Diskussion

Geschichtliche Zäsuren

"Seinen Platz behaupten!" und andere verdrängen, ist das elementarste Bestreben jedes Lebens, vom niedersten pflanzlichen bis zum höchsten tierischen Organismus. Jede spielerische und sportliche Betätigung, wie selbst jede edle menschliche Regung, ist ohne Verdrängung, Platzbehauptung und Verteidigung nicht existent. Nennen wir das den "gesunden Wettbewerb", so ist dies ein Synonym, das zudem als Inbegriff der Freiheit gilt. In alldem gibt es jedoch ethische Schwellen, die als Gradmesser menschlicher Kultur anzulegen sind. Wenn die Vertreibung ganzer Völkerschaften aus ihren angestammten Siedlungsgebieten praktiziert wird, erschrecken wir vor der Brutalität ihrer Gewalt, sofern wir nicht als Täter oder Opfer direkt beteiligt sind. Dann sind Triumph einerseits und Verzweiflung andrerseits die zugehörigen Gefühle.
Um sich eine Idee von der Geschichte der Vertreibungen machen zu können, die aus den dunklen Tiefen mythischer Zeiten über den biblischen Exodus bis in die letzte Neuzeit hineinreicht, genügt selbst eine rudimentäre Bibelkenntnis. Das Volk Israel wurde und hat vertrieben, wie andere Völker auch; doch das ist uns von der auserwählten Nation so nachdrücklich wie einseitig übermittelt worden, und dieser Schicksalsfaden wird nach jedem Bruch wieder aufgenommen und weitergesponnen. Besonders tatbezogen schilderte der jüdisch-römische Historiker Flavius Josephus die Geschichte des Jüdischen Krieges für einen Zeitraum von 241 Jahren (168 vor, bis 73 nach Chr.) Josephus Flavius , Geschichte des Jüdischen Krieges, übersetzt von Heinrich Clementz , Verlag Benjamin Harz , Berlin, Wien, 1923 . Es scheinen vor allem die erlittenen Kränkungen einer Nation zu sein, die ihr Geschichtsbewusstsein prägen, um spätere Genugtuung einzufordern, falls sie überlebt.
Alle Völker sind in ihrer Geschichte zu Höhenflügen und Niederlagen auserwählt, auch die Serben. Auch sie sind in einer Vergangenheit verankert, in deren Mitte eine Erniedrigung steht, die noch heute heftig emotionalisiert. Auf dem Amselfeld Kosovo polje wurden sie am 28. Juni 1389 vom Türken Murad I. besiegt, daselbst wo Murad II. am 19.10.1498 die Ungaren schlug. Das Gebiet wurde muslimisch. Die Serben beziehen sich bei der Darstellung ihrer nationalen Identität und Würde darauf, und nicht auf ihre volle Unabhängigkeit durch Bismarcks Schiedsspruch von 1878 Kranitz , Serbien und das Serbenvolk, von der Römerzeit bis zur Gegenwart, 2 Bde. 1904/09 / Jirecek Josef Constantin , Geschichte der Serben, 2 Bde. 1911/18 .
Das ist natürlich keine Rechtfertigung für Greueltaten, zumal die Kosovari dort ihre aktuelle, in derselben Geschichte begründete Existenzberechtigung haben, sondern lediglich die Feststellung der geschichtlichen Realität.
Alle schlimmen Taten wurzeln in Emotionen. Selbst die Berichterstattung ist parteiisch, denn jeder Berichterstatter nimmt gemäss seiner eigenen Gefühlswallungen Stellung. Kann die eine Seite zum Täter, die andere zum Opfer gestempelt werden, so erleichtert dies die sprachliche Fassung des Geschehens, ohne dass damit der Realität Genüge getan wäre. Dass beide Seiten als Gegenpole derselben Historie zusammengehören, ist bereits eine Komplikation, die Journalisten irritiert, denn sie ist nicht ohne Fähigkeit und Aufwand mitteilbar.
Bei genügend grossem zeitlichem wie örtlichem Abstand, stellt sich das Drama als ein Genregemälde dar, wie Barbusse es formulierte: Zwei Armeen, die sich bekämpfen, sind eine Armee, die Selbstmord an sich übt! Barbusse Henry, Das Feuer, fr. 1916, dt. 1918 , wobei zu ergänzen bliebe, dass der Überlebende der Sieger ist, der mit dem Blute des Besiegten die Geschichte schreibt. "Episoden der Geschichte" nannte das ein Franzose Le Pen Jean-Marie , der für diese Anmerkung gerichtlich belangt wurde. Wer aktualisierte Stigmata beschwört, muss damit rechnen, als Parteigänger des Bösen verurteilt zu werden; denn solange Wunden immerwieder aufgerissen werden und bluten, gibt es das unparteiische Geschichtsverständnis nicht.
So werden aus der Geschichte der Vertreibungen in heutiger Berichterstattung die europäischen Siegesjahre 1945 bis 1950 krampfhaft unterdrückt, während die fürchterlichen Jahre davor besonders wachgehalten werden. Das ist erstaunlich, denn in der Rechtsprechung der betreffenden osteuropäischen Staaten sind die ersten fünf Nachkriegsjahre sehr eindrücklich dokumentiert durch die Gesetze, die Polen erst am 8. Januar 1951 aufhob Gesetz vom 8. Januar 1951 über die polnische Staatsbürgerschaft, Dz. U.R.P. Nr. 4, Pos. 25 . Die Dokumentation ist allgemein zugänglich. Die tschechischen Benesch-Dekrete, durch die allein 2,83 Millionen autochthoner Sudeten aus ihrem historischen Stammesgebiet, und die ungarische Minderheit aus der Tschechoslowakei vertrieben wurden, sind hingegen noch heute in Kraft. Der jetzige tschechische Ministerpräsident Milos Zeman (2001) empfahl auch einem anderen, rassistisch definierten Staat des vorderen Orients, die gleiche Lösung ähnlicher Probleme, und der Parlamentspräsident Vaclav Klaus forderte gar, Prag solle sich die Unantastbarkeit der Benesch-Dekrete vor dem EU-Beitritt von Brüssel explizit garantieren lassen. Das wurde Ende Februar 2002 zum Thema, als der ungarische Ministerpräsident Victor Orban, in Brüssel nach seiner Meinung befragt, geantwortet hatte, dass jene Dekrete der Rechtsordnung der Europäischen Union doch wohl widersprächen! Oblatka Andreas, Geplatztes Gipfeltreffen der Visegrad-Länder, NZZ Nr. 46, Zürich 2002 Mitteleuropas geschichtliche Altlasten, Leitartikel, NZZ Nr. 51, Zürich 2002 Auf eine politisch dermassen wurmstichige Bank sollte sich niemand zu niemandem setzen, um nicht in den Dreck mitgerissen zu werden, wenn sie zusammenfällt.
Seinerzeit wurden 16,6 Millionen Menschen allein aus Polen vertrieben, und ihre Heimstätten durch Umsiedler aus dem Sowjetgrossreich nachgefüllt. Vor Ort bekennt sich nun die kulturbestrebte Elite zum Preussentum auf polnisch und zwischen Memel und Pregel neu gar auf russisch Vetter Reinhold , Kant statt Kalinin, Von der Hoffnung einer Stadt, endlich wieder zu Europa zu gehören, NZZ Nr. 41, Zürich 200l . Die Kulturgüter, vom Deutschen Orden über Immanuel Kant bis zur Infrastrukturtechnik von vor den beiden Weltkriegen, wurden zur eigenen Historie der autochthonen, neuen Generationen, während fernab, vom Kulturrabaukenchor, der Hassgesang auf Preussen in deutsch geübt wird. Prussisch ging dort, nach der Christianisierung im Hochmittelalter, unter polnisch, kassubisch, litauisch und deutsch verloren. Dieses Einwanderungsland war nie ein Rassemonolith, sondern für Jahrhunderte ein funktionales Regelwerk auf Gegenseitigkeit einander belebender Identitätskreise, einer in sich heterogenen Einheit, ein polnisches Lehen namens Preussen, in Personalunion mit dem brandenburgischen Kurfürstentum des Deutschen Reiches.
Wer sich mit geschichtlich begründeter Sozialpsychologie befasst, sollte "Eine kleine Geschichte Preussens", dargestellt von Eberhard Straub Straub Eberhard, Eine kleine Geschichte Preussens, Siedler Verlag, Berlin 2001 , studieren. Sie ist eine geographisch lokalisierte Analyse historischer Vorgänge, deren darin enthaltene Identitätspsychologie grundsätzlich auch anderorts gilt.
Die identitätsgegebene Melancholie geborener Preussen scheint, nach dem Diktat des Alliierten Kontrollrats durch das Gesetz Nr. 46 vom 25. Februar 1947 dieselbe, welche schon den preussischen König Wilhelm I. am Vorabend der Deutschen Reichsgründung vom 17. Januar 1871, in Tränen ausbrechend, klagen liess: "Morgen ist der unglücklichste Tag meines Lebens. Da tragen wir das preussische Königtum zu Grabe...", (wie Diwald im Prolog zur Porträtssammlung berühmter Söhne dieses Landes zitiert Diwald Hellmut, Im Zeichen des Adlers, Verlag Gustav Lübbe GmbH, Bergisch Gladbach 1981 ).
Der Alliierte Kontrollrat hatte Schuldige, "Kollektivstraftäter", böse Buben, namentlich bekannte Missetäter strafen wollen. Er gab vor, mit Preussen die genetische Bosheit gefunden zu haben. Das ist eine verquere Sicht über die Geschichte, ein Zeugnis zweckdienlicher Phantasie, die durch Sachkenntnis nicht gehemmt ist. Es geht Politikern gewöhnlich auch nicht um historische Seriösität, sondern um symbolträchtige Aufhänger. Dem Hass eine Beute schenken, um in ihm zu schwelgen, ist eine geläufige politische Selbstbefriedigung. So erhoben die Alliierten 1947 einerseits den deutschen Nationalsozialismus, den sie militärisch besiegt hatten, zum politischen Dauerbrenner und verhängten andrerseits ihre DAMNATIO MEMORIAE über einen Staat, den es längst nicht mehr gab, diesem damit unbeabsichtigt zur historischen Grösse als Legende beispielhafter Tugenden klassischen Formats verhelfend, die den Nachfolgekonstruktionen weitgehend fehlen. Preussen war im Reiche untergegangen (nicht umgekehrt!) und de facto bestand es seit dem Preussenschlag durch die Regierung von Papen vom 20. Juli 1932 wie durch das Gesetz zum Neuaufbau des Reiches vom 30. Januar 1934 nicht mehr. Seine Tugenden hatten sich seit 1871 im Deutschtum allmählich verloren. Der Historiker Straub stellt also sachlich begründet fest, dass es eine Geschichte Preussens im nationalsozialistischen Reiche nicht gab, denn der Nationalsozialismus sei rein deutsche Geschichte. Hier sein Schlusswort: "Da der klassische Staat mittlerweile in das Reich der historischen Erzählungen gehört, verwirrt auch Preussen nicht mehr. Es ist Geschichte, nichts weiter!"

Emotionale Ausbrüche, sei es von ideologischem, von religiösem, oder gar grundlosem Eifer, richten Unheil an. So entbrannten auch die kriegerischen Ereignisse der späten neunziger Jahre in Exjugoslawien entlang den "inneren Grenzen" von religiösen Bekenntnissen, wobei die orthodoxe serbische Nationalkirche als Fokus der ethnischen Identität eines völkischen Sendungswahns auszumachen ist, der bei anderen, verwandten osteuropäischen Nationalkirchen Unterstützung fand.
Die Inkreis-Auskreis-Dynamik ist mit diesen akuten Ereignissen leicht erkennbar, und es braucht schon einigen Aufwand von Vernebelungskünsten, um sie unkenntlich zu machen; doch dieser Aufwand wird betrieben.
Aktuelle Berichterstattung ist immer subjektiv. Um objektiv sein zu können, braucht es Nüchternheit und Gefühlsferne.
So werden aus Tagesbedingungen aufbrechende Dramen stets als geschichtlich einmalig empfunden und publizistisch erhöht. So auch die Katastrophe vom 11. September 2001, als zwei grosse, vollgetankte Linienflugzeuge, zielgenau gesteuert, in die beiden Türme des World Trade Center in New York rasten. Ein weiteres Linienflugzeug traf ebenso das Pentagon in Washington, eine vierte vom Kurs gezwungene Linienmaschine stürzte in eine Geländesenke ab, weil die aktive Kamikazegruppe von den zivilen Fluggästen daran gehindert wurde, ihr spektakuläres Ziel zu erreichen. Das war ein koordinierter Coup vier kleiner Aktionsgruppen fanatisierter Hochschuldstudenten, die offenbar vom Selbstaufopferungswahn im Dienste ihrer religiösen Moralanmassung befallen, ihr Heil im grandiosen Mordspektakel suchten. Politisch wurde hinfort von einer neuen Dimension des internationalen Terrors des ersten Krieges des zweiten Jahrtausends gesprochen. Handelt es sich dabei um die Globalisierung der Effektivität kleiner, autarker Zellen, mit dem Potential gelegentlicher Abstimmung (Koordination) untereinander auf der Basis eines gemeinsamen Glaubensbekenntnisses, eines gemeinsamen politischen Willens oder auch einer weltumspannenden Ideologie? Die Politologen der USA taten sich schwer mit der Analyse, obwohl ihr Land doch Erfahrung mit kleinen, autark operierenden Terrorgruppen hat, denn der Ku-Klux-Klan ist ja noch immer verdeckt tätig, und gelegentlich tritt er in die Öffentlichkeit.
Die im Oktober desselben Jahres erfolgten Anschläge mit Anthraxsporen (Milzbranderreger) über den Postversand auf bekannte Persönlichkeiten, sind ein weiteres Beispiel der Effizienz kleiner, anonymer Tätergruppen. Sie gedeihen offensichtlich auch im sozialen Klima wirtschaftlicher Überhitzung, denn die Anthraxtäterschaft muss ein überdurchschnittliches Bildungsprofil und Zugang zu hochentwickelten Techniken und Labors haben. Diese Anschläge zielten auf die Zentren der global expandierenden Wirtschaftsideologie. Die der Weltherrschaft verdächtigte Weltwirtschaft ist ein weltkriegerisches Motiv einer allgemeinen, diffusen Gegenwehr. Dass dabei kämpferische Kleingruppen einander finden und grössere Aktionseinheiten bilden, ist eine zwangsläufige Folge. Solch gärender Emotionssuppe entsteigen charismatische Führergestalten, denen es gegeben ist, das zu verkörpern, was jedes Einzelglied der Masse für sich selbst idealisiert.
Das sind Monospuren des Empfindens und Denkens in Schlagworten, den leicht fasslichen Begriffen, deren phonetische Gestalt von martialischer Melodie und pulsierendem Rhythmus ist.
Es gibt in der Antiglobalisierungsbewegung verschiedene Ansätze mit solchen Galionsfiguren, die als Verkörperung der Kollektivseele der Massen in Erscheinung treten. Osama bin Laden Osama bin Laden, Saudi-Araber, gilt als Führungsmitglied der Taliban Afghanistans, wie auch  als Ideologe und Stratege der fanatisierten Moslem-Terrorgruppen Al-Kaida. ist einer dieser Apostel einer angeblich gerechteren Welt. Er hat die kämpfende, autarke Kleingruppe nicht erfunden, denn das Konzept liegt in der Natur der Sache, weil es die Basis der Dynamik der Massenbewegung, des Massenrausches, des Massenwahns, die Ausblühung des Fanatismus ist, dem immer eine hypnotoide Grundeinstimmung zugrunde liegt. Die Gesellschaft funktioniert prinzipiell als Sozialisation in Kleingruppen, die in einem Meinungsgleichklang mit verwandten Gruppierungen gedeihen. Das ist so natürlich, dass es nur dann auffällt, wenn sich eine grössere Gewaltwelle zusammenbraut. Die kleine Gruppe ist identisch mit dem subjektiven Selbstgefühl. Sie ist der zentripetale Kern jeder sozialen Struktur, und sie ist auch das psychologische sine qua non jedes Persönlichkeitsprofils. Im Grunde ist jeder Mensch ein potentieller Überzeugungstäter, der sich im Dienste einer (ob guten oder bösen, ist ein Problem der Perspektive) Sache zu schaffen macht. Jeder ist sittlich indoktriniert und deshalb überzeugt von der ausschliesslichen Gültigkeit seiner mitbekommenen Ethik, der alle anderen ethischen Richtlinien unterlegen seien. Nicht diese verbalen Inhalte sind naturgesetzlich gegeben, sondern das Konzept ist es, das Gerüst der Funktion, das mit kulturellen Varia gefüllt werden kann. Die Füllungen sind virtuell arrangierte Versatzstücke sinnlicher Wahrnehmungen, welche als überzeugende Glaubenbekenntnisse vertreten werden.
Massenpsychosen geraten nicht nur zu angriffiger Zerstörungswut; sie können ebenso in die elegische Richtung führen, in Massentrübsal und Selbstkasteiung; immer aber richtet die Massengleichschaltung von Emotionen Unheil an.
Bei allen gefühlsgetragenen Impulsleistungen fällt zwar der Sinn für Folgen weg, doch sie haben konsequenterweise Signalwirkung und lösen somit Antworten auf der Dialogseite aus, eben auf derselben Gefühlsebene, auf der sie erfolgten, wobei diese ebenfalls Signalwirkung haben, die ihrerseits Antworten bewirken. Das ist der Einstieg in eine dialogale Kettenreaktion, deren Tragweite beim ersten Impuls dem daran Beteiligten unbekannt ist. Solche Progressionen haben das Potential für ein tragisches Ende, wenn keine Auflösung durch einen durchquerenden, andersartigen Impuls erfolgt.
Sogenannte "humane Aktionen", die eindeutig vom Mitgefühl getragen sind, und die nicht selten Züge von Massenhysterien annehmen können, sind dafür die peinlichen Beispiele, wenn sie durch ihre Progression später eine Rückbesinnung erzwingen.
Die vom ungehemmten Mitleid bewegte Hilfsbereitschaft, lässt den Hilfswilligen in einem selbstgeweinten Meer von Tränen der Menschlichkeit ertrinken, sofern er keinen Therapeuten findet, der ihm die Last seiner sich selbst auferlegten Verpflichtungen abnimmt. Im Falle einer hilfsbereiten Nation ist dieser Therapeut die nationale Wirtschaft, im Falle eines Samaritervereins oder einer Partei, sind es die Mittel der anderen, durch deren Umverteilung das Mitgefühl als makellose Tugend in der Selbstbespiegelung glänzt. Es gibt da offenbare Unterschiede, und zwar im Wirkmal der Progression. Einmalige Hilfsleistungen sind unproblematisch. Sie eignen sich gut zum Beweis der Produktivität von Solidaritätsaktionen. Problematisch sind indessen Aktionen, die in sich die Progression als Dauerverpflichtung tragen. Hierher gehören die Umsiedlungslawinen, die über einen gutwilligen Nachbarn hereinbrechen können. Problematisch wird jede Nothilfe, bei der das Potential der Not nicht abschätzbar ist.
Das Brot teilen sättigt mit gutem Gefühl. Es wird mehr, als man gegeben hat, und reicht, bis es nichts mehr zu teilen gibt. Geteilter Hunger wird aber nicht weniger und nicht leichter. Er wird grösser und verzehrt die Kraft der Grundexistenz. Und trotzdem ist die Impulsleistung in den Grenzen des Verfügbaren und Leistbaren existenzbewahrend. Sie hebt Gegensätze auf und garantiert, in bestimmten Grenzen, das Überleben der eigenen Art. Es handelt sich um einen Inkreismechanismus, der den Inkreis funktionstüchtig erhält, der sich aber ins Uferlose des Auskreises verlieren kann, wenn er die Grenzen überwuchert und dann die Eigenexistenz gefährdet. Es kommt eben darauf an, wo die Grenze zwischen Inkreis und Auskreis gezogen wird.


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