Diskussion

Wahrheit

Die Menschen können nicht sagen, wie sich eine Sache zugetragen, sondern nur, wie sie meinen, dass sie sich zugetragen hätte.
Georg Christoph Lichtenberg Lichtenberg Georg Christoph, Kalenderspruch, Göttingen 1778

Wer erinnert sich nicht eines Streitgespräches über einen Tatbestand (z.B. Verkehrsunfall), den verschiedene Leute aus verschiedenen Richtungen verfolgt hatten, aber sich dennoch nicht über den wirklichen Hergang einig werden konnten? Wessen ist in einem solchen Fall die Wahrheit? Eines Jeden! denn die Zeugenschaft ist bedingt durch verschiedene Faktoren wie Richtung, Perspektive, Beleuchtung, Abstand, Zeit, Stimmung, Dynamik, Voreingenommenheit, Menge und Positionen der einzelnen Beobachter. Dass sich daraus verschiedene, also bedingte Wahrheiten ergeben, sollte einleuchten. Bei aufmerksamer Überprüfung eigener Erinnerungen stellt sich heraus, dass selbst diese auf die Dauer Angleichungsprozessen unterliegen. Dieses Phänomen ist durch Experimente von Piagetund Inheldermit ihrer Arbeit über Gedächtnis und Intelligenz Piaget Jean, Inhelder Bärbel, Gedächtnis und Intelligenz, Walter Verlag, Olten 1974 als Nebenergebnis hervorgegangen. Engramme sind auch nur so lange abrufbar, wie sie lebendig sind, und leben heisst auch, durch Angleichung an sich stetig ändernde Bedingungen am Leben bleiben.
Es ist erstaunlich wie sehr die Erinnerungen verschiedener Personen, bezüglich eines gemeinsamen Erlebnisses, durch die Zeit sich voneinander entfernen können. Bei der Wiederbelebung alter Engramme erfolgt, bei günstigen Bedingungen, durch Austausch eine Riverifikation, eine Angleichung der Gesichtspunkte, indem die verschiedenen Entwicklungswege der Beteiligten berücksichtigt und relativiert werden. So finden dann, beispielsweise verstreut gewesene Familienmitglieder, wieder zueinander. Gibt es diese angleichenden Gespräche nicht, so konserviert sich ein Streitpotential mit dem Risiko des Zerfalls der Familie als einem überholten sozialen Inkreis. Die gemeinsame Wirtschaftsbasis wird zerstört. Diese Dimension von Erbstreitgkeiten dürfte allgemein bekannt sein. Das illustriert ein Geschwätz zwischen Freunden. Der eine versucht den anderen versöhnlich zu stimmen, indem er dessen Bruder als feinen Charakter lobt, worauf er zur Antwort bekommt: "Hast du schon einmal mit ihm geerbt?"
Die Wahrheit bleibt offen. Darauf beruht die Wirksamkeit der Demagogie. Beispiele lassen auch Unterschiede erkennen. Gruppengespräche sind in verschiedenen Formen modern geworden, von den alten Vereinen und Stammtischen, von Selbsthilfegemeinschaften, Gruppentherapien, bis hin zur Arena-Exposition. Die meisten solcher Gesprächsvereinigungen dienen der Indoktrinierung. Dazu gehören auch die Therapiegruppen. Balintgruppen Stucke Werner, Die Balintgruppe, Deutscher Ärzte-Verlag, Köln-Lövenich 1982 offerieren die Klärung bei berufsinternen Problemfällen, etwa so, (um auch eine antike Form solcher Kollegien zu erwähnen) wie die Rabbinergespräche die in der Gemarades Talmud Gemara , Buch des Talmud, übertragen von L. Goldschmidt , 1935 protokolliert sind; aber auch sie dienen im Endeffekt der Gleichstimmung von Interpretationen und Diagnosen. Die Streitereien der öffentlichen, durch das Fernsehen verbreiteten, arenamanischen Exhibitionen, gleichen dahingegen den von jeweilen einem Chefdegrimasseinszenierten Hahnenkämpfen, die zum Ziele haben, dass zum Gaudium des Publikums, einer auf der Strecke bleibt. Versuche mit Hilfe solcher Anlässe Meinungsverschiedenheiten auszuräumen gab es ebenfalls, aber solche sind, mangels Einschaltquoten, eingeschlafen. Es fehlte offensichtlich die Spannung, die durch die Polarisierung zwischen Sieger und Besiegte entsteht. So kam der schadenfreudige Voyeurismus zu kurz.

Wahrheit ist Eigentum der Parteien, und ausgerufene Wahrheiten sind generisch parteiisch. Wahrheit wird verkündet, ihre Diktion für verbindlich erklärt und der Glaube daran gesetzlich befohlen. Deutlicher ist kaum darstellbar, wie zerbrechlich und unsicher das Gebilde ist.
Wahrheit ist also die Kunst der Jargonfindung oder das Diktat des Meinungsdirigismus. Sie ist aber auch eine Sehnsucht der Gläubigen, die sich nach der Gewissheit des Wahrhaftigen sehnen, und sie ist auch ein Spielball der Demagogie. Als subjektives Faktum bleibt Wahrheit objektiv stets ein offenes Phänomen der Sprachregelung von Übereinkünften über die Gültigkeit von Gesichtspunkten. Die Maxime von der einen, nur einzig möglichen Wahrheit, ist ein Ausgangspunkt für den Mysterienglauben und auch für die Recht-Setzung und damit ein Problem der Rechtswissenschaft. Es geht um die Frage, wie die Realität des dauernd gleitend Angepassten der Wahrnehmung überlistet werden kann. Die Wandelbarkeit ist das grosse Problem der Festschreibung deren es bedarf, um Mass zu setzen.

Es heisst, Wahrheit sei die Übereinstimmung eines Satzes mit den Tatsachen. Das Problem der unterschiedlichen Wahrnehmungsmöglichkeiten jeder einzelnen Tatsache, bleibt bei solcher Definition ausgespart. Sie eignet sich allenfalls dazu, eine Unterscheidung zur Richtigkeit zu treffen, worunter die formale Gültigkeit eines Satzes zu verstehen wäre. Was Wahrheit eigentlich sei, das ist in der Philosophiegeschichte ein latent vorhandenes, oft offenes Definitionsproblem. Allein das bedeutet bereits, dass es die eine, unumstössliche Wahrheit nicht gibt, nach welcher ja immer gesucht wird, und statt sie zu finden, nur Behauptungen gegen Behauptungen ins Feld geführt werden. Gemäss der antiken Adäquationstheorie sei Wahrheit ein Prädikat, das einer Aussage dann zukommt, wenn der behauptete Sachverhalt besteht. Damit bleibt offen, ob es verschiedene Behauptungen zu ein und demselben Sachverhalt geben kann, dem dieselben entsprechen, womit es zum gleichen Sachverhalt, gemäss veränderter Perspektiven, verschiedene Wahrheiten gäbe. Dieser ungewissen Wahrheit begegnet die Kohärenztheorie mit der Anforderung, dass sie ein notwendiges Glied eines systemisch zusammenhängenden Ganzen von Urteilen zu sein habe. Damit ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass es auch unwahre, in sich zusammenhängende Systeme geben kann, die dann als Ganzes eine, gewissermassen virtuelle Wahrheit bilden würden. Wird Wahrheit am Wert seiner Bewährung in der Wissenschaft und im Leben gemessen, was der Pragmatismus verlangt, so würde jede Wahrheit aufgehoben, sobald einzelne Bedingungen von Systemen ihre Wertigkeit änderten. Die objektivistische Wahrheitstheorie bindet die Wertung an die Angemessenheit einer Seinswahrnehmung, was in letzter Konsequenz natürlich auch Sinnestäuschungen in den Wahrheitsbeweis einbezöge.
Alle diese philosophischen Bemühungen Wahrheit zu fassen, sind also nicht so endgültig, dass sie jede weitere Diskussion um ihre Gültigkeit ausschlössen. So ist es vielleicht hilfreich, dem etymologischen Werdegang Duden , Das Herkunftswörterbuch, Mannheim 1963 des Begriffes nachzugehen.

Das althochdeutsche Adjektiv war entspricht dem lateinischen verus.
Diese Wörter haben den Sinn von "vertrauenswert" und gehören zur indogermanischen Wurzel uer, was "Gunst und Freundlichkeit erweisen" bedeutet.
Dazu gehört auch griechisch = era pherein = "einen Gefallen tun", und auch die slawische Sippe des russischen vera = "Glaube", wie auch das mittelhochdeutsche wara = "Treue, Vertrag".
Der Begriff Wahrheit bezieht sich somit in seinem wesentlichen Kerninhalt auf das Sozialsystem, auf das Wesen des Miteinander, auf die Art des Umgangs und legt dar, dass Wahrheit so etwas wie eine in einem sozialen Inkreis gültige Vereinbarung ist, auf der die gleichgeschalteten Wahrnehmungen beruhen. Und damit wird die Sache besonders interessant: Wenn die Wahrnehmung unbestritten ist, kennzeichnet sie die Geschlossenheit des Inkreises, wird diese Geschlossenheit des Inkreises dahingegen gelöst, zerfällt auch der Wahrheitsgehalt.

Wahrheit polarisiert, wenn an verschiedenen Gesichtspunkten zu einem Faktum festgehalten wird. Die Angleichung der Streitpunkte aneinander setzt ein Klima des Vertrautseins voraus, das am ehesten in einem sozialen Inkreis gegeben ist, und auch durch eine Auseinandersetzung mit guter Bereitschaft dazu, geschaffen werden könnte. Weil Wahrheit polarisiert, entsteht auch Polemik, wo die Möglichkeiten zur Annäherung der gegensätzlichen Positionen gering sind. Das ist ein forensisches Problem. Die Suche nach der juristischen Wahrheit besteht darin, gegensätzliche Standpunkte prüfend zu berücksichtigen, inwiefern sie den rechtlich gesetzten Vorgaben entsprechen, die im Gesetzeswerk (auch Grundgesetz und Verfassung) paraphiert sind. Recht kann nicht summarisch abgehandelt und gesprochen werden, weil Wahrheit keine summarische Grösse ist, wenn auch der ZeugenEid verlangt, die Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu bekunden, obwohl es sich ja nur um die Wahrheit des einzelnen Zeugen handeln kann. Für den Ausruf: "Gott schütze uns vor den Rittern der absoluten Wahrheit!" gäbe es sicher einen mittelalterlichen Urheber, wenn er hätte schreiben können. SUMMUM IUS, SUMMUM INIURIA Cicero , de officiis I 10,33 .

Ein Gesetzeswerk enthält eben Übereinkünfte von Verhaltensregeln, ethische Richtlinien, also Anstandsnormen, welche im sozialen Inkreis gelten und dessen Grenzen bestimmen. Es listet Vergehen gegen diese Regeln auf und gibt Richtlinien für das Ausmass und die Art der Sühne und Strafe im Sündenfall. Teile solcher Rechtsbrüche werden als Offizialdelikte auch ohne Anzeige verfolgt, wenn für die Öffentlichkeit (d.h. dem soziologischen Inkreis), eine besondere Gefährdung ihrer inneren Ordnung durch derartige Regelbrüche vermutet wird. Es ergibt sich dabei ein zugespitztes Meinungsdiktat, weil das Gesetz bestimmte Ansichten verbietet. Die meisten Demokratien garantieren zwar die Meinungsfreiheit, verfolgen aber, zum Beispiel mit dem zeitgemässen Rassismusartikel, auch harmloses, verbales Gelegenheitsgepolter, welches eine abweichende Meinung von der "political correctness" verrät, nach dem Offizialprinzip. Solche Gesetze sind PER SE paradox, sind in sich selbst widersprüchlich, und solche Reglementierungen werden dennoch als politisch ohne Fehl akzeptiert, obwohl sie ein gestörtes Verhältnis zur Wahrheit der Meinungsfreiheit festschreiben.

Wir sind bestrebt, ohne Polemik auszukommen. Die Wahrheit stellt uns jedoch zur Rede. Sie zwingt jeden, der sich ihr stellt, Farbe zu bekennen. Die Gretchenfrage: Wie hälst du es mit ihr? muss nicht erfunden werden. Sie ist einfach vorhanden. So können wir uns einer minimalen Polemik im Bereich der Gegenüberstellung von Wahrheit und Wirklichkeit nicht entziehen, denn das Thema besteht aus Widersprüchlichkeiten. Es handelt sich gewissermassen um Antipoden, die von ihrer Definition abhängig sind und nur mit robusten Kunstgriffen zu Synonymen hingebogen werden könnten.
Als Wirklichkeit bezeichnen wir die Realität, wie sie ist, und nennen nur das Wirkliche realistisch, ohne Deutungen und Ableitungen. Der Begriff geht auf das lateinische RESzurück, was Sache beziehungsweise Ding heisst. Wahrheit ist dahingegen allenfalls eine Ansicht, eine Überzeugung, die oft in einem schwammigen Gegensatz zur Wirklichkeit steht. Wahrheit ist eher Übereinkunft, eine gültige Sprachregelung, die dem modernen Begriff "political correctness" Vorschub leistet, eine vorzugsweise virtuelle Wirklichkeit betreffend. Ein davon abweichendes Sprachverständnis würde damit als fauxpas, als Aus-der-Reihe-Tanzen, und damit als sträfliche und strafbare Unsittlichkeit festgeschrieben.

Bei der Wahrheitsüberzeugung spielt die Subjektivität eine erhebliche Rolle, und dies nicht nur dem heutigen Wortgebrauche gemäss, sondern mehr noch ihrer etymologischen Wurzel entsprechend. Sie ist aus lateinisch SUB = unterhalb, von unten heran, und IACERE = werfen zusammengesetzt zu SUBICERE, bedeutet also darunterwerfen. Damit meint Subjektivität eigentlich, dass sie umfassenderen Entitäten (Seinsbeständen) unterstellt ist, und dass sie das persönliche Eigeninteresse im sozialen Bezugsrahmen ausdrückt. Subjektivität heisst demnach eingegliedert, heisst sachlichen und sozialen Gegebenheiten und Bestimmungen unterworfen zu sein.

Jeder Versuch über die Wahrheit wird der Subjektivität Aufmerksamkeit schenken müssen, besonders, wenn er mit Wahrheit objektive Tatbestände meint. Begrifflich befinden sich diese beiden in gegensätzlichen Positionen. Wahrheit ist also nicht sachlich, sondern eher das Bekenntnis zum Selbstbefund. Sie meint nicht ein Objekt der sinnlichen Wahrnehmung. Alles Gute, Wahre und Schöne sind ästhetische Grössen und somit Stimmungspositionen. Ihre absoluten Wertungen finden sie im Subjektiven. Offensichtlich gibt es eine kollektive Subjektivität, insofern die Identität in sozialen Beziehungsbereichen funktioniert. Die Subjektivität, das heisst die Selbstbezogenheit, ist eine Inkreisdynamik und in ihrem engsten Bereich individuell. Sie hat Eingrenzungstendenz auf jeder sozialen Beziehungsebene und steht auch zur Objektivität wie ein Innen zum Aussen, was typisch für jede soziale Gliederung ist. Die Sinne sind das Instrumentarium, mit dem das Subjekt wohl Objektives wahrnimmt, um es aber dann subjektiv (selbstbezüglich) zu verarbeiten. Damit geht die Gestalt des Objektiven in das einvernehmende Subjekt auf (Funktionskreis). Das ist banale, unbewusste Alltäglichkeit. Um diese aber bewusst zu machen, braucht es anschauliche Beispiele, welche wiederum als Analogien subjektiv relativiert werden. Damit schützt das Subjekt seinen Anspruch darauf, im Besitz der Realitätsbefähigung zu sein. Um diese Feststellung zu untermauern, bedienen wir uns der Anthologie von Jewgeni Netscheporuk, "Die russische Entdeckung der Schweiz" Netscheporuk , Jewgeni, Die russische Entdeckung der Schweiz: Ein Land, in dem nur gute und ehrbare Leute leben. Limmat Verlag Genossenschaft, Zürich 1989 . Der angehängte Untertitel "Ein Land, in dem nur gute und ehrbare Leute leben", fällt skeptischen Lesern als ironische Wendung auf, während die ehrbaren und guten Leute sich eher in ihrer Unschuld bestätigt fänden, falls sie eine derartige Lektüre überhaupt lesen sollten. Netscheporuks Dokumentensammlung beginnt mit Fragmenten eines Berichts über "Die Reise zum Florentinischen Konzil", der um 1440 abgefasst worden ist, und das "Basler Konzil Basler Konzil zur Kirchenreform, von 1431 bis 1449 des Alemannischen Landes" verdammt, während er die Schönheit der zu durchquerenden Bergwelt bewundernd preist. Durch die Jahrhunderte führen 35 weitere Darstellungen und Bekenntnisse von Gemütslagen, die mit den objektiven Wahrnehmungen verknüpft sind, sei es, dass letztere diese Gemütsverfassungen auslösen oder, dass sie darauf projiziert werden. Die Umsetzungen der objektiven, sinnlichen Wahrnehmung in Eindrücke und Befindlichkeiten, entspricht jeweilen dem sich wandelnden Zeitgeist. Die Wandlung reicht von der sachlichen Feststellung bildhafter wie stimmungsvoller Momentaufnahmen, über den romantischen Realismus, bis hin zum ideologischen Ingrimm. Mit Wladimir J. Lenins "Abschiedsbrief an die Schweizer Arbeiter" schliesst der erste Teil der Sammlung. Er feuert gewissermassen Gemütszustandspartikel rundum auf die böse Welt. Hier ein typischer Satz daraus: "Als unsere Partei im November 1914 die Losung aufstellte: "Verwandlung des imperialistischen Krieges in den Bürgerkrieg", in den Krieg der Unterdrückten gegen die Unterdrücker, für den Sozialismus, da wurde diese Losung von den Sozialpatrioten feindselig, mit gehässigem Hohn und von den Sozialdemokraten des "Zentrums" mit ungläubig skeptischen, charakterlos abwartendem Schweigen aufgenommen". usw.
Das ist kein Zeugnis objektiver Wahrnehmung, sondern ein subjektives Zustandsbild. Lenin verwandelt hier Schweigen durch vier grimmige Adjektive in aggressives Schreien. Er sichert sich am Schluss des Briefes sozial mehrfach ab, mit einem Aufruf, mit einer Auftragsbestätigung und mit dem Bekenntnis zu einer kollektiven Inkreissubjektivität:
"Es lebe die beginnende proletarische Revolution in Europa!
Im Auftrag der abreisenden Genossen, der Mitglieder der (durch das Zentralkomitee vereinigten) Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands, die diesen Brief in einer Versammlung am 8. April (n. St.) 1917 billigten.
gez. N. Lenin".
So ist es einsehbar, dass der einzelne Mensch in einem Zweckverbund lebt, in welchem er ständig nach dem Konsens, der Zustimmung sucht, um sich darin ein Eigenprofil zu geben, das den Bedingungen des PARS INTER PARES nicht widerspricht. Das Subjekt hat also seine eigene Geschichte, die vom übergeordneten vitalen Verband abgesegnet werden muss, um nicht aus dem Rahmen in das Abseits zu fallen, wo ein Einsamer leicht zum Objekt aller negativen Affekte wird.

Hierin liegt ebenfalls der funktionale Grund zum Phänomen der zweckbestimmten Konfabulation, mit der sich ein Individuum umgibt, um der Existenznische gerecht zu werden, die ihm seine Sozietät zugewiesen oder gewährt hat. Es ist nicht so, dass solche Zweckkonfabulationen unwahre Geschichten wären, sondern sie sind den Erwartungen des Umfeldes angemessen, also wahr, und sogar realistisch in Bezug auf ihre Funktion; sie sind jedoch nicht tatsächlich im moralisch wertfreiem Sinne.
Moralisch ist ebenfalls eine Vokabel die ihre Definition verlangt, um nicht Fehlinterpretationen zu verfallen. Moral kommt von lateinisch MORES und bedeutet die Sittlichkeit, also Ethik (zu = èthos = Sitte, Brauch).
Daher die Notwendigkeit, sich angemessen zu geben und eine angemessene Vorgeschichte zu bieten, um sich der Gemeinschaft, der es genehm zu sein gilt, würdig zu zeigen. Daher wiederum die Suche nach Heimat, so eine solche am gegenwärtigen Existenzort nicht empfunden wird. Emigration, das heisst die Abwanderung, ist ein Lösungsversuch des Problems der (anders nicht zu bewerkstelligenden) Selbstbestätigung. In den neuen Inkreis werden Geschichten der Selbstkennzeichnung eingebracht, die charakteristisch für die Art der alten Probleme sind. Zweckkonfabulationen sind gewissermassen erdichtete Wahrheiten, die entweder Minderwertigkeiten kompensieren sollen oder Anmassungen auf einen Machtanspruch zu rechtfertigen haben. Alte Monarchien leiteten ihren Anspruch von der Gottgegebenheit ihres Adels ab und ehrsüchtige Protze berufen sich auf den geheimnisvollen, grossen, fremden Fürsten, der ihr angeblicher Ahne gewesen sein soll. Es gibt die nicht mehr so aktuelle Anekdote des Dackels, der aus dem Osten kam und der westlichen Dogge verkündete, dass er in seiner Heimat ein Bernardiner gewesen sei. In lapidarer Kürze antwortet auf diese Kompensationsfabel der Spruch: "Auf gewesen gibt der Jude nichts". So hat jeder eine Geschichte, die der Umwelt genau das offenbart, was sie verschleiern sollte. Die Transaktionsanalyse Berne Eric, Spiele der Erwachsenen, Psychologie der menschlichen Beziehungen, Rowohlt Sachbuch, Hamburg 1967 bietet ein Schema von drei Instanzen an, in das sich der Vorgang einordnen lässt. Sie stellt beflissenes kindliches Gefälligsein als Betreuungsbedürftigkeit und somit als Unselbständigkeit dar, das gegenteilige, autokratische Machtprotzen aber als Elternverhalten, das Anspruch darauf erhebt, Abhängige betreuen und beherrschen zu müssen. Darüber steht das unabhängige, selbstverantwortliche Erwachsenenwesen, das pragmatisch in sich selbst beruht. Es bleibt jeder Person überlassen zu bekennen, wie schwer es ihr fällt, diese letztere Lebensart der Selbstgenügsamkeit zu pflegen.
Es ist nur natürlich, dass der Mensch durch sein "Verlangen" aktiv wird, einem Verlangen nach Bedeutung, Besitz und Position im sozialen Beziehungsreigen. Dabei herrscht zwischen einem Subjekt und gleichartigem Objekt eine Wechselwirkung, wobei (beispielsweise in der Paarungsdynamik) ein Objekt der Begierde gewöhnlich zum begierigen Subjekt mutiert.

Wir teilen die Ansicht von Noam Chomsky Chomsky Noam, Aspects of the Theory of Syntax, Cambridge 1965 , dass Psychologie, Linguistik und Philosphie nicht als getrennte Wissenschaften verstanden werden können.
Sozialpsychologie kommt nicht ohne Sprachforschung aus, denn diese kann Auskunft über die Entwicklung des Sozialbeziehungsspiels geben Hutterer Claus Jürgen, Die germanischen Sprachen, ihre Geschichte in Grundzügen, Drei Lilien Verlag, Wiesbaden (3) 1990 . Es geht dabei um die Erschliessung vergessener und somit verborgener Quellen der instinktiven Beweggründe unseres Handelns. Jede Sozietät hat ihre eigene Sprachkultur. Der Zerfall einer solchen zeugt von der Auflösung der spezifischen Sittlichkeit, die Inhalt und Sinn der Kultur war. Von Zeit zu Zeit fallen akute Sprachverschiebungen auf. Teils sind solche spontan, teils durch absolutistische Herrschaftskonditionen andiktiert, was wir heute, beispielsweise mit der Sexualisierung des Deutschen und der political correctness erleben. Für die spontanen Änderungen, euphonisch Entwicklungen genannt, dürften sehr wahrscheinlich doch der Grund darin bestehen, dass die Menschen, bevor sie die Feinheiten einer angestammten Sprache durchgehend beherrschen, sich mit Improvisationen behelfen, und Lautgebilde benützen, die ihnen in erregenden Momenten aus anderen Sprachen imponieren. Und dies passiert eher in Zeiten des Wohlergehens, als in solchen heftiger Auseinandersetzungen, während der die Selbstbehauptung gefordert ist. In solchen kämpferischen Phasen kann es sogar zur Wiederbelebung längere Zeit vernachlässigter Sprachen kommen. Ein Beispiel dafür liefert das Hebräische als Iwrith, das eine Reaktivierung erfuhr, die vielen eine Wiederauferstehung aus historischen Grüften scheint; aber tot war diese Sprache nie, sondern profan nur vernachlässigt, jedoch als Kultursprache einer Volks- und Glaubensgemeinschaft als deren Identitätsbeweis durch Jahrtausende erhalten geblieben.

Spracherwerb und Sprachbegabung sind Gebiete einer eigenen Wissenschaftsdisziplin und nicht unser Thema; aber wir müssen uns auf Teile ihrer Erkenntnisse beziehen, um Klarheit in Sachfragen zu schaffen, die uns hier beschäftigen. Wir sind in unserem Interessenbereich von den Phasen der kindlichen Sprachfähigkeitsentwicklung angezogen, besonders von der nachsyntaktischen, die etwa im fünften Lebensjahr ansteht. Schon kurz vorher beginnen Eltern darauf aufmerksam zu werden, wie ihre Kinder fabulieren, das heisst Geschichten erzählen, die erfunden scheinen. Das sind Merkmale der semantischen Sprachentwicklung. Die Kinder verfügen schon über einen beachtlichen Wortschatz, aber es fallen eben syntagmatische und asemantische Assoziationen, wie auch ungrammatische Satzbildungen auf, welche auf die Unvollständigkeit der kindlichen Wortbedeutungen schliessen lassen. Es gibt dabei auch Zeugnisse von ausgeprägtem Erfindungsreichtum, von schöpferischer Wahrnehmungsverarbeitung, den sittenstrenge, unvorbereitete Eltern für Lügen halten.
Die wissenschaftliche Erforschung der Sprachfähigkeitsentwicklung belässt es bei der Feststellung des Verlaufs. Sie sieht in den einzelnen Stadien keinen Ansatz, um Vorläufer von Verhaltensmustern mit besonderer Zweckbestimmung zu vermuten. Doch unseres Dafürhaltens könnte es sich auch um eine erste, noch anwendungslose Äusserung eines Sozialisierungsmechanismus handeln, der erst später, mit der Adoleszens aktuell wird. Dann begegnen wir der so nennbaren Eingliederungskonfabulation. Die jungen Menschen treibt es, dem elterlichen MANICIPIUM zu entwachsen. Es setzt die Tendenz zum Wunsch einer Ausgliederung und Neugründung von generationengerechten Beziehungskreisen ein. Das ist das Alter der Anfälligkeit für Geheimkulte, Sektenverführung, der geschlechtergetrennten Bünde und der zwischengeschlechtlichen Neuorientierung Knaak Lothar, Psychologische Antriebe zur Gründung von Gruppenehen und Grossfamilien, in: Kommune und Grossfamilie, Institut für Ehe- und Familienwissenschaft, Zürich 1972 . Das gehört zur Dynamik der psychosozialen Inkreisgliederung. Es handelt sich also um Funktionen der subjektiven und sozialen Interaktionen und nicht um Unwahrheiten im Sinne bewusster Wirklichkeitsverfälschungen, die als Lügen bezeichnet werden müssten.

Es gibt auch hier Grenz- und Mischfälle, bei denen der Mechanismus wohl in seiner Grundform abläuft, aber sein Ausdruck teils angleichend (unbewusst), teils spekulativ (bewusst) ist. Bekannt sind die verschiedenen Grade einer solchen Ausprägung als Hochstapelei. Wie der Begriff anschaulich sagt, handelt es sich um Übersteigerungen eines Grundvorgangs, die von ihrem Umfeld abhängen, das heisst, dass sie nur in einer dafür günstigen Atmosphäre wirksam sein können.
Wenn jemand zum Beispiel als Militärarzt, der er nicht ist, glaubhaft sein möchte, braucht es dafür das Militär als Voraussetzung und die Medizin als Tätigkeitsfeld. Die militärischen Rituale schützen vor ziviler Skepsis, und die Tätigkeit als Arzt sichert mit dem Ausnahmestatus vor der Unbotsmässigkeit des misstrauischen gemeinen Mannes. Erfolgreiche Militärarzthochstapelei hat es wiederholt gegeben.
Im zivilen Bereich ist das Spielfeld weniger durch feste Regeln eingegrenzt, also unsicherer. Hochstapelei ist von seinem Umfeld abhängig und somit ein Produkt seines Umfelds. Das belegt jeder bekannte Fall. Es gibt aber eine hohe Dunkelziffer, die genau im Balancefeld zwischen zweckkonfabulieren und hochstapeln liegt. Hierfür liefert die Politik fruchtbare Voraussetzungen. Auch hier gilt das Gesetz der Angemessenheit. Übertreibungen führen zum Sturz, oder erheben in die Spitzenposition eines (fast) allmächtigen Duce. Dann erschüttert dessen Sturz eine Epoche, falls er seine ducale Tätigkeit übertrieben hatte.
Meist fallen Hochstapeleien im Bereich von Vermögensdelikten auf. Auch hier gilt, dass sie nur in einem entsprechenden Umfeld gedeihen. Ein Schulbeispiel der Interdipendenz der Positionen aller Beteiligten, legte uns Peter Kamber mit seiner Beschreibung des schwedischen Hochstaplers Torkel Tage Thiel Kamber Peter, Geschichten zweier Leben, Ergänzendes Kapitel zur Neuauflage, Limmat Verlag, Zürich 2000 vor, als einem Gewächs, das ohne Sumpf keinen Nährboden gehabt hätte, ob es sich nun in Schweden oder im Schweizerischen Tessin niederliess. Sumpfgewächse kennen keinen Respekt vor Grenzen, sondern benützen sie, um die eigene Identität zu verwischen. Sie gedeihen ausserhalb der Regeln des Heimischen und dringen in Intimbereiche ein, um dort zu schmarotzen und zu zerstören, was sie selbst nicht empfinden können, denn ihre dissoziale Persönlichkeitsstörung ist eine psychische Krankheit. Dazu gehört das Phänomen, dass solche Soziopathen sich insistierend für Sozialreformer ausgeben, und darin gar einen missionarischen Impetus entwickeln können.
Peter Kamber bekennt indes als Biograph von Wladimir Rosenbaum und Aline Valangin, mit der Darstellung des Lebenslaufs dieser zwei Sympathieträger, die eigene Weltanschauung, die etwa als anarcho-sozialistisch verstanden werden kann. Juristische Wahrheitsfindung ist es nicht, sondern die Offenbarung einer Überzeugung in stellvertretend personifizierter Darstellungsweise.

Die subjektive Befindlichkeit ist ein von den Wechselwirkungen im soziologischen Inkreis abhängiger Status. Würde die psychologische Forschung sich dieser Tatsache verschliessen, fehlte ihr der Bezugsrahmen des existenziellen Ursprungs der Subjektivität. Psychologie ohne Beziehungsumfeld ist nicht einmal denkbar, obwohl segmentarische Einsichten in Teilgebiete durchaus möglich sind. Wir können uns ja auch an einem Moment Sonnenschein erfreuen, ohne gleich die gesamte Meterologie studieren zu müssen.

Sitten sind wandelbar und Brauchtum unterscheidet die Sozietäten voneinander. Es ist deshalb anzunehmen, dass soziale Einheiten, um in ihrer Umwelt bestehen zu können, zu ähnlichen Zweckkonfabulationen bezüglich ihrer Identität neigen, wie die Individuen im Inkreis ihres engeren sozialen Bezugssystems. Davon zeugen Sagen und Legenden der Völker, und neuerdings gar sogenannte kritische Prüfungen der Vergangenheit.
Märchenhafte Erzählungen und Sagen erfreuen und stimulieren uns, weil wir uns dessen inne werden, dass sie Stimmungen darstellen und übertragen. Das ist sozusagen ein vorbewusster Prozess. Märchen bedienen sich symbolischer Zustände, und nicht der Übermittlung von technischen Tatsachen. Wir werden dennoch nicht meinen, es handle sich um Unwahrheiten, sondern annehmen, dass es Wahrheiten des Gemüts sind, für die es auch andere Ausdrucksmittel, zum Beispiel die der Kunst in Bild und Ton gibt. Es handelt sich ebenso um verbale Bild- und Tonvermittlungen von Gefühlswahrheiten. Dennoch ereignet sich die Übertragung in einem Bereich der träumerischen Unwirklichkeit, und dahin gehört auch die Zweckkonfabulation, die der subjektiven Angleichung an die Sozialisierungsponderablen dient, die zum Inkreis zielt, dem die Person zugehören möchte. Das gilt sowohl für die subjektive Befindlichkeit von Individuen als auch für grössere Identitätseinheiten. Dabei haben wir impulsiv keine Schwierigkeiten Empfindenswahrheiten von Unwahrheiten (Lügen) zu unterscheiden. Das wird erst schwierig beim Versuch, die gegensätzlichen Positionen zu definieren, also erst dann, wenn wir uns den Mechanismus des Geschehens ins Bewusstsein rufen; und der zeichnet auch die Trennlinie zwischen Lüge und Fabel. Diese Märchenwahrheit unterscheidet sich von der Lüge durch ihre unbewusste Anspruchsbefriedigung von der bewussten Verfälschung von Tatsachen. Fabeln dienen der Eingliederung in eine Inkreisidentität, Lügen sind indessen verbale Aggressionen auf Treu und Glauben, auf dem die soziale Einheit eines Inkreises beruht. Fabeln sichern den Zusammenhalt von Herd, Familie, Heimat, während Lügen nach der Zerstörung dieser Intimitäts-Identitätsbereiche trachten. Diese tiefenpsychologischen Phänomene verdienen unsere ganze Aufmerksamkeit, und es dürfte kaum einen psychischen Problemfall geben, bei dem wir diesem Aspekt nicht begegnen. Seine Präsenz ist allerdings oft durch dogmatische Analyseansätze verdeckt, und so wird er dann in seiner natürlichen Struktur nicht erkannt.

Geschichte wird zu Geschichten der Schuld und Unterwerfung, der Reue und Busse für etwas, was in Vorzeiten geschehen sein soll und das so dargestellt wird, wie es geschehen sein müsste, um Mitleid und Vergebung zu erheischen. In anderen Zeiten wurde die Grossmächtigkeit und der Heldenmut vergangener Geschlechter hochgehalten, um der Umwelt zu imponieren und deren eventuelle Invasionsgelüste a priori zu knicken. Wir sind auf das Phänomen der Aufarbeitung der problematischen Vergangenheit während Existenzkrisen von Stämmen, Völkern und Nationen gestossen, wenn ihnen vom überlegenen Umkreis eine solche Angleichung abgefordert wurde, falls dieser mächtig genug war, zu erpressen was ihm beliebte und zu erzwingen was ihm gefiel.
Auch in jüngster Zeit, das heisst im letzten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts, wurden uns leidige Beispiele dieser Wechselwirkung beschert. Eines davon betrifft die Schweiz. Sie sah sich gezwungen, eine sogenannte Expertenkommission Schweiz – zweiter Weltkrieg (Bergierkommission Commissione Indipendente d'Esperti; Svizzera Seconda Guerra Mondiale; Rapporto intermedio: La Svizzera e le transazioni in oro durante la Seconda Guerra Mondiale. Distributore VCFSM Berna 1998 / Bergier-Kommission. Der Schlussbericht: "Die Schweiz, der Nationalsozialismus und der zweite Weltkrieg". Pendo, Zürich 2002. ) einzusetzen, welche die Angleichung des Schweizerischen Geschichtsbildes (ihres Selbstverständisses) an die Forderungen wirtschaftlicher Machtgruppen zu besorgen hatte. Die Vorgaben widersprachen per se den Erfahrungen der betroffenen Generation, die kurzerhand in den Quarantänestatus von ausrangierten Alten versetzt wurde. Letzteres geht aus der Tatsache hervor, dass die fragliche Expertenkommission noch lebende Zeugen, die seinerzeit eine aktive Rolle in der Schweizerischen Politik gespielt hatten, grundsätzlich nicht befragte o.V. (2002): Arbeitskreis gelebte Geschichte: "Erpresste Schweiz - Eindrücke und Wertungen von Zeitzeugen." Verlag Th. Gut. Stäfa. . Die Aktivdienst-Generation der Schweizer Armee muss die Relativierung ihrer, am eigenen Leibe erfahrenen Wahrheit erleiden, indem ihr von akademischen Besserwissern ihrer Nachkommen, Spekulation mit ethischen Werten vorgeworfen wird.
Der Bergierbericht wird unter anderen auch durch die Quellenstudien von Michel Fior, vom Neuenburger Universitätsinstitut für Geschichte, der Einseitigkeit überführt (Revue "Relations Internationales" Genf, 2001). Die NZZ Nr. 117, 2001 widmete diesem Schatten des Zweiten Weltkrieges einen Bericht unter dem Titel:"Von braunem Gold, das rotes war", zu dem sie einleitend feststellte, dass "diese Zusammenhänge der provisorische Goldbericht der Bergierkommission mit Schweigen übergeht" Fior Michel, Institut der Universität Neuenburg für Geschichte; Von braunem Gold, das rotes war, Transaktionen Schweiz-UdSSR jenseits von "Bergier ", NZZ, Nr. 117, Zürich 2001 .
Der Historiker Albert PfiffnerPfiffner Albert, Unvollständige Bergier-Akten. NZZ. Nr. 144, Zürich 2001 attestiert denn auch den Bergier-Forschern, dass deren Vorgehen vielerorts weder repräsentativ noch beispielhaft war, weil deren getroffene Auswahl der Akten, teils nach bestimmten, teils nach eher zufälligen Geesichtspunkten zustande kam.

Wir können ergänzen, dass solches Vorgehen einem Vorurteil entspricht und somit einem "konstruierten Geschichtsbild" dient.
Jede Fachperson, die sich mit geschichtlichen Ereignissen wissenschaftlich befasst, müsste doch voraussetzen, dass Wahrheit an die Umstände der Zeit an den Ort des Geschehens gebunden ist. Auch die eigene Wahrheit des Forschers ist subjektiv an den Ort, an die Art und Weise und an die Zeit seiner Gegenwart gebunden. Was Historiker ihrer sozialen Gemeinschaft an Ergebnissen ihres Trachtens vorlegen, sind Spiegel ihrer subjektiven Befindlichkeit. So nennt Altprofessor für Geschichte Walter HoferHofer Walter, Reginbogen Herbert E.: "Hitler , der Westen und die Schweiz 1936-1945." Verlag NZZ, Zürich 2001. Und Schweizerzeit Nr. 9, Leitartikel, 12.4.2002 Flaach. , der sich fundiert gegen den Geist der Bergierkommission wendet, die Vereinigung Deutschösterreichs mit dem Reiche von 1938 (Heim ins Reich!) einen "sogenannten Anschluss durch Hitlerdeutschland", was weder den geschichtlichen Voraussetzungen dazu, noch der seinerzeitigen, örtlichen Stimmungslage gerecht wird. Sein Anliegen (Motiv) war es, die Bedrohungslage, in der sich die Schweiz, wegen der "Appeasementpolitik" der westlichen Demokratien und deren somit schuldhaften Versagens damals befand, deutlich nachempfindbar darzustellen. Diese Intension ist zwar schriftstellerisch wirkungsvoll, aber im Wert unwissenschaftlich. Im gegebenen Fall hätte es übrigens genügt, Adjektiv und Adverb nicht zu verwenden, um die Darstellung seriös zu halten.
Es gilt allerseits, dass jede, durch Dokumentenauswahl gerechtfertigte Zweckkonfabulation, in keinem Fall der juristischen wie geschichtlichen Wahrheitsfindung dient. Ein moralisierender Geschichtsforscher ist kein Historiker, sondern ein Moralist.

Eine peinliche Schönheit an Beispielen ist uns durch die Reihe der jeweiligen Neuausgaben der sowjetischen Enzyklopädie der Geschichtswissenschaften geliefert worden. Sie hat die Anatomie einer kontinuierlichen Aufarbeitung der laufenden Aktualisierung nach Massgabe der wechselnden Parteidoktrin. Aus den sich ändernden Perspektiven ergaben sich immerwieder neue Geschichtsbilder. Die zerfallene Union der Sozialen Sowjet-Republiken (UdSSR) war de jure zwar als Union zahlreicher Ethnien, Regionen und Unterrepubliken erklärt, de facto jedoch ein absolut zentralistisch regierter Koloss, ein Moloch, der seine Gliederungen eher verschluckte denn pflegte. Moskau war das Gehirn, und alle Funktionen der Glieder liefen folglich über Moskau. Jene sogenannten Unionsrepubliken waren durch eine vorgeschriebene Ideologie vereint und durch ihre marxistisch-leninistische political correctness zusammengezwungen. Nach dem wirtschaftlichen Kollaps, durch den die marxistische Wirtschaftsphilosophie sich als ökonomische Utopie erwies, fiel das Sowjetgebilde auseinander. Die baltischen, kaukasischen und südwestsibirischen Ethnien besannen sich auf ihre engere Identität. Die osteuropäischen Vasallenstaaten des Sowjetischen Imperiums konnten sich vom ideologischen Druck losstrampeln und suchten sich einer Macht anzunähern, die sie vor der erneuten Einverleibung in den grossen Moloch zu bewahren versprach. Gleiches gilt auch für die ehemals baltischen Sowjektrepubliken. Die Europäische Union scheint ihnen den ersehnten Schutz zu bieten. Ein nun auf Brüssel ausgerichteter Zentralismus, verspricht ihrer Wirtschaft eine neue Prosperität und eine staatliche Selbständigkeit, die sie als sowjetische Unionsrepubliken nicht hatten. Die Europäische Union verkörpert ihnen die Garantie der neuen Freiheit ihrer nationalen Wiedergeburt. Der Verlockung dieser, für sie neuen Toleranz und Grösse, können jene leidgeprüften Nationen kaum widerstehen, obwohl ihr Misstrauen ihnen auch äusserste Vorsicht gebietet In Estland macht sich EU-Skepsis breit, Mt. Tallinn , Juni 2001, NZZ Nr. 151, Zürich 2001 .

Die Schweiz gehört nicht zu den befreiten Ländern. Sie konnte nach der Helvetik (dem von Napoleon Bonaparte 1798 bis 1803 diktierten Einheitsstaat), eine Föderation ihrer Kantone aufbauen, worin die einzelnen Ethnien, durch keine übergeordnete Macht bedrängt, ihren Eigenheitsanspruch anmelden und ausleben. Die Vielgestaltigkeit der Confederatio Helvetica ist an der Vielzahl der Idiome erkennbar, die in eigenen Territorien lebendig sind. Es ist von Schweizerdeutsch die Rede, wenn es sich um die Gemeinschaft der oberallemannischen Mundarten handelt, die unter sich fast so verschieden sein können, wie vergleichsweise etwa flamisch von meklenburgisch. Ein zentralistischer Einheitsstaat entspräche selbst im deutschsprachigen Teilgebiet nicht der Schweizerischen Eigenart, und weniger noch in Beachtung der französich-, italienisch- und romanischsprachigen Kantone, Regionen und Täler, welche in ihrer Gesamtheit die Schweizerische Eidgenossenschaft bilden. Dass deren politische Sehnsüchte nicht so geartet sein können wie die der baltischen, ostmitteleuropäischen und der balkanischen Nationen, ist offensichtlich. Was für die einen Verheissung sein muss, wäre für den anderen eine Zumutung. Was für die einen ein Zugewinn an Demokratie ist, wäre für den anderen die Opferung der funktionierenden Selbstbestimmung.

Wahrheit gilt nur unter den Umständen ihrer Zeit am Orte des Geschehens. Suchen wir politische Wahrheiten, so müssen wir sie dort, unter denselben Bedingungen, zur selbigen Zeit, am ein und demselben Orte suchen, wie, wann und wo sie geschehen waren.
Aus der Geschichte lernen? Das klingt nach dem verdächtigen Vorsatz, sich der Geschichte bedienen zu wollen, um aus deren Versatzstücken sich eigene Mausoleen zusammenzustellen.
Geschichte lehrt nicht, sie prägt!
Historiker sammeln deren Produkte, ohne die Funktionen der Prägeeinrichtung zu erforschen, weil die Lehre von den Kräften und deren Wirkungen in Motivationen und Tatverläufen ein eher sozialpsychologischer Fachbereich wäre, falls sie studiert würde.
Die Krähe, die auf der Walstatt selektiv nach Augäpfeln pickt, qualifiziert sich mit ihrer Geschichtsforschung als Leichenfledderin.
Der Bundesratsbeschluss vom 19. Dezember 1996 zur Einsetzung der Historikerkommission enthielt die Formel, dass diese der "historischenWahrheitsfindung" diene; aber es war von vornherein eine zweckgerichtete Unternehmung, deren Beschränkung sich als wahrheitseinengend auswirken musste.

Was haben die (de jure schweizerischen) Junghistoriker, die sich mit der Suche nach Wahrheit in den weltpolitischen Verquickungen zu befassen hatten, welche die Kriegsjahre 1939-1945 zeichneten, der Identität des sozialen Inkreises ihrer Nation doch für einen Tort angetan, indem sie, aus ihrer Vision des 50 Jahre später geltenden Weltbildes heraus moralisierten und einseitig nach Dokumenten suchten, die ihren grimmigen, anklägerischen Gemütszustand zu rechtfertigen hatten. Mit diesem Wurf von verbalen Brandsätzen auf das eigene Heim, verabschiedeten sie sich aus der innersten sozialen Identität ihrer Herkunft. Moralisierende Historiker, die auf eine selbstgeklitterte "Wahrheit", die so kombiniert nicht in der Gesamtheit der Zeitdokumente steht, fixiert sind, treiben eher Ethizismus denn Historik. Deren Moralisieren ist zudem so wertvoll wie ein Schwimmunterricht, der von dafür entlöhnten Nichtschwimmern, aus bequemen Strandkörben heraus, bereits ertrunkenen Seeleuten über die See hinaus erteilt wird. Den lauthalsen Strandhockern selbst hilft's allemal, wenigstens pekuniär. Es sind die Kartenleger, die Tarockmagier beim Spiel mit historischen Daten, welche Tatsachen mischen, um ein gemogeltes Geschichtspuzzle darzubieten und damit Verrat an der Wahrheit verüben.
Guter Rat ist teuer (wertvoll). Etymologisch gibt die Vorsilbe ver... dem germanischen Grundwort raten(=sich etwas gedanklich zurechtlegen) die negative Bedeutung: "durch falschen Rat irreleiten", beziehungsweise "etwas zu jemandes Verderben unternehmen".
Die personelle Zusammensetzung der Bergier-Kommission müssen dieselben Bundesräte verantworten, die auch einen anschlusseuphorischen Kurs, zur letztlichen Aufhebung der nationalen Autonomie steuerten und beibehielten, der im Widerspruch zu ihrem Amtseid stand, mit dem sie sich zur "Wahrung der Unabhängigkeit" verpflichtet hatten.

Solche Beispiele weisen auf die Bedeutung der Treue im Wahrheitsspektrum. Untreue ist deren klare Verneinung. Das gemeingermanische Adjektiv treu ist verwandt mit trauen dürfen und mit Trost, wie mit dem mhd. betriuwen = betreuen, also in Treue erhalten und schützen. Etymologisch geht treu auf got. triggws = treu, zuverlässig, aengl. triewe = treu, ehrlich, engl. true = treu, wahr, richtig, echt, schwed. trygg = sicher getrost, lit. drûtas = stark und fest zurück gemäss Duden , Band 7, Die Etymologie der deutschen Sprache, Mannheim 1963 . Ungetreue Dienstausübung zeugt also auch gleich von Niedertracht. Sie ist Verrat.
Landesverrat wird mit der erfolgten Machtverlagerung gewöhnlich durch den siegreichen soziologischen Auskreis sanktioniert. Auf eben diese Bestätigung unredlich erweiterter, persönlicher Macht, zielt gewöhnlich der Landesverrat aktiver Politiker. Während und nach dem zweiten Weltkrieg hatten die besetzten Länder, im Westen wie im Osten, ihre Quislinge auf Zeit, im Dienste der Nationalsozialisten wie auch der sozialistischen Internationale. Quisling Quisling Vidkun, norw. Politiker, 1931-33 Kriegsminister, 1940 Ministerpräsident, als Landesverräter am 24.10.1945 in Oslo erschossen. wurde zu ihrem Synonym. Der Norweger war, als Mitarbeiter von Fridjof Nansen von 1922-1926, durchaus ein geachteter Politiker. Er war 1931-1933 Kriegsminister, und gründete dann die "Nasjonal Samlig". Sein Vaterlandsverrat geschah nicht, indem er einer bestimmten Ideologie anhing, sondern durch die Dienstbeflissenheit im Auftrag fremder Gesinnungsgenossen, als er 1940 deren Willen als Ministerpräsident Norwegens von Hitlers Gnaden vollstreckte.

Weltweit haben wir auch noch das Problem mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker. Nirgendwo entsprechen die Staatsgrenzen den Siedlungsgebieten ethnischer (völkischer) Einheiten. Beispielsweise die Albaner, obwohl sie in einer zusammenhängenden geographischen Region leben, sind gegenwärtig auf fünf verschiedene Staaten und autonome Teilstaatsgebilde verteilt. Sie haben kein gemeinsames Selbstbestimmungsrecht, welches die Vereinten Nationen UNO angeblich als Menschenrecht garantieren. Vom Staatskoloss, mit den demographischen wie geographischen Ausmassen eines Kontinents China, mit seinen vielen Ethnien, für welche es kein Selbstbestimmungsrecht gibt, kann Machtverzicht nicht erwartet werden, weil er als militärische Grossmacht Vetorecht hat, das in der UNO nur traditionell militärischen Grossmächten vorbehalten ist. Von Selbstbestimmung für Afrika, wo die Staatsgrenzen gemäss der Aufsplitterung ihrer kolonialen Vergangenheit, aber nicht nach dem Siedlungsgebiet seiner Völker verlaufen, kann keine Rede sein. Das Gegenteil ist der Fall. Die Weltvölkergemeinschaft diktiert die Grenzen und sorgt damit für perennen Konfliktstoff und Bürgerkriege zwischen den verschiedenen Ethnien eines Landes. Die Weltorganisaion UNO garantiert die ethnische Durchmischung, wie konfliktträchtig diese auch immer sei, aber nicht die ethnische Unteilbarkeit. Wegen der geltenden political correctness müssen wir sogar Regionen, wie Palästina und Israel, von einer näheren Betrachtung ausnehmen, um weder die eine noch die andere Seite, mit ihren jeweiligen Protektoren, bei ihrem Tun zu behaften, und die Uno, ihrer Inkonsequenz wegen, zu rügen. Das ist eine Probe des Tatbestandes der Wahrheitsfeigheit, will heissen Angst vor der Ächtung zu haben, die jede Person trifft, welche unter Missachtung des obrigkeitlichen Meinungsdiktats, die Dinge bei ihrem rechten Namen nennt. Für selbstbewusste Identitäten wäre es angesichts solcher Realität mindestens dümmlicher Leichtsinn, eine historisch gewachsene und abgesicherte Selbstbestimmung innerhalb eines funktionierenden Staatsverbandes, zu Gunsten des neoromantischen Konstrukts eines europäischen Zentralismus aufzugeben, dessen Orchester oekonomische Schalmeien bläst, die beileibe noch längst nicht aufeinander abgestimmt sind. Es schlägt ohne Takt der pumpende Rhythmus, und die Völkerharmonie bleibt ein Ziel kommender Generationen.

Sprachgeschichtlich führt das indogermanische uer (Gunst und Freundlichkeit erweisen) auch in die Richtung des althochdeutschen alawari (freundlich, wohlwollend), was gleichbedeutend dem altisländischen olvaerr (freundlich, gastlich) ist, und dem gotischen allawerei (schlichte Güte, arglos), entspricht, wie das mittelhochdeutsche alwaere (schlicht, einfälltig, dümmlich), von dem es den noch heute lebendigen Ausdruck auf bärndütsch allwäg (phonetisch etwa äuä) gibt. Das sind die etymologischen Wurzeln des, seit dem siebzehnten Jahrhundert, gebräuchlichen Adjektivs albern (sich kindisch oder närrrisch benehmen).
Denken wir an einige Albernheiten der hohen Politik, stimmt der geschichtliche Inhalt des Begriffes, eben die schlichte, gütige Einfältigkeit, eher versöhnlich, aber dies nur bei eigenem schlicht gütigem Gemütszustand. Andernfalls müssen wir darauf bestehen, dass Politik ernsthaft betrieben werde, und schlichte Güte darin reine Dümmlichkeit wäre. Eine solche wird von jeder pragmatischen politischen Gegenpartei voll zum Nachteil des Dummen ausgenützt. Darin haben in den letzten zwei Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts die helvetischen Politreformer Furore gemacht. Die Schweizerische Aussenpolitik wurde seinerzeit von Bundesrat Flavio Cotti Cotti Flavio, Vorsteher des politischen Departements (Aussenminister) bis 1999 bestimmt. Nicht nur, dass die flachbrüstige Diplomatie sich darauf kaprizierte zu winseln, anstatt selbstbewusst aufzutreten, sich gar von den Ränkespielen eines amerikanischen Senators erpressen liess, nicht nur, dass sie sich von einem Getränkegiganten mit fragwürdigen biographischen Glanzdaten, als Privatperson aber Präsident eines Weltkongresses, den Krieg erklären liess und sich darauf mit Konzessionen einliess (sich freikaufte), diese "schlichte Güte" der Schweizer Staatsrepräsentanten führte endlich gar zur Auflösung des neutralen Dispositivs der Landesverteidigung. Es wurde eine (trotz Beteuerung doch nicht unbewaffnete) militärische Einheit einem Kontingent einer anderen Nation angegliedert, welches wiederum als Untereinheit der Truppe einer anderen Nachbarnation unterstellt war, um als "Swisscoy" militärische Hilfe im Kosovo zu leisten, für eher zivile Dienste, die für nicht militärische Körperschaften durchaus eine sinnvolle und angemessene Aufgabe wären. Schon die Namensgebung war sichtlich albern. Es wäre zu vermuten, dass der Name auf ein Gedicht von Hans Joachim Ringelnatz Ringelnatz Hans Joachim, Gedichte, Ringkampf, Karl H. Henssel Verlag, Berlin 1955 beruht, der da sang: "Kannst du dich über ihn werfen, just wie im Koy, dann tu's!" (Koy steht für Koitus); aber so liegen die Dinge nicht. Die Sache hat vielmehr Methode einer anderen Richtung. Es sollte eine Angleichung an den anglizistischen Sprachgebrauch der vereinten europäischen Streitkräfte sein. Hatten die Schweizer sich in naziheroischer Zeit erfolgreich vor der Provinzialisierung und dem Anschluss an ein grossdeutsches Reich und dessen damalige "Neue Weltordnung" gewehrt und sich die Unabhängigkeit bewahren können, sollte nun eine freiwillige Angliederung an eine neuerliche Neue Weltordnung erfolgen und dazu gehört, als entscheidender Schritt, die "Internationalisierung der Streitkräfte." Zuständig für dieses Ressort war seinerzeit Bundesrat Adolf Ogi Ogi Adolf, Vorsteher des Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport bis 2000 , und Freude herrscht darüber keineswegs.

Der Balkan ist das Feld der Tat des hochgemuten Bundesrat. Der Balkan – er ist schon geschichtlich bekannt und berüchtigt als gewaltiger Strudel und Sog. Wie und wo der erste Weltkrieg begann, erzählen uns noch unsere Väter. Wo islamischer, christlich-orthodoxer und römisch-katholischer Glaube sich in den Haaren liegen, dem Sammel- und Staubecken der Völkerwanderungen, dem das grossmächtige Osmanien einst seinen Stempel aufdrückte, dem byzantinischen Glacis, in diesem Brückenkopf des Islam, wo kulturstarke, autonome Ethnien in der Diaspora ständig um ihre Identität kämpfen, da sollen Schweizer Soldaten die sozialistische Moral ihrer eigenen Regierung verteidigen? Sie will halt "grosse Politik" spielen, wirft Neusöldner ins Feld wie Bleisoldaten in den Sandkasten und benimmt sich etwa so, wie Goethe es 1774 zum Auftakt des Osterspaziergangs Goethe Johann Wolfgang v., Faust, Erster Teil, Vor dem Tor, V 860, Jena 1832 , als Verhalten eines politischen Kannegiessers beschrieb:

"Nichts Bessres weiss ich mir an Sonn- und Feiertagen,
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
Wenn hinten, weit, in der Türkei,
Die Völker aufeinander schlagen."

Zudem waren "militärische Friedensmissionen" schon eine "Breschnew-Doktrin" Breschnew Leonid, sowjet. Politiker, ab 1964 Erster Sekretär des Zentralkomitees der KPdSU. Setzte mit Waffengewalt die Sowjet-Hegemonie in den Satelliltenstaaten durch. , wie sich die erste Nachkriegsgeneration in Berlin, Budapest und Prag noch erinnern wird. Es ist unsinnig mit Scharfschützen und Panzern Dinge besorgen zu lassen, die rein zivile Angelegenheiten bleiben sollten. Es wären Zivildienste dafür einzusetzen, nachdem sie aus zivilen Berufen rekrutiert und dafür spezialisiert würden. Zivile Ordnungsdienste sind nicht militärische, sondern Polizeiaufgaben.
Sie wollen halt dabei sein, unsere Schauplatz lüsternen Magistraten. Sie wollen, so sagen sie, den Frieden zu Bern sichern, indem sie sich in die Händel der Südslawen mischen, will heissen, sich durch Reisläufer vertreten lassen. Nein, das ist nicht mehr eine verträgliche Albernheit, das ist sehr ernst. Der Schwanengesang einer abgeschminkten Helvetia ist damit angestimmt.
Die Folgen sind messbar. Im März 2001 hat der zuständige Bundesrat Schmid Samuel, Bundesrat, Vorsteher des Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport, Referat: Führung in Staat, Wirtschaft und Armee, vor dem Redressement national, vom 24.03.2001, Bern 2001 in einem Referat feststellen müssen, dass die Armee 95 nicht mehr funktioniere, weil es an Subalternoffizieren und Unteroffizieren fehle. Er meinte, der schwindenden Attraktivität der militärischen Karriere mit verstärkter Internationalisierung der Ausbildung der Streitkräfte begegnen zu können.
Die militärische Bereitschaft zur Selbstverteidigung der Neutralität, weicht demnach der Doktrin des Mitmachens auf Seiten des Stärkeren. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker wird unverhohlen als das Recht vereinter Mächte, über die Völker zu herrschen, verstanden. Das ist zwar so realistisch wie defaitistisch, und bringt die Frage mit sich, ob eine Militärdoktrin überhaupt noch sinnvoll sei, wenn es kein nationales Eigeninterresse mehr zu verteidigen gibt. Berufsmilitär zum Selbstzweck? Das müsste die Bürger das Fürchten lehren.
Gleichentags sprach ein anderer Bundesrat Couchepin Pascal, Bundesrat, Vorsteher des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement, Referat: Sind Staaten noch souverän? vor der Société des Officiers du Valais Romand, vom 24.03.2001, Martinach 2001 über das Thema, ob Staaten noch souverän seien und empfahl, vermehrt in Interessenkategorien zu denken, als von nicht existenter Unabhängigkeit zu träumen. Auch das bezeugte den heutzutage blühenden defaitistischen Realismus der Schweizerischen Staatsführung. Beiden Referaten fehlte die Bezugnahme auf die Strukturen der mentalen Wirklichkeit, die den Interaktionen zwischen den soziologischen In- wie Auskreisen zugrundeliegen. Politiker sollten diese sozialpsychologischen Grundlagen kennen, um ihre Weltanschauungen sachlich begründen zu können.

Diese Beispiele führten uns in das Labyrinth versteckter Wahrheiten. Aus einer kodierten Sprachregelung ist erst herauszufiltern, was sie meint. Das ist zwar nicht unser Thema, aber wir müssen es anschneiden, weil wir nolens volens damit konfrontiert sind. Dem Kontakt mit Lug und Trug, Hinterhalt und Irreführung, Falschheit und Heimtücke, Dialektik und Diplomatie kann niemand entgehen. Dabei gilt es auf der Hut zu sein, um nicht was recht ist für falsch und was falsch ist für recht zu nehmen. Diese negative Realwelt ist, wie gesagt, nicht Gegenstand unserer Untersuchung, obwoh sie die Arena des Kontrastprogramms zur Wahrheit darstellt. Da wimmelt es von Autoren und Darstellern jeder sozialen Schicht wie jeden Bildungsniveaus und jeden Gemüts. Literarische wie wissenschaftliche Zirkel treten dort ebenso auf, wie Laientheatergruppen mit ihren Schwänken und Schelmenstreichen, die sich an Verrat und Untreue belustigen. Der Schaden anderer amüsiert, der eigene schmerzt, Schadenfreude ist nur dann die reinste Freude, wenn der Schaden wirklich nur andere trifft. Es ist die Welt der Sophismen, die Welt der Spiegelfechtereien. Auf einer unregelmässigen Spur müssen wir vom Ausflug in moralsumpfiges Gelände wieder zur Wahrheit zurück finden.
Da gibt es das Beispiel der politischen Hinterlist. Sie brilliert durch ihren Facettenreichtum. Besonders imponieren darin die sogenannten "diplomatischen" Schachzüge, bei denen sorglos vertrauensselige Bürger nicht merken, wie ihre Rechte unterlaufen werden. Raffinierte Gaunereien demokratisch installierter Falschspieler finden legitim im Einklang mit deren Volksmandat statt. Um entdecken zu können, dass es auch indirekte Nötigungsmöglichkeiten gibt, setzt voraus, mit solchen Spielzügen selbst vertraut zu sein, sei es durch erfahrene Niederlagen, sei es durch schöpferische Ideen als Mitspieler im selben Poker.

Es gibt Methoden, mit denen demokratische Zuständigkeiten hintergangen werden. Zum Beispiel findet durch möglichst globale Staatsverträge eine Kompetenzverlagerung aus dem soziologischen Inkreis (nationale Parlamente) in den Auskreis (internationale Gremien) für, nach aussen gerichtete, interne Interessenbereiche statt.
Klaus Dieter Wolf Wolf Klaus Dieter, Die neue Staatsräson, zwischenstaatliche Kooperation als Demokratieproblem in der Weltgesellschaft, Nomos-Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2000 von der technischen Universität Darmstadt, hat eine Studie veröffentlicht, die zwar anders ausgerichtet ist als die unsere, die aber folgerichtig aufgearbeitetes Material liefert, das sich hier einbringen lässt. Die Studie befasst sich mit der "international governance". Sie untersucht, wie die Zuständigkeit der Legislative durch globale Konventionen geschmälert, der relative Freiraum der Exekutive aber insofern erweitert wird, wie er nicht mehr durch die Legislative kontrolliert werden darf.

Das Vertragsrecht verlangt Vertragstreue zu den vertraglich gebundenen Partnern, und diese Treue steht über den internen gesetzgeberischen Rechten. Die machtausübenden Staatsinstitutionen haben damit eine Referenzbasis, die ausserhalb ihrer Nationen liegt. Dies ergibt einen Spielraum für absolute Regierungsformen, was mit "Entmachtung der parlamentarischen Volksvertretung" überschrieben werden kann. Solche internationalen Verträge kumulieren mehr und mehr. Beispiele sind die global konzipierten Übereinkünfte, von denen sich nur autoritär regierte Staaten oder unabhängige Mächte fernhalten können. Die Menschenrechtskonvention, die Antirassismuskonvention, die Kinderrechtskonvention, die Klimakonvention, sind durchwegs gut, bisweilen gar romantisch klingende Vorgaben von hohem ethischen Wert, was nichts daran ändert, dass sie von gesetzgeberischer Natur sind und damit die Meinungsfreiheit aufheben, indem sie bestimmte Meinungen verbindlich machen. Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention garantiert zwar das Recht auf freie Meinungsäusserung, die der parteiisch ausgerichtete Rassismusartikel dahingegen aber strafrechtlich beschneidet. Grossenteils handelt es sich jedoch um "humane" Einfälle, die sich nicht durchsetzen lassen. Kriege können verboten werden, aber dennoch stattfinden. Kinderarbeit kann verboten werden, aber damit wird auch verboten, was der Stolz der Kinder sein könnte, wenn die Lebensverhältnisse danach sind. Solche Konventionen können auch nur verbindlich sein und Nachachtung finden, wenn ein gewisser ziviler Lebensstandart besteht und eine funktionierende Rechtstreue innerhalb und ausserhalb des Staatsgebietes herrscht, wo sie gelten sollen; aber selbst mit diesen Voraussetzungen bleibt das demokratische Fundament eine fragile Inkreisübereinkunft. Meinungen vorschreiben ist wie Gedanken diktieren; es funktioniert umso besser, je einfältiger, gutgläubiger und friedfertiger die menschliche Herde ist, oder auch überhaupt nicht.

In den so nennbaren "Delegations-Demokratien", die lediglich die Volkswahl der periodisch zu bestätigenden oder neu zu besetzenden Parlamentssitze kennen, wirkt sich die Entmachtung des Parlaments nur indirekt auf die Bürger aus. Über alle lokalen Bedingungen hinweg wird für nationale Belange eine internationale Gerichtsbarkeit installiert. Durch verschobene Zuständigkeiten entsteht eine gewisse Rechtsunsicherheit. Wessen Mass soll gelten? Amerikanische Gepflogenheiten greifen auf Europa über. Beispielsweise werden durch eigene Triebhaftigkeit verschuldete Selbstschädigungen dem Hersteller des missbrauchten Genussmittels angelastet, der dann zu Genugtuungsleistungen von schwindelerregenden Ausmassen an den Tunichtgut verurteilt wird. Das sind amerikanische Rechtsgrundsätze, die mit phantastischen Zahlen jonglieren, welche in Europa eher als Unrecht denn als Gerechtigkeit empfunden werden. Alles wird grenzenlos, uferlos und weit. Der Zug ins Grenzenlose ist ein Aspekt der Sehnsucht, und hat schon immer das menschliche Streben erfasst, besonders wenn es darum ging, Weltreiche zu gründen, eine allgültige Macht über alles zu setzen, Gleichheit zu fordern und Denken wie Fühlen zu konformieren. Mit der Globalisierung kleingemeinschaftlicher Belange, ist die Untergrundorganisation von neuen Subkulturen nach alten Mustern, wie beispielsweise lokale Rebellionen, maffiose Bruderschaften, Bandenbildung als Staatsersatz (siehe Tschetschenien) jedoch vorprogrammiert, denn die Anlage zur Inkreis-Auskreis-Gliederung in Kreisen verschiedener Bindungsdichte kollektiver Subjektivität ist naturgegeben und lässt sich nicht wegbefehlen.

Für die Schweiz, als deren Ursprung und Raison d'être noch immer gilt, keine fremden Richter über sich zu dulden, sind das schwerwiegende, existenzgefährdende Entwicklungen. Allerdings hat ein Staatswesen (eine Nation) nur so lange Gestalt, wie seine Glieder sich mit ihm identifizieren. Mit anderen Worten: Die Schweiz besteht nur durch das Bekenntnis zum Schweizertum, so wie jedes andere Volk auch in seiner jeweiligen Eigenart. Durch das Referendums- und Initiativrecht des Souveräns (der Stimmbürger), die eine Kontrolle der Regierungsgeschäfte ermöglichen, ist die Demokratieentmündigung seiner Bürger durch den Internationalismus direkt sichtbar und wirksam. Die Taktik, durch internationale Verträge das Volk hinters Licht zu führen, ist weder redlich noch ehrlich, und somit auch nicht wahrhaftig. Wegen ihrer traditonell weitgehenden Volksrechte bietet die Schweiz auch besonders auffällige Beispiele, wie durch Taktik der Exekutive das Legislativrecht des Volkes unterlaufen wird Eberhart Hans und Stahel Albert A., Schweizerische Militärpolitik der Zukunft, Sicherheitsgewinn durch stärkeres internationales Engagement, NZZ-Verlag, Zürich 2001 ; aber kaum jemand nannte dies bisher Betrug. DieVolksmeinung könnte sich jedoch betonter bei den Wahlen zeigen, was aber nur bedingt der Fall ist, denn Parteizugehörigkeit ist im Lande der Eidgenossen (wie vielleicht auch anderswo) Familientradition, und man wählt die vertrauten Leute auch dann, wenn man mit ihrer aktuellen Politik nicht einverstanden ist. Dennoch meint man so etwas wie eine nationale Rückbesinnung zu spüren, die auf den, gar öffentlich erklärten, Internationalismus zur Untergrabung der Volksrechte antwortet.

Wenn auch das heutige Adjektiv albern auf dasselbe indogermanische Stammwort uer zurückgeführt werden kann wie wahr, so heisst das natürlich nicht, dass diese beiden neuzeitlichen Wörter miteinander identisch sind; doch gibt es zwischen ihnen die Brücke wohlgesinnt, arglos und einfältig. Das liesse die Meinung zu, dass dem Prädikat wahr nur mit situationsbedingten Vorbehalten vertraut werden sollte. Dieser Vorbehalt, der im Bärnbiet mit dem noch heute lebendigen allwäg ausgedrückt wird, gehört zur Wertung einer Wahrheit, ob diese einer einvernehmlichen Prüfung standhält oder ob sie eine einseitige ist, eine erklärte, deren Gültigkeit noch zu überprüfen wäre. Ungeprüft und widerspruchslos glauben was mitgeteilt wird, ist arglos. Arglosigkeit liegt nahe bei dümmlich, und wir haben es gar nicht gern, wenn man von uns die Tugend der Einfältigkeit erwartet.
Wir setzen aber gerne voraus, dass jemand in guten Treuen an seine eigene Wahrheit glaubt, auch wenn diese im Widerstreit mit der Wirklichkeit liegt. Politisch hat das sein Gewicht. Wenn uns weis gemacht wird, dass unsere Unabhängigkeit mit der Einschränkung unserer Entscheidungsfreiheit steige, dann ist das für uns eine Zumutung, an die der Verkünder solcher Wahrheit wohl selbst glauben mag; andernfalls wäre er ein politischer Rosstäuscher, falls er geschworen hätte, diese Unabhängigkeit zu wahren und zu schützen. Wir sind uns dessen bewusst, dass das böse Wort vom Landesverrat in den Ohren von etlichen "Kulturschaffenden" gar nicht bös klingt, da ja Begriffe wie Heimat und Vaterland ihnen als Provokationen gelten, und sie sich damit im Einklang mit der political correctness dieser Zeit befinden. Sie frönen dem strammen Konformismus ihresgleichen, sich dennoch für Nonkonformisten haltend.

Das Adjektiv wahr kommt endlich dem Umstand zu, dem man vertrauen könnte aber nicht müsste, falls nicht alle Aspekte desselben diese Zuschreibung verdienten. Damit wäre das Urteil unwahr noch nicht gefällt. Unwahr ist das Gegenteil jeglicher Spielart des Wahren. Das hat mit der Bewusstheit zu tun, mit dem wissentlich Verfälschten und dem bewussten Vortäuschen nicht bestehender Fakten. Wahrheit ist das als wirklich Erkannte und Unwahrheit ist die Verneinung dessen. Das oft mit Partizipien und Adjektiven verbundene Präfix un – verneint einen Begriff und verkehrt ihn somit in sein Gegenteil. Diese Vorsilbe ist in indogermanischen Sprachen in gleicher Funktion immer lebendig geblieben und beruht auf der Wortnegation n- , ne, nei, das wir auch in nein, nicht, nie und nur gebrauchen.
Wenn also ein Magistrat selbst nicht daran glauben würde, was er uns auftischt, dann spräche er unwahr. Er würde sich damit als Heimtücker zeigen. Wir müssen darauf vertrauen, dass unsere Spitzenpolitiker uns ihre Wahrheit andienen, von der sie überzeugt sind, dass es eine solche sei, auch wenn es uns schwerfällt so albern zu sein, diese für bare Münze zu nehmen.
Sprache ist das Verständigungsmittel, mit dem wir erklären und die Beweggründe zu unserem Tun darlegen. Mimik und Gestik begleiten den sprachlichen Ausdruck, obwohl entwicklungsgeschichtlich es sicher umgekehrt war, das heisst, dass Sprache eine spätere Erwerbung der Mitteilungsmöglichkeiten ist, die Mimik und Gestik begleitete. Es könnte also sein, dass ein Wahrheitsschwadroneur durch seine dazu im Gegensatz stehende Mimik verrät, ob seiner Wahrheit zu trauen ist oder nicht.

Jede Inkreisbindung folgt der intimen Wahrheit, die mit der Raison d'être des Sozialkörpers identisch ist. Mit diesem Motiv steht und fällt die soziale Identität. Deshalb ist es notwendig genau hinzuhören, wenn wortgewaltige Exponenten einer Weltanschauung "ihre" Wahrheiten verkünden. Vorsicht ist allein schon deshalb angebracht, um der mit pathologischer Insistenz vorangetriebenen Botschaft volksbeglückender Utopisten zu entgehen. Besondere Aufmerksamkeit verlangt die suggestive Wirkung des rhythmisch ständig Wiederholten, denn "Wahrheiten" werden auch gemacht, wenn sie mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmen. Die Gefahr liegt im suggerierten Konsens über die Gültigkeit von angenommenen, scheinbar bewiesenen, geschichtlichen Daten. Wenn der "Fortschritt" gar zu fest auftritt, gilt es einzuhalten, durchzuatmen und sich auf das naheliegende Private zurückzunehmen. Vielleicht wird gerade die Wohnung eines Verstorbenen ausgeräumt, eines kultivierten, letzten Vertreters der Elterngeneration. Vom geistigen Reichtum, vom subtilen Eigenwert der Voreltern, bleibt gewöhnlich den Nachgeborenen nichts, weil er ihnen nicht zugänglich war. Mit dem Ableben sind auch die besonderen Bedingungen des Gewesenen abgelöst. So droht einem ehrenhaft Verstorbenen noch eine schmachvolle rituelle Tötung, wenn die Erben seine Hinterlassenschaft fleddern. Erst dann zeigt sich, wie fremd ihnen der Ahn immer gewesen war. Die Nachkommen sind zu oft auch Scharfrichter am Kulturerbe ihrer Wohltäter. Weiss der Himmel, wie viele Kostbarkeiten täglich durch die Müllabfuhr zermalmt werden, wie viele persönliche Bibliotheken in den Abfallbennen dem Dreck beigesellt werden, der die Abraumhalden füllt oder die Brennöfen nährt. Damit wird jeweils eine gewachsene Seinswahrheit vernichtet. Das gilt nicht nur für Einzelschicksale, sondern auch für das Kulturerbe ganzer sozialer Entitäten.
Neue Generationen sind ungeduldig und treten oft als Bilderstürmer, Kulturrevolutionäre, Tobsüchtige auf, sich an allen Gütern vergreifend, deren Sinn sie nicht verstehen, weil dieser ausserhalb ihres mentalen Niveaus liegt. Erbfähigkeit ist auch ein Aspekt der Kultur. Wer alles besser weiss, weil er nichts versteht, dem sollten wir widerstehen, wenn er uns mitzureissen droht. Um zur Erfahrungsreife zu kommen, braucht es gesitteten Respekt vor dem Erbe, das durch seine Erhaltung erworben wird. Dagegen steht die überhebliche Unkultur der Möchtegerne. Alles in allem herrscht jedoch das botanische Urwaldgesetz: Je üppiger das Verfallende war, umso wilder wuchert die frische Gelegenheitsvegetation. Lebendig ist stets die Kultur (auch Unkultur) der Gegenwart. Das ist unsere Realität. Wir identifizieren uns ja mit der (selbst) erfahrenen Wahrheit, und falls wir dieser nicht mehr trauen, zweifeln wir am Selbstbewusstsein und damit an der Daseinsberechtigung der eigenen Leistung.
Die Definition des Wahren lautet:
Wahr ist, was umstands-, orts- und zeitgebunden in sich selbst beruht; daraus verrückt, wird's albern.
Das ist nicht nur sicher, sondern regt auch einen lebendigen Umgang mit allem an, was uns als Wahrheit aufgenötigt wird.


Diskussion: Strukturierte Vorgänge - Diskussion: Wahrheit - Diskussion: Handfeste Unterschiede