Reisetagebuch von Susanne
Witschi-Klotz Teil 3
Reisetage 8 und 9:
Ankunft in Irkutsk und Ausflug an den Baikalsee
Ankunft
in Irkutsk Die Gärten und Felder sehen nicht besser aus: Die Kartoffelstauden kleben flach am Boden und die braune Erde ist völlig „zugeschwemmt“ – nichts mehr von krümelig und so... Mit tun die Leute hier leid: Sie haben ja sonst schon kein einfaches Leben – und dann so ein Schicksalsschlag ! Der Zug kriecht weiter... bald wird klar, dass wir nicht pünktlich ankommen werden.! Auch das Bahngeleise muss anscheinend zuerst freigeräumt werden – das Schild liegt ebenfalls flach, und immer wieder die zersplitterten Birkenstämme oder Föhren links und rechts der Geleise... --- erinnert mich stark an die Bilder vom Lothar-Sturm in der Schweiz! Wir hören, dass vor uns noch ein Zug auf demselben Gleis sei.... – es hat ja nur ein Gleis in jede Richtung... – zuerst heisst es, wir hätten zwei Stunden Verspätung, dann werden es immer mehr... Im Abteil wird es heiss und heisser, die Klimaanlage ist abgestellt... wir dösen, versuchen zu lesen, schlafen wieder ein.... Kurz
vor Irkutsk hält der Zug wieder... für uns sieht es aus, als halte er
auf offener Strecke, aber aus den hintersten Waggons steigen einige
Russen mit riesigen Gepäckstücken und Säcken aus ( u.a. zwei
zusammengebundenen Matratzen...! Als Gepäcklimite wären eigentlich 35 kg pro Person
gestattet...) Mit
Highheels balancieren zwei Frauen durch das Schotterbett zum Nebengleis
...sie zerren die schweren Gepäcktaschen am Boden hinter sich her...
Die Männer mühen sich mit „Jumbo-seize“ Paketen
von der Grösse mächtiger
TV-Geräte ab... Die Matratzen-Pakete holen sie dann im zweiten Anlauf:
Sie stellen sie auf die Schienen des Gegengleises und zerren sie so bis
zum Bahnhof... --- der liegt ausserhalb unserer Sichtweite !!!
Ich möchte nicht wissen, ob die Verpackungen solchen Strapazen
standhalten... – es scheint jedoch öfters mal so was vorzukommen,
denn alle Pakete, die wir so bei der Abfahrt gesehen haben, sind doppelt
und dreifach verpackt, zugeklebt und verschnürt ! Auf dem Perron hat uns ein Transfer-Boy mit Namensschild „Witschi“ erwartet... – um uns dann zu erklären, wir hätten „No Transfer“ gebucht – aber wir könnten ein Taxi für ca. 150 Rubel nehmen ( = ca. 6.30Fr. ) – oder aber den Bus Nr. 16. Er erklärt uns sogar, wo wir die Bushaltestelle finden... Das geht relativ leicht, der Bus wartet schon und nach dem Bezahlen von 5 Rubel (= 21 Rp.) pro Person fahren wir los. (Der Bus kommt aus Korea und hat noch die koreanischen Anschriften auf der Tür!) Der Verkehr ist dicht – die Autos sogar noch klappriger und die Strassen noch schlechter als in Moskau ! |
Ich
sehe ein Hauptstrasse-Schild, bei dem man mangels Schrauben und Pfosten
einfach eine Ecke umgebogen hat, das baumelt nun mit andern Schildern
zusammen einfach an einem Draht über der Strasse... Nach
einer kurzen Ruhepause ziehen wir dann los auf
„Irkutsk-Erkundung“. Zuerst geht es durch den grossen Park am
Ufer der Angara. Der Fluss
ist überraschend sauber und klar und führt unglaubliche Wassermengen
mit sich. Die Angara wird sich etwa 65 km weiter südlich in den
Baikalsee ergiessen. |
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An der einzigen gotischen und katholischen Kirche Sibiriens vorbei, gehen wir zu Fuss weiter zum Stadtteil, wo es von viele von den alten, reich mit Holzschnitzereien verzierte Häuser haben soll.... Wir sind entsetzt über die schlechten Strassenzustände: Da gibt es Kreuzungen, die bestehen mehrheitlich aus Sand und Geröllhaufen, es gibt auf der Strasse und auf dem Trottoir tiefe Löcher, z.T. bis in die Kanalisation hinunter... auch hier liegen natürlich überall Baumteile und Blätter, aber zusätzlich liegen da diverse Strassenbeleuchtungen am Boden oder sie baumeln mit abgerissenen Drähten von irgendeinem Ast Baumteil herunter. Die Strassen scheinen vorher schon nicht sehr gut unterhalten gewesen zu sein ... – und das Unwetter hat zusätzlich noch beigetragen: Dohlendeckel hochgedrückt, Hohlräume unterspült usw.... Die Holzhäuser finden wir rasch... (Merkspruch: „Bei der Karl-Marx-Allee links abbiegen“)- die Wände, Läden und Dachverzierungen sind wirklich sehr kunstvoll gearbeitet und reich geschmückt: Alles ist geschnitzt oder mit gedrechselten Leisten verziert, aber in erbärmlichstem Zustand ! Wir sehen aber auch, dass bei alten, schönen Häusern aus der letzten Jahrhundertwende wieder Renovationen angefangen werden, einige sind bereits wieder in wirklich sehenswertem Zustand ! Bloss, es hat soviel was dringendst gemacht werden müsste, da weiss man ja gar nicht, wo anfangen !! Weil es zu regnen beginnt, flüchten wir in eine Markthalle, wo es zu Kathrins Freude viele viele Stände mit Käse gibt! Wir decken uns mit Käse und Wasser ein, Kathrin ersteht auch zwei kleine Wodkaflaschen zum Heimnehmen... Nachdem wir alles besichtigt haben, wagen wir uns nach draussen: Es schüttet ! Um den „Marktplatz“ herum hat es zwei Restaurants... wir beschliessen, halt jetzt schon etwas zu essen... wir gehen ins erste Restaurant hinein, das Personal sitzt um einen Tisch und raucht und diskutiert...- niemand dreht auch nur den Kopf um von unserer Anwesenheit Notiz zu nehmen !! Und auch im zweiten Lokal, einem angeblich chinesischen Restaurant, ist niemand daran interessiert, uns zu bedienen, sprich: Zu arbeiten ! (Unsere einstimmige Meinung: Das sind nicht Chinesen dort drin...die wären viel zu geschäftstüchtig um sich vier Ausländergäste entgehen zu lassen !) Wir flüchten uns, schon ziemlich nass, in ein kleines Lokal weiter hinten, fas einer Art „dirty place“: Sie haben zwar eine tolle Karte, sogar mit Bildern ! – aber bei allem, was Annina dann bestellen will, heisst es : „Haben wir nicht!“ Zuletzt stellt sich heraus, dass man nur gerade zwei Sachen zu Essen gibt: Salat und mit Hammelhackfleisch gefüllte Teigtaschen oder aber etwas Paniertes, Fetttriefendes... Urs und ich entscheiden sich für die Teigtaschen, und Annina kann schliesslich für sich und Kathrin noch „Pommes frites“ bestellen... – diese entpuppen sich als dunkelbraune Kartoffelstreifen, die auch im Teller noch im Oel schwimmen... Sticht man mit der Gabel hinein, so quillt das Oel nur so heraus...bäh! - Aber etwas essen muss man ja ! (Wir freuen uns schon jetzt auf die chinesische Küche !!) So gesättigt marschieren wir durch den strömenden Regen zum Hotel zurück und weiche tiefen Pfützen und halben „Seen“ aus... Im Hotel gibt es noch einen Kaffee und dann fallen wir ins Bett - sprich: In den „Trog“ ! |
Heute ist strahlendes Wetter – so ein Gegensatz zu gestern ! Wir stehen relativ früh auf und starten nach einem enttäuschenden zMorge mit „hässiger“ Bedienung zum Baikalsee. Dieser liegt 65 km südöstlich von Irkutsk und dehn sich dann über 550 km gegen Norden aus. Er ist ganz schmal (maximale Breite: 60 km) und 1675 m tief ... und absolut eiskalt, auch im heissesten Sommer erreicht er maximal 15 Grad Celsius! Eine sehr hilfsbereite Russin zeigt uns den Minibus zum Busbahnhof, dort steigen wir in einen andern Minibus um ..(Toyota Modell HiAce...mit 12 Personen drin) und dann geht’s los. Die Strasse führt endlos geradeaus durch Wälder und Hügel: Keuchend rattert unser Büsslein bis zur Hügelkuppe hoch und saust dann schnurgerade wieder hinunter um den nächsten Hügel in Angriff zu nehmen.... |
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Die
Fahrt dauert ca. 50 Minuten – und fast gegen Ende bekommt Annina auf
dem Sitz neben dem Fahrer noch eine ungeliebte Nachbarin: Eine sehr
dicke, nach Fisch und Rauch stinkende Person mit grossen Taschen dabei. Ringsum lagern, essen und vor allem: trinken russische Familien (und unter anderem auch eine Kuhherde, die es sich auf und neben der Strasse gemütlich gemacht hat!). Auch wir sitzen auf einem Holzsteg und gucken auf den See hinaus, geniessen das schöne Wetter und die prächtige Aussicht. ! |
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Später holen wir uns auch zwei Portionen Pilaw und eben besagte Fische (ein gedämpftes und ein getrocknetes Exemplar). Wir halten die Füsse kurz ins Wasser ...- sie frieren schon nach wenigen Sekunden fast ab ! Fünfzehn Grad hat das Wasser noch lange nicht ! Wir wollen dann um halb sechs das Tragflügelboot zurück nach Irkutsk nehmen und stehen brav an der Haltestelle – sogar recht weit vorne in der Schlange. Das Boot kommt mit zwanzig Minuten Verspätung an, etwas zwanzig Leute steigen aus, aber niemand darf einsteigen !!! Keine Begründung, keine Erklärung, auch nicht zu den wartenden Russen – einfach: „Njet!“, Türen geschlossen und ab geht’s !! |
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Wir stehen ziemlich belämmert
da – was nun ? Wir haben so lange gewartet, um mit dem Boot zurückzufahren,
sollen wir nun trotz Hitze und beginnendem Sonnenbrand nochmals eine
Stunde warten ? Und was, wenn das nächste Boot auch niemanden mitnimmt
?? Oder wieder den Bus
nehmen ?? Wir entscheiden
uns für’s Warten und tatsächlich:
Pünktlich kommt das nächste Boot an! Und dann haben wir
wirklich „Schwein“: Sie lassen grad mal zehn Leute einsteigen –
ich bin noch die Letzte, die durchschlüpft, dann ist Schluss! (Später
wird allerdings noch ein Paar mit Baby eingelassen) Das Boot prescht los
– es geht wirklich zügig vorwärts, auf Deck windet es kräftig! Allerdings ist nach etwa zehn Minuten schon Schluss mit Fahren: Wir legen an einem anderen Boot an und nichts passiert..... alle warten... Schliesslich merken wir, dass der Kapitän das Boot auftanken lässt: Mit einem Tankschlauch ungefähr von der Dicke eines Gartenschlauches wird das ganze Tragflügelboot mit Platz für 120 Personen aufgetankt ! Das dauert halt.... ;-) |
Endlich geht es weiter...aber das lange Warten hat sich gelohnt: In schöner Abendstimmung geht es den breiten Angara-Fluss hinauf. Die Ufer ziehen vorbei, - bewaldete Hügel, dann wieder flachere Stücke mit einmündenden Seitenflüssen – wirklich traumhaft ! Da müsste man mehr Zeit haben und diese Gegend entdecken können ! Gegen
neun Uhr abends kommen wir in Irkutsk an – mit dem Sammeltaxi geht es
zum Hotel zurück – es ist immer noch taghell.
Wir haben noch so viele Rubels, dass wir beschliessen, wenigstens
einmal in ganz Russland gut essen zu gehen.
Im Reisehandbuch empfehlen sie das Restaurant des Hotels Rus –
nach etlichen Anläufen finden wir es sogar ...allerdings nur den
Hintereingang (vorne ist alles mit Baugerüsten eingeschalt). Die ganze
Küchenmann-schaft sitzt draussen, schaut uns recht ungnädig an und
einer macht einen Spruch.....Oh je, ...da kommt wieder Arbeit auf sie
zu! (...und was ich vorher vergessen habe: Als wir im Restaurant ankommen, sitzen drei Russen ebenfalls noch im Speisesaal. Sie sind fertig mit Essen...und ohrenbetäubende Musik dröhnt aus der Musikanlage. Der Kellner zuckt entschuldigend die Achseln, sie hätten das so gewünscht... – und als sie dann endlich aufbrechen, nehmen sie ihre privaten CDs wieder mit!) Beim obligaten Espresso in der Hotelhalle treffen wir wieder auf die beiden Holländer aus dem Nebenabteil der ersten Zugstrecke. Wir wissen, dass sie auch morgen weiter nach Ulan Bator wollen. ... Wir beschliessen gemeinsam mit zwei Taxis zum Bahnhof zu fahren, dann ist es mit je drei Personen und Gepäck machbar, denn wir vier samt Gepäck und Essenstasche haben unmöglich in nur einem Auto Platz ! Und so früh am Morgen fahren noch keine Busse.... Also vereinbaren wir die Abfahrtszeit um 5.15 Uhr... – der Zug geht um 6.04 Uhr! Das sind wirklich Frühaufsteher-Ferien ! |
Im 4. Teil: Zweite Etappe der
Zugsreise, von Irkutsk bis Ulan Batar
zum
Reisetagebuch von Susanne
Witschi-Klotz
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Fototagebuch von Urs Witschi
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