen zuzulassen, die ihn beschwichtigen, d.h. den Frieden herbeiführen sollten.

     
    Ein Geschehen der Zukunft.


     +P/70

Auril.
April [1562].
De LOIN1) viendra susciter pour mouuoir,
Von fern1) wird [er] kommen, um zu erwecken, um in Bewegung zu setzen.
Vain2) descouuert contre peuple3) infini:
[Der] offenkundig Eitle2) [sieht sich] unendlichem Volk3) gegenüber.
De nul cogneu le mal pour le deuoir4),
Von niemandem [wurde] das Unglück für das Amt4) erkannt.
En la cuisine5) trouué mort & fini.
In der Küche5) [wird er] tot und erledigt aufgefunden.

    1) Oder auch: "de LION" (aus Lyon) oder "de NILO" (vom Nil).
    2) Oder auch möglich: "Schwache".
    3) Auch im Sinne von "Kriegsvolk, Truppen".
    4) Mit "devoir" ("Pflicht") spielt Nostradamus auf das lat. "munus" oder "officium" an, die beide neben "Pflicht" auch noch "Amt" bedeuten.
    5) Nostradamus könnte damit auch das lat. "culina" meinen, das neben "Küche" u.a. auch "Armenfriedhof" bedeutet.

    Kommentar


    1. Zeile
    : Diesen Machthaber aus der "Ferne" kennen wir bereits aus anderen Versen. Doch wen will er erwecken und was in Bewegung setzen. Sich selber?

    2. Zeile: Der Mann aus der "Ferne" kommt mit unendlichen Truppenmassen. Sein Gegner ist ein ganz offensichtlich Eitler und unnützer Mensch.

    3. und 4. Zeile: Niemand scheint vor dem Krieg erkannt zu haben, das der "Eitle" ein Unglück für das Amt ist, das er bekleidet. Er wird jedenfalls diesen Konflikt nicht überleben. Doch wer tötet ihn? Und was ist genau mit der "Küche" gemeint?

     
    Ein Zukünftiges Geschehen.


     +P/71

May.
Mai [1562].
Rien d’accordé. pire1) plus fort & trouble,
[Es gibt] nichts [Vereinbartes, was allgemein] anerkannt [wäre]. [Das] Schlimmste1) [wird noch] stärker und [auch die] Wut.
Comme il estoit. terre & mer tranquiler2):
[Es ist,] wie es war. Land und Meer [sind immer noch zu] beruhigen2).
Tout arresté ne vaudra pas vn double3),
Alles Beschlossene wird nicht einen roten Heller3) wert sein.
Dira l’iniq, Conseil d’anichiler.
Sagen wird der Bösartige, [sein] Rat [sei, die Vereinbarungen] außer Kraft zu setzen.

    1) Oder auch: "[Der] Schlimmste".
    2) Lat. "tranquillare" (beruhigen).
    3) Ein "double" ("Doppelheller") ist eine mittelalterliche französische Münze mit geringem Wert.

    Kommentar


    1. und 2. Zeile
    : Es dürfte Krieg zu Land und zu Wasser herrschen. Man versucht, einen Frieden auszuhandeln, doch es gibt keine Vereinbarung, die von allen Beteiligten akzeptiert würde. So bleibt alles beim alten. Ja, die Situation verschlimmert sich noch, die Wut steigt an.

    3. und 4. Zeile: Die Verhandlungsergebnisse sind nichts wert, da sich nicht alle an sie gebunden fühlen. Das läßt einen "Bösartigen" den Vorschlag vorbringen, die unwirksamen Vereinbarungen außer Kraft zu setzen. Vielleicht wäre ja schon ein halber Frieden eine Bedrohung für die Interessen des "Bösartigen". Ist er vielleicht mit dem "Schlimmsten" aus der ersten Zeile identisch (vgl. Anmerkung 1))?

     
    Das Geschehen ist durchaus verständlich, doch fehlen Begleitverse, um es einordnen zu können.


     +P/72

Iuin.
Juni [1562].
Portenteux fait, horrible & incroiyable,
[Die] außergewöhnliche Erscheinung [ist] schrecklich und unglaublich.
Typhon1) fera esmouuoir les meschans:
Typhon1) wird die Elenden sich in Bewegung setzen lassen.
Qui puis apres soustenus par le cable2),
[Die,] die dann später vom dicken Seil2) unterstützt [werden],
Et la plus part exilez3) sur les champs.
und [von denen] der größte Teil auf den Schlachtfeldern getötet3) [werden wird].

    1) Der Gigant Typhon war ein Sohn des Tartaros und der Erdgöttin. Er kämpfte mit Zeus (Jupiter) um die Herrschaft des Himmels, wurde aber durch dessen Blitze besiegt und unter dem Ätna auf Sizilien begraben.
    2) "Cable" = "dickes Seil, Tau". Unklar, worauf Nostradamus hier anspielt.
    3) "Exiler" bedeutet im Mittelfranzösischen neben "verbannen, vertreiben" auch "verwüsten, zerstören, sterben lassen".

    Kommentar


    1. und 2. Zeile
    : Hier dürfte ein wirklich verheerender Ausbruch des Ätnas beschrieben sein (Typhon steht wohl sinnbildlich für diesen Vulkan). Die "Elenden" müßten dann die Anwohner sein, die nur noch fliehen können.

    3. und 4. Zeile: Später einmal werden diese Sizilianer in einem Krieg von einer Macht unterstützt, die Nostradamus "dickes Seil, Tau" nennt. Wer damit gemeint sein könnte, bleibt schleierhaft. Wie auch immer, trotz dieser Unterstützung wird der größte Teil der Ätna-Anwohner auf den Schlachtfeldern umkommen.

     
    Ohne Begleitverse muß man diesen Vierzeiler so stehen lassen.


     +P/73 (um 3553 n. Chr.)

Iuillet.
Juli [1562].
Droit mis au throsne du ciel1) venu en France,
[Der] Rechtmäßige [wurde] auf den Thron gesetzt [und ist] vom "Himmel"1) nach Frankreich gekommen.
Pacifié par Vertu l’Vniuers:
Durch Kraft [wird] die Welt befriedet.
Plus sage2) espandre. bien tost tourner change3),
[Der] Weiseste2) [hat zu] expandieren. Sehr bald [hat das] Glück3) [sich zu] wenden.
Par les oyseaux4), par feu, & non par vers5).
Durch die Vögel4), durch Feuer und nicht durch Verse5).

    1) Hier dürfte wie in 10/72 ein Wortspiel mit dem lat. "caelum" oder "coelum" (Himmel) und "Coele" (Gebiet zwischen Libanon und Antilibanon, Südsyrien) vorliegen. Wir hätten somit einen orientalischen König vor uns, der nach Frankreich "kommt", vielleicht dort einmarschiert.
    2) LE PELLETIER denkt, "sage" sollte "sang" heißen. In diesem Fall müßte der Satz etwa so übersetzt werden: "[Noch] mehr Blut [ist zu] vergießen."
    3) Hier könnte ich mir nun vorstellen, daß ein Druckfehler vorliegt. "Tourner change" bedeutet nämlich "Geld zurückgeben", was hier aber nur schlecht in den Kontext passen würde. "Tourner chance" aber, was etwa "das Glück hat sich zu wenden" bedeutet, würde inhaltlich passen und sich zudem weit besser auf "France" aus der ersten Zeile reimen.
    4) Wahrscheinlich eine Anspielung auf das lat. "aquilae" (Adler, Legionsadler).
    5) Psalmen oder auch Liedverse.

Kommentar


1. Zeile
: Hier ist vom "König des Schreckens" aus 10/72 die Rede, der im September 3553 n.Chr. auftauchen und in Frankreich einfallen wird. Wir erfahren hier, daß es sich um keinen Usurpator sondern um einen rechtmäßigen (orientalischen) König handelt.

3. und 4. Zeile: Der "Weiseste" dürfte sein Gegner sein, der große französische König aus dem Angoumois, vgl. 10/72. Er hat, um zu überleben, zu kämpfen und seine Macht auszudehnen. Und schon bald wird sich das Glück wenden, das zuerst wohl auf der Seite des Orientalen stehen wird. Doch das gelingt dem Franzosen nicht durch schöne Worte ("Verse"), sondern nur mit handfester Gewalt.

2. Zeile: Durch diese Kraft des französischen Königs wird schließlich die Welt wieder befriedet.

 
Ein zukünftiges Geschehen.


 +P/74

Aoust.
August [1562].
Les coulorez, les Sacres1) malcontens,
Die Geschmückten, die Geweihten1) [sind] unzufrieden.
Puis tout à coup par Androgyns alegres:
Dann [werden sie] plötzlich durch [die] Zwitter fröhlich.
De la plus part voir, non venu le temps,
Vom größten Teil [ist] einzusehen, [daß] die Zeit [noch] nicht gekommen [ist].
Plusieurs d’être2) eux ferôt leurs soupes3) maigres.
Mehrere unter2) ihnen werden ihre mageren Vorteile daraus ziehen3).

1) Die "Geschmückten" und "Geweihten" sind hohe Geistliche.
2) Lies: "entre".
3) Die mittelfranzösische Wendung "faire ses souppes" ("seine Suppen machen") bedeutet "seine Vorteile aus etwas ziehen".

Kommentar


1. und 2. Zeile
: Der hohe Klerus scheint unzufrieden zu sein, was sich aber durch die "Zwitter" plötzlich ändern wird. In 2/45 taucht ein einzelner "Zwitter" auf, doch jener Vierzeiler erklärt dieses Symbol auch nicht. In der antiken Mythologie gibt es eine Figur namens "Hermaphroditus", ein Sohn von Hermes (Merkur) und Aphrodite (Venus). Dieser verschmolz mit der Quellnymphe Salmakis aus Karien (Südwestkleinasien) zu einem Zwitter. Bei Nostradamus steht die Venus für den Islam. Merkur/Hermes taucht in den Zenturien einige Male auf, u.a. als Beschützer der Kirche (4/29). Ein Nachkomme dieser beiden gegensätzlichen "Götter" könnte ein christlich-orientalisches "Mischwesen" sein, daß Merkmale von beiden Elternteilen in sich trägt. 5/93 und 10/79 bringen Merkur eindeutig mit dem Orient in Verbindung, als dessen Herrscher er in 5/93 bezeichnet wird. Von Nachkommen des Merkur ist in 10/75 die Rede. Dort wird einer davon der mächtigste Herrscher im Orient. Sollten die orientalischen Nachkommen des Merkur vielleicht eine europäisch-nahöstliche Mischkultur und ein islamisch beeinflußtes Christentum aufbauen? Das wäre eine mögliche Erklärung für die "Zwitternatur". Doch warum sollte sich der Klerus über diese "Zwitter" und ihren Einfluß freuen?

3. und 4. Zeile: Ohne Zusammenhang nicht zu deuten. Wessen Zeit ist noch nicht gekommen?

 
Ein zukünftiges Geschehen.


 +P/75

Septembre.
September [1562].
Remis seront en leur pleine puissance,
[Sie] werden wieder in ihre ganze Machtfülle eingesetzt.
D’vn point d’accord conioints1), non accordez:
Mit einem Punkt [sind sie] einverstanden, [die] Verbundenen1), [die] nicht einig [sind].
Tous defiez. plus aux Razes2) fiance,
Allen [wird] mißtraut. [Auch den] Rasierten2) [wird] nicht mehr Vertrauen [entgegengebracht].
Plusieurs d’entre eux à bande3) debordez.
Mehrere unter ihnen [werden] an Bord3) überflügelt.

1) Auch möglich: "Eheleute".
2) Geistliche (Tonsurträger).
3) Im Mittelfranzösischen bedeutet "bande" neben "Gruppe" u.a. auch "Bord, Seite eines Schiffes".

Kommentar


1. und 2. Zeile
: Ohne Zusammenhang nicht näher zu kommentieren.

3. und 4. Zeile: Sollte die gewählte Übersetzung der vierten Zeile richtig sein, hätten wir innerkirchliche Konflikte vor uns (Schiff = Kirche).

 
Ohne Begleitverse hängt dieser Vierzeiler in der Luft.


+P/76 

Octobre.
Oktober [1562].
Par le legat1) du terrestre & marin,
Wegen des Unterfeldherrn1) des Terrestrischen und Maritimen
La grande Cape2) à tout s’accommoder:
[hat] sich das große Ornat2) mit allem abzufinden.
Estre à l’escoute tacite LORVARIN3),
Auf der Hut zu sein [hat der] schweigsame "LORVARIN"3),
Qu’à son aduis ne voudra accorder.
der seiner Entscheidung nicht wird zustimmen wollen.

1) Lat. "legatus" (Gesandter, Unterfeldherr, Statthalter).
2) Das mittelfranzösische "cape" bezeichnet u.a. das Ornat der Geistlichen, das über den Rang des Trägers Auskunft gibt.
3) Ungelöstes Anagramm. LE PELLETIER und LEONI sehen darin einfach "LORRAIN" (Lothringer), was aber wegen der Nichtberücksichtung des V (U) nicht zwingend ist.

Kommentar


1. und 2. Zeile
: Das "große Ornat" ist der Papst, der durch den Unterfeldherren eines "Terrestrischen und Maritimen" (wohl der Oberbefehlshaber einer starken See- und Landmacht) dazu gezwungen wird, die politisch-militärische Lage zu akzeptieren. Das deutet auf eine Niederlage des Papstes hin.

3. und 4. Zeile: Dieser "schweigsame LORVARIN" will sich nicht dem Papst fügen, der dem Feind nachgibt. LORVARIN könnte ein Untergebener des Papstes sein. Doch vor wem muß er auf der Hut sein? Vor dem Feind des Papstes oder dem Pontifex selber?

 
Ich vermute Zukünftiges.


 +P/77

Nouembre.
November [1562].
D’ennemi vent1) empeschera la troupe,
[Das] eitle Gerede1) des Feindes wird die Herde in Fesseln legen.
Le plus grand point mis auant difficil2):
Der Größte [hat] in keiner Weise bekannt werden lassen, [daß er] schwierig2) [ist].
Vin de poison3) se mettra dans la couppe,
[Der] Wein des Giftes3) wird sich in den Kelch gießen.
Passer sans mal de cheual5) gros foussil4).
Einziehen [können wird] der große "Feuerstein"4) ohne [die] Beschädigung des "Pferdes"5).

1) Neben "Wind" bedeutet das mittelfranzösische "vent" u.a. auch "eitles Gerede".
2) D.h. einen schwierigen Charakter hat.
3) Hier wohl im Sinne des lat. "venenum", das neben "Gift" auch "Unheil, Verderben" bedeuten kann.
4) Das mittelfranzösische "fusil" bezeichnet u.a. den Feuerstein eines alten Gewehres. Im Lateinischen steht "Feuerstein" ("silex") u.a. auch für einen hartherzigen Menschen. Im übertragenen Sinne wird "fusil" im Mittelfranzösischen aber auch für "Brandfackel" verwendet. Und damit könnte Nostradamus auf die Wendung "brandon de discorde" ("Brandfackel der Zwietracht" = Verursacher, Anheizer der Zwietracht) angespielt haben. Wie auch immer, dieser hier als "Feuerstein" bezeichnete Mann ist äußerst problematischen Charakters.
5) Das "Pferd" meint hier eine gleichnamige mittelalterliche Waffe, mit der die Tore einer Stadt eingedrückt wurden. Das "Pferd" entspricht also etwa dem Rammbock.

Kommentar


Es geht um Vorgänge in der Kirche.

1. Zeile: Der "Feind" ist ein Feind des Christentums. Es kann ein direkter Abgesandter Satans sein, muß es aber nicht. Durch sein "eitles Gerede" (schöne Worte) wird er die "Herde" (Gläubige) "in Fesseln legen" (für sich einnehmen).

2. Zeile: Der oben erwähnte Feind wird natürlich nie erwähnen, daß er eigentlich ein äußerst schwieriger Mensch ist.

3. Zeile: Durch ihn kommt der "Wein des Giftes" in den Meßkelch, d.h. der Glaube wird vergiftet und verfälscht. Das müßte heißen, daß er Papst wird, denn sonst könnte er solche Veränderungen nicht durchführen.

4. Zeile: Der Feind wird ohne Gewalt anwenden zu müssen in den Vatikan (?) einziehen können. Es werden ihm dafür wohl die schönen Worte aus der ersten Zeile reichen.

 
Ein Geschehen der Zukunft.


 +P/78

Decembre.
Dezember [1562].
Par le christal1) l’entreprise rompuë.
Während des Eises1) [wird] das Unternehmen abgebrochen.
Ieux & festins. de LOIN2) plus3) reposer:
[Man veranstaltet deswegen] Spiele und Festmähler. [Der] aus der Ferne2) [hat nun] die längste Zeit3) auszuruhen.
Plus ne fera prés des Grands sa repue,
Nicht mehr abhalten wird [er] sein Essen bei den Großen.
Subit catharrhe4) l’eau beniste arrouser.
[Der] plötzliche Schlaganfall4) [führt dazu, daß] das Weihwasser [zu] benetzen [hat].

1) Lat. "crystallus" (Eis, Bergkristall, Pokal). Hier ist mit dem "Eis" wohl einfach der Winter gemeint.
2) Oder auch: "de LION" (aus Lyon) oder "de NILO" (vom Nil).
3) Etwas frei übersetzt.
4) Neben "Schnupfen, Erkältung" bedeutet "catharrhe" im Mittelfranzösischen auch "Schlaganfall".

Kommentar


1. und 2. Zeile
: Während des Eises wird ein Unternehmen, wahrscheinlich ein Feldzug, abgebrochen. Aus Freude darüber veranstaltet man Spiele und Festmähler. Es dürfte der Mann aus der Ferne sein, der zum Abbruch gezwungen wird.

3. und 4. Zeile: Er wird nicht mehr zu den "Großen" gelangen können, um dort sein Essen (Siegesfeier?) abzuhalten. Wir erfahren nämlich, daß er das Opfer eines Schlaganfalls geworden ist. Und dem dürfte er erliegen, denn das benetzenden Weihwasser deutet ein Begräbnis an, bei dem der Sarg besprengt wird. Es stellt sich nur die Frage, ob dieser Mann tatsächlich Christ ist oder ob Nostradamus dieses Benetzen mit Weihwasser nur als allgemeines Symbol für eine Bestattung verwendet hat.

 
Ein zukünftiges Geschehen.


 +P/79

1563. Sur ladicte annee.
1563. Über das besagte Jahr.
Lever1) sain, sang, mais2) esmeu. rien d’accord,
[Um das] Unverdorbene [und das] Blut [zu] verringern1) [ist der] Schlechte2) in Bewegung gesetzt. Nichts [ist] von [der] Eintracht [mehr übrig].
Infinis murtres. captifs, morts, preuenus:
[Es gibt] unendliche Massaker, Gefangene, Tote [und] Beschuldigte.
Tant d’eau & peste. peu de tout. sonnez cors,
[Und] dermaßen viel Wasser und Pest. [Dafür aber] wenig von allem [anderen]. [Die] Hörner [sind] erklungen.
Pris, morts, fuits, grands deuenir, venus.
[Es gibt] Gefangene, Tote [und] Geflohene, [weil die] Großen, [die] kommen [mußten], gekommen [sind].

1) Vgl. auch lat. "levare" (u.a. "verringern, schwächen, mindern").
2) "Mais" ist u.a. eine im Mittelfranzösischen existente verkürzte Form von "mauvais" (schlecht, übel).

Kommentar


Dieser Vers gehört zur biblischen Apokalypse.

1. und 2. Zeile: Der "Schlechte" dürfte Satan sein, der nach dem Tausendjährigen Reich Christi ("Eintracht") aus seinem Gefängnis befreit wird und loszieht, um die Welt in Schutt und Asche zu legen. Sein Ziel ist es, die Getreuen Christi ("das Unverdorbene") und soviele Menschen ("Blut") wie möglich zu vernichten. Das bedeutet natürlich großes Unheil für die Welt.

3. Zeile: Bis alle sieben apokalyptischen Posaunen ("Hörner") erklungen sind, leidet die Welt unter großem Unheil ("Wasser und Pest"), das u.a. von Hunger begleitet zu werden scheint ("wenig von allem [anderen]"). Was nach dem Erklingen der letzten Posaune geschieht, schildert uns Johannes in seiner Offenbarung: "Der siebte Engel blies seine Posaune. Da ertönten laute Stimmen im Himmel, die riefen: Nun gehört die Herrschaft über die Welt unserem Herrn und seinem Gesalbten; und sie werden herrschen in alle Ewigkeit." (Offenbarung 11, 15).

4. Zeile: Nostradamus hält erklärend fest, daß die Schrecken der Endzeit nicht etwa ein "Unfall" sind, sondern daß sie alle zu Gottes Prüfungen, seinem Heilsplan gehören. Die Leiden der Menschen wird es geben, weil die apokalyptischen Tiere ("Große") erscheinen, die gemäß Heilsplan aber erscheinen müssen.


+P/80 

Ianuier.
Januar [1563].
Tant d’eau, tant morts, tât d’armes esmouuoir,
So viel Wasser, so viele Tote. So viele Waffen [sind] in Bewegung zu setzen.
Rien d’accordé. le Grand tenu captifs1):
Nichts vom Vereinbarten [wird eingehalten]. Der Große wird gefangengehalten1).
Que sang humain, rage, fureur n’auoir:
Außer [seinem] Menschenblut, [seiner] Wut [und seinem] Zorn [wird ihm] nichts bleiben.
Tard penitent peste. guerre motif2).
[Erst] spät [ist er] bußfertig, [bei der] Pest, [der] Anstifter2) [des] Krieges.

1) Im Hinblick auf "motif" in der vierten Zeile dürfte hier "captifs" ein Druckfehler sein (für "captif").
2) Das mittelfranzösische "motif" bedeutet u.a. auch "Anstifter".

Kommentar


1. und 2. Zeile
: Ein Krieg tobt, der vielleicht zusätzlich von Überschwemmungen begleitet wird. Ein Vertrag wird gebrochen und ein "Großer" wird gefangengehalten.

3. und 4. Zeile: Es könnte dieser "Große" sein, dem außer seinem Leib ("Menschenblut") und seiner Verbitterung nichts mehr bleibt. Er scheint den Krieg angezettelt zu haben. Erst als er der Pest anheimfällt, ist er bereit zu bereuen und von seinem Zorn abzulassen. In 4/85 ist von einem Gefangenen die Rede, der der Pest zum Opfer fällt. Sollten diese beiden Verse zusammengehören?

 

+P/81

Feburier.
Februar [1563].
Des ennemis mort1) de langue2) s’approche,3)
[Das] Leiden1) [in Form] der Feinde nähert sich dem Volk2).3)
Le Debonnaire en paix voudra reduire:
Der Edle wird [es] in [den] Frieden zurückführen wollen.
Les obstinez voudront perdre la proche4),
Die Starrsinnigen werden die Nahestehende4) verlieren wollen.
Surpris, captifs, & suspects5) fureur nuire.
[Den] Überraschten, Gefangen und Anrüchigen5) [hat die] Raserei [zu] schaden.

1) Das mittelfranzösische "mort" bedeutet neben "Tod" u.a. auch "Leiden".
2) Das mittelfranzösische "langue" bedeutet neben "Zunge" usw. auch "Volk, Nation".
3) Oder auch möglich: "[Das] Leiden nähert sich dem Volk der Feinde."
4) Oder auch: "Verwandte".
5) Oder auch: "Verdächtigen".

Kommentar


1. und 2. Zeile
: Ein Volk scheint bedroht zu werden, doch sein Oberhaupt, der "Edle", wird es in den Frieden zurückführen wollen.

3. Zeile: Wer sind die "Starrsinnigen"? Die anrückenden Feinde? Die innenpolitischen Gegner des "Edlen"? Was meint Nostradamus mit der "Nahestehenden"?

4. Zeile: Sind die "Überraschten", "Gefangenen" und "Anrüchigen" mit den "Starrsinnigen" identisch?

 
Ein Vierzeiler, der erst im Zusammenhang mit Begleitversen zu verstehen sein wird.


 +P/82

Mars.
März [1563].
Peres & meres morts de deuls infinis,
Väter und Mütter [sind] wegen unendlicher Trauer gestorben.
Femmes à deul. la pestilente1) monstre:
[Die] Frauen [sind] in Trauer. Die Unheilbringende1) [ist ein] Ungeheuer.
Le Grand plus n’estre. tout le monde2) finir,
Der Große [hat] nicht mehr [zu] leben, [und] alle Welt2) [hat zu] sterben.
Soubz paix, repos. & trestous allencontre.
Während [des] Friedens [herrscht] Ruhe. Und alle [sind] dagegen.

1) Wörtlich: "Pestbringende". Damit dürfte die Kriegsgöttin Bellona, die Schwester des Mars, gemeint sein.
2) Im Sinne von "alle, jeder" wie auch von "die ganze Welt".

Kommentar


1. und 2. Zeile
: Es herrscht Krieg, der scheinbar sehr hohe Verluste mit sich bringt. Nostradamus bezeichnet die Kriegsgöttin als Ungeheuer, das Eltern und Ehefrauen in tiefe Trauer stürzt.

3. Zeile: Unklar, wer dieser "Große" ist, jedenfalls stirbt er. Und er scheint "alle" mit in den Tod zu nehmen. Wahrscheinlich alle seine Truppen oder die ihn umgebenden Kreise.

4. Zeile: Der Tod des "Großen" dürfte den Frieden bringen, der den Menschen Ruhe beschert. Aber interessanterweise sind alle gegen diesen Zustand.

 
Ein typisches Beispiel für die Verse, die zwar verständlich, aber ohne Zusammenhang nicht einzuordnen sind.


 +P/83

Auril.
April [1563].
En debats Princes & Chrestienté esmeuë,
In Auseinandersetzungen [befinden sich die] Fürsten, und [die] Christenheit [ist] erschüttert.
Gentils estranges. siege à CHRIST molesté:
Edle [sind in dieser Zeit] außergewöhnlich. [Der] Thron CHRISTI [wird] bedrängt.
Venu tresmal. prou bien. mortelle veuë.
[Der] Gekommene [ist] sehr übel. [Sein Gegner hingegen] sehr gut. [Es kommt zu einem] tödlichen Treffen.
Mort Orient peste, faim, mal traité.
[Der] Tod [herrscht im] mißhandelten Orient [sowie auch] Pest [und] Hunger.


Kommentar


Der Vers gehört zur biblischen Apokalypse.


1. und 2. Zeile
: Hier müßte die Zeit von Satans letztem Aufstand beschrieben sein. Der "Thron Christi" dürfte dabei in Jerusalem stehen, das hier wohl gemeint ist. In der Offenbarung des Johannes lesen wir dazu: "Er [Satan] wird ausziehen, um die Völker an den vier Ecken der Erde, den Gog und den Magog, zu verführen und sie zusammenzuholen für den Kampf; sie sind so zahlreich wie die Sandkörner am Meer. Sie schwärmten aus über die weite Erde und umzingelten das Lager der Heiligen und Gottes geliebte Stadt." (Offenbarung 20, 8f.).

3. Zeile: Der sehr Üble, der gekommen ist, ist der angreifende Satan. Sein Gegner, Christus bzw. Gott, ist hingegen sehr gut. Die beiden Seiten treffen aufeinander, was für Satan und sein Gefolge tödlich endet. In der Offenbarung lesen wir dazu: "Aber Feuer fiel vom Himmel und verzehrte sie [die Gegner Gottes]. Und der Teufel, ihr Verführer, wurde in den See von brennendem Schwefel geworfen, wo auch das Tier und der falsche Prophet sind. Tag und Nacht werden sie gequält, in alle Ewigkeit." (Offenbarung 20, 9).

4. Zeile: Hier werden die Übel aufgezählt, die Satans Angriff im Orient mit sich bringt.


 +P/84

May.
Mai [1563].
Terre trembler. tué. prodige1). monstre,
[Das] Land [hat zu] zittern. Getötet [wird der] Verschwenderische1) [vom] Ungeheuer.
Captifs sans nombre. faire defaite2), faite:
[Die] Gefangenen [sind] ohne Zahl. [Der zu] machende Fehler2) [wurde] gemacht.
D’aller sur mer aduiendra malencontre3),
Vom Auszug aufs Meer wird [das] unheilvolle Ereignis3) ausgehen.
Fier4) contre fier5) mal fait de contrefaire.
[Der] Große4) [steht dem] Großen5) gegenüber. [Das] Verbrechen [entspringt] dem Nachahmen.

1) Oder u.a. auch: "Prächtige, Großzügige".
2) Oder auch: "Niederlage".
3) Oder auch: "unheilvolle Begegnung".
4) Das mittelfranzösische "fier" bedeutet u.a. "wild, schrecklich; grausam, fürchterlich; groß, außergewöhnlich; hochmütig, stolz".
5) Vgl. Anmerkung 4).


Kommentar

1. und 2. Zeile: Ein "Verschwenderischer" wird während eines Krieges von einem Ungeheuer, einem schrecklichen Menschen, getötet. Der Unterlegene scheint einen Fehler begangen zu haben, der unvermeidlich war. Das Resultat der Niederlage ist ein unendliches Heer von Kriegsgefangenen.

3. Zeile: Hier könnte der erwähnte Fehler beschrieben sein. Man versuchte, aufs Meer zu gelangen, was die Niederlage nach sich zog.

4. Zeile: Unklare Zeile. Von was für einem Verbrechen ist die Rede? Wer oder was wurde nachgeahmt? Sind die beiden "Großen" der "Verschwenderische" und das "Ungeheuer"? Und der Fehler der zweiten und dritten Zeile das hier erwähnte "Verbrechen"? Meint das "Nachahmen" vielleicht den Auszug aufs Meer, mit dem man so tun wollte, als wäre man eine Seemacht?

 
Hier fehlen Begleitverse, um mehr sagen zu können.


 +P/85

Iuin.
Juni [1563].
L’iniuste bas fort l’on molestera,
Den Ungerechten [und] Gemeinen [wird] man stark bedrängen.
Gresle1), inonder, thresor, & graué marbre:
[Der] Hagel1) [hat den] Schatz und [den] gravierten Marmor [zu] überschwemmen.
Cehf2) de suard3) peuple à mort tuera,
[Das] Oberhaupt2) von "Suard"3) wird das dem Tode [geweihte] Volk töten.
Et attachée sera la lame à l’arbre4).
Und getrieben wird die Klinge in den Baum4).

1) Möglicherweise eine Anspielung auf Jupiter, da das lat. "Iuppiter" auch "Regen, Hagel" bedeuten kann.
2) "Cehf" ist ein falsch gedrucktes "Chef".
3) Ungeklärter Begriff. LE PELLETIER sieht darin das lat. "sardus" (sardisch), LEONI entweder die römische Göttin der Überredung und Beredsamkeit Suada oder die Suardonen (germanisches Volk im heutigen Niedersachsen). Zur Suada müßte noch angemerkt werden, daß diese mit Venus identisch ist, und sich somit bei Nostradamus wohl auf den Islam beziehen würde.
4) Damit ist wohl das Kreuz Christi gemeint (vgl. lat. "arbor", das neben "Baum" u.a. auch "Kreuz" bedeutet). Das Kreuz, in das hier eine (Schwert-) Klinge getrieben wird, dürfte wohl die angegriffene Kirche sein, vgl. 2/70.

 
Kommentar

1. und 2. Zeile: Unklar. Vielleicht ist hier von Jupiter bzw. der neuen Jupiter-Religion die Rede, vgl. Anmerkung 1).

3. und 4. Zeile: Das einzig Klare dürfte sein, daß die Kirche angegriffen wird. Bis daß "Suard" eindeutig geklärt ist, bleibt uns nichts Anderes, als auf Begleitverse zu warten.


 +P/86

Iuillet.
Juli [1563].
De quel non mal? inexcusable suite,
Von welchem [kommt] kein Übel? [Die] Konsequenz [ist] unverzeilich.
Le feu non duel. le Legat1) hors confus:
Das Feuer [ist] kein Zweikampf. Der Legat1) [ist] draußen verwirrt.
Au2) plus blessé ne sera faite luite,
Gegen den2) am meisten Verletzten wird nicht [der] Kampf geführt.
La fin de Iuin le fil coupé du fus3).
Ende Juni [wird der] Faden der Spindel3) durchschnitten.


1) Lat. "legatus" (Gesandter, Unterfeldherr, Statthalter).
2) Auch möglich: "vom".
3) Lat. "fusus" (Spindel, besonders die der Parzen). Die drei Parzen oder Moiren bestimmten gemäß der antiken Mythologie das Schicksal der Menschen. Die erste, Klotho, spann den Lebensfaden (Schicksal), den die zweite, Lachesis, den Menschen zuteilte und den die dritte, Atropos, am Ende des Lebens durchschnitt. Hier wird also Ende Juni jemand sterben.

Kommentar


Ohne Zusammenhang bleibt der Vers ein einziges Rätsel. Es kann nicht einmal mit Sicherheit gesagt werden, wer Ende Juni stirbt.


 +P/87

Aoust.
August [1563].
Bons finement affoiblis par accords,
[Die] Guten [werden am] Ende geschwächt durch Vereinbarungen.
Mars & Prelats1) vnis n’arresteront:
Mars und [die] Prälaten1) [sind] vereint [und] werden nicht innehalten.
Les Grands confus par dons incidez2) corps,
Die Großen [werden] verwirrt durch Geschenke [und] eingeschnittene2) Körper.
Dignes3) indignes biens indues saisiront.
[Die] ungebührlichen, unwürdigen Würdenträger3) werden [die] Güter [aber dennoch] ergreifen.

1) Die hohen geistlichen Würdenträger.
2) Lat. "incidere" ("einschneiden, schneiden, zerschneiden" u.a.).
3) Anscheinend eine Anlehnung an das lat. "dignitas" (u.a. "Würdenträger").

 
Kommentar

1. und 2. Zeile: Es geht hier um die Umwandlung der Kirche in eine heidnische Glaubensgemeinschaft, die wir u.a. auch in 5/77 antreffen. "Mars" steht stellvertretend für die heidnische Religion. Diese und die Prälaten werden einen Bund schließen, durch den die "Guten" aus der ersten Zeile (wahrscheinlich treue Christen) geschwächt werden. Diese heidnische Kirche wird nicht innehalten, sondern versuchen, stetig ihren Machtbereich auszuweiten.

3. Zeile: Die Heidenkirche verwirrt die Mächtigen der Welt, indem sie ihnen einerseits materiellen Gewinn in Aussicht stellt aber sie andererseits auch durch die wiedereingeführten Menschenopfer abstößt ("eingeschnittene Körper").

4. Zeile: Doch die Unwürdigen unter den weltlichen Würdenträgern lassen sich nicht beirren und nehmen die Geschenke dieser "Kirche" gerne an.

 
Ein Geschehen der Zukuft.


 +P/88

Septembre.
September [1563].
De bien en mal le temps se changera,
Von gut zu schlecht wird die Zeit sich verändern.
Le pache d’Aust1). des plus Grands esperance:
Der Vertrag des Südens1) [ist die] Hoffnung der Größten.
Des Grands deul LVIS2) trop plus trebuchera,
[Die] Trauer der Größten [ist groß]. Ludwig2) wird noch stärker straucheln.
Congnus Razez3) pouuoir ni congnoissance4).
[Die] bekannten Rasierten3) [werden weder] Macht noch Anerkennung4) [besitzen].

1) Unklar. Wohl vom lat. "auster" (Süden). Nostradamus könnte aber auch "Austria" (Österreich) oder "aoust" (August) meinen.
2) "LVIS" dürfte "Louis" (Ludwig) heißen. Als historisches Vorbild kommt in diesem Fall v.a. Ludwig IX. der Heilige in Frage. Ludwig war von 1226 - 1270 französischer König. Während seiner Herrschaft konnten die Albigenserkriege in Südwestfrankreich beendet und England aus Frankreich vertrieben werden. Außenpolitisch tat sich Ludwig v.a. durch die Durchführung der beiden letzten Kreuzzüge hervor. Er kämpfte 1249 in Ägypten und blieb bis 1254 in Palästina. 1270 segelte er mit einem Heer nach Tunis, in der Hoffnung, den Herrscher von Tunesien zum Christentum bekehren zu können. Doch Ludwig IX. kam schon bei der Landung zusammen mit einem großen Teil seines Heeres um. 1297 wurde er heilig gesprochen, sein Fest ist am 25. August.
3) Geistliche (Tonsurträger).
4) Oder u.a. auch: "Wissen".

Kommentar


1. und 2. Zeile
: Die Zeiten werden schlechter, doch die "Größten" setzen ihre Hoffnung in einen Vertrag, der im oder mit dem "Süden" (?) geschlossen wurde.

3. Zeile: Doch etwas scheint schiefzulaufen, was diese "Größten" in große Trauer stürzt. Ein wahrscheinlich neuer Ludwig IX. dürfte umkommen, nachdem er schon zuvor Niederlagen hatte einstecken müssen.

4. Zeile: Die "bekannten Geistlichen" können bekannte, hochgestellte Kirchenfürsten sein. Doch warum sollten sie ihre Macht und ihr Ansehen einbüßen? Haben sie vielleicht "Ludwig" auf einen Kreuzzug geschickt und somit seinen Tod mitverschuldet?

 
Ein zukünftiges Geschehen, zu dem uns aber noch die Begleitverse fehlen.


 +P/89

Octobre.
Oktober [1563].
Voicy le mois par maux tant à doubter,
Hier ist der Monat, [der] wegen [den] Übeln dermaßen zu fürchten [ist].
Mors, tous seigner peste1), faim, quereller:
[Um einen] Bissen, [wird man sich während des] Hungers [zu] streiten [haben], [wenn die] Pest1) alle zeichnen [wird].
Ceux du rebours d’exil2) viendront noter,
Die aus dem gegensätzlichen Ausland2) werden kommen [um zu] beobachten.
Grands, secrets, morts, non de contreroller.
[Doch die] Großen, [die] Geheimnisse [und die] Toten [sind] nicht [zu] erfassen.

1) Oder eine sonstige Epidemie mit hoher Sterblichkeit.
2) Lat. "exilium" (u.a. auch "Ausland, Fremde").

Kommentar


1. und 2. Zeile
: Hier wird ein Katastrophenmonat beschrieben. Es herrscht eine derartige Hungersnot, daß man um jeden Bissen kämpfen muß. Zudem wird die ganze Bevölkerung von einer Seuche heimgesucht.

3. und 4. Zeile: Aus dem Ausland kommen Beobachter. Das Ausland wird als "gegensätzlich" bezeichnet. Dort scheint somit entweder keine Katastrophe zu herrschen, oder es ist Feindesland. Doch genau so wie die Mächtigen und die Staatsgeheimnisse vor den Fremden verborgen bleiben, bleibt auch die genaue Zahl der Toten ungeklärt. Es gibt dazu einfach viel zu viele.

 
Ohne Begleitverse hängt dieser Vierzeiler leider in der Luft.


 +P/90

Nouembre.
November [1563].
Par mort mort mordre, conseil1), vol.2)3), pestifere
Im Tod [hat der] Tote [zu] beißen. [Der] Plan1) [ist] unüberlegt2) [und] unheilvoll3).
On n’osera Marins assaillir:
Man wird nicht wagen, [die] Seeleute anzugreifen.
Deucalion4) vn dernier trouble faire,
Deukalion4) [hat] eine letzte Verwirrung [zu] verursachen.
Peu de gens ieunes5): demy morts tressaillir.
[Es gibt nur] wenig frische Truppen5). [Die bereits] Halbtoten [haben nochmals] zusammenzuzucken.

1) Oder auch: "Rat, Ratschluß".
2) "Vol." = "volant" (u.a. "leichtfertig, leichtsinnig, unüberlegt").
3) Wörtlich: "pestbringend".
4) Deukalion überlebte gemäß der griechischen Mythologie die Sintflut, ist also das Pendant zu Noach. Vgl. 2/81.
5) Oder auch einfach: "junge Leute".

Kommentar


1. Zeile
: Jemand hat einen Plan entworfen, der unüberlegt und unheilvoll ist. Zudem scheint er etwas ganz Unmögliches zu verlangen, etwa so, wie wenn ein Toter noch einmal zuzubeißen hätte.

2. Zeile: Man wagt nicht, die Seeleute anzugreifen. Sollte dieser nicht durchgeführte Angriff der Plan aus der ersten Zeile sein? Dann wären wohl die Seeleute kräftemäßig weit überlegen.

3. Zeile: Wer ist dieser "Deukalion"? Hat er den Plan entworfen oder rebelliert er gegen diesen?

4. Zeile: Wir erfahren, weshalb der Plan, die Seeleute anzugreifen, nicht durchführbar ist: Es gibt kaum frische Truppen. So hätten sich die bereits Halbtoten noch einmal reflexartig aufzuraffen.

 
Uns fehlen die Begleitverse, um mehr sagen zu können.


 +P/91

Decembre.
Dezember [1563].
Mort par despit fera les autres luire,
[Der] Tod in Verachtung wird die Anderen glänzen,
Et en haut lieu de grands maux aduenir:
und auf die hohe Position große Übel zukommen [lassen].
Tristes concepts à chacun viendront nuire,
Düstere Ideen werden auftauchen, um jedem zu schaden.
Temporel1) digne. la Messe paruenir.
[Der] Kurzlebige1) [ist] würdig, die Messe [zu] erreichen.
    1) Oder auch: "weltliche".


    Kommentar

    1. und 2. Zeile: Der Inhaber eines hohen Amtes stirbt in Verachtung, was Andere sehr zu freuen scheint. Auf das hohe Amt werden in der Folgezeit aber große Übel zukommen.

    3. Zeile: Es könnten Leute die hohe Stellung einnehmen, die äußerst schädliche Ideen vertreten.

    4. Zeile: In dieser Zeile stellt sich die Frage, um was für ein hohes Amt es sich dabei handelt. Ich vermute, es geht um die Papstwürde. Es scheint in der vierten Zeile beschrieben zu sein, daß ein "Kurzlebiger" die "Messe", d.h. das oberste Hirtenamt erreichen wird. Oder sollte ein "Weltlicher" gemeint sein, vgl. Anmerkung 1)? Dann wäre es zumindest fraglich, ob hier vom Stuhl Petri die Rede ist, denn Päpste pflegen in der Regel Geistliche zu sein. In diesem Fall wäre es dann auch denkbar, daß es sich um einen König handelt, der die Krönungsmesse erreichen wird.

     
    Wir müssen auf Begleitverse warten, um Näheres sagen zu können.


     +P/92

1564. Sur ladicte annee.
1564. Über das besagte Jahr.
L’an sextil1) pluyes froment abonder. haines,
Das Jahr, [in dem der] August1) [sowohl] Regenfälle [wie auch] Weizen reichlich [wird] vorhanden sein [lassen], [bringt] Haß,
Aux hommes joye. Princes Rois en diuorce:
den Menschen [aber auch] Freude. Fürsten [und] Könige [sind] in Entzweiung.
Troupeau perir. mutations humaines,
[Die] Herde [hat] unterzugehen, [es kommt zu] menschlichen Veränderungen.
Peuple2) affoulé3): & poison4) soubs l’escorce5).
[Das] Volk2) [ist] versammelt3) und Gift4) [ist] unter [der] Schale5).

    1) Lat. "Sextilis" (August).
    2) Oder auch möglich: "Kriegsvolk".
    3) Es ist auch denkbar, daß Nostradamus hier "affolé" ("verletzt, getötet, entehrt" u.a.) meint.
    4) Wohl im Sinne des lat. "venenum" (u.a. auch "Unheil, Verderben").
    5) Das mittelfranzösische "escorce" geht auf das lat. "scortea" zurück, was "Pelz" bedeutet. Ich vermute, Nostradamus meint hier genau das, vgl. Kommentar.

    Kommentar


    1. und 2. Zeile
    : Ein August bringt große Ernten, was die Menschen natürlich erfreut. Doch in diesem Monat werden auch Konflikte beginnen, die Haß mit sich bringen. Könige und Fürsten werden dann zerstritten sein.

    3. Zeile: Die "Herde" meint hier die Gläubigen, die "Schäfchen" der Kirche. Diese Herde wird, so wie sie bisher war, untergehen. Und wir erfahren auch wieso. Es dürfte in der Kirche zu "Reformen" kommen, die nicht göttlichen sondern menschlichen Ursprungs und somit äußerst problematisch sind. Sind die Könige und Fürsten aus der zweiten Zeile vielleicht in Anhänger und Gegner der "Kirchenreform" gespalten?

    4. Zeile: Unklar, was mit diesem "versammelten Volk" gemeint ist. Vielleicht ein "verletztes" Kirchenvolk (vgl. Anmerkung 3))? Das "Gift unter der Schale" bzw. das "Verderben im Pelz", vgl. Anmerkungen 4) und 5), dürfte wohl die "Reformer" innerhalb der Kirche meinen und eine Anspielung auf die Bibel sein. Nämlich auf die "Wölfe im Schafspelz" (Matthäus 7, 15), vor denen man sich zu hüten hat.

     
    Wohl ein Geschehen der Zukunft.


     +P/93

Ianuier.
Januar [1564].
Temps fort diuers1), discorde descouuerte,
[Die] Zeiten [sind] sehr schlecht1), [der] Streit [wird] ans Licht gebracht.
Conseil belliq. changement pris, changé:
[Der] Rat [ist] kriegerisch, [seine] Veränderung [wird] in Angriff genommen, [und er wird] verändert.
La Grande n’estre. coniurez par eau perte,2)
Die Große [hat] nicht [mehr zu] sein. [Die] Verschworenen [fügen ihr] im Wasser [eine] Niederlage [zu].2)
Grand simulté3). tous au plus Grand rangé.
[Es herrschte eine] große Rivalität3). Alle [sind] dem Größten, [der] dazugehört [hat, eigen].

    1) Das mittelfranzösische "divers" bedeutet neben "verschieden" auch "einzigartig, außergewöhnlich; verderblich, schrecklich; schlecht" u.a.
    2) Oder auch: "[Die] Verschworenen [erleiden] im Wasser [eine] Niederlage."
    3) Lat. "simultas" (Eifersucht, Rivalität, gespanntes Verhältnis; Groll, Feindschaft).

    Kommentar


    Ich sehe hier einen Vers aus der Apokalypse.


    1. Zeile
    : Die Zeiten sind sehr schlecht, wir befinden uns in der biblischen Apokalypse. Ein Streit wird ans Licht gebracht, der unterschwellig bereits länger existierte. Es ist der Konflikt zwischen der "Hure Babylon" und dem Bündnis aus dem "Tier" und zehn Königen, das in der Offenbarung des Johannes beschrieben wird, vgl. den Kommentar zur dritten Zeile.

    3. Zeile: Die "Große" steht hier für die "Hure Babylon", die von Bündnispartnern ("Verschworenen") besiegt wird. In der Offenbarung des Johannes lesen wir dazu: "Du hast die zehn Hörner und das Tier gesehen, sie werden die Hure hassen, ihr alles wegnehmen, bis sie nackt ist, werden ihr Fleisch fressen und sie im Feuer verbrennen." (Offenbarung 17, 16). Die Verschworenen bestehen also aus dem "Tier" (dem ersten Antichristen) und zehn "Hörnern" (zehn Könige, die mit dem Tier im Bunde sind). Sie vernichten die Hure Babylon.

    4. Zeile: Zwischen den beiden Konfliktparteien ("Hure" und Bündnis) hatte eine große Rivalitä geherrscht. Der "Größte" ist das "Tier", das zuerst Teil des Bündnisses ist. Doch später wird er die Macht seiner Kampfgefährten besitzen, die ihm somit "zu eigen sein werden". In der Offenbarung des Johannes lesen wir dazu: "Sie [die zehn Könige] sind eines Sinnes und übertragen ihre Macht und Gewalt dem Tier." (Offenbarung 17, 13). Und: "Denn Gott lenkt ihr [der Könige] Herz so, daß sie seinen Plan ausführen: Sie sollen einmütig handeln und ihre Herrschaft dem Tier übertragen, bis die Worte Gottes erfüllt sind." (Offenbarung 17, 17).

    2. Zeile: Der "kriegerische Rat" ist dieses Bündnis zur Bekämpfung der "Hure Babylon". Die "Veränderung" dieses "Rates" meint die in der vierten Zeile beschriebene Machtübertragung der Könige an das "Tier".


     +P/94

Feburier.
Februar [1564].
Deluge1) grand. bruit de mort conspirée2),
[Das] Unglück1) [ist] groß. [Wegen des] Gerüchtes über [den] Tod durch Verschwörung2).
Renoue siecle3). trois Grands en grand discord:
[Das] Jahrhundert3) knüpft wieder an. Drei Große [befinden sich] in großer Zwietracht.
Par boutfeux4) la concorde empirée,
Durch [die] Brandstifter4) [wird] die Eintracht verschlechtert.
Pluy5) empeschant conseils malins d’accord.
[Der] Regen5) [ist] hinderlich, [die] bösartigen Räte [sind sich] einig.

    1) Neben "Überschwemmung" bezeichnet "deluge" im Mittelfranzösischen jede Art von Unglück oder Katastrophe.
    2) Wörtlich: "verschworener Tod".
    3) Oder auch: "Zeitalter".
    4) Oder auch: "Brandbomben, Artilleristen".
    5) Vielleicht ein Hinweis auf Jupiter, da das lat. "Iuppiter" u.a. auch "Regen, Hagel" bedeuten kann.

    Kommentar


    1. Zeile
    : Gerüchte über eine Verschwörung, die einen Tod herbeigeführt haben soll, verursachen ein großes Unglück.

    2. Zeile: Das große Unglück der ersten Zeile könnte die Feindschaft der drei "Großen" sein. Doch was ist mit dem "wieder anknüpfenden Jahrhundert" gemeint? Vielleicht ein Jahrhundertwechsel?

    3. Zeile: Hier erfahren wir, daß "Brandstifter" für die Feindschaft der drei "Großen" verantwortlich sind. Es dürften auch diese Kreise sein, die das Gerücht aus der ersten Zeile verbreiten.

    4. Zeile: Die "bösartigen Räte" könnten die "Brandstifter" sein. Ob mit dem "Regen" aber tatsächlich Jupiter gemeint ist, vgl. Anmerkung 5), ist nicht zu entscheiden.

     

    Ohne Begleitverse hängt dieser Vierzeiler in der Luft.


     +P/95

Mars.
März [1564].
Entre Rois haines on verra apparoistre,
Zwischen Königen wird man Haß auftauchen sehen.
Dissensions & Guerres commencer:
Streitigkeiten und Kriege [haben zu] beginnen.
Grâds Changemêt.1) nouueau tumulte croistre,
[Die] Großen [werden sich einer] Veränderung [gegenüber sehen].1) [Ein] neuer Aufruhr [hat] sich [zu] entwickeln.
L’ordre plebée2) on viendra offenser.
Man wird kommen, den plebejischen Orden2) anzugreifen.

    1) Oder, falls beide Wörter entweder im Plural oder Singular stehen sollten: "[Es kommt zu] großen Veränderungen."
    2) Die Plebejer waren nichtadlige römische Bürger, also etwa das Bürgertum des alten Rom.

    Kommentar


    1. und 2. Zeile
    : Zwischen Königen kommt es zu Konflikten und Kriegen.

    3. Zeile: Falls die Zeile richtig übersetzt wurde, vgl. Anmerkung 1), scheinen die Mächtigen neben den Kriegen auch noch innere Konflikte zu bewältigen zu haben. Es kommt zu einem neuen Aufruhr.

    4. Zeile: Ist es der "plebejische Orden", der den Aufruhr verursacht? Wird er von den Mächtigen angegriffen? In 10/77 taucht ein "Orden der Quiriten" (= "Orden der römischen Bürger") auf. Ist hier das Gleiche gemeint? In 10/77 werden die "Quiriten" ebenfalls bekämpft.

     
    Dieser Vers könnte vielleicht zu 10/77 gehören.


     +P/96

Auril.
April [1564].
Secret coniur. conspirer populaire1),
[Es gibt eine] geheime Verschwörung. [Das] Volk1) [wird sich] verschwören.
La descouuerte en2) machine esmouuoir:
Man2) plant im Geheimen, die Entdeckung in Bewegung zu setzen.
Contre les Grands, *3)
Gegen die Großen ...3)
Puis trucidee4) & mise sans pouuoir.
[Diese Entdeckung wird] dann niedergemetzelt4) und ohne Kraft weggeschickt.

1) Oder auch: "Pöbel".
2) "En" ist im Mittelfranzösischen u.a. eine Nebenform von "on" ("man").
3) Diese Zeile ist nur verstümmelt überliefert.
4) Lat. "trucidere" (u.a. "niedermetzeln, auslöschen").

Kommentar


1. bis 3. Zeile
: Das Volk, der "gemeine Pöbel", verschwört sich gegen seine Herren ("Große") und will zu diesem Zweck eine "Entdeckung" in Marsch setzen. Ich vermute, damit meint Nostradamus ein Land, das für ihn und das 16. Jahrhundert noch eine Neuentdeckung war. Nach meinem Dafürhalten ist das Amerika, obwohl zu dieser Zeit viele neue Landstriche entdeckt wurden.

4. Zeile: Es scheint, als hätte das Volk mit seinem Plan zunächst Erfolg. Es gelingt ihm, Amerika (?) für seine innenpolitische Revolte als Unterstützung heranzuziehen. Doch das Ganze endet mit der Niederlage Amerikas und wohl auch des Volkes.

 
Ein zukünftiges Geschehen. Wir brauchen Begleitverse, um Näheres, etwa zum Ort dieses Konfliktes, sagen zu können.


 +P/97

May.
Mai [1564].
Temps inconstant. fieures, peste1), langueurs,
[Die] Zeit [ist] unbeständig. [In ihr finden sich] Fieber, Pest1) [und] Mattigkeit,
Guerres, debats. temps desolé sans feindre2):
[sowie auch] Kriege [und] Auseinandersetzungen. [Diese] Zeit [ist] entvölkert, ohne [es zu] erdichten2).
Submersions. Prince à mineurs rigueurs,
[Es kommt zu] Untergängen. [Der] Fürst [liegt] mit kleineren Fieberschauern [darnieder].
Felices3) Rois & Grands, autre mort craindre.
Glücklich3) [sind die] Könige und Großen, [denn der] Andere [hat den] Tod [zu] fürchten.

1) "Pest" bezeichnet im Mittelfranzösischen jede Art von Epidemie mit hoher Sterblichkeit.
2) Nostradamus bekräftigt hier, daß diese Prophezeiung kein Scherz ist, den er erdichtet hat, sondern daß es zu dieser Zeit wirklich kaum mehr Leute geben wird.
3) Lat. "felix" (glücklich).

Kommentar


1. und 2. Zeile
: Eine Zeit wird durch Krankheiten, Kriege und Entvölkerung geprägt. Das erinnert ein wenig an den Übergang zur Epoche, die ab etwa Mitte des 23. Jahrhunderts einsetzen wird, vgl. den Kommentar zur Widmung an König Heinrich II.

3. Zeile: Von welchen "Untergängen" spricht Nostradamus? Meint er einfach das durch die Entvölkerung bedingte Verschwinden der Zivilisation? Jedenfalls liegt zu dieser Zeit ein Fürst, wahrscheinlich ein König, mit einer Krankheit darnieder, die sich u.a. durch Fieberschauer ausdrückt.

4. Zeile: Und der Fürst dürfte diese Erkrankung nicht überleben. Das macht die ihm untergebenen "Großen" (Teilfürsten) sowie die Könige anderer Länder glücklich. Sie scheinen also von seinem Ableben profitieren zu können.

 
Ein wohl zukünftiges Geschehen.


 +P/98

Iuin.
Juni [1564].
Du lieu soumis1) la peste2) & fuite naistre,
Vom unterworfenen Ort1) [hat] die Pest2) und [die] Flucht auszugehen.
Temps variant. vent3). la mort de trois Grands:
[Die] Zeit [ist] wechselnd [wie der] Wind3). [Sie bringt] den Tod von drei Großen.
Du ciel grands foudres. estat des Razes4) paistre,
Vom Himmel [kommen] große Blitze. [Der] Stand der Rasierten4) [ist] abzuweiden.
Vieil prés de mort bois5) peu dedans vergans6).
[Der] Alte [ist] dem Tod nahe. [Die] Lanze5) senkt6) sich ein wenig hinein.

1) Textvariante: "Du lieu feu mis" (Vom Ort, [in dem] Feuer gelegt [wurde]).
2) "Pest" bezeichnet im Mittelfranzösischen jede Epidemie mit hoher Sterblichkeit sowie allgemeines Unheil und Unglück.
3) Auch im Sinne von "Gerüchte, öffentliche Meinung".
4) Geistliche (Tonsurträger).
5) Das mittelfranzösische "bois" (Holz) bezeichnet u.a. auch eine Lanze.
6) "Vergans" dürfte wohl das lat. "vergens" ("neigend, senkend" u.a.) meinen.

Kommentar


1. Zeile
: Ein Ort wurde erobert und/oder abgebrannt, vgl. Anmerkung 1). Und von diesem Ort wird ein Fluchtwelle und Unglück ("Pest") ausgehen.

2. Zeile: In diesen stürmischen Zeiten werden drei "Große" sterben. Näheres erfahren wir nicht.

3. Zeile: Die "großen Blitze" könnten ein Hinweis auf Jupiter sein, der u.a. auch Blitzgott war. Dazu würde auch passen, daß der Klerus ("Stand der Rasierten") abgeweidet, d.h. beraubt und zerstört wird. Dieses "Abweiden" ist übrigens eine Anspielung auf die "Pastoren" (Hirten, Pfarrer, Bischöfe), die ja ihrerseits ihre "Schäfchen" zu "weiden" haben. Es könnte die neue Jupiter-Religion sein, die den christlichen Klerus zerstört.

4. Zeile: Wer ist der "Alte"? Ein Papst? Und was soll der Hinweis mit der Lanze? Wird ihm symbolisch eine Lanze in die Seite gesenkt so wie einst Christus am Kreuz?

 
Ein Vers, der wohl Zukünftiges beschreibt und zum Jupiter-Thema gehören könnte.


 +P/99

Iuillet.
Juli [1564].
En peril monde & Rois feliciter1),
[Die] Welt [schwebt] in Gefahr und [die] Könige [sind zu] beglücken1).
Razes2) esmeu3). par conseil ce qu’estoit
[Die] Rasierten2) [sind] aufgebracht3) wegen [der] Versammlung, die abgehalten wurde.
L’Eglise Rois pour eux peuple irriter,
Die Kirche [hat] wegen ihnen, [den] Königen, [das] Volk [zu] reizen.
Vn monstrera apres ce qu’il4) n’estoit.
Einer wird nachher zeigen, was er4) nicht war.

1) Das mittelfranzösische "feliciter" bedeutet "jemanden glücklich machen, glücklich sein".
2) Geistliche (Tonsurträger).
3) Lies: "esmeus".
4) Damit kann auch die Versammlung (le conseil) gemeint sein.

Kommentar


2. Zeile
: Eine Versammlung wurde abgehalten, die die Geistlichkeit sehr erbost.

3. Zeile: Auf dieser Tagung scheint die Kirche dazu verpflichtet worden zu sein, wegen den Königen das Volk zu reizen. Möglicherweise geht es dabei um die Erhöhung von Abgaben, die die Herrscher über den Umweg der Kirche aus den Gläubigen herauspressen wollen.

1. Zeile: Das alles spielt sich vor dem Hintergrund einer ernsten Krise ab. Die Welt steht am Abgrund, doch die weltlichen Herrscher denken nur an ihr eigenes Wohlergehen.

4. Zeile: Hier hängt alles davon ab, wie man die Zeile übersetzt, vgl. Anmerkung 4). Sollte von der Versammlung die Rede sein, so könnte das bedeuten, das jemand (ein Geistlicher) später aufzeigen wird, das ihr die kirchenrechtliche Legitimation fehlte, die heftig kritisierten Beschlüsse also ungültig sind.

Ein wohl zukünftiges Geschehen.


 +P/100

Aoust.
August [1564].
Deluge1) prés. peste2) bouine. neuue.
[Der] Untergang1) [ist] nahe. [Der des] neuen Rinder-Unglücks2).
Secte3) flechir. aux hommes ioye vaine:
[Die] Sekte3) [hat zu] weichen. [Die] Freude der Menschen [ist] fruchtlos.
De loy sans loy4). mis au deuant pour preuue,
Vom Gesetz ohne Gesetz4) [werden] als Beweis vorgebracht
Apast, embusche: & deceus couper veine.
[der] Köder [und der] Hinterhalt. Und [den] Betrogenen [ist die] Vene [zu] durchschneiden.

1) Das mittelfranzösische "deluge" (Überschwemmung, Sintflut) bezeichnet jede Art von Unglück.
2) Das mittelfranzösische "peste" bedeutet u.a. auch "Unglück".
3) Das mittelfranzösische "secte" bezeichnet eine Gruppierung im weitesten Sinne, religiöser wie nichtreligiöser Natur.
4) D.h. "Lehre (Religion) ohne Recht/Berechtigung".

Kommentar


1. Zeile
: Das "neue Rinder-Unglück" steht für eine neuheidnische Religionsgemeinschaft. Für die Rinder ist eine solche deshalb ein Unglück, weil sie bei deren Zeremonien oft zu ehren der Götter geschlachtet werden (vgl. das Wort "Hekatombe" = "Hundert-Ochsen-Opfer"). Doch der Untergang dieser Heiden ist nah.

2. Zeile: Nochmalige Wiederholung: die Heiden ("Sekte") werden bald weichen müssen. Das Neuheidentum wird als "Freude der Menschen" bezeichnet, hier als Gegensatz zur Freude Gottes, der Kirche. Wahrscheinlich haben die Heiden den Menschen viele materielle und sinnliche Freuden bereitet. Doch diese Religion ist fruchtlos, da sie keine Erlösung, kein Seelenheil in sich birgt.

3. und 4. Zeile: Das "Gesetz ohne Gesetz" oder die "Lehre ohne Recht" ist wiederum das Neuheidentum. Es wird beschrieben, daß es versucht, seine Legitimität und Rechtmäßigkeit durch Versprechungen und materielle Leistungen ("Köder") unter Beweis zu stellen. Doch bei genauerem Hinsehen entpuppen sich diese positiven Seiten als Falle. Die Betrogenen Menschen werden im Anschluß getötet. Das kann sinnbildlich gemeint sein ("Tod der Seele") aber durchaus auch im eigentlichen Sinne. Denn Menschenopfer waren von jeher Bestandteil der meisten heidnischen Religionen.

 

Ein Geschehen der Zukunft.

 

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Zu den Versen +P/101 bis +P/141

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