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Gen Osten
26. Mai 2000

Bevor wir in Kürze die Grenze in den Iran überqueren und uns mit grösster Wahrscheinlichkeit ins Abseits der Technologie begeben werden, hier noch eine kurze Schilderung der letzten Tage in der Türkei. Im Moment befinden wir uns in Südostanatolien am Van-See, dem grössten Binnengewässer der Türkei (etwa siebenmal so gross wie der Bodensee). Es kommt uns vor, als wären wir seit langer Zeit die ersten Touristen, die sich in diese Gegend verirrt haben, wo seit 13 Jahren der Konflikt zwischen der türkischen Armee und der kurdischen Arbeiterpartei PKK seine Spuren hinterlassen hat. Zwar müssen wir immer wieder Strassensperren passieren und unsere Pässe vorweisen, aber von verschiedenen Leuten liessen wir uns versichern, dass das Gebiet wieder problemlos besucht werden kann. Und ein Besuch lohnt sich auf jeden Fall, denn die Landschaft hier ist geprägt von karger Schönheit und die Leute scheinen sich über jeden Gast zu freuen.

Kurz nachdem wir von Kappadokien kommend an die Schwarzmeerküste gelangt waren, entschlossen wir uns zu einem kurzen Abstecher in die Berge. In Axel und Utes APA Guide über die Türkei stand da nämlich: „Ordu is the staging point for the unforgettable excursion to the spectacular beach-encircled crater lake at Cambasi...“. Ja, da gab es nichts einzuwenden, und wir sahen uns schon an diesen Stränden herumhängen, mit einem kühlen EFES Bier in der Hand. Doch es kam anders – der „kurze Abstecher“ entpuppte sich als zweitägiges Herumirren im teilweise schneebedeckten Karagöl Dagi-Gebirge auf über 2000 m Höhe, mit Temperaturen nachts gegen 0 Grad. Immer wieder mussten wir Schneefeldern ausweichen und uns einen Weg über Stock und Stein suchen. Für die bereits angeschlagene Feder des Landrovers war dies eindeutig zu viel. Wenn wir wenigstens diesen ominösen Kratersee gefunden hätten! Er musste da irgendwo sein, denn sämtliche Leute, die wir fragten – „kara göl nerede?“ - strahlten und wiesen uns irgendwo den Berg hoch. Schliesslich boten uns zwei Hirten an, uns den Weg zum See zu zeigen. Das Gewehr, das sie dabei hatten, diente angeblich der Selbstverteidigung gegen Bären, was sie jedoch nicht davon abhielt, auch einfach aus Spass in der Gegend herumzuballern. Wir liessen die Autos stehen und kletterten zu Fuss den Berg hoch, gespannt, was uns oben erwarten möge. Ein halb zugefrorenes Bergseelein, wie es in der Schweiz Hunderte gibt. Von Stränden keine Spur und für ein EFES viel zu kalt. Bis heute wissen wir nicht, ob dies der im Reiseführer beschriebene Kratersee war... Dafür mussten wir lernen, dass in der Türkei doch noch ein Unterschied besteht zwischen Frauen und Männern und wir Frauen uns für die Türken wohl ziemlich freizügig verhalten. Nach einem eher unangenehmen Annäherungsversuch des einen Hirten nahmen wir uns vor, in Zukunft noch zurückhaltender zu sein und immer in der Nähe unserer Männer zu bleiben. 

An der Schwarzmeerküste gestaltete sich die Suche nach einem Übernachtungsplatz recht schwierig. Die Strasse führt direkt an der Küste entlang, und sobald man sich vom Meer entfernt ins Landesinnere gelangt man in kleine, steil angesiedelte Dörfer, die umgeben sind von riesigen Teeplantagen. Der einzige offizielle Campingplatz, den wir fanden, lag zwar direkt am Strand, aber auch direkt an der Strasse. Trotzdem legten wir da einen Ruhetag ein, der mit Waschen, Lesen, Schreiben und einem sensationellen Beachvolleymatch am Strand, mit anschliessendem Bad im Schwarzen Meer, im Nu verflog. Na ja, nicht allen erging es so gut, denn Frieder verbrachte den ganzen Tag damit, am Landi zu schrauben und in der Weltgeschichte herumzutelefonieren auf der Suche nach einem Ersatz für eine der vier neueingebauten Federn, die schlapp zu machen drohte. Aber Frieder wird die Details dazu bestimmt noch nachliefern, denn er ist allgemein der Meinung, dass diese technischen Einzelheiten in den bisher veröffentlichten typischen „Frauenberichten“, in denen es vor allem um „verschmitzte Gesichter am Strassenrand“ gehe, doch etwas zu kurz kämen.  Nur noch soviel: Die neue Heavy-Duty-Feder der Firma All Makes in England (wow, soviele technischen Angaben im selben Satz) sollte morgen oder übermorgen via Kurier in Van eintreffen.

Die zweite Nacht an der Küste verbrachten wir neben einem hübschen Fischrestaurant, leider auch direkt an der Strasse. An diesem Abend wurde es ziemlich eng, denn es war bereits dunkel, und wir hatten immer noch keinen Schlafplatz gefunden – etwas, das wir auf der ganzen Tour eigentlich vermeiden wollen. Der Gedanke an frischen Fisch und die Pistole am Hosenbund des Wirtes (!) überzeugten uns schliesslich davon, an diesem Platz zu bleiben. Und der Fisch schmeckte in der Tat hervorragend!

Kurz vor der georgischen Grenze liessen wir uns – obwohl leicht skeptisch geworden durch die Karagöl-Erfahrung – einmal mehr vom APA Guide verleiten und fuhren ins Hemsin-Tal: „A tour of the Black Sea will be incomplete without an expedition into the unique world of the Hemsin Valleys (...) with its spectacular (man beachte: schon wieder dieses Wort!) alpine passes and glacier lakes of the Kaçkar range.“ Kilometer um Kilometer drangen wir tiefer in die Schweizer Bergregionen ein, das Zeit-Raum-Diskontinuum hatte uns wie bereits einige Male zuvor unaufhaltsam erfasst. Nur die vielen Autos, die mit wehender türkischer Flagge hupend an uns vorbeifuhren, um den Atatürk Jugend- und Sportgedenktag zu feiern, halfen uns ab und zu für kurze Zeit wieder auf den Boden zurück. Im einst wohl sehr friedlichen, doch zwischenzeitlich vom Tourismus stark geprägten Bergdorf Ayder taten wir es den Türken gleich und breiteten unser Picknick aus, als wir von einem „Grüezi mitenand“ unterbrochen wurden. Mit den „I love Zürich“ und „Radio 24“-Klebern am Auto dieses freundlichen Zürchers war das Diskontinuum perfekt.

In Wirklichkeit handelte es sich um eines der vielen Mitglieder der hier ansässigen Familie Aydin, die viele Jahre in Zürich verbracht hatten. Was dann folgte, war türkische Gastfreundschaft pur, von der wir noch lange zehren werden. Ziya Aydin lud uns ein in sein Häuschen im kleinen, von Teeplantagen umgebenen Dörfchen Topluca. Eine ganze Wohnung stand uns zur Verfügung, und von Ziyas (zweiter) Frau Havva wurden wir mit Tee begrüsst und später lecker bekocht. Die Umgebung war herrlich, mit einer wunderschönen Aussicht auf die Berge und grün wuchernden Täler. Wir beschlossen, den folgenden Tag hier zu verbringen und ein bisschen wandern zu gehen. Aber so einfach ging dies nicht, wir waren ja schliesslich Gäste und um diese muss man sich kümmern. So entpuppte sich unsere ursprünglich geplante Wanderung als Verwandtenbesuch in den umliegenden Tälern, die nur im Sommer bewohnt und im Winter vollkommen abgeschnitten sind. Auf einer holprigen Piste fuhren wir von Haus zu Haus. Zuerst Tee beim Vater, dann Tee mit anschliessendem Mittagessen (köstlich, alles aus Selbstversorgung) beim Bruder, danach wieder Tee bei – ach, ich kann mich nicht mehr erinnern, wer das war... Zum Wandern kamen wir erst, als die Strasse nicht mehr weiterging. Da erfuhren wir alles über die Bemühungen der lokalen Bevölkerung, diese Strasse fertigzustellen. Immer wieder kamen uns auf dem Spaziergang Leute entgegen und immer wieder wurde angehalten, um über das Thema Nummer Eins hier im Tal zu diskutieren: den Bulldozer. Stück für Stück erfuhren wir, dass der alte Bulldozer, der für den Bau der Strasse eingesetzt wurde, das Zeitliche gesegnet hatte und die Leute viel Geld zusammengelegt hatten, um in Deutschland einen neuen Bulldozer zu kaufen und hierher zu bringen. Kaum war dieser da, stellte sich jedoch heraus, dass er für die Strasse zu gross war und auch zu modern, als dass ihn der bisherige Fahrer bedienen könnte. Vielleicht werden wir die Fortsetzung dieser Geschichte irgendwann in Zürich zu hören bekommen...

Am Abend kamen wir in den Genuss einer türkischen Hochzeit. Dafür putzten wir uns alle so gut es ging heraus, und uns Frauen wurden die hier üblichen farbenfrohen Tücher um den Kopf gewickelt. Zur Hochzeit wurde das halbe Dorf eingeladen. Als wir nach einer halsbrecherischen Fahrt im Minibus im Saal der Schule, wo die Hochzeit gefeiert wurde, ankamen, sassen Frauen, Männer und Kinder im hellbeleuchteten und überhaupt nicht geschmückten Saal auf weissen Plastikstühlen. Doch schon bald kam Bewegung in die Menge, die Männer standen auf, nahmen sich an der Hand und bewegten sich im Takt des in dieser Gegend heimischen Dudelsacks im Kreis herum. Später kamen auch Frauen dazu, und wir alle kamen richtig ins Schwitzen. Zwischendurch wurden ein paar trockene Kekse und kleine Obstsäfte verteilt, die später klangvoll auf dem Boden zerplatzt wurden. Hier muss noch erwähnt werden, dass uns über unseren Gastgeber eine Spezialbehandlung zuteil wurde und wir mit köstlichen Hamburgern verpflegt wurden... Wir durften auch mit dem Brautpaar aufs Foto und staunten nicht schlecht, als uns der Bräutigam, der seit ein paar Jahren in New York lebt,  im breitesten Amerikanisch – hi, welcome to my wedding party – begrüsste. 

Am folgenden Tag hiess es, Abschied zu nehmen, was nicht ganz einfach war. Aydins hätten uns gerne noch ein, zwei oder auch drei Wochen bei sich behalten und hätten alles für uns getan. So begrüsste mich Havva an diesem Morgen freudestrahlend mit den Worten „Hallo Schatz, heute du gehen Hallenbad!“ Schwierig, sich dieser Gastfreundschaft zu entziehen. Ziya meinte, ohne Besuch wäre er nur ein kleiner Mann, aber mit Besuch ein grosser. Er dachte auch, vielleicht gefalle es uns in seinem Haus nicht und schlug vor, bei einem anderen Familienmitglied zu wohnen. Schliesslich gelang es uns aber, ihn davon zu überzeugen, dass es uns sehr gut gefiel hier, wir aber in drei Tagen in Van sein müssten, um die neue Feder für den Landi entgegenzunehmen.

Und da sind wir nun und warten auf die Ankunft des DHL-Pakets. Und Frieder ist so beschäftigt mit Wartungsarbeiten (er hat heute schon den Schwimmer des Tanks angeguckt, die Differenzialsperre entlüftet, den Vergaser von innen besichtigt und jetzt misst er gerade mit öligen Händen am elektrischen System des Autos herum), dass er überhaupt nicht dazu kommt, sich an den Computer zu setzen und  fachmännisch über die Landi-Defekte zu informieren.

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