stab2
Geschichten

Hier sind Geschichten gesammelt:

 

eine Perle: die Mutter aller Geschichten!

 

Viele Pfarrer und pastorale Mitarbeiter/innen leiden immer wieder darunter, dass bei Gottesdienstvorbereitungen - statt Bibeltexten - diverse „Geschichten“ eingebracht werden, die sich ständig wiederholen. Vikar Jörg Menke aus Hagen a.T.W. hat daraus die „Mutter aller Geschichten“ gestrickt, um sich auf humorvolle Weise mit dieser Unart auseinander zu setzen:
 

Die Mutter aller Geschichten
oder
„Lesung aus dem kleinen Prinzen“

Zwei Mönche lasen in einem alten Buch, dass es am Ende der Welt eine Tür gebe, hinter welcher der Himmel sei und Gott wohne. Da beschlossen die beiden, diese Tür zu suchen und machten sich auf den Weg.
Zunächst kamen sie in einen grossen Garten. Von weitem schon sahen sie einen grossen und schönen Bambus, der gerade ehrfürchtig sein Haupt neigte, denn er sprach mit dem Herrn des Gartens. Dieser sah sehr traurig aus und sagte zu dem Bambus: „Wenn ich dich nicht umhaue und dir das Herz heraus schneiden darf, kann ich dich nicht gebrauchen.“ Lange schwieg der Bambus, dann sagte er zitternd zum Herrn des Gartens: „Tief auf dem Meeresgrund lebte einmal ein wunderschöner Fisch, dessen Schuppen in allen Regenbogenfarben glitzerten. Er hiess Swimmy. Aber er war sehr einsam, weil er niemandem von seinen Schuppen abgeben wollte. Erst als er begann, seine Schuppen zu teilen, war er nicht mehr einsam. So gebrauche mich." Alle Pflanzen und Tiere des Waldes schauten den Bambus voller Ehrfurcht an. Dann schenkten sie ihm, wie es im Lande der Swabedoos üblich ist, ein warmes weiches Pelzchen.
Tief beeindruckt von dieser Begegnung gingen die beiden Mönche weiter. Vor ihnen tauchte ein Königsschloss auf. Am Rande der Schlossanlage stand der König vor dem Tor einer riesigen Halle. Aus dieser entfernten seine Diener gerade Unmengen von Zuckerrohrpflanzen, mit denen der ältere Sohn die Halle hatte füllen lassen. Nun war es Abend geworden und der jüngere Sohn ging in die Halle und stellte eine einfache Kerze in die Mitte. Sofort erfüllte das Licht den ganzen Raum. Darauf sagte der König: „Du sollst mein Nachfolger werden. Denn du bist wie mein Freund, der grosse Dichter Rainer Maria Rilke. Als dieser in Paris war, kam er regelmässig an einer Bettlerin vorbei, der er immer Geld gab. Eines Tages aber, als Rilke in Begleitung einer Freundin war, gab er der Bettlerin eine Rose. Eine Woche lang war die Bettlerin nun nicht mehr auf ihrem angestammten Platz. Dann aber sass sie wieder dort. „Wovon aber hat sie in dieser Woche gelebt?“ fragte Rilkes Freundin. Rilke schaute sie an und flüsterte: „Von den Sonnenstrahlen, den Farben und den Wörtern, die Frederick, die Feldmaus im Sommer gesammelt hatte und die im Winter Wärme in die Kälte, Buntheit in das Grau und Worte in die Sprachlosigkeit brachten.“
Die beiden Mönche sahen einander an, Tränen standen in ihren Augen. So gingen sie weiter und kamen in eine Stadt. Am Rand der Stadt war ein kleines Geschäft, hinter dessen Theke ein Engel stand. Über dem Laden hing ein Schild: „Waren aller Art.“ Ein junger Mann stürzte soeben an den beiden Mönchen vorbei in den Laden und rief ganz aufgeregt: „Was verkaufen Sie?“ „Alles was Sie wollen“, antwortete der Engel. Darauf sagte der junge Mann: „Dann hätte ich gerne Gesundheit, Glück, Frieden, echte Freunde .....“
„Moment“, unterbrach ihn der Engel, „Sie haben mich falsch verstanden. Höre diese Worte: In China lebte einmal ein junges Paar, das beschloss zu heiraten. Beide aber waren zu arm, um eine grosse Hochzeit zu geben. Dennoch luden sie ihre Freunde ein, und baten sie, anstelle eines Geschenkes eine Flasche Wein mitzubringen. Diese sollte am Eingang in einen grossen Krug geschüttet werden. Die Gäste kamen und leerten ihre Flaschen. Doch als das Fest begann und alle auf das Wohl des jungen Paares anstiessen, trat ein beschämtes Schweigen ein, denn in allen Gläsern befand sich nur Wasser.“
„Ich verstehe“, sagte der junge Mann. Und er lächelte die beiden Mönche an und sagte: „Mein Freund Beppo, der Strassenfeger, sagt immer: „Schritt - Atemzug - Besenstrich ... Man darf nie an die ganze Strasse auf einmal denken, verstehst du? Man muss immer nur an den nächsten Schritt denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich. Und immer wieder nur an den nächsten.“
Sprachlos gingen die zwei weiter, angerührt von so viel Weisheit und Güte. Nun kamen sie in die Stadt Robschitz, die Stadt, in der Rabbi Naftali wohnte. Dort pflegten die Reichen, deren Häuser einsam oder am Ende des Dorfes lagen, Leute zu dingen die nachts über ihren Besitz wachen sollten. Der Rabbi ging dort gerade am Rande des Waldes spazieren und traf einen solchen Wächter. „FÜr wen gehst Du?“ Der Wächter gab ihn die Antwort, fügte aber die Gegenfrage hinzu: „Und Du, für wen gehst Du?“
Die Worte trafen den Rabbi wie ein Pfeil ins Herz und mühsam brachte er hervor: „Ich träumte, ich ging eines Tages mit meinem Herrn am Strand entlang. Da sah ich mein Leben wie einen Film an mir vorbei laufen. Für jede Szene aus meinem Leben waren Spuren im Sand zu sehen. Als ich auf die Spuren im Sand zurückblickte, waren manchmal zwei Spuren im Sand zu sehen zu sehen, manchmal nur eine. Und ich bemerkte, dass sich zu Zeiten grösster Not und Trauer nur eine Spur fand. Da fragte ich meinen Herrn: „Herr, zu den schweren Zeiten ist nur eine Spur zu sehen. Du hast aber versprochen, stets bei mir zu sein. Ich verstehe nicht, warum du mich da, wo ich dich am nötigsten brauchte, allein gelassen hast.“ Da antwortete der Herr: „Ich verrate dir ein Geheimnis: Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“
Die beiden Mönche mussten heftig schlucken und waren noch ganz benommen von der Tiefe dieser Worte, als sie Rabbi Schamai sahen. Rabbi Schamai beobachtete gerade, wie ein paar Knaben Verstecken spielten. Doch die älteren Kinder verloren bald die Lust am Spiel und liefen weg. Da kam der Jüngste weinend zum Rabbi und klagte: „Ich habe mich versteckt, aber niemand hat mich gesucht!“ Dem Rabbi war es, als hätte ihn der Blitz getroffen und stammelnd sprach er: „Denkt immer daran: Du bist zeitlebens für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast.“
Dankbar nickten die beiden Mönche und machten sich wieder auf den Weg. Sie kamen immer tiefer in den Wald und trafen den Fuchs, der zu den Sternen hinaufblickte. Er wartete auf seinen Freund, den kleinen Prinzen, der immer um diese Zeit kam, um ihn zu zähmen und seufzte: „Die Menschen sind wie die Spinne, die am Abend noch einmal ihr kunstvolles Netz abschreitet und zu einem Faden kommt, der nach oben führt und scheinbar ohne Bedeutung herumhängt. Ärgerlich beisst sie ihn durch. Da fällt das ganze Netz über ihr zusammen und stürzt zu Boden.
„Genau“, sagte in diesem Moment die Maus Frederik, die gerade dazu gekommen war. „Jedes Ding hat seine Aufgabe. Das ist wie mit der kleinen Schraube im Bug eines grossen Schiffes. Weil sie sich Überflüssig vorkam, wollte sie das Schiff verlassen. Da ging ein grosses Zittern durch das Schiff und die anderen Teile des Schiffes schickten eine Nachricht zu der Schraube und baten sie, zu bleiben. Da freute sich die Schraube und sagte. „Hermann Hesse hatte doch recht: Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.“
Nachdem die beiden Mönche fast benommen vor Glück den Wald verlassen hatten, kamen sie an eine gefährliche Küste, an der es viele feudale Boots-Clubs gab. Ein alter Mann sass auf einem Stein und begann den Mönchen zu erzählen, wie es dazu gekommen war. An der Küste war es im Laufe der Jahrhunderte immer wieder zu verschiedenen Schiffsunglücken gekommen, weil Schiffe bei schwerer See auf die Klippen im Meer geschleudert worden waren. Die Männer des Dorfes hatten eine Rettungstruppe gebildet. Wenn nun ein Schiff in Seenot geriet, fuhren sie mit ihren kleinen Holzbooten hinaus und hatten so schon unzähligen Menschen das Leben retten können. Die Geretteten bedankten sich oft mit hohen Geldsummen, die dann in die Boote und Rettungshäuser investiert wurden. Doch je moderner die Häuser ausgerüstet wurden, je mehr schwand der ursprüngliche Geist der Männer. Und so bildeten sich neue Rettungstrupps, denen es ähnlich ging.
Nachdenklich sah der alte Mann die Mönche an: „Wenn ich dann hier die Spuren im Sand sehe, dann weiss ich, dass Gott nur den Samen gibt, nicht die Früchte.“ Dankbar drückten sich die drei Männer die Hand.
Bald darauf kamen die Mönche nach einer langen Wanderung tatsächlich an das Ende der Welt und an die grosse Tür, die in dem Buch beschrieben worden war. Sie öffneten die Tür und betraten den Raum. Es war ihre eigene Klosterzelle. Glücklich sprach der eine Mönch zum anderen: „Oh, wie schön ist Panama!“
 

[Home] [Geralds] [Ordination] [Geschichten] [Barbaras]