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              Ronners Nachdenklichkeiten Archiv 2008 
  
  
  
246 - Nobelpreis – Die Nobelstiftung vergibt seit 1901 jährlich Preise für 
die bedeutendsten Leistungen auf den fünf Gebieten Physik, Chemie, Medizin (oder 
Physiologie), sowie des Schrifttums und des Völkerfriedens. Fehlt da ein Fach? 
Richtig: Während die Schriftsteller – also die Buchautoren – preisfähig sind, 
gehen die Musiker leer aus. Müssen wir diese Lücke bedauern? 
Einem Bach, Mozart, Beethoven oder Richard Wagner kann die Auszeichnung nicht 
mehr verliehen werden; die alten Meister sind alle längst gestorben. Gibt es an 
ihrer Stelle zeitgenössische Tonschöpfer, die vom Nobel-Komitee auszuzeichnen 
eine würdige und längst fällige Aufgabe wäre? Welche lebenden Tonsetzer mit 
Anspruch auf weltweite Ehrung und existenzsichernde Zuwendung würden uns und den 
Scouts des Stockholmer Gremiums aus dem außereuropäischen Raum wohl einfallen? 
James Last? Einer der experimentell bewegten Preisträger in Donaueschingen? 
Einer vom Schlage Pink Floyds oder der Rock-Pop-Musiker mit den jeweils meisten 
„Albums“? Also schlicht das Zugpferd der finanzorientierten Musikindustrie, 
deren dröhnende Produktionen die Arenen füllt? Oder am Ende ein gänzlich 
unbekannter, von der Zivilisation bisher unbeachteter Mensch aus Afrika, China 
oder Polynesien? 
Man denke einmal in unaufgeregter Verfassung darüber nach. Eine lautstarke und 
damit chancenreiche Jubelriege für umwerfend Neues, Queres und Abseitiges 
formiert sich immer. Ob, ausgezeichnet mit dem Nobelpreis, der Musik und nicht 
nur mit irgendwie Ertönenden, der Menschheit ein Dienst erwiesen würde?  
 
Januar 
2008  -  © 
by Kurt-Rolf Ronner 
  
247 -  „Positiv! Positiv, mein Lieber! Denken Sie an Goethe...!“ 
 
Mit diesen hohlen Phrasen speist der Kabarettdirektor in Wolfgang Borcherts 
vor 60 Jahren entstandenem Hörspiel und Bühnenstück „Draußen vor der Tür“ die 
Figur des Rußland-Heimkehrers Beckmann ab – das ist „einer von denen, die nach 
Hause kommen und die dann doch nicht nach Hause kommen“, erläuterte Borchert und 
starb einen Tag vor der Uraufführung seines Stücks. 
 
„Nach vorne blicken“, „Positiv denken“, „Dem Wandel folgen“, „Freiheit 
schützen...!“ 
 
Das sind die vergleichbar hohlen Phrasen, mit denen die späten Nachfahren der 
einstigen Achtundsechziger jugendliche Intensivtäter und Kriminelle mit 
schlechter Besserungsprognose nicht als Täter, sondern als tragische Opfer einer 
postfaschistischen Gedankenwelt beschreiben. 
 
Whitewash für die Rechtsbrecher und ein Mundschloß für die Mahner aus dem 
konservativen Lager? Nur weiter so, und der ausufernde Begriff „Freiheit“ nimmt 
der abendländischen Restkultur ihr Zuhause, setzt sie nach draußen vor der Tür.
 
 
Februar  
2008  -  © 
by Kurt-Rolf Ronner 
  
248 - „Das Neue“ und seine sich verkürzende Halbwertszeit“ 
 
Ist auf unserem 
Planeten schon alles Erfindbare erfunden? Bleibt nach allem, was der Mensch mit 
seinem Geist und seinen Sinnen in Jahrtausenden entdeckt und durch kluge 
Erfindungen in den Dienst des menschlichen Fortschritts genommen hat, nichts 
mehr übrig, was die bekannten Perspektiven verschieben und ein neues Verständnis 
wecken könnte? Ist kein Geheimnis mehr zu erschließen – von der Raumfahrt zum 
Mars und klinischen Reparaturen mit Stammzellen einmal abgesehen? 
 
Ein junger Dozent an der Musikhochschule Basel mit modischem Dreitagebart und 
jenem fest in sich ruhenden Auferstehungsblick, der an jenen der 
Familienministerin Ursula von der Leyen erinnert, gibt einem Journalisten zu 
Protokoll, er könne nicht etwas unterrichten, das in drei Jahren bereits 
veraltet sei. Folgerichtig lehrt er nicht Musik – atonale nicht und schon gar 
nicht klassische –, sondern beschäftigt sich und seine Schüler mit neuen 
Möglichkeiten des professionellen Umgangs mit dem technischen Inventar eines 
Tonstudios. Neugierige Besucher sind – klar, sonst weckte diese zur Kunst 
erhobene Beschäftigung keine Neugier in der Breite – internationale Pop-Größen.
 
 
Öffnet dieses Lehrfach für kurze Zeit ein Fenster, durch das wir auf den 
düsteren Hintergrund des verbrauchten Alten schauen, vor dem das herbeigeredete 
Neue sich umso leuchtender abhebt? Ist unser Dozent, der mehr Künstler als 
Techniker sein will, ein Scout auf der Suche nach der letzten möglichen 
Neuerung, ehe sich jener Teufelskreis schließt, bei dem der Endpunkt des Neuen 
den Ausgangspunkt des Alten berührt? Oder stellt er nach dem Muster 
werbewirksamer Rhetorik als eine neue, verbessernde Entdeckung vor, was 
letztlich auf dem Urgrund verschmähter Vergangenheiten wurzelt?  
 
Noch 36 Monate Zeit gibt unser Dozent seiner technisch realisierten Kunst, 
aktuelle Fast-Food-Weltmusik klanglich zu veredeln. In solcher Zeitverkürzung 
schwingt die Ahnung mit, wie dünn die Luft dafür geworden ist, fruchtbares 
Neuland für die musikalischer Kultur zu finden. Aber selbst diese Erkenntnis ist 
nicht mehr neu. 
 
März 
2008 
-  © 
by Kurt-Rolf Ronner 
  
251 – Olympia in Beijing 
 
Vor sieben Jahren hat das Internationale Olympische 
Komitee die jetzt bevorstehenden Olympischen Spiele an Beijing vergeben. 
 
Schon damals muß den betagten Berufsolympioniken die eigenwillige Auslegung 
universaler Menschenrechte durch die chinesischen Regenten bekannt gewesen sein. 
 
Die gegenwärtigen Ereignisse in Tibet und Drohungen gegenüber Taiwan werfen in 
aller Schärfe die Frage auf, ob die seinerzeitige Wahl zu gutgläubig getroffen 
worden war, oder ob es nicht eher – sagen wir mal – wirtschaftliche Interessen 
gewesen sind, die mithalfen, über ein menschenrechtlich vermintes Feld im Osten 
gütig hinwegzusehen. 
 
Müssen aufgrund aktueller Ereignisse die olympischen Spiele abgesagt werden, 
passend zum allegorischen Bild vom Kind, das aus Ungeschicklichkeit in den 
Brunnen gefallen ist? 
 
Für Ungeschicklichkeiten dieses Formats sind die Herren vom IOK denn doch zu 
clever. Augen zu und durch, ist außerdem ihre Devise. Im Übrigen sind die 
Brunnen der mit Sport und wirtschaftlichen Interessen verquirlten Politik für 
den ernstlichen Fall des Kindes Olympia (und seiner Geschwister überall in der 
Welt) bei weitem nicht tief genug. 
 
April 2008 
-  © 
by Kurt-Rolf Ronner 
  
252 – Die 
Egalité-Elite – 
Klassischer Musik 
hängt das Odium des Elitären an; das scheint ihr nicht gut bekommen zu sein. 
 
Die ihr zugeschriebenen Schwächen sind die Vornehmheit ihrer Präsentation; die 
Jugendferne; poetische, subjektive Andichtung semantischer Bezüge; ihr Verharren 
auf unverrückbaren Formen. Und nicht zuletzt ihr betagtes Publikum, das nach dem 
Dafürhalten der Jüngeren auf einer nur noch eingebildeten sozialen Höhenstufe 
steht und sich nicht mehr weiterentwickelt, aber gerade vom Konservieren einer 
aristokratischen Ordnung ihre Wertmaßstäbe ableitet. Das bedroht einen der 
tragenden Pfeiler der Französischen Revolution: die Egalité, die Gleichheit 
aller Bürger. 
 
Erst der Jazz und später der Pop spielen als Sammelbegriff gegenüber klassischer 
Musik den schlagenden Vorteil aus, in Amerika Fuß gefaßt und die dortige Jugend 
schon vor Woodstock begeistert zu haben. Die zeitgenössische Kulturindustrie hat 
die sich daraus ergebenden wirtschaftlichen Chancen rasch erkannt und den Pop 
zur Weltmusik schlechthin gemacht. Überall aus Radios, iPods und Kopfhörern 
dröhnt sie der Jugend bei Tag und Nacht in die Ohren. Bereits Theodor W. Adorno 
hatte hellsichtig von „auftrumpfender Trivialität“ und von „Befangensein in der 
Oberfläche als zweifelsfreie Gewißheit“ gesprochen, mit der eine „feige Abwehr 
jeglicher Selbstbesinnung verklärt“ werde. Daraus entstand um den ganzen 
Erdkreis herum die leidenschaftliche Gier nach einer inzwischen Generationen 
übergreifende Sucht, sich in allgegenwärtiger Gewöhnlichkeit geborgen zu fühlen. 
Der Staat steht hinter dieser Entwicklung. Unter dem Begriff „Kulturleistung“ 
fördert er sie mit warmer Hand. Das läßt auf den politischen Willen schließen, 
ein leicht zu führendes Substrat fügsamer Bürger mit bescheidenen Ansprüchen 
heranzubilden, die bald beim läppischen Säuseln unausgebildeter Stimmchen, bald 
bei dröhnenden Kakaphonien ihr großes Glück zu erfahren meinen. Ihr Nachwuchs 
pflegt den Ehrgeiz, im Stadium vorzeitig einsetzender und verspätet endender 
Pubertät Popstar zu werden.  
 
Nun ist eine neue Entwicklung im Gange: Der Pop verdrängt die Klassik, indem er 
deren lange innegehabten Status in veränderter Begrifflichkeit übernimmt. Das 
fällt leicht, denn auch in der E-Musik gibt es bekiffte Musiker und neurotische 
Dirigenten, die von ihren Agenten rund um den Globus gehetzt werden und feste 
Plätze in der Klatschpresse besetzen. In einem Interview mit der Frankfurter 
Allgemeinen verglich der Bayreuth-Sänger Endrik Wottrich das Operngeschäft 
mit dem Radsport. Das gilt übrigens auch für das Sprechtheater mit seinen 
Regisseuren, die eine real dargestellte Unterwelt auf die Bühne holen. Solchem 
Paradigmawechsel widmete die Oboistin Blair Tindall 2005 ihr Buch, das den Titel 
„Mozart in the Jungle: Sex and Drugs and Classical Music“ trägt.  
 
Damit fällt die Aura geistiger Größe von der Klassik ab. Sie ist zur leichten 
Beute derer geworden, die nach äußerlichen und deshalb auch einfacher zu 
erreichenden Werten streben. Es entfällt das taktische Bemühen, die Klassik an 
die Wand zu drücken und als elitären Gegenpol zu schmähen. Die Masse im Sinne 
einer verhaltenskonformen Gesellschaft hat die Elite weitgehend dadurch besiegt, 
daß jene sich ihrer einst innegehabten Autorität selbst entledigte. 
 
Mai 2008 
-  © 
by Kurt-Rolf Ronner 
  
253 - Sorgen – 
Einst war Wilhelm Buschs der frommen Helene untergeschobene Sinnspruch »Wer 
Sorgen hat, hat auch Likör« buchstäblich in aller Munde.  
 
Der süß-sämige Kräuterbranntwein hat härter zupackende Nachfolger gefunden. Das 
muß mit einer neuen Qualität der Sorgen zu tun haben. Sie sind größer und 
drängender geworden, kommen früher, fallen später oder gar nicht mehr ab. 
Nachtfüllendem Fun folgt die innere Leere bei Tage. Dort nistet sich allmählich 
die dunkle Ahnung ein, daß Versäumnisse Verluste nach sich ziehen, die man nicht 
wie E-Mails erinnerungslos löschen und in den elektronischen Orkus entsorgen 
kann. 
 
Vergangenheit ist out, Gegenwart in, Zukunft uncool. Diesem Leitsatz entsprechen 
beispielsweise jene Jungmänner, wenn sie nur mit der temporären Partnerin, einem 
Rucksack und ein paar Pappkartons als Umzugsgut von einer Wohnung zur nächsten 
ziehen und die Bierdose, die sie eben leergetrunken haben, gleichgültig auf die 
Straße werfen. Die kleinen Sorgen lassen sie hinter sich. Die noch kommenden 
werden größer sein. Dann helfen auch die härter zupackenden Nachfolger des 
Likörs nicht mehr. 
 
Juni 2008 
-  © 
by Kurt-Rolf Ronner 
  
254 - Schuldsuche 
– Wer ein langes Leben lebt und dabei die Augen offen hält, begegnet vielen 
Menschen und betrachtet viele Formen weltlichen Geschehens. Auffallend groß ist 
die Zahl von Begegnungen mit glücklosen natürlichen und juristischen Personen, 
gegen deren Ehrgeiz die Erfüllung keine Chance haben kann. 
 
Um hohe Ziele trotz mangelnder Voraussetzungen zu erreichen, steigen sie – 
Menschen wie du und ich oder auch Geschäftsleute, Sportfunktionäre und zur 
Verdeutlichung bildlich beschrieben – unablässig auf die Zehenspitzen, um größer 
zu scheinen und mehr von sich herzumachen. In ihrer Phantasie sind sie stets 
schon dort, wo sie nie hinkommen werden. 
 
Die Überanstrengung läßt schließlich nicht nur die Kraft der Zehen erlahmen, 
sondern auch den Geist trüben, wenn die Zehenspitzensteiger – nunmehr mit einem 
Bild aus der Welt des Sports verdeutlicht – beim Hochsprung die zu hoch gesetzte 
Latte immer wieder reißen. 
 
Dann schlägt die Stunde der Erklärungen. Die Zehen schmerzten wegen eines krumm 
gewachsenen Nagels und behinderten den Absprung – oder war es das zuvor 
getragene Schuhwerk? Genossen die Konkurrenten Startvorteile, war Ungleichheit 
der Chancen als Folge ungünstiger Witterung im Spiel? Lenkte der neuliche Unfall 
eines nahen Freundes oder das unverständliche Zögern eines Geschäftspartners von 
der Konzentration auf den Gipfelsturm ab? 
 
Ach, die Großen stellen sich nicht klüger an als ihre Sprößlinge, wenn sie 
Klausur um Klausur vergeigen und stets Erklärungen dafür finden, daß der 
Fehlschlag nicht im Ungenügen, sondern beim Schicksal lag. 
 
Juli 2008 
-  © 
by Kurt-Rolf Ronner 
  
255 - Nachahmen 
– Der Kunstspekulant Emile Schuffenecker kopierte in den späten Jahren des 19. 
Jahrhunderts Van-Gogh-Bilder. Er beherrschte dessen Maltechnik so hervorragend, 
daß nur die absichtlich seinen Nachahmungen nicht hinzugesetzte Signatur das 
Unterscheidungsmerkmal zum Original war. Hätte er die Nachahmungen als Originale 
ausgegeben und verkauft, wäre er früher oder später entlarvt und als Fälscher, 
ja als Betrüger gefänglich eingezogen worden. 
 
Nun besitzt das Wiederholen eines Vorbilds oder fremden Tuns eine tief negative 
Bedeutung. Es ahmt jemand etwas nach, wenn ihm selbst eigenschöpferische Kräfte 
abgehen. Mag die Kunsttechnik noch so herausragend sein – das entstandene Werk 
gilt sodann als unecht und wertlos. 
 
Es gibt aber auch das Adjektiv „nachahmenswürdig“. Einem großen, überzeugenden 
Vorbild zu folgen, ist kein sträfliches, sondern ein löbliches, heute eher in 
Vergessenheit geratenes Tun. 
 
In Berlin versuchten Architekten der Moderne lange, den Wiederaufbau des 
Stadtschlosses mit historischer Fassade um jeden Preis zu verhindern. Es 
entstehe ein Replikat, originalgetreu, aber eben nicht original. Unter 
ihresgleichen bauten sie mächtigen Druck auf, um abtrünnig gesonnene Mitglieder 
ihrer Bruderschaft auf Linie zu halten. 
 
Der Streit um Kaisers Bart ist eine typisch deutsche, in Verbissenheit geführte 
Beschäftigung, hinter der viele Fragezeichen stehen bleiben. Merkwürdig, daß 
sich kein entsprechender Protest erhob, als die Dresdner Bürger Geld sammelten, 
um ihre Frauenkirche so wiederherzustellen, wie sie vor der Kriegszerstörung 
gewesen war. Beispiele gibt es außerhalb Deutschlands erst recht: das Kloster 
Montecassino, ebenso wie das Warschauer Schloß, der Campanile in Venedig – alles 
„Nachahmungen“ eines durch Kriege oder den Zahn der Zeit zerstörter 
Baudenkmäler.  
 
Es wäre interessant, zu ergründen, wann die sogenannten Star-Architekten sich 
schämen, bedeutende Bauwerke nach originalen Plänen wiederherzustellen, deren 
Bedeutung wichtig für eine Stadt, eine Region, ein Land und seine Bürger ist, 
und wann sie sich mit Stolz an eine Rettungstat, eine Erneuerung eines 
geschichtlich gewachsenen, großartigen Bauwerks machen, das sodann zu einer 
Kopie seiner selbst wird.  
 
August 2008 
-  © 
by Kurt-Rolf Ronner 
  
256 - Transfiguration – Daß Nietzsches einst als verwegen beurteiltes Räsonnement 
„Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“ nicht in Vergessenheit 
geriet, dürfte Thomas Mann zuzuschreiben sein. Er nutzte das 
philologisch-philosophische Werk als Leitfaden für seinen Faustus-Roman. Aber 
wer denkt schon noch daran! 
 
Die Versuchung liegt nahe, allein mit dem veränderten Titel „Die Geburt von Rock 
und Pop aus dem Geiste des Dionysos“ eine Diskussion anstoßen, die Betagtes in 
moderne Bezüge kleidet. 
 
Während die klassische Musik Apollon, dem zu Ordnung und Schönheit gebändigten 
Gott des Lichts zuzuordnen ist, wären Rock und Pop seinem Gegenpart, dem 
Dionysos zugehörig zu betrachten. Der Sohn des Zeus und der thebanischen 
Königstochter Semele ist die hellenistische Leitfigur des Kults rauschhafter 
Ausgelassenheit und Zügellosigkeit. 
 
Dabei ist denn wohl doch ein Unterschied nicht zu verkennen. Dionysos verehrte 
den Weinbau und das daraus gewonnene Gärgetränk. Die Rock- und Popjugend unserer 
Tage kommt dem Rausch mit hämmernden Beats und namentlich mit Gebranntem weit 
schneller, geistloser und gefährdender zur Volltrunkenheit. 
 
September 
2008 -  © 
by Kurt-Rolf Ronner 
  
257 – Verformung 
unseres Zuhauses. – Der 1870 in Brünn geborene und 1933 in Berlin gestorbene 
Architekt Adolf Loos litt schwer unter dem verspielten Jugendstil, der zuvor die 
Ehrfurcht einflößende Wucht des Neobarocks abgelöst hatte. Er kämpfte für einen 
sachlichen, auf Ornamente und Verzierungszeichen verzichtenden Stil. Einer 
seiner Kampfschriften verlieh er den Titel „Ornament und Verbrechen“. 
Architektur „muß brennen, stechen, schmerzen“, schrieben die Wiener noch vor 
Adolf Nazi, und heute verkünden sie es erneut mit den potenten Verstärkern 
vernetzter Interessengruppen.  
 
Die Gegenwarts-Moderne hat die Bauhaus-Ideen der Architekten Walter Gropius und 
Mies van der Rohe weit hinter sich gelassen. Inzwischen werden Wohnhäuser den 
Geschäftshäusern in Industriearealen nachgebildet. Wenn in Berlins zu 
sanierendem Neuen Museum die ausgebrannte und verwitterte Treppenhalle – dem 
geistigen Zentrum des Baus – wiederhergestellt werden soll, wird dem Original 
kein Respekt gezollt. Betonwände, die an einen Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg 
erinnern, sollen der Nachwelt die Präsenz des 21. Jahrhundert vor Augen führen. 
Bürgerliche Ästhetik und vertraute Urbanität gelten als spießig, aus der Zeit 
herausgefallen. Architekten, deren Name zu Statussymbolen stilisiert worden sind 
und von staatlichen Behörden zu eigener Imagepflege gerne in den Dienst genommen 
werden, sind auch mit den Richtlinien der UNESCO kaum zu beeindrucken. Selbst 
die Provinz will sich mit Nachahmereien der Städte die Aufmerksamkeit von 
Investoren sichern. Damit – als Beispiel – das restaurierte Schloß im Basler 
Vorort Binningen nicht zu hübsch und historisch aussehe, ließ die 
Gemeindeverwaltung gegen den Protest der Einwohner die Sichtblende einer 
Betonmauer zu, die an eine Lärmschutzwand an einer Autobahn erinnert und den 
Treppenaufgang zum Eingang unkenntlich macht. Wer ist für diese monströse 
Verformung unseres „Zuhauses“ verantwortlich? 
 
Dieter Bartetzko ist der Antwort nahe, wenn er in der Frankfurter Allgemeinen 
Zeitung (F.A.Z. vom 16. September 2008) schreibt: „Die Entscheidungen [...] 
fallen jenseits der Architektur, in jenen ökonomischen Schlachten, an denen 
Architekten mittun, wenn sie nicht gerade einen Beitrag für die Biennale 
vorbereiten.“ 
 
Oktober 
2008 -  © 
by Kurt-Rolf Ronner 
  
258 – 
Vordemokratisch – In den kontrovers geführten Diskurs um den Wiederaufbau 
des Berliner Stadtschlosses mit historischer Fassade hatte sich auch das 
Sonntagsmagazin der schweizerischen Bild-Zeitung (12. Oktober 2008) 
eingeschaltet. In einem doppelseitigen Beitrag über die temporäre Kunsthalle von 
Dieter Rosenkranz wird zu dessen Person vermerkt: „Wie andere Berliner auch, 
sympathisiert Dieter Rosenkranz nicht mit dem Wiederaufbau der historischen 
Schloßfassade aus vordemokratischer Zeit. 
 
Die Rosenkranz stellvertretend zugeschobene Botschaft an den Leser ist klar 
erkennbar: die DDR habe die Zwingburg der Hohenzollern mit besten 
menschenfreundlichen Absichten weggesprengt. Jetzt drohe mit der zu erstellenden 
Barockfassade des Humboldt-Forums ein reaktionärer Rückfall in die 
undemokratische Vorgeschichte.  
 
Wer sich diese Folgerung zu eigen macht, dürfte Goethes Dichtungen nicht mehr 
lesen, denn das deutsche Nationalidol verfaßte seine Schriften in 
vordemokratischen Zeiten. Unter diesem Aspekt verhielte sich bekennend 
konsequent, wer auch Kunstmuseen nicht mehr betritt, weil die Gemälde und 
Statuen der Maler und Bildhauer einen vordemokratisch ansteckenden Bazillus 
freisetzen könnten. 
 
November 
2008 -  © 
by Kurt-Rolf Ronner 
  
Göttlicher Auftrag? 
 
258 - Machtvorstellungen – Der christliche Glaube ist bei der westlichen 
Menschheit nicht mehr verankert genug, um auch noch unter den Kerzen der 
Weihnachtsbäume, die schon vorzeitig zu brennen begannen, der im Oktober 
erfolgten Steinigung des 13-jährigen Mädchens aus Somalia zu gedenken. Die 
Empörung Einzelner war ein Strohfeuer, ihr Ruf nach diplomatischen Sanktionen 
rührend in seiner Einfalt. 
 
Im semitischen und islamischen Kulturkreis ist die lapidatio vereinzelt noch 
immer das Höchstmaß einer Strafe für schlimmste Vergehen geblieben. Archaische 
Vorstellungen und ein fundamental gestörtes Verhältnis zur Sexualität 
definieren, welches Vergehen nur mit der Steinigung gesühnt werden kann. Im 
Hintergrund wirken religiöse Machtvorstellungen, die erst von der Erde ins 
Universum und weiter an die Adresse eines in der kollektiven Vorstellung 
existierenden Propheten projiziert werden. Von dort als Vollmacht abgelesen, 
wird die gewünschte Handlung schließlich als göttlicher Auftrag ausgeführt. 
 
Die Hexenverbrennungen und kirchlich gesegneten „Instrumente“ liegen, 
geschichtlich betrachtet, nicht allzu weit zurück, Teufelsaustreibungen mit 
Todesfolge finden im Verborgenen noch immer statt. Unsere westliche 
Gegenwartsgesellschaft hat sich von den religiösen Zwangsvorstellungen, die 
solchem Denken und Handeln zugrunde liegen, nicht wirklich befreit. In den USA, 
deren Bürger nach eigenem Dafürhalten in „God’s own country“ leben und in 
gemeinschaftlicher „In God we trust“-Versicherung ruhen, sind schmerzvolle 
Exekutionen auch für Unschuldige, wie sich hinterher nicht selten herausgestellt 
hat, nicht ausgeschlossen. Ebensowenig sind die derzeit offen und versteckt 
geführten Kriege oder auch das unrühmliche Lager Guantanamo 
Gegenwarts-Beispiele, mit denen wir uns den somalischen Richtern moralisch nicht 
allzu überlegen fühlen sollten. 
 
Die Menschheit – mindestens im Großen und Ganzen – ist angesichts schlechter 
Vorbilder nicht reifer, nicht erwachsener und nicht unabhängiger von 
emotionalisierenden Abstrakta geworden, die so rasch in vernichtenden Sadismus 
umschlagen.  
 
Dezember 
2008 -  © 
by Kurt-Rolf Ronner 
 
 
              
              
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