6 Wie zeigen die HörerInnen Verstehensprobleme an?

Dieses Kapitel konkretisiert anhand von Beispielen das Modell aus Kap. 5, wo insgesamt acht Indikatoren von Nicht-Verstehen klassifiziert wurden. Abschnitt 6.1 widmet sich dabei den expliziten Anzeigern, während der Abschnitt 6.2 für implizite Anzeiger reserviert ist.

6.1 Explizite Anzeige

6.1.1 Signalisierung von Nichtverstehen

Unter ‚Signalisierung von Nichtverstehen‘ verstehe ich diejenigen Stellen, wo die Hörerinnen explizit mittels Nachfragen dem Sprecher signalisieren, dass sie nicht verstanden haben. Diese Klasse ist zusammen mit der Kategorie ‚Erfragen von Zusatzinformationen‘ (6.1.2) die grösste im Korpus. Häufigstes sprachliches Mittel ist hierbei ‚was?‘. In dieser Kategorie befinden sich auch die Ausdrücke, die das Verstehensproblem metasprachlich benennen.

Fragewörter und Partikel

Die grosse Mehrheit der kurzen Fragewörter benennen das Problem nur sehr unspezifisch. Dies bewirkt oft von Seiten des Sprechers eine Reformulierung oder Wiederholung des ganzen vorherigen Redebeitrags, wo der Trigger vorkam. Es sind also ‚globale‘ Rückweisungen an den Sprecher. Die Hypothesen des Sprechers werden nicht geleitet, weshalb er sich auf mehrere Fälle einstellen muss. Dies wird u.a. an folgendem Beispiel deutlich:

Beispiel 7 Diaby (Sierra Leone), Avevy (Äthiopien)

1 D mh= how is it etopia
2 A häh?
3 D how is it you are born in country. etopia is okey?
4 A etiopia=now, etiopia situation now is=e:h

 

Auf das unbestimmte ‚häh?‘ teilt Diaby seine Antwort in zwei Teile auf: In eine Paraphrase von ‚etopia‘ als "Land, in dem du geboren bist" und in eine Umformulierung von ‚how is x‘ als "x is okey?". Er nimmt an, dass beide Teile potentiell Verstehensschwierigkeiten bereiten können. In anderen Fällen hingegen stellen die Sprecher auch bei komplexeren Bezugsäusserungen gezielte und konkrete Hypothesen über den Ursprung des Verstehensproblems auf.

Schon an anderer Stelle wurde bemerkt (Kap. 5.2), dass im gesamten Korpus der Reparaturen nur ein Beispiel auftritt, wo spezifisch nach einem Element gefragt wird. Dies geschieht allerdings unter etwas besonderen Umständen, die im Anschluss an das Beispiel ausführlich besprochen werden sollen.

Beispiel 8 Lawin (irakischer Kurde) und Taytu (Äthiopierin) 

1

La du ins (.) andere seite. UNTEN klasse. das (hier) fünfzig, muss gehen in: zwei jahre ( ).

2

Ta wi(ll/r)st du nicht schnupper machen.

3

La (2.0) öh. <<p> was schnupper >

4

Ta ähm. (--) beispiel diese kurs machen du willst nicht; deine land.

5

La (2.5) äh. du kann NICHT (.) in twölfte klasse gehen, beispiel ich liebe ARZ college. ich kann !NICHT! gehen. warum m=meine zahl beispiel siebzig. ((...))

 

Kurz vor der unvermittelten Frage von Taytu ‚willst du nicht schnupper machen?‘ hatte Lawin verhältnismässig ausführlich vom Universitätssystem im Irak erzählt: Je nach Note bei der Mittelschulprüfung haben die StudentInnen Zugang zu einem Arztstudium (neunzig Punkte) oder nur zu einem Ingenieursstudium (siebzig Punkte). Obwohl also Ausbildung das Thema ist, kommt die Frage nach einer Schnupperlehre, wie es der TAST-Kurs für Asylsuchende ist, völlig am falschen Ort. Lawin fragt vielleicht daher nicht so sehr nach der Bedeutung des Lexems ‚schnupper‘, sondern vielmehr nach dem Zusammenhang mit dem aktuellen Thema ‚Universität im Irak‘. Diese These wird dadurch etwas gestützt, dass Lawin in Turn 5 nach einer kurzen Pause weiterfährt, ohne auf den Einwurf von Taytu Bezug zu nehmen.

Der thematische Bruch, den Taytu mit ihrer Frage begeht, könnte seinerseits auf ein Verstehensproblem hindeuten. Durch den abrupten Wechsel versucht sie eventuell, das Thema zu kontrollieren (s. a. Kap. 6.2.3 – Themenwechsel).

Trotz der Kürze der ‚minimal questions‘ aus dem ersten Beispiel (‚häh?‘, was?‘), wie sie bei Bremer et al. (1993: 169) genannt werden, binden sie den Gesprächspartner stark in die Reparatursequenz ein. Wie stark die Engagierung des Gegenübers auf diese Weise ist, lässt sich daran ablesen, dass sich dieser Forderung nach Erklärung fast niemand entziehen konnte. Die siebzehn Fälle in meinem Korpus enthalten nur eine Situation, in denen einer Signalisation von Nichtverstehen keine Klärung von Seiten des Sprechers erfolgte.

Da die Fragen trotz der Kürze des Wortmaterials ihre Funktion weitestgehend erfüllten – nämlich die, das Gegenüber zu einer Präzisierung oder Erklärung aufzufordern – lässt sich schliessen, dass die Signalisationen von Nichtverstehen so angemessen und ausreichend formuliert waren. Dies lässt sich vielleicht daraus erklären, dass Verstehenskontrolle, Verstehenssicherung und der Umgang mit Verstehensproblemen Mechanismen sind, die sie als Deutschlernende in der Schweiz verhältnismässig schnell zu lernen gezwungen waren. Ausserdem spielt sicherlich das Bewusstsein mit, dass es sich im vorliegenden Fall um eine Konversation unter Nicht-MuttersprachlerInnen handelte und bei solchen Situationen Verstehensprobleme gehäuft auftreten. Da es sich bei Nicht-Verstehen in jedem Sprachumfeld um eine Standardsituation handelt, sind die Kontextualisierungshinweise, die auf das Schema "Verstehensproblem" verweisen, auch unter SprecherInnen sehr verschiedener Muttersprache wirksam.

Am folgenden Beispiel wird deutlich, dass die verschiedenen Signale, z.B. 'was?', oder das metasprachliche 'Nicht verstanden' funktionell gleichwertig sind, da sie im gleichen Kontext eine ähnliche Reparatursequenz auslösen:

Metasprachliche Signalisierung

Die Möglichkeit der metasprachlichen Formulierung wird von den Asylsuchenden sehr wenig genutzt. Insgesamt tauchen nur zwei entsprechende Stellen auf. Die verschiedenen Signalisierungen von Nichtverstehen, ob metasprachlich oder mittels kleiner Fragewörter, sind aber funktionell gleichwertig. Im folgenden Kontext lösen beide Formen eine ähnliche Reparatursequenz aus:

Beispiel 9 Shakhawan (Kurdistan), Asim (Montenegro-Albaner)

1

As was für religION HAST du;

2

Sha was?

3

As was für RELIGION hast du; (--) rel’Igion=äh

4

Sha (-) NICH verstanden.
5 As mosle:m- Katholi:sch- (orthodox)i:sch-

6

Sha JA ich bin muslim.

7

As ^muslim;

8

Sha =ja

Die metasprachliche Formulierung beim zweiten Anzeigen des Verstehensproblems geht eventuell auf zwei Ursachen zurück: Dem Bedürfnis nach Variierung des Indikators sowie der emphatischeren Zurückweisung des ersten Erklärungsversuchs von Asim.

Sprachliche Mittel zur Signalisation von Nichtverstehen

Die Bandbreite zur direkten Signalisierung von Nichtverstehen ist verhältnismässig breit und ausgeglichen. Das deutliche 'Nicht verstanden' nimmt nur wenig Raum ein, während die kurzen Fragewörter in der Mehrheit sind. In der folgenden Tabelle sind die sprachlichen Mittel zur Signalisierung mit der Häufigkeit ihres Vorkommens aufgeführt:

Signal

Was?

Wie bitte?

Hä?

Mh?

Nicht verstehen

Was x ?

Was ist das?

Ke::?

Anzahl

6

2

2

2

2

1

1

1

 

Tabelle 8. Sprachliche Mittel zur Signalisierung von Nicht-Verstehen (n=17)

Es liegt eine gewisse Schwierigkeit darin, Partikel in die Liste aufzunehmen, die nicht zielsprachlich sind, wie das bei ‚ke::?‘ der Fall ist. Das Kriterium ist dabei, ob sie eine Reparatur auszulösen vermögen – und somit als Nichtverstehensmarker anerkannt werden – oder nicht. Das Beispiel 10 ist somit in dieser Hinsicht ein Grenzfall:

Beispiel 10 Lawin (irakischer Kurde) und Taytu (Äthiopierin)

 1 La oh mein schatz
 2 Ta ke::?
 3 La oh mein lieber haha haha (.) ja. (-) nein
 4 Ta (2.0) ke ke (2.0) öf deine deine land öh <<p> schule> ja ja schule=<<lachend> hö höhö=swei;> deine land viele:: KLASSE.
 5 La MEINE LAND.
 6 Ta .h

 

Im Arabischen ist es üblich, dass sich Personen in informellen Gesprächen mit ‚oh mein Lieber‘ oder ‚oh meine Liebe‘ ansprechen, manchmal auch poetischer wie ‚oh mein Schatz‘ oder ‚oh meine Seele‘. Obwohl dies vor allem innerhalb desselben Geschlechts geschieht, also Männer unter sich oder Frauen unter sich, kann es ohne böse Absichten auch über die Geschlechtergrenze angewandt werden. Im Deutschen hingegen ist dieser Ausdruck für Leute reserviert, die sich schon sehr nahe stehen. Taytu signalisiert nun, dass sie die Absicht hinter dem Kompliment nicht versteht und/oder es gleichzeitig zurückweist, was seitens Lawins eine Reformulierung auslöst, die aber bloss auf der lexikalischen Ebene bleibt (‚oh mein Lieber‘). Trotz dem weiterhin nicht aufgeklärten Missverständnis ist aber als Antwort auf das ‚ke::?‘ eine Reparatur von Lawin sichtbar, die sich auf ein Nichtverstehen bezieht, weshalb das Beispiel in diese Kategorie eingeordnet wurde.

Laut der Auskunft einer äthiopischen Gewährsperson (Negussie), die ich dazu befragte, lässt sich ‚ke::?‘ nicht auf das Amharische zurückführen. Möglicherweise geht der Ausdruck auf das italienische Fragepronomen ‚che?‘ zurück, obwohl Taytu Italienisch nicht als Fremdsprache aufführt.

6.1.2 Erfragen von Zusatzinformationen

Bei dieser Gruppe von Beispielen werden mittels ‚was x?‘, ‚warum?‘, ‚wer hat x gemacht?‘ etc. spezifische Umstände erfragt. Die Formen gleichen Rückfragen, die konventionell nicht ausschliesslich für Nichtverstehen verwendet werden. Mit ihrer Hilfe lässt sich auch in muttersprachlichen Gesprächen spezifische Information für die natürliche Weiterführung des Themas gewinnen. Als Manifestation von Nicht-Verstehen sind die Fragen deshalb weniger explizit als die Signalisierungen von Nicht-Verstehen im vorherigen Abschnitt. Dies kreiert eine Ambiguität zwischen blossem Nachfragen und Nachfragen aus Nicht-Verstehen, die manchmal nicht einfach aufzulösen ist. Tatsächlich verwischt sich hier auch die bei Jefferson (1972) so klare Trennung zwischen Seitensequenz und Hauptstrang.

Bremer erfasst diese Formen unter der Überschrift ‚teilspezifische Problemmanifestationen‘. Sie ortet dabei bei den Hörerinnen das Bemühen, "mit diesen Mitteln ein Nicht-Verstehen spezifisch in Bezug auf seinen Auslöser oder Hintergrund anzuzeigen". Jedoch blieben für den Adressaten und die Analyse diese Indikatoren "fast immer mehrdeutig, z.T. sogar unverständlich" (1997: 113).

Bei dieser Klasse von Indikatoren ist zentral, dass sich die Hörerin schon eine verhältnismässig spezifische Hypothese bildet, bevor sie nachfragt. Obwohl diese Annahme falsch sein kann, ist eine nachfolgende Antwort auf die Beantwortung der Frage eingeschränkt und kann eventuell das Problem nicht ganz aus der Welt schaffen. Dieser Punkt ist analytisch sehr schwierig zu erfassen, wenn danach beide den Strang weiterverfolgen, der mit der Hypothese begonnen hat.

Diese Mehrdeutigkeit und Unsicherheit bezüglich der Ursache des Problems möchte ich an folgendem Beispiel illustrieren:

Beispiel 11 Florim (Kosovo-Albaner) und Suda (Tamilin) 

1 Fl ah was machen sie <<f> was machen sie hier> in: der in: der schweiz,
Su ä:h=jetz(t)?
3 Fl ja genau= jetzt]s
Su jetz=äh] beruf, arbei(ten) restaurant
Fl (-) ja, sehr gut.

 

Die begriffliche Unschärfe, die in dem Ausdruck 'hier in der Schweiz' in Turn 1 liegt, lässt für die Analyse mehrere Interpretationen zu. Zum einen könnte durch die Gegenüberstellung ihres Aufenthalts in der Schweiz zu ihrem früheren Aufenthalt in Sri Lanka der Grund für ihre Flucht erfragt werden (‚Weshalb sind Sie in die Schweiz geflohen?‘), andererseits könnte ihre momentane Tätigkeit erfragt werden (‚Was ist Ihre Tätigkeit im Moment?‘). Beide Varianten sind auf ihre Art für Suda unwahrscheinlich: Die Frage nach den Fluchtgründen ist etwas ungewöhnlich unter AsylbewerberInnnen und wird meist nur ausweichend beantwortet. Die andere Variante, die Frage nach der momentanen Tätigkeit ist auch etwas unwahrscheinlich, da Florim denselben Kurs in der 'La Cultina' besucht wie Suda und er somit weiss, was sie arbeitet.

Suda erfragt die zusätzliche Information, die sie zum Desambiguieren der Situation braucht. Somit bindet sie ihren Gesprächspartner ein und lässt sich auch auf die Frage ein. Zusätzlich leistet sie eine gewisse Vorarbeit, indem sie Florim zwei Varianten zur Auswahl stellt: Jetzt oder nicht jetzt. Dadurch legt sie den Fokus auf die adverbialen Umstände und zeigt an, dass sie das Problem in der zeitlichen Situierung der örtlichen Referenz 'hier in der Schweiz' lokalisiert. Gleichzeitig schränkt sie die möglichen Reformulierungen der Ursprungsfrage derart ein, dass eventuell ihr Verstehensproblem gar nicht behoben wird, sondern nur ihre Hypothese beantwortet.

Die Nachfrage kann die Ebene der zeitlichen Deixis betreffen, wie in obigem Beispiel, oder die Ebene der in verschiedenen Kulturen unterschiedlichen Konzepte, wie folgender Ausschnitt aus dem Gespräch zwischen Diaby und Avevy zu Freundschaft und Heiraten zeigt:

Beispiel 12 Diaby (Sierra-Leoner) und Avevy (Äthiopier)

 1 D =but I tol you one day I like etiopien woman too much because they have good body
 2 A =aha:: ha ha ha ((2.5 sek. Gelächter))
 3 D ha ha ha ((2.5 sek. Gelächter))
 4 A yeah, you can choice one=and=ha
 5 D you try=you try to manage me one yeah yeah yeah
 6 A ha ha for for married? you want an etiopian woman for
 7 D yeah we’re going to follow. girlfriend and boyfriend (do)n(‘t) have to be married=ha ha
 8 A aha=ja (.) first. hha shit=ha ha ha
 9 D ha ha ha ha

In Turn 6 fragt Avevy recht konkret, wie ernsthafte (Heirats-) Absichten Diaby hätte, wenn ihm eine äthiopische Frau vorgestellt würde. Im darauffolgenden Turn 7 stellt Diaby dann klar, dass er die Anfrage des 'manage me one' nur als Gedankenspiel gemeint hat und dass er an eine Liebesbeziehung ohne Heirat gedacht hatte.

An diesem Beispiel zeigt sich recht deutlich, dass die Gesprächspartner sich mit Hilfe sprachlicher Mittel immer anzeigen müssen, wie sehr sie sich (im Moment) verstehen. An Turn 6 wird die Ambiguität von Nachfragen für Zusatzinformation und Nachfragen aus Nicht-Verstehen einmal mehr deutlich.

Das sprachliche Mittel zum Ermitteln von Zusatzinformation ist hier fast immer die Frage und in der Hälfte der Fälle eine W-Frage. Die Erscheinungsformen sind aber sehr vielfältig, was sich in der tabellarischen Zusammenstellung spiegelt:

Sprachliche Mittel zur Ermittlung von Zusatzinformation

Signal

Was x ?

Wo?

Wer hat x gemacht?

Warum?

Ist x?

X?

Jetzt?

Andere

Anzahl

3

1

1

1

1

1

1

3

 

Tabelle 9. Sprachliche Mittel zur Ermittlung von Zusatzinformationen (n=12)

Der Bruch im Gesprächsfluss ist trotz der normalerweise folgenden Reparatur weniger offensichtlich als bei der Signalisierung von Nichtverstehen, da ein Element aus dem vorhergehenden Beitrag aufgegriffen und in gewissem Sinne verfeinert und detaillierter dargestellt wird. Im Gegensatz dazu ist bei 6.1.1 (vgl. Bsp. 7) das Anzeigen eines Verstehensproblems so formuliert, dass eine Reformulierung des Trigger-Turns seitens des Sprechers nötig ist. Das Nichtverstehen ist so beim Erfragen von Zusatzinformation weniger manifest als bei einem ‚Was?‘ oder einem ‚Nicht verstanden‘ und das Auflösen der Situation vielleicht etwas weniger dringlich.

Der Ausdruck in Tabelle 9 ‚Was x?‘ unterscheidet sich nur äusserlich nicht vom Ausdruck ‚Was x?‘ in Tabelle 8, wo er als ‚Signalisierung von Nichtverstehen‘ klassifiziert war. Der Unterschied liegt darin, dass sich hier die Frage als ‚Was meinst du genau mit x?‘ paraphrasieren lässt, während im vorherigen Abschnitt die Erklärung der Wortbedeutung gefragt war.

Vgl. folgendes Beispiel:

Beispiel 13 John (Tamile) und Burhanuddin (Afghane)

 1 Jo und hast du (jemand) hier auch probleme gehabt? ha ha ha
 2 Bu was; problem;
 3 Jo zum beispiel ich weiss nicht, ä:
 4 Bu nein keine problem
 5 Jo keine=äh,
 6 Bu und du?
 7 Jo =keine. KEIN BISSCHEN. kein.

Hier zeigt Burhanuddin in Turn 4, dass er den Ausdruck schon von Anfang an erkannt hat, aber nach einer Spezifizierung von John fragte.

Beispiel 13 zeigt zudem ziemlich gut, dass Schwierigkeiten mit dem Leben in einem fremden Land, speziell auch Schwierigkeiten mit SchweizerInnen, für die meisten Asylsuchenden Tabuthemen sind, die in einem arrangierten Gespräch und im Beisein eines Schweizers nicht angeschnitten werden.

6.1.3 Wiederholung eines zentralen Elements ohne Frageintonation

Die dritte explizite Methode, dem Sprecher zu signalisieren, dass man nicht oder nur zum Teil verstanden hat, ist die Wiederholung eines Einzelwortes aus dem Turn, in dem das Verstehensproblem aufgetreten ist. Die Wiederholung mit Frageintonation kam indessen im Korpus nicht vor. Gleichzeitig mit der Signalwirkung für den Sprecher handelt es sich oft um eine Technik, mit der sich die Hörerin mit dem Wort oder dem Ausdruck vertraut macht. Am deutlichsten wird die Methode vielleicht an folgendem Beispiel:

Beispiel 14 Chang (Burmese), Mehmet (Kosovo-Albaner) und Milaim (Kosovo-Albaner)

 1 Ch ((...)) (-) ah=okey wie alt bist du?
 2 Me (--) eh <<pp> wie alt bistu;>
 3 Mi <<p> sa vjet je?> ((alb.) "wie alt bist du?"))
 4 Me eh fünfzig()ig jahre
 5 Ch fünfundzwanzig jahre
  6 Me fünfzehnzwanzig jahre.
 7 Ch aha. (-) ((...))

 

An der offensichtlich unanalysierten Wiederholung "Wie alt bistu" von Mehmet erkennt Milaim, sein Freund und Übersetzer, dass Mehmet die Frage nicht verstanden hat. Dies löst umgehend seine Übersetzung auf Albanisch aus.

Die Wiederholung eines zentralen Elements ist bestimmt diejenige Methode unter den expliziten Indikatoren, die den Sprecher am wenigsten in die Klärung des Problems einbeziehen. Dies illustriert auch die Lautstärke von Mehmet im obigen Beispiel 14, der die Wiederholung ausgesprochen leise vornimmt. Ein leiserer Ton ist bei vielen der Belegstellen dieser Kategorie auszumachen. So wie die interaktive Problembehandlung in einem Gespräch eingebettet wird, versucht die Hörerin bei der stillen Wiederholung, für sich das Problem aus dem Gesprächsverlauf auszuklammern und für sich zu behandeln (vgl. die pop- und push-Routinen von Varonis / Gass 1985 und die ‚side sequences‘ von Jefferson 1972 in Abschnitt 4.3.1.

Vion / Mittner weisen darauf hin, dass die Wiederholung vor allem ein produktives Mittel ist, das den Turn besetzt, um Zeit für eine eigene Formulierung zu finden. Dies begründen sie u.a. damit, dass bei den zwei Lernern, die sie im Rahmen des ESF-Projektes untersuchten, mit fortschreitenden Kenntnissen der Zielsprache die ‚activités de reprise‘ immer mehr abnahmen:

"(...) on constate qu’avec le temps, l’activité de reprise de chacun des deux sujets décroît. Il paraît donc possible de confirmer l’hypothèse, que nous avons à maintes reprises rappelée, solon laquelle cette activité constitue, pour des apprenants, une aide à l’encodage. Elle permet au sujet d’occuper le temps de parole sans tarder (...). Elle permet également, avec un minimum de moyens, de structurer une intervention et de donner par ailleurs le sentiment d’une coopération." (Vion / Mittner 1986: 41; Hervorhebung J.M.).

Es ist erstaunlich, dass trotz des leiseren Tonfalls und trotz der Tatsache, dass die Wiederholung vor allem als Ausdrucksmittel bei schwächeren LernerInnen benutzt wird, in zwei Dritteln der Fälle dennoch eine Antwort seitens des Sprechers oder von dritter Seite (wie im obigen Beispiel 14) kommt. Die Einbindung des Gesprächspartners ist also vor allem der Explizitheit geschuldet, auf Grund derer sich der Sprecher schwerlich einer Erklärung entziehen kann.

Art der Wiederholung

Die Spezifizierung des Problems ist insofern recht genau, als die Hörerin im Stande sein muss, das betroffene Element zu erkennen, mehr oder weniger zu isolieren und eventuell zu reproduzieren (Vion / Mittner 1986: 27). Es ist allerdings nicht sicher, dass das reproduzierte Element als Problemträger angeschaut wird. Durch die Wiederholung liegt eventuell ein Hinweis vor, dass bei anderen Teilen der Bezugsäusserung auch ein Verstehensproblem vorliegt (s.a. Bremer 1997: 105). Die Tabelle 10 zeigt, wie die Isolation eines bestimmten Elements aus dem Bezugsturn der Normalfall ist:

Art der Wiederholung

Ganzer Turn (nur bei 1-Wort-Turns) Teilwiederholung Expansion
Anzahl 2 13 1

Tabelle 10. Art der Wiederholung. (n=16)

6.2 Implizite Anzeige

Die folgenden Möglichkeiten, als Hörerin auf Nicht-Verstehen zu reagieren, weichen von den bisher behandelten expliziten Formen der Versprachlichung ab. Ihnen allen gemeinsam ist die Tatsache, dass das Verstehensproblem nicht als solches deklariert wird und also sich sowohl dem Sprecher wie auch der Analyse nur indirekt erschliesst.

Ein Gespräch bildet ein Netz an gegenseitigen Abhängigkeiten und Verbindungen, so dass häufig durch ein nur ungenügendes Verstehen ein oder mehrere Fäden zerreissen. Diese zerrissenen Fäden lassen sich aus Sicht des Sprechers wie auch aus Sicht des oder der Forschenden eventuell benennen. Die Verstehensprobleme kommen zum Vorschein, wenn folgende Symptome einzeln oder gehäuft auftreten (in Anlehnung an Schäflein-Armbruster 1994: 502 und Günthner 1993: 91):

  • Eine Anweisung wird nicht ausgeführt oder eine Frage wird nicht als solche erkannt und beantwortet.
  • An einer ‚übergangsrelevanten Stelle‘ (transition-relevance-place; TRP) wird das Rederecht nicht wahrgenommen.
  • Der vorhergehende Redebeitrag wird nicht sinnvoll fortgesetzt.
  • Ein unklarer oder widersprüchlicher vorhergehender Redebeitrag wird nicht korrigiert.
  • [In einem späteren Schritt korrigiert der Sprecher den Beitrag der Hörerin und markiert ihn als Missverstehen.]

Von diesen Symptomen ist das erste – eine Anweisung wird nicht ausgeführt – am objektivsten beschreibbar. Eine Frage z.B. eröffnet eine so starke konditionelle Relevanz, dass ein Ausbleiben einer Antwort zumindest auf ein Kommunikationsproblem hinweist. Auch hier ist jedoch, wie schon im Abschnitt 4.1.1 ausgeführt, die ganze Weite der Komponenten des Sprechens von Hymes (1972) zu berücksichtigen. Eine Kommunikationssituation besteht in einer Reihe von gleichzeitig anwesenden Faktoren, die sprachlich oder kulturell gefärbt sein können. Ein Schweigen auf eine Frage kann so z.B. darauf hinweisen, dass der Sprecher nicht autorisiert ist, eine solche Frage überhaupt zu stellen.

Die Nicht-Übernahme des Rederechts an einer Stelle, die der Sprecher als übergangsrelevanten Ort (TRP) signalisiert, kann ebenfalls ein Symptom für Nicht-Verstehen sein. Obwohl dies im vorliegenden Korpus nicht sehr häufig vorkommt, wird vor allem an den Beispielen von Günthner (1993: 91) deutlich, dass das ‚Abwarten‘ zumindest von deutschen SprecherInnen als Verstehensschwierigkeit gedeutet wird, wenn es gehäuft auftritt. Eine besondere Schwierigkeit dieses Kriteriums ist es hingegen, dass gerade die Übernahme des Rederechts und alle Mechanismen, die mit Turn-Taking in Verbindung stehen, im höchsten Mass an die Gepflogenheiten der jeweiligen Sprechgemeinschaft gebunden sind (vgl. Gumperz 1982: 146 und Clyne 1994: 90).

Das dritte Symptom – die Tatsache, dass ein vorheriger Beitrag nicht sinnvoll fortgesetzt wird – unterliegt einem Beobachtungsproblem. Jede und jeder am Gespräch Beteiligte hat ja zusammen mit den anderen das Definitionsrecht, was als sinnvolle Fortsetzung des Gesprächs gilt. Sind sich alle Beteiligten in der Konversation über die Stimmigkeit der Antwort einig (in dem Sinn, dass niemand Einspruch erhebt), ist der Beweis von aussen schwer zu erbringen, dass hier ein Redebeitrag vorliegt, der nicht relevant ist. Dennoch ist die Intuition des oder der Beobachtenden nicht immer unangemessen, vor allem, wenn der thematische Bruch abrupt und unvermittelt kommt. Auch hier ist es ein Unterschied festzustellen, dass etwas Ungewöhnliches geschieht (Anwesenheit eines Symptoms) und zu behaupten, die Störung gehe auf ein Nicht-Verstehen zurück. Je impliziter die Anzeige von Nicht-Verstehen ist, desto grösser ist der Spielraum, in dem sich die Mehrdeutigkeit bewegen kann.

Die Nicht-Korrektur eines unverständlichen Redebeitrags schliesslich macht etliche Annahmen, die ich ausformulieren muss. SprecherInnen können beurteilen, ob ein anderer Text oder Redebeitrag sinnvoll und korrekt ist. Hat man in einem Gespräch das Gefühl, der Redebeitrag des Gesprächspartners sei unverständlich, weist man ihn – wenn es opportun ist – darauf hin. Gerade Nicht-Korrektur kann also ein Anzeichen sein, dass der betreffende Turn nicht verstanden wurde, wenn die Äusserung darin an sich unverständlich ist. Mit dieser Behauptung begeben wir uns allerdings auf ein unsicheres Terrain: Die Beurteilung von aussen, ein bestimmter Redeschritt könne nicht verstanden werden, ist recht heikel, da es schwierig ist, explizite Kriterien zu formulieren. Dennoch wurde das Symptom – mit der nötigen Zurückhaltung – zur Identifizierung von problematischen Stellen mit herangezogen.

Diese Punkte bilden sozusagen die Werkzeuge, mit deren Hilfe sich implizite Anzeiger im Korpus identifizieren lassen. Diese Symptome sind nicht mit den Handlungsmöglichkeiten zu verwechseln, die im Folgenden in 6.2.1 – 6.2.5 vorgestellt werden.

6.2.1 Zustimmung trotz teilweisem Nichtverstehen

Bei der Untergruppe der ignorierenden impliziten Anzeiger von Nicht-Verstehen, die hier in 6.2.1 und 6.2.2 (s. Schema in Kap. 5.3) vorgestellt wird, steht die Tatsache im Vordergrund, dass das Thema und das Gespräch, in dem sich die Gesprächspartner befinden, im Grossen und Ganzen fortgeführt wird, ohne dass das Verstehensproblem zur Sprache kommt.

Manchmal stimmt die Hörerin trotz Nicht-Verstehen dem vorherigen Beitrag zu, wenn ein Element schon zuvor nicht geklärt werden konnte und eine Nachfrage wieder eine voraussichtlich erfolglose Reparatur auslösen würde. Folgendes Beispiel illustriert dies:

Beispiel 15 Lawin (irakischer Kurde) und Taytu (Äthiopierin)

 1 Ta =äh *geografee:*? amharisch HEBrets
 2 La mh; MH::
 3 Ta äh *science*
 4 La mh.=.hh
 5 Ta öh. alles. hobi,
 6 La ((seufzt))
 7 Ta alles (.) hobi,
 8 La aha::;
 9 Ta alles zwelf <<pp> *subjects*>

Lawin, der im Irak Lehrer von Beruf war, bat Taytu kurz zuvor, die Schulfächer (‚subjects‘) der Grundschule in Äthiopien aufzuzählen. ‚Geografie‘ und ‚(Natur-?) Wissenschaften‘ sind die beiden letzten Elemente dieser Aufzählung.

Zuvor hatten Taytu und Lawin schon erfolglos versucht, einige Begriffe zu klären, die Taytu verwendet hatte, unter anderem auch ‚hobi‘. Obwohl Lawin also immer noch nicht versteht, stimmt er jetzt der Aussage ‚alles hobi‘ zu. Nach Auskunft einer äthiopischen Gewährsperson (Negussie), der ich diese Stelle nachträglich vorlegte, ist ‚hobi‘ kein amharisches Wort und bedeutet sehr wahrscheinlich das englische hobby.

6.2.2 Ignorieren

Eine unsichere Stelle einfach zu ignorieren ist verhältnismässig schwierig. Zumindest bei einigen der Stellen, die sich als Missverständnisse erwiesen, lässt sich aber vermuten, dass sie auf ein Übergehen von Nicht-Verstehen seitens der Hörerin zurückzuführen sind. Da hier aber keine Mittel zur Verfügung stehen, die eine Unterscheidung zwischen einem ‚echten‘ und einem ‚falschen‘ Missverständnis möglich machen, gestaltet sich eine wissenschaftliche Beschreibung des Phänomens schwierig. Allein die Kombination mit zusätzlichen Symptomen wie Gesichtsbedrohung und Nichteintreten auf eine nochmalige Reparatur seitens des Sprechers lässt den Schluss zu, dass das Verstehensproblem einfach ignoriert wurde. Vgl. zur Illustration folgendes Beispiel aus dem zweiten Gespräch zwischen Lawin und Taytu:

Beispiel 16 Lawin (irakischer Kurde) und Taytu (Äthiopierin)

 1 Ta .h deine frau will hier komm
 2 La nicht komm; im irak. (--) jetzt=aber gschwer kommet for me POSITIV
 3 Ta aber sie will komm
 4 La ich kann (.) nehmen. eh bring diese auch eh meine frau kommen. .h wenn d=e:h kommt negativ muss gehen andere land oder so.
 5 Ta oke:y. das(=st) gut.
 6 JM <<p> mh.>
 7 Ta <<p> ja.>

Es liegt ein Missverständnis vor, das sehr wahrscheinlich auf die Verwechslung von deutsch sie will kommen und englisch she will come zurückgeht. Parallel dazu sprechen zwei Gründe aber dafür, dass Lawin die Frage übergeht und mit der Erklärung seines Hauptproblems weiterfährt: Erstens hat Lawin gerade vor einer halben Minute erklärt, dass seine Frau nur in die Schweiz kommen kann, wenn sein Asylbescheid positiv ist. Dass Taytu genau diese Frage wieder stellen sollte, ist deshalb etwas ungewöhnlich. Zweitens liegt in der Situation eine Bedrohung für Lawins Gesicht für den Fall, dass seine Frau gar nicht in die Schweiz kommen will. Aus dieser Situation heraus entscheidet sich Lawin deshalb wahrscheinlich, die Frage gar nicht so genau verstehen zu wollen.

6.2.3 Themawechsel

Abrupter Themawechsel gehört zusammen mit ‚Lachen‘ und ‚Abbrechen‘ zu der zweiten Unterkategorie von impliziten Indikatoren, die Nicht-Verstehen anzeigen können (6.2.3 – 6.2.5; s. Schema im Kap. 5.3). Der Themawechsel gehört zur Klasse der ‚Abbrüche‘, weil er keine Korrektur des Sprechers mehr zulässt, auch wenn dieser mittlerweile das Nicht-Verstehen erkannt hat.

Ein abrupter Themawechsel ist schwer als Nicht-Verstehen zu deuten, da den SprecherInnen das Recht zukommt, den weiteren Verlauf des Gesprächs zu bestimmen und das nächste Thema eventuell selbst zu wählen. Dies gilt um so mehr, als die Nicht-MuttersprachlerInnen eventuell nicht über genügende sprachliche Ressourcen verfügen, um ein Thema abzuschliessen und darauf hin ein neues einzuführen. An folgendem Beispiel wird m.E. trotzdem ersichtlich, dass eine Störung vorliegt.

Beispiel 17 Suda (Tamilin) und Negussie (Äthiopier)

1 Ne (-) ä:h. ich ich arbeite immer noch im: la cultina,
2 Su ähä,
3 Ne aber nicht so als tast weisst du.
4 Su mh,
5 Ne einfach öh ich komme hier mit em: eh eh HIER arbeitet (sag mal) ich mache's apéro und so DRAUSSEN arbeit die ganze zyt.
6 Su ja. vielleicht äh: nächste monat arbeite neue gruppe kommt, (.) zusammen arbeit, (-) .h nachher arbeit suchen besser.
7 Ne ah arbeitest du einen monat noch mehr.
8 Su =ja,

 

Ein Thema zu initiieren hat für eher schwächere HörerInnen, wie es bei Suda der Fall ist, einen Nachteil und einen Vorteil. Der Nachteil besteht darin, dass bei einer nur reaktiven Haltung verhältnismässig viele Wörter materiell schon beim Gesprächspartner gegeben sind, die zu rekombinieren weniger Aufwand bedeutet, als ein neues Thema anzuschneiden. Dennoch ist auf diese Weise ein Teilnehmen am Gespräch möglich. Tatsächlich wurde in vielen Fällen bei nicht so fortgeschrittenen ZielsprachensprecherInnen beobachtet, wie Material sozusagen recycliert wird (z.B. bei Vion / Mittner 1986) oder als Feedback benutzt wird (Allwood 1993: 215).

Andererseits hat ein Themawechsel auch Vorteile. Die Hörerin kann ein Gebiet selber anschneiden, wo ihr Wortschatz umfangreicher und wo sie im Umgang geübter ist. Zusammen mit den besseren sprachlichen Voraussetzungen, die sie somit auf ihrem Terrain hat, hat sie einen neuen Bezugspunkt. Sie weiss also, wo sich das Gespräch befindet, falls ihr dies beim alten Thema zu entgleiten drohte. Ein Themawechsel kann deshalb als umgekehrten Weg zu den Reparaturen betrachtet werden: Während bei explizitem Ausdrücken von Nicht-Verstehen die Hörerin sozusagen den Wissensvorsprung des Sprechers aufholen muss, kann sie durch das Eröffnen eines neuen Themas mit dem Sprecher zusammen auf einem neuen Wissensstand aufbauen, wie u.a. an obigem Beispiel 17 deutlich wird.

6.2.4 Lachen

Als nicht-sprachliches Mittel kann Lachen sehr vieldeutig sein. Dennoch besetzt es einen Redebeitrag und muss sich deswegen der Erwartbarkeit unterordnen. Auf eine direkte Frage, die nicht rhetorisch gemeint ist, wirkt Lachen deplaziert und deutet bei kompetenten SprecherInnen an, dass wegen der mit der Frage verbundenen Implikatur gelacht wird.

Beispiel 18 illustriert einen Fall, wo durch die Mehrdeutigkeit der Lachens als Antwort eine Unsicherheit entsteht, die bis zum Themawechsel von Shakhawan in Turn 13 nicht behoben werden kann:

Beispiel 18 Mimoza (Kosovo-Albanerin) und Shakhawan (Kurde)

1 Sha mh. immer=eh t deine kollegen kommt, oder so in la cultina,
2 Mz ja.
3 Sha kollege.
4 Mz ja.
5 Sha ALLE kommen;
6 Mz ja.
7 Sha nicht spät=äh?
8 Mz ha=hah: (1.0)
9 Sha ja? (1.5)
10 Mz und?
11 Sha und=hhh
12 Mz hah
13 Sha EH wieviel hat=äh chef in la cultina;

 

Durch ihr Lachen in Turn 8 zeigt Mimoza, dass sie die Frage nicht verstanden hat. Auf die unklare und elliptische Frage von Shakhawan "nicht spät äh?" reagiert sie nicht mit einer Klarifizierungsaufforderung, die ihn zu einer genaueren Definition auffordert. Shakhawan zeigt mit der nochmaligen Nachfrage in Turn 9 und der Pause, dass er eine konkrete Antwort erwartet und somit nicht nur eine rhetorische Frage gestellt hat.

Die fehlende Aufforderung zur Klarstellung und die gleichzeitig fehlende konkrete Antwort auf seine Frage deuten beide darauf hin, dass das Verstehensproblem auch mit dem heiklen Thema ‚Männerbesuch in der La Cultina‘ gekoppelt ist, das eventuell für Mimoza eine Gesichtsbedrohung darstellt. Die Verwirrung durch die Mehrdeutigkeit des Lachens und die gleichzeitige Anwesenheit eines heiklen Themas führen schliesslich dazu, dass Shakhawan in Turn 11 mit einem kurzen Lacher auf eine Erklärung verzichtet, um schliesslich mit einem neuen Thema weiterzufahren.

6.2.5 Abbruch

Mit dem Abbruch des Gesprächs durch Wechseln in eine Sprache, die der Gesprächspartner nicht mehr versteht oder durch eine betonte Beendigung des laufenden Themas ist die äusserste Grenze auf der Skala der möglichen Reaktionen auf Verstehensschwierigkeiten erreicht. Der Unterschied zum Themawechsel besteht darin, dass hier nicht ein neues Thema begonnen wird sondern nur das alte beendet. Tatsächlich kommt der Abbruch in gewisser Weise einer Kapitulation gleich, die nicht leichtfertig eingegangen wird. Abbrüche tauchen dann im Korpus auf, wenn zuvor schon die Schwierigkeit der Unterhaltung in mehreren vergeblichen Klärungsversuchen deutlich geworden war.

Im Beispiel 19 greift der Hörer (Florim) zwei Mal hintereinander zum Mittel des Abbrechens (Turn 6 u. 10), nachdem sich die Klärungssequenz als äusserst schwierig herausgestellt hatte:

Beispiel 19 Suda (Tamilin) und Florim (Kosovo-Albaner)

1 Su und du?
2 Fl esse gerne (-) spaghetti, (-) und=äh salat. viele salate=ha
3 Su hm. salate. SWI:T=(ait)=m swi:t;
4 Fl swi:t=salat;
5 Su swi:t=(ait)
6 Fl EGAL. das ist=äh ha ha egal.
7 Su he he he e:h. (--) swi:t=ait e:h m KUchen, und ( ) ich gerne (swi:t=ait) du weisst swi:t=ait SWI:T-
8 Fl SWISS=ö:h
9 Su !SWI:T!
10 Fl swi:t=ja ich weiss, swi:t. ja; wie sagen (.)wenig.
11 Su aha, (--) hier meine sri lankan swi:t=aiten hier (-) nikt; hha ich meine hause: mache swi:theiten essen.
12 Fl ja=essen; <<p>essen>

Nach der etwas undeutlichen Erwähnung von Süssigkeiten (wahrscheinlich zusammengesetzt aus eng. sweet und dem deutschen Substantivierungsmorphem –heit / -keit) versucht Florim in Turn 4 eine Hypothese aufzustellen, die jedoch zurückgewiesen wird. Interessanterweise geht nach dem deutlichen Abbruch Florims und dem erneuten Versuch von Suda Florim mit einer erneuten Hypothese in eine zweite Runde, die jedoch wieder fehlschlägt. Aus dieser Dynamik heraus wird deutlich, dass ein Abbruch nur nach einem oder mehreren frustrierten Klärungsversuchen möglich ist.

6.2.6 Zusammenfassung

Als Zusammenfassung des Abschnittes zu der impliziten Signalisierung von Verstehensschwierigkeiten lässt sich folgendes festhalten:

  1. Implizite Anzeiger von Hörerinnen sind für die Analyse insgesamt mehrdeutig, was ihre Bedeutung angeht. Die Mehrdeutigkeit betrifft die Frage, ob die diagnostizierte Störung überhaupt auf Nicht-Verstehen zurückgeht oder auf anderen Ursachen basiert. Diese können z.B. die ungenügende Sprachbeherrschung sein, die eine Einführung eines neuen Themas erschwert, oder die Abwendung einer Gesichtsbedrohung, die mit der Behandlung des Verstehensproblem verbunden ist. Denkbar ist auch die Kaschierung einer gesichtsbedrohenden Situation mittels Vortäuschen von Sprachproblemen.

  2. Die Mehrdeutigkeit erschwert die Analyse von aussen, beeinflusst aber auch die Arbeit der Sprecher, die sich für eine der oben genannten Möglichkeiten (Nicht-Verstehen oder Ungeschicktheit bei der Einführung eines neuen Themas, etc.) entscheiden müssen. Wo die Hörerin das Problem durch Ignorieren überspielt, greifen der Sprecher meistens korrigierend ein, wogegen ein Abbrechen seitens des Sprechers meist akzeptiert wird.

      

HOME       nach oben       zum nächsten Kapitel