Wenn Beweggründe, Ansprüche und Empfindungen diskutiert werden, kommt niemand am Begriff Freiheit vorbei. Wohl kaum ein Lieblingsbegriff ist in der jüngsten Geschichte so strapaziert worden wie dieser. Es scheint, dass sein Hauptwert darin bestehe, mit keiner zwingenden Definition festgeschrieben zu sein. Freiheit sei ein unabdingbares Menschenrecht! So heisst es. Einem Redner, der diesen Satz zur einzigen Aussage seines Sermons macht, sind die Sympathien seiner Zuhörer sicher, denn sie glauben, er spräche ihnen aus dem Herzen. Das könnte allenfalls richtig sein; nur spricht er niemandem aus dem Verstand, denn der wird für Empfindungen nicht befragt. Mit dem Verstand können wir indessen der Etymologie des Begriffes nachgehen. Da stellt sich dann heraus, dass der Jetztzeit der Sinn für den Sozialbezug der Sprache abhanden gekommen zu sein scheint. Die Sprachvergewaltigung macht bereits Sinnverdrehungen umgangsprachlich geläufig. Die Verwechslung von Genus und Sexus ist zum Kult gediehen, und hat, zum Beispiel in der Schweiz mit der Errichtung des Bundesamtes für Frauenfragen, das für die Sexualisierung der Sprachästhetik sorgt, sein amtliches Siegel bekommen.
Doch zurück zu "frei". Gewöhnlich wird das lateinische Adjektiv "liber" mit "frei, ungebunden" übersetzt. Es ist verwandt mit dem griechischen "), was eigentlich "zum Volke gehörig" bedeutet. Es handelt sich um "Leute" gleichen Standes, die keinen Dienstanweisungen unterworfen sind. Der Begriff "Eleutheronomie" steht für die Gesetzgebung des freien Willens, also für die sittliche Ordnung. "Eleutheromanie" ist dahingegen der Freiheitsschwindel, dem man allzuleicht aufsitzt.
Obwohl wir uns im indoeuropäischen Sprachenbereich bewegen, sei doch ein Seitenblick auf semitische Sprachen erlaubt, weil das Hebräische, über die Sittenlehre des Christentums, für die europäische Kulturentwicklung besondere Bedeutung hat. Die hebräische Sprache hat für das, was hier und jetzt Freiheit genannt wird, kein Wort. Hingegen kennt sie die "Freilassung", die im alten Testament etwa zwanzigmal zum Thema wird. Dieser hebräische Freiheitsbegriff entspricht in Konturen dem griechischen eleutheros, und schliesst ein, dass auch der Freigelassene dem Gesetz untersteht
. Er wird nicht in die Vogelfreiheit für den freien Abschuss hinausgeworfen, sondern "assimiliert", das heisst "angeglichen", gleichbedeutend mit "emanzipiert", aus der Herrschaftshand losgegeben, also gleichberechtigt. (Auflösung des lat. "manicipium", von "manus" und "capere" = die "Handnahme"; das war das Eigentumsrecht an Sachen und Personen und auch Bezeichnung für den familienrechtlichen Status).
Unser Eigenschaftswort "frei" gehört, mit verwandten Wörtern anderer indogermanischen Sprachen, zur Wurzel "prâi", was "schützen", "schonen", "gern haben" und "lieben" bedeutet. Altindisch "priyà" bedeutet "lieb", "erwünscht", wie altslawisch "prijati" = "günstig sein", und "beistehen". Zu dieser Wurzel gehören auch gotisch: "frijòn" = "lieben", "freidjan" = "schonen", und althochdeutsch: "fridu" = "Schutz", "Friede". Aus der indogermanischen Wurzel entwickelte sich das germanische "frei", als Begriff der Rechtsordnung in der Bedeutung: "zu den Lieben gehörig" und daher "geschützt". Das mittelhochdeutsche "friâte" gibt es noch heute als Freite, was eine Brautwerbung ist – (auf Freite gehen). Frei betrifft somit die soziale Bindung und Stellung der eigenen Stammesgenossen, die Freunde, denn diese allein sind vollberechtigt in der Gemeinschaft, im Gegensatz zu den fremdgebürtigen Unfreien, den Unterworfenen und Kriegsgefangenen. Seine Geltung war also dem soziologischen Inkreis vorbehalten. Der ursprünglich rechtlich soziale Begriff wandelte sich zum Gedanken einer sozialen Loslösung. Die allgemeine Anwendung des Adjektivs im Sinne von pflichtfrei und unabhängig, ist eine philosophische Weiterung. Eine Definition aber gibt sie nicht. Mittelhochdeutsch "vrî", althochdeutsch "frî", gotisch "freis", englisch "free", altisländisch "frjâls", sind die germanischen Geschwister des gegenwärtigen deutschen Eigenschaftswortes "frei"
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Die ozeanische Dimension der Freiheit ist die Sehnsucht ins Transzendentale. Freiheit wird als ein Gefühlsrecht begriffen, das jedem Phänomen angetragen werden kann, dessen Aktualisierung erstrebt wird. Damit ist gesagt, dass Freiheit sich hauptsächlich auf Dinge zu beziehen scheint, über die man im aktuellen Moment nicht verfügen zu können glaubt.
Wollte ein Freiheitsredner zum Verstande sprechen, so müsste er seinen Verstand bemühen, das heisst seinen Witz am Versuche wetzen, seiner Rede einen konkreten Inhalt zu geben. Gewöhnlich erschöpft sich das Konkrete solcher Reden in Aufrufen zu Taten, zu Handlungen aus zornigem Gerechtigkeitsgefühl, zu Aufstand und Gewalt. Das ist dann die Freiheit das tun zu dürfen, was sich aus Vernunftgründen nicht empfiehlt. Falls sich danach Gewissensbisse einstellen sollten, wäre das nur die Bestätigung eines FreudschenFunktionsmodells, und zwar des der drei Instanzen einer Person: Dem Unbewussten (das Es), welches alle Triebwünsche enthält, dem es bisweilen gelingt, die Kontrolle des Bewusstseins (das Ego) ungeprüft zu passieren, was eine unvernünftige Handlung ergibt, die zu strafen dann aus dem Überbewussten (dem Überich) mit Skrupeln und Selbstvorwürfen, ein schlechtes Gewissen und das Schamgefühl aktiviert werden
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Das sind innerpersönliche Vorgänge, deren Freiheiten und Unfreiheiten als subjektive, intime Angelegenheit gesehen werden könnten, wenn nicht offensichtlich soziale Komponenten am rein Persönlichen beteiligt wären. Für diese innere Gesetzgebung gebrauchte Immanuel Kantden Begriff Eleutheronomie.
Man "fühlt" sich frei. Es ist also eine Empfindung, die im sozialen Verbund verankert ist. Dafür gibt es das gemeingermanische Wort "heim" (gotisch "haims", engl. "home", schwed. "hem"), mit der Bedeutung: "Haus, Wohnung, Heimat", verwandt dem griechischen "kômè" = Dorf, und dem russischen "semjà" = Familie, ursprünglich "Ort, wo man sich niederlässt, das Lager", bedeutet demgemäss: dort, wo man unter seinesgleichen ist, sich also "frei" fühlt. Das ist, nach einer Begriffsadaption des Psychiaters Michael Balint
, ein "oknophiler" Status und kennzeichnet den individuellen Temperamentstyp gemäss seiner vorherrschenden Gemütslage, die allerdings durch den "philobaten" Status ergänzt wird. Die proportionalen Anteile beider bestimmen die Position auf der Skala der Balintschen Typenlehre.
Wie frei der freie menschliche Geist wirklich ist, bleibt eine Kardinalsfrage, auf die es nur relativ gültige Antworten geben kann, wenn das Feld, in welchem Freiheit gemeint ist, abgesteckt wird.
Wer heutzutage "frei" sagt, drückt das Recht aus, von jeder Verpflichtung, von jeder Verhaltensregel, von Sitte und Ordnung frei zu sein. Dies sei ein Individualrecht, das beansprucht werden dürfe. Der Gedanke, dass Freiheit ein Ergebnis des Zusammenstehens sein könnte, eine Frucht der Sicherheit innerhalb eines sozialen Inkreises, ist im neudeutschen Sprachgebrauch nicht mehr gegeben. Während meiner frühen Kindheit wurde noch die Hymne gesungen: "Freiheit, die ich meine, die mein Herz erfüllt", von der die fünfte Strophe kündet: "Wo sich Männer finden, die für Ehr und Recht mutig sich verbinden, weilt ein frei Geschlecht!" Freiheit, als Bekenntnis zur sozialen Bindung war, zumindest in der Heimat des europäischen Mischgebietes verschiedener Ethnien zwischen Oder und Memel noch wirklich. Der Memelländer Max von Schenkendorf
hatte während der Freiheitskriege gegen Napoleon diesen Text geschrieben. Als die soziale Wirklichkeit mit dem Sprachgebrauch noch lebendig war, wurde Wert darauf gelegt, zu wissen was man sagte, und dem zu trauen, was man hörte.
Dass Freiheit heutzutage eher die sittliche Entfesselung meint, als die ortsgebundene Gesittung, beruht wohl auf dem natürlichen Raubinstinkt (Philobatie), der in Widerstreit mit dem Wunsch nach Geborgenheit (Oknophilie) liegt. Auch der Blick zurück in die Geschichte, zum Beispiel auf die Völkerwanderungen, zeigt, dass nomadisierende Heimatlose stets durch die Ausplünderung der Sesshaften lebten. Heutigentags rühmen sich intellektuelle Nomaden ihrer Unabhängigkeit von Heimatwerten. Sie bekennen durch ihre Haltung, von der Scholle zu profitieren, ohne sesshaft zu sein, weil die fruchtbaren Felder, von denen ihre Nahrung kommt, in einem Irgendwo liegen, das niemand kennt. Der Globus ist das Mass ihrer Freiheit, nicht der ihnen im Wesentlichen fremde Tisch, an dem sie speisen. In der Sache ist dieses Fremdgehengleich geblieben, wie das der Wandervölker, wenn auch in der Art und Weise unterschiedliche Manieren gelten. Heimatlose, streunende Banden, plündern die Sesshaften aus. Das ist ein ewiger Beweggrund zu Kriegen in aller Welt, besonders zu den Bürgerkriegen, denn auf nichts ist der Mensch mehr versessen als auf ein Hab und Gut, das ihm nicht gehört. Dienstbereitschaft, einen Besitz pflegend zu erhalten, ist eine Bauern- und Bürgertugend, welche Sesshaftigkeit voraussetzt. Ortsansässige Handwerker und Landwirte unterliegen dem Misstrauen derer, die von ihren Diensten leben. Die bolschewistische Revolution hatte auch deshalb besonders die landbesitzenden Kulaken im Visier, als sie ihren Ausrottungsrausch austobte. Nomaden, verschiebbare Massen, sind leichter zu führende Instrumente der Macht, als heimatverwurzelte Dickköpfe. Industrie, anonyme Produktion, unsichere Arbeitsplätze, hektische Migration, sind im Gegenzug Gründe zu einer Sehnsucht zurück in ein Gestern, das es nicht mehr gibt. Eine solche Freiheit ist zur Sage geworden, die Sozialbezogenheit des Begriffes Freiheit ist erloschen.
Verlässlichkeit und Vertrauen gehören zu den Komponenten der Treue die, je länger je weniger, ein allgemeines Bedürfnis zu sein scheint, und die damit dem Adjektiv "frei" jetzt unterlegten Sinn widerspricht. So schwindet auch das Interesse an Werten wie Ehrlichkeit und Beständigkeit und damit auch an der Essenz des "Freiseins" im Bunde mit seinesgleichen. Der traditionelle Inkreis der Identität der Heimatreuen ist im Begriffe sich aufzulösen, und damit auch die zugehörige In-Aus-Kreis-Gliederung. Unabhängigkeit und Sesshaftigkeit scheinen keinen Eigenwert mehr zu haben und das, wofür alle Generationen der siebenhundert Jahre Eidgenossenschaft sich aufopfernd einsetzten, und in vielen, den jeweiligen Zeitläufen angemessenen Formen durchsetzten, landet auf dem Schrotthaufen, wenn es nicht mehr beansprucht wird. Wenn es nicht die intime Verwurzelung in der Gemeinschaft der Gleichwertigen gibt, ist "frei" auch keine Eigenschaft eines Landes mehr.
Diskussion: Babylonische Verwirrung - Diskussion: Freiheit - Diskussion: Geschichtliche Zäsuren