Reisetagebuch von Susanne Witschi-Klotz Teil 2

Reisetage  5, 6, und 7: Erste Etape der Zugreise, Moskau bis Irkutsk



Mittwoch, 14. 7. 2004

Morgens um Viertel vor fünf wache ich auf, weil ich aufs WC muss... ich habe aber gut geschlafen und döse gleich wieder ein.... Das  ta-tam-tam, da-tam-tam  der Räder macht schläfrig.

Etwa um halb 10 (!) sind dann alle soweit wach und gewaschen, dass wir mit dem Zmorge starten können:  Die Vorbereitungen sind zwar recht umständlich, aber es schmeckt!

Der Zug fährt meistens mit 60 – 70 Stundenkilometer, selten schneller, aber oft auch viel langsamer. Wir sehen viele Moore, Wäldchen lösen Matten und Felder ab, immer wieder kleine Bauernhöfe oder weit gestreute Dorfsiedlungen. Der Bahnlinie entlang hat es oft Hecken aus Birken und Kleingehölz – wir vermuten, dass sie im Winter den Wind und damit die Schneeverwehungen abhalten sollen.

Bei den Bauernhäusern  (Bretter-Bruchbuden wäre oft der passendere Name !) ist jeder Gartenfleck mit Kartoffeln und Kohl bepflanzt, Blumen sieht man höchst selten...- die brauchen nur Platz und nähren nicht !

Um die Mittagszeit herum hält der Zug einmal für 5 – 8 Minuten. Die Zugbegleiterin lässt uns zwar nicht aussteigen, aber Frauen kommen an die offene Tür und verkaufen becherweise Heidelbeeren und Erdbeeren, auch Pflaumen gibt es zu kaufen. Wir decken uns ein und dann geht es auch schon weiter. Beim nächsten längeren Halt in Kyrow dürfen wir aussteigen – und es hat uns fast um:  Im Waggon drin ist es angenehm kühl (auf den oberen Betten sogar fast schon kalt!) auf dem Perron hat es aber mindestens 30 Grad Celsius oder mehr!  Hier werden riesige Plüschtiere in rauen Mengen angeboten, dazu  Getränke.... sonst nichts.

Mit den Zeiten haben wir schon jetzt ein leichtes Durcheinander... wir machen uns nach 14 Uhr zum ersten Mal eine Nudelsuppe mit heissem Wasser aus dem Samowar... und beim nächsten Stopp erfahren wir, dass es dort schon 18 Uhr ist ! (Nach  „unserer“ Zeit erst 16 Uhr)  -- da rückt ja das Nachtessen bald schon wieder näher... Drum gibt es auch hier wieder Essbares zu kaufen: Wir erstehen Brot, Tomaten, frische Gurken und Dill, frische Schnittzwiebeln... Annina kauft am Kiöskli auf dem Perron noch den vergessen gegangenen Zucker ...- und kaum ist der Zug wieder losgefahren, machen sich die anderen drei grad einen Kaffee !

In weiteren zwei Stunden werden wir in Perm ankommen. Hintendran ist dann der Ural, die berühmte Grenze zwischen Europa und Asien. Schon jetzt werden die bewohnten Siedlungen immer spärlicher – nachher wird die Landschaft wahrscheinlich noch unbewohnter...

Nachtrag:  Stimmt nicht, was ich oben geschrieben habe !  Wir fahren laut Reiseführer grad JETZT durch den Ural... dabei ist die Gegend gleich topfeben wie vorher. Der Ural sei halt nur ein Hochplateau von durchschnittlich 500 m Höhe...

Wir veranstalten ein üppiges Znacht im Abteil und laden eine Claudia aus Bern, die allein unterwegs ist und im übernächsten Abteil zu Hause ist, zum Essen mit ein. Das kleine Tischli im Abteil ist fast zu eng, um all unser Essen aufzunehmen:  Tomatenschnitze, Gurkenrädchen mit Salz/ Pfeffer, dazu frischen Dill und Schnittzwiebeln, Brot, Bündnerfleisch von zu Hause,  Käsli für Kathrin und dazu je nach Belieben Fruchtsaft oder Wasser... – und nachher noch Cappuccino, allerdings aus dem Beutel...

Währenddem wir so schlemmen, kommt im Gang wieder das  „Wägeli“ vorbei und wir erstehen noch eine kleine Flasche Wodka für unsern Gute-Nacht-Drink:  Wir mixen einen Alcopop aus Fruchtsaft und Wodka und stossen an:  

„Nasdrowje !“



Donnerstag, 15. 7. 2004   nach oben

Morgens früh um 6 Uhr (Moskauer Zeit aber um 4 Uhr !) werden wir von einem riesigen Radau im Gang geweckt: Auf französisch wird da reklamiert / geschumpfen / gebrüllt... niemand kann das überhören und weiterschlafen ! Es ist anscheinend eine ganze Gruppe Franzosen, die in Jekaterinburg zugestiegen sind und die nicht die gewünschte Anzahl Abteile bekommen hat....Endlich legt sich der Lärm etwas und wir können weiterschlafen.

Beim nächsten Aufwachen riecht es wie bei einem chemischen Kampfangriff:  Ich tippe auf  „Schädlingsbekämpfung“, Urs  „entziffert“  Tannenduft in Überdosis ...!!!   Da ist tatsächlich eine dieser älteren Französinnen durch den ganzen Gang marschiert und hat alles eingesprüht! Der Intensität nach eine volle Ladung !! Von mir aus kann die das in ihrem Abteil anwenden, oder sogar im WC, aber bitte nicht mehr die Allgemeinheit damit belästigen !

Den ganzen Tag hindurch lesen wir, dösen zwischendurch rasch ein wenig, schreiben, ... die Landschaft ist zwar nicht sehr abwechslungsreich, aber doch recht hübsch... da wechseln Moore mit leichten Wäldchen, riesige Felder tauchen auf, dann wieder Weiher mit Schilf.... --- ich finde es nicht so eintönig, wie es oft beschrieben wird.

Bei den wenigen Stopps von 10 – 15 Minuten gehen wir alle hinaus und hoffen, Frischwaren oder  Früchte kaufen zu können, aber es sind heute nur grössere Ortschaften, wo der Zug heute hält, da ist das Angebot dürftig:  Nur Getränke oder Chips und Zigaretten werden in kleinen Kiöskli verkauft .  

Aufregung dann beim letzten Stopp dieses Tages: Ich komme grad von einem vergeblichen Zwiebelkauf zurück...(die Frau war bloss betrunken und fuchtelte mit den Zwiebeln in der Luft herum, - dann steckte sie sie in die Tasche und torkelte zur Treppe...)  - da sehe ich Kathrin und Urs laut protestierend auf eine dicke Frau in Strickjacke einreden. Umringt von etlichen Zuschauern gibt es  ein Hin und Her  == > Annina wollte zwei Fladenbrote zu je 5 Rubel kaufen und hatte eine 50ger-Note gegeben, die Frau wollte einfach kein Herausgeld geben und weglaufen, worauf Kathrin und Urs sie an den Kleidern zurückhielten... Es gab ein Riesenhinundher... Als Zeugen bestätigten, dass sie einen 50-Rubelschein bekommen hatte, da zeigte sie das Geld in der Tasche... dort war kein 50ger-Schein, den hatte sie im Portemonnaie versorgt.  Ein mitreisender Russe, der gut Englisch sprach, übersetzte und klärte... und zuletzt gab die Frau widerwillig das Herausgeld --- und ich stand die ganze Zeit bei der Zugtür in grösster Angst, der Zug würde wegen der blöden 50 Rubel ohne uns abfahren !  ( Es gibt nämlich kein Abfahrtssignal)  kaum hatte sich das Problem gelöst, winkten uns die Wagenbetreuerinnen auch schon hinein – und weg gings von diesem unerfreulichen Ort !

Später dann wieder Znacht im Abteil, fast gleiches Menue wie gestern, bloss anstelle des Bündnerfleischs gab es geräucherten, flachgeklopften Fisch.... schwierig zu essen, aber gut !



Freitag, 16. 7. 04  
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Jetzt sind wir bereits hinter Kransnojarsk und haben unsere Uhren schon vier Stunden auf die Moskauerzeit vorgestellt.  D.h.  Moskauer Zeit ist  6 Uhr morgens..., Lokalzeit ist 10 Uhr morgens,  Schweizer Zeit ist 4 Uhr morgens....

Wir haben schon jetzt ein  „Gnusch“ mit dem Zeitgefühl...sollen wir jetzt frühstücken oder bereits zu Mittag essen ???  Wir lösen das Problem, indem jeder individuell seinem Hungergefühl entsprechend, sich bedient:  Die Auswahl ist ja reichlich, bloss Frischwaren fehlen..!

Die nächsten zwei Stopps sind punkto Einkaufen total unergiebig, doch dann klappt’s:  Wir können reich einkaufen!  Tomaten und Gurken wie immer, dazu Waffeln mit Caramelcrème gefüllt, ein Viertel einer Wassermelone und drei Bananen ! Das gibt heut ein Festessen... --- so irgendwann um zehn Uhr nachts, aber draussen ist es immer noch hell ! (Die Sonne geht etwa um halb zwölf Uhr nachts unter – und um drei Uhr morgens wird es schon wieder hell... das trägt zusätzlich zum komischen Zeitgefühl bei!)

Nachher packen wir unsere Rucksäcke fast fertig, denn es gilt nur noch ein Mal zu schlafen und morgens um halb neun sollen wir dann in Irkutsk ankommen  (nach Zugzeit, resp. Moskauer Zeit: halb drei Uhr morgens! )

Die Moskauer Zeit ist so wichtig, weil der ganze Zugfahrplan nur in Moskauer Zeit berechnet wird, egal in welcher Zeitzone man sich gerade befindet. ( Die Transsib durchquert von Moskau bis Wladiwostock sieben Zeitzonen !)  Mir tun vor allem die Leute leid, die im Speisewagen fest Verpflegung gebucht haben:  Morgenessen etwa zwischen elf und zwölf..., Mittagessen um halb sechs Uhr abends und das Nachtessen wird erst lange nach Mitternacht serviert... Denn auch der Speisewagen richtet sich mit den Oeffnungszeiten nur nach dem Moskauer Zeittakt.

Nachtrag:  Am Morgen hatten Annina und Kathrin solange geschlafen, dass Urs und  ich so gegen halb elf beschlossen, unser Zmorge im Speisewagen einzunehmen... Dort war aber erst gerade  „Tagesanbruch“ – wir schreckten die Küchenmannschaft von ihrem eigenen Zmorge auf...

Es gab eine tolle Karte ( A 5 – Format und mehrere Seiten dick), etwas zerfleddert zwar und bloss ein Exemplar für den ganzen Wagen, aber alles auf Russisch, Englisch, Französisch und Deutsch angeschrieben... – aber ohne Preise, da die wegen der fortlaufenden Inflation sowieso grad wieder geändert werden müssten!   Die  vielsprachige Karte war aber sowieso eher  „Dekoration“... auch hier mussten wir unsere Bestellung durch Zeichensprache, Nicken oder Kopfschütteln durchgeben. Dann erhielten wir eine homöopathische Dosis Konfitüre, einen winzigen Klecks Margarine, zwei hauchdünne Scheibchen Käse und

 zwei Brotdreieckchen  (Seitenlänge ca. 6 cm)
...dazu einen zweiten Teller mit der  „Dreifaltigkeit“: Ein gefaltetes Omelett,   ein  „Härdöpfel-Tätschli“ gefüllt mit einer Art Hüttenkäse und beidseitig angebraten und als Drittes eine Art Ofenküechli,  knusprig frittiert aber absolut ohne Geschmack und Inhalt, dazu eine einzige Tasse Tee.Das Zmorge ist nicht umwerfend, aber doch gut und macht satt ... – und als ich nachher noch meinen kleinen Patience-Kärtchen auspacke, da staunen Kellnerin und  „Patronne“ über deren Kleinheit.


Im 3. Teil: Ankunft in Irkutsk und Ausflug an den Baikalsee

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