Den Anlass für die Untersuchungen auf dieser Seite gab ein Abschnitt in The Topos of Music, genauer das Kapitel 11.3.4. Dort wird die hier beschriebene Motivklassifikation in Z12 x Z12 mit der in Z12 x Z5 (Fünfertakt) verglichen, wobei in letzterem Fall die Gesamtzahl der Motive geringer, die Anzahl der Isomorphieklassen jedoch grösser ist (im Falle dreielementiger Motive: 45 Klassen gegenüber 26 bei Z12 x Z12) - das heisst: Z12 x Z12 bietet vielfältigere Möglichkeiten, isomorphe Motive zu bilden. Es wird dann die Frage aufgeworfen, ob die menschliche Fähigkeit, Motive zu erkennen, mit der Anzahl Isomorphieklassen irgendwie zusammenhängen könnte - da ja bekanntlich der Fünfertakt Musiker in dieser Hinsicht immer wieder vor Probleme stellt.
Im Buch wurde die Frage hauptsächlich unter dem Aspekt des Rhythmus behandelt, was dem Blick von der europäischen Tradition her entspricht - aber natürlich von der Mathematik her keineswegs ausgezeichnet ist! Genauso gut könnte man die Tonkomponente variieren - und die in Kapitel 11.3.4 ausgesprochene Hypothese würde dann z.B. bedeuten, dass Motive im Fünfertakt, die im zwölfstufigen Temperament schwieriger zu klassifizieren sind als solche im Dreier- oder Vierertakt, bei einer Aufteilung der Oktave in 5 oder 10 gleiche Schritte besser dastehen würden.
Dies bewog mich, nach derselben Methode wie in meiner Diplomarbeit die Motivklassen in Z10 x Z10 und Z5 x Z5 zu bestimmen. Der Fall Z10 x Z10 ist interessant, weil er relativ nah an Z12 x Z12 liegt, und der Fall Z5 xZ5, weil eine Aufteilung der Oktave in 5 gleiche Teile eine Skala ergibt, die deutlich als pentatonisch identifizierbar ist, auch für existierende Musik relevant also; mehr dazu weiter unten.
Die Resultate sind unten zu sehen. Die Klassifizierung in Z10 x Z10 ergibt für dreielementige Motive 10 Klassen - der Unterschied zu Z12 x Z12 ist in vergleichbarem Verhältnis wie zwischen den im Buch besprochenen Z12 x Z12 und Z12 x Z5! Das heisst, wenn man die Hypothese praktisch testen will, bietet sich Z10 x Z10 geradezu als Modellfall an.
Ich habe nun begonnen, Musik in fünf- und zehnstufigem Temperament zu machen - was mit Hilfe der bei heutigen Synthesizern möglichen Verstimmungsfunktionalität auch immer einfacher geht. Mit den eigenartigen Klängen von Z10 konnte ich mich bis jetzt allerdings nicht so richtig anfreunden... Es gibt jedoch andere Leute, die dies schon gemacht haben; es gibt eine "Szene", die sich der mikrotonalen Musik verschrieben hat, und die etwa im Yahoo-Forum tuning-math anzutreffen ist. Dort habe ich einmal in dieser Richtung nachgefragt; die Antworten, die ich erhielt, waren jedoch eher negativ. Ein vorgebrachtes Argument (von Paul Erlich) halte ich für besonders bedenkenswert: eine Aufteilung der Oktave in 5 gleiche Teile ergibt, wie gesagt, eine pentatonische Skala; und pentatonische Skalen sind in vielen Musikstilen auf der ganzen Welt verbreitet. Die genannte Hypothese würde bedeuten, dass sich analog eine Tendenz zu Fünfer-Rhythmen ausmachen lassen müsste. Paul Erlich war der Meinung, eine solche Tendenz gebe es nicht; ich denke, es wäre zumindest mal interessant, da eine systematische Untersuchung durchzuführen...
Meinen Versuchen mit der gleichstufigen pentatonischen Skala war mehr Erfolg beschieden als mit der zehnstufigen - als erstes Resultat wird unten meine Komposition "Asîmchômsaia" vorgestellt. Eine Antwort auf die eingangs geschilderte Frage habe ich bisher zwar nicht gefunden (bisher habe ich, unabhängig vom Tonsystem, mit den Fünfer-Rhythmen noch Mühe...)
Motivklassifizierung in Z10 x Z10
Zweielementige Motive werden, wie bei Z12 x Z12, durch den GGT der Parameterdifferenzen bis auf invertierbare Elemente klassifiziert. Mögliche Werte sind: 1 (isomorph zu 3, 7, 9), 2 (isomorph zu 4, 6, 8) und 5, es gibt also 3 Klassen.
Bei dreielementigen Motiven gibt es 10 Klassen, siehe die untenstehende Tabelle. Volumen und die Klassen der zweielementigen Teilmengen reichen hier, im Gegensatz zum Fall Z12 x Z12, leider zur Klassifizierung nicht aus.
Isomorphieklassen dreielementiger Motive in Z10 x Z10
Representant | Kernel | Volume | Subset classes |
---|---|---|---|
(0,0), (1,0), (0,1) | 0 x 0 | 1 | 1,1,1 |
(0,0), (1,0), (0,6) | 0 x Z2*(0,1) | 2 | 1,1,2 |
(0,0), (6,0), (0,6) | 0 x Z2 x Z2 | 2 | 2,2,2 |
(0,0), (5,0), (0,1) | Z5*(1,0) x 0 | 5 | 1,1,5 |
(0,0), (1,0), (9,6) | Z5*(1,1) x 0 | 2 | 1,1,2 |
(0,0), (5,0), (0,6) | Z5*(1,0) x Z2*(0,1) | 0 | 1,2,5 |
(0,0), (6,0), (4,5) | Z5*(1,1) x Z2*(1,0) | 0 | 1,1,2 |
(0,0), (1,0), (9,0) | Z5*(1,1) x Z2*(1,1) | 2 | 1,1,2 |
(0,0), (6,0), (4,0) | Z5*(1,1) x Z2 x Z2 | 2 | 2,2,2 |
(0,0), (5,0), (0,5) | Z5 x Z5 x 0 | 5 | 5,5,5 |
Motivklassifizierung in Z5 x Z5
In Z5 x Z5 liegen die Dinge noch wesentlich einfacher als in Z10 x Z10 (möglicherweise fast zu einfach...) Einerseits ist natürlich der Raum wieder deutlich kleiner, und dazu ist 5 prim und somit Z5 ein Körper. Bei zweielementigen Motiven gibt es deshalb, da alle Zahlen <> 0 invertierbar sind, nur eine Klasse.
Bei dreielementigen Motiven gilt: Da Z5 ein Körper und somit Z5 x Z5 ein Vektorraum ist, kann jedes Motiv mit Volumen ungleich 0 auf {(0,0), (0,1), (1,0)} transformiert werden. Solche mit Volumen 0 können auf die x-Achse transformiert werden, wo es bis auf Translationen 2 Varianten gibt ({0,1,2} und {0,1,3}), welche jedoch auch isomorph sind. Somit haben wir 2 Klassen dreielementiger Motive, und das Volumen ist zur Klassenbestimmung hinreichend.
Bei der Klassifizierung vierelementiger Motive habe ich wieder auf die modultheoretische Methode zurückgegriffen. Modulklassen gibt es 8; allerdings existieren nur für 4 davon entsprechende musikalische Motive. Im Vergleich zu Z12 alles ziemlich beschränkt also...
Isomorphieklassen vierelementiger Motive in Z5 x Z5
Representant | Kernel | Volume | Subset classes | (0,0), (1,0), (2,0), (0,1) | Z5*(1,0,0) | 1 | 0,1,1,1 |
---|---|---|---|
(0,0), (0,1), (1,0), (4,4) | Z5*(1,1,1) | 1 | 1,1,1,1 |
(0,0), (0,1), (1,0) | (1,1) Z5*(1,1,4) | 1 | 1,1,1,1 |
(0,0), (1,0), (2,0), (3,0) | Z5*(1,0,4) x Z5*(0,1,3) | 0 | 0,0,0,0 |
Kein Motiv existiert zu den Kernen 0, Z5*(1,0,0) x Z5*(0,1,0), Z5*(0,1,1) x Z5*(0,4,1) und Z5xZ5xZ5.
Meine Komposition "Asîmchômsaia", in Z5 x Z5
Komponieren in Z5 x Z5 ist ein ziemlich anderes Erlebnis als mit zwölf Tönen. Der doch sehr beschränkte Tonvorrat bietet harmonisch kaum Möglichkeiten; andererseits macht gerade die Beschränktheit die Verwendung von allgemeinen zweidimensionalen Motivtransformationen ohne allzu grossen Rechenaufwand möglich. In der Komposition "Asîmchômsaia" sind solche denn auch auf verschiedene Arten eingeflossen.
Wem die Mathematik wurst ist, dem kann sie getrost wurst bleiben - das Stück lässt sich auch ohne anhören (hoff ich wenigstens...). Ansonsten sind unten noch ein paar Bemerkungen zur Entstehung angeführt.
Asîmchômsaia (SoundClick) - Asîmchômsaia (mx3.ch) - Asîmchômsaia (Jamendo)
Details zur Entstehung von "Asîmchômsaia"
Das Stück ist ca. 2' 40" lang und lässt sich grob in 4 Abschnitte unterteilen:
- Nach einem kurzen Schlagzeug-Intro erklingt zunächst eine einstimmige Melodie, in einer Koto-ähnlichen Klangfarbe (das Klangbild des Stücks ist etwas in Richtung fernöstlicher Volksmusik orientiert, wozu ich durch die pentatonische Skala inspiriert wurde). Diese Melodie wurde "herkömmlich" komponiert. (Es sind übrigens zehn Takte - aber das war keine Absicht!)
- Dann setzt eine Begleitung ein (Glockenspiel- oder Marimba-ähnliche Klangfarbe). Die Begleitmuster sind dabei durchwegs Orbits bzw. "Zirkelmotive", d.h. sie entstanden aus einem Anfangston und dem wiederholten Anwenden einer affinen Transformation, bis man zum Anfangston zurückkommt. Die verwendeten affinen Transformationen wiederum habe ich aus der Hauptmelodie hergeleitet, indem ich bestimmte dreielementige Teilmotive herausgriff und dann Transformationen bestimmte, die diese ineinander überführen. Übrigens sind auch sämtliche Schlagzeugpatterns auf genau dieselbe Art entstanden.
Anschliessend wird das Eingangsthema wiederholt, verstärkt durch einen Gitarrensound und leicht erweitert - und zwar durch transformierte Motive des Hauptthemas unter den oben erwähnten affinen Abbildungen. - Eine weitere Stimme setzt ein (Horn-Klangfarbe). Diese spielt eine vergrösserte Variation des Hauptthemas, wobei die Vergrösserung ungefähr dem Faktor 2.5 entspricht - zwei Schläge des Hauptthemas entsprechen ungefähr einem Takt. (Es ist diesmal keine mathematisch exakte Vergrösserung.) Die anderen Instrumente spielen dazu weiter Zirkelmotiv-Begleitpatterns, wobei die Patterns von Koto und Gitarre (die unisono spielen) hier spezielle Zirkelmotive sind, nämlich Orbits einer einzigen affinen Abbildung, beginnend mit den Tönen, die im jeweiligen Takt vom Horn gespielt werden.
- Im Schlussteil schliesslich wird das Konzept mit den Zirkelmotiven auf die Spitze getrieben. Alle Instrumente spielen hier in einem Kanon eine Melodie, die aus den aneinandergereihten Orbits einer affinen Transformation besteht; dabei addieren sich die einzelnen Orbits sukzessive auf, bis am Schluss an JEDEM Punkt von Z5 x Z5 ein Ton sitzt.