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              Ronners Nachdenklichkeiten Archiv 2009 
  
  
  
259. Europa - 
Außerhalb von Geographie und Historie wird Europa vor allem als aufgeblähte 
Bürokratie wahrgenommen. Sie hat immerhin die geometrische Form der Gurke 
geradegerückt. Für die Wahrnehmung wichtigerer Aufgaben bläst ihr der Wind ins 
Gesicht. Den überfälligen europäischen Verfassungsvertrag mögen viele Staaten 
mangels Vertrauen ihrem Volk nicht zur Gutheißung vorlegen. Die französischen 
und niederländischen Bürger winkten bereits ab, Irland verspricht sich von 
Brüssel keine Vorteile, und in der Tschechei ist derzeit ein europakritischer 
Präsident im Amt, der gleichzeitig europäischer Ratspräsident ist. Die Schweiz 
gehört nicht zur Europäischen Union; sie will in ihrer Selbständigkeit die 
Vorteile bewahren, die sie als europäisches Mitglied mit anderen teilen müßte 
und fürchtet das Gespenst eines hegemonialen europäischen Staates, in dem die 
Selbstverantwortung der Bürger eine wenig entwickelte Eigenschaft ist. 
 
Ein Europa jedoch, ohne gültige Verfassung, ohne einheitliche Struktur und 
Rechtspersönlichkeit, steht einer wachsenden Rezession und Stagnation als Folge 
des globalen Bankenkollapses mit gebundenen Händen gegenüber. Das eröffnet keine 
guten Perspektiven - auch nicht für die europäischen Außenseiter. 
 
Man kann die Schwächen einer vom Geld der Mitgliedstaaten wohlversorgten 
Groß-Organisation, die in verschiedenen Städten riesige Bürokratien unterhält 
und mit einem Personal ausgestattet ist, dessen Spitzen in ihren Heimatländern 
keine Zukunft mehr hatten, mit bitteren Kommentaren bedenken. Europa deswegen 
abzulehnen, weil irreale Ängste stärker als gegenwärtige Bedrohungen sind, ist 
ein Schuß mit breiter Streuung, der auch unbeabsichtigte Ziele trifft. 
 
Januar/Februar 
2009   
  
260. Das sogenannte 
Neue – Der Kultbegriff „das Neue“ ist ein Sammelbegriff für alles, was 
einmal als „das Neueste“ bezeichnet worden ist. Er will zum Ausdruck bringen, 
sich nach Jahrzehnten als eine feste Größe etabliert zu haben und etwas zu sein, 
was die Epoche geprägt hat, in der einer lebt und woran nicht mehr zu deuteln 
ist. Zumindest so lange, bis eine konkurrierende Strömung keck genug ist, das 
Neue zu entthronen und sich als geniale Spenderin „des Neuesten“ feiern zu 
lassen. 
 
Das Neue ist vielfach erkennbar: Lesbar in Feuilleton-Beiträgen, veranschaulicht 
auf der Theaterbühne; auf hochgeschraubter Sprachebene Gesprächsgegenstand bei 
Cocktail-Partys und hörbar in der Gegenwartsmusik, deren Schöpfer vereinbart 
haben, jede derzeit nicht ihrem Beispiel folgende Musik mit der Etikette „alt 
und verbraucht“ zu kennzeichnen. 
 
In der klösterlichen Burchardikirche von Halberstadt, dem 40 000-Seelenort im 
Harz-Vorland, wo ordentlich wiederhergestelltes Fachwerk eher an das glanzvolle 
Mittelalter als an die anschließenden Zeitläufte erinnert, nähert sich eine 
musikalische Koryphäe dem Ziel, bisher gültige Kulturmerkmale dauerhaft hinter 
sich liegen zu lassen und vorsorglich das Neue, das nach dem gegenwärtig Neuen 
kommen soll, also das Allerneuste, das Übermorgige, vorweg zu nehmen. 
 
Mit dem Experimentalmusiker John Cage erfahren wir ahnungsweise, wie der Ausweg 
gestaltet sein könnte, wenn sich dereinst das heutige Neue ebenfalls verbraucht 
hat. Wenn es nun aber eines Tages nichts mehr geben sollte, was in einem 
einmaligen Akt schöpferisch gestaltet werden kann und außerdem mit Ansehen und 
höchst gegenwärtig staatlicher Förderung verbunden ist –: dann würde der Letzte 
der Künstler den schlimmst vorstellbaren Albtraum erleiden. Er wäre einem der 
heutigen Banker vergleichbar, der keine Chance mehr erhält, ein Luftgeschäft als 
neues Produkt zu verklickern.  
 
Cage geht folgendermaßen vor: Schon seit sieben Jahren hören Halberstadts 
Kirchgänger denselben Dauerakkord von der Orgel herab. In unterschiedlichen 
Monats-Intervallen wird der Klang gewechselt. Dauer des Experiments: 639 Jahre. 
 
Das entlarvt den Künstler als pfiffigen Schlaumeier. Auch er darf sich dem 
Zweifel hingeben, ob in 639 Jahren dem dannzumal kunstsinnigen Publikum Name und 
Größe des innovativen Vorfahrs noch gegenwärtig sein wird. Cage setzt auf Nummer 
Sicher. Er wird inzwischen sterben und muß in der Totenstarre nicht mehr 
beweisen, zu Lebzeiten der Schöpfer des nicht mehr zu steigernden Neuen gewesen 
zu sein. 
 
Die Vermutung bleibt offen, daß der Ausweg aus der Enge alles schon Dagewesenen 
in der nicht nachlassenden Gewöhnung des jeweiligen Gegenwart-Publikums an die 
schöpferische Kraft des „höheren Blödsinns“ liegt.  
 
März / April
 2009 
  
261 - Kunst und 
Krempel. Im Feuilleton der Wochzeitung DIE ZEIT vom 16. April 2009 hat Hanno 
Rauterberg über die große Krise des Kunstmarkts reflektiert. Sein Beitrag zielt 
ins Zentrum eines Geschehens, das nach dem Crash der Banken auch Gegenstände 
erfaßt, denen bisher wegen ihres in Millionen ausgedrückten Preises die „hyperventilierende 
Begeisterung“ (H.R.) einer nicht immer nur von Kunstverstand geleiteten 
Gesellschaft galt.  
 
Was aber geschieht, wenn sich der Wert für den Glitzerstein, den Warenkorb der 
luxuriösen Nichtigkeiten und den Pinselstrich quer über eine Leinwand nicht mehr 
in siebenstelligen Beträgen ausdrückt?  
 
Dann wird auch der Begriff, was Kunst sei, seine merkantil hochgestemmte 
Bedeutung verlieren, wird sich die Glaubwürdigkeit der Händler auflösen wie die 
Geschäfte der Lehmann Brothers. Weil die zur Industrie aufgeblasene Kunst und 
ihr unregulierter, von Gier getriebener Handel im Werturteil abstürzt, wird es 
nach dem Prinzip der Laufmasche auch zu Pleiten und Entlassungen kommen; die 
Stabilität der sozialen Gemeinschaften wird noch etwas brüchiger werden 
 
Was ist Kunst, was ist Krempel? Die Antwort ist im Bereich der alten 
Wert-Traditionen zu suchen Nicht nur in der Malerei und den Installationen in 
sogenannten Gegenwartsmuseen – die Gegenwart ist höchst flüchtig! – , sondern 
auch in der Musik, im Theater, in der Architektur und überall dort, wo Kunst dem 
Warennexus unterliegt und sich per „Event“ in der Öffentlichkeit breit macht.
 
Kultbegriff „das Neue“ ist ein Sammelbegriff für alles, was einmal als „das 
Neueste“ bezeichnet worden ist. Er will zum Ausdruck bringen, sich nach 
Jahrzehnten als eine feste Größe etabliert zu haben und etwas zu sein, was die 
Epoche geprägt hat, in der einer lebt und woran nicht mehr zu deuteln ist. 
Zumindest so lange, bis eine konkurrierende Strömung keck genug ist, das Neue zu 
entthronen und sich als geniale Spenderin „des Neuesten“ feiern zu lassen. 
 
Das Neue ist vielfach erkennbar: Lesbar in Feuilleton-Beiträgen, veranschaulicht 
auf der Theaterbühne; auf hochgeschraubter Sprachebene Gesprächsgegenstand bei 
Cocktail-Partys und hörbar in der Gegenwartsmusik, deren Schöpfer vereinbart 
haben, jede derzeit nicht ihrem Beispiel folgende Musik mit der Etikette „alt 
und verbraucht“ zu kennzeichnen. 
 
In der klösterlichen Burchardikirche von Halberstadt, dem 40'000-Seelenort im 
Harz-Vorland, wo ordentlich wieder-hergestelltes Fachwerk eher an das glanzvolle 
Mittelalter als an die anschließenden Zeitläufte erinnert, nähert sich eine 
musikalische Koryphäe dem Ziel, bisher gültige Kulturmerkmale dauerhaft hinter 
sich liegen zu lassen und vorsorglich das Neue, das nach dem gegenwärtig Neuen 
kommen soll, also das Allerneuste, das Übermorgige, vorweg zu nehmen. 
 
Mit dem Experimentalmusiker John Cage erfahren wir ahnungsweise, wie der Ausweg 
gestaltet sein könnte, wenn sich dereinst das heutige Neue ebenfalls verbraucht 
hat. Wenn es nun aber eines Tages nichts mehr geben sollte, was in einem 
einmaligen Akt schöpferisch gestaltet werden kann und außerdem mit Ansehen und 
höchst gegenwärtig staatlicher Förderung verbunden ist –: dann würde der Letzte 
der Künstler den schlimmst vorstellbaren Albtraum erleiden. Er wäre einem der 
heutigen Banker vergleichbar, der keine Chance mehr erhält, ein Luftgeschäft als 
neues Produkt zu verklickern.  
 
Cage geht folgendermaßen vor: Schon seit sieben Jahren hören Halberstadts 
Kirchgänger denselben Dauerakkord von der Orgel herab. In unterschiedlichen 
Monats-Intervallen wird der Klang gewechselt. Dauer des Experiments: 639 Jahre. 
 
Das entlarvt den Künstler als pfiffigen Schlaumeier. Auch er darf sich dem 
Zweifel hingeben, ob in 639 Jahren dem dannzumal kunstsinnigen Publikum Name und 
Größe des innovativen Vorfahrs noch gegenwärtig sein wird. Cage setzt auf Nummer 
Sicher. Er wird inzwischen sterben und muß in der Totenstarre nicht mehr 
beweisen, zu Lebzeiten der Schöpfer des nicht mehr zu steigernden Neuen gewesen 
zu sein. 
 
Die Vermutung bleibt offen, daß der Ausweg aus der Enge alles schon Dagewesenen 
in der nicht nachlassenden Gewöhnung des jeweiligen Gegenwart-Publikums an die 
schöpferische Kraft des „höheren Blödsinns“ liegt.  
 
Mai / Juni
 2009 
  
262. – Superlative. 
 
Freitag, 26. Juni 2009, 05:00 Uhr: 
Der Nachrichtensprecher des Südwestfunks verliest an erster Stelle eine 
Trauerbotschaft: Pop-Star Michael Jackson, der „größte Sänger aller Zeiten“, sei 
in Los Angeles gestorben. 
 
„Der größte“ wäre für sich allein schon eine Wertung mit sieben Ausrufezeichen 
gewesen. Und erst noch „aller Zeiten“! Was für eine große, nicht zu 
überblickende Spanne! Das hieße ja: von der Geburt des Planeten Erde bis zum 26. 
Juni 2009, möglicherweise bis zum Ende der Menschheit und darüber hinaus. 
 
Solche Stilblüten bringt der inflationäre Gebrauch von Superlativen hervor. Die 
zweite Steigerungsstufe der Komparation hat sich auch schon in ihrem Gegenteil 
fest etabliert. Wen Hervorbringungen der Musik- und Eventindustrie unserer Zeit 
– wohlverstanden: der kurzlebigen Gegenwart – nicht zu begeistern vermögen, der 
hat die Moderne in keinster Weise verstanden.  
 
Juli / August
 2009 
  
263. Kinder und Alkohol.  Die Politik beschäftigt sich 
ungern mit dem zunehmenden Konsum alkoholischer Getränke, die bei Kindern ab 13 
den Rang einer Kultdroge einnehmen. Spitzenreiter in Berlin ist das Bier, 
gefolgt von Cocktails, Alkopops und Spirituosen. In der ersten Jahreshälfte 
waren es über 1000 sturzbetrunkene Kinder und Jugendliche, die nächtens – aber 
auch bei Tage – von der Polizei aufgegriffen wurden und zum Teil in 
Krankenhäusern landeten. Über lebenslange Folgeschäden fehlen nähere Angaben. 
Geringer ist der Anteil der Migrantenkinder. Das mag am Einfluß jener 
verantwortlichen elterlichen Lenkung liegen, die bei deutschen Kindern so 
schmerzlich vermißt wird. 
 
 
264. Christliches Verständnis.  Eine politische Partei, der es genügt, „die 
Menschen in diesem Land“ nach Hartz-IV-Normen lediglich vor jenem Sturz zu 
bewahren, der dem Staat in seinem Trott gefährlich werden könnte, handelt 
unmenschlich nicht nur nach christlichem Verständnis. 
 
September / 
Obtober
 2009 
  
Robert Enkes aufrüttelnde Botschaft über 
den Tod hinaus 
 
265. –  Dem Freitod des deutschen National-Torwarts, Robert Enke, folgte eine 
weit über Hannover, weit über Niedersachsen hinausreichende Bestürzung und 
Trauer. Die Tragödie brachte zusammen, was in der Normalität des Alltags an der Gleichgültigkeit der von Win-win-Zwängen getriebenen Menschen ungerührt 
abprallt. Kinder und Jugendliche, die am 15. November – ausgerechnet am 
Volkstrauertag – ins Niedersachsen-Stadion geströmt waren, schämten sich ihrer 
Ergriffenheit und ihrer Tränen nicht. 
Vorab der deutsche Fußball-Chef, Dr. Theo Zwanziger, sodann der Niedersächsische 
Ministerpräsident, Christian Wulff, der Oberbürgermeister von Hannover, Stephan 
Weil und die Pastorin Christina Norzel-Weiß sprachen davon, daß der Fußball, daß 
die Karriere – wo immer – nicht schon das Leben bedeute, daß Gewinnen, um jeden 
Preis siegen und für die Massen sichtbar oben auf dem Treppchen stehen müssen 
nicht das wichtigste Lebensziel ist und sein dürfe. 
Sooft während dieser tiefen Betroffenheit die Kamera über die vollbesetzte 
Tribüne des Niedersachsen-Stadions schwenkte, faßte sie auf der Höhe der 
VIP-Etage die Spruchbänder derer in den Blick, denen die stumme Anklage galt: 
„AWD, ihr persönlicher Finanzoptimierer“ stand da zu lesen, und: Volltreffer für 
Ihre Finanzen“. Von den Tribünenreihen herab war eine solche Aussage ganz nahe 
bei der ernüchternden Wirklichkeit und beim Auslöser dessen, was in der 
sportlichen und beruflichen Konkurrenz oberstes Gebot und nüchterne Tatsache 
ist. Standen ihr etwa rechtsgültige Verträge und letztlich die am Volkstrauertag 
öffentlich gezeigte Menschlichkeit im Wege?  
Keinem ist während dieser schmerzens- und tränenreichen, mithin zutiefst 
menschlichen Abschiedsstunde und Betroffenheit der Gedanke gekommen, die 
Spruchbänder während der Trauerfeier zu entfernen oder wenigstens zu verhüllen. 
Da drückte Reklame der bewegenden Abschiedsfeier frech die Hand. 
Tat, nicht Täter 
 
266 – Am Ende eines Jahres bricht regelmäßig die professionell 
instrumentierte Feierlichkeit in der Uniform der Festlichkeit über uns herein. 
Ihrem Auftritt ist keine zweifelnde Nachdenklichkeit gewachsen,– darüber etwa, 
was denn, jedem äußeren Druck zum Trotz, im neuen Jahr anders neu angefaßt und 
neu bedacht werden könnte, um mit neuem, geschärfterem Blick jene Einflüsse zu 
erkennen, unter denen wir uns unentwegt um eine Denkachse drehen lassen, statt 
Perspektiven zu entdecken, die zu neuen Einsichten führen. Und doch: 
 
Zu ernsthaftem Denken gibt das tragische Unglück eines Fußballers Anlaß, der 
fürchtete, den Anforderungen einer Tätigkeit nicht mehr gerecht werden zu 
können, die sich vom ehemals frohen Spiel zu einer Knechtschaft mit buchstäblich 
todernstem Ende vergrößerten. In diesem Falle mußten Trauer und Betroffenheit zu 
kurz greifen – allein deshalb, weil eine Verzweiflungstat, die politisch korrekt 
„Suizid“ genannt werden muß, nicht nur den trafen, der keinen anderen Ausweg 
mehr wußte. Er hat ausgelitten. Jene, die für den Druck Verantwortung tragen, 
betrachten sich als unbeteiligt. Allenfalls wird die Schuld „dem Apparat“ 
zugewiesen, der das Fußballgeschäft am Laufen hält. Ein Apparat aber ist 
schuldunfähig. Beteiligt sind dagegen zwei Lokomotivführer. Sie müssen 
lebenslang am erlittenen Schock und der Vorstellung tragen, ein Leben 
ausgelöscht zu haben, ohne im schuldhaften Sinne Täter geworden zu sein. 
 
November/Dezember 
 2009   
  © 
by Kurt-Rolf Ronner 
 
 
              
              
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