7 Wie bearbeiten die SprecherInnen Indikatoren?

7.1 Verwobenheit der Indikatoren und der Bearbeitung

Die Zusammengehörigkeit von Indikator und Bearbeitung ist beinahe so gefestigt wie die der Frage und der Antwort. Die expliziten Indikatoren zumindest verlangen so ausdrücklich nach einer Beantwortung, dass sich niemand aus dem Korpus einer Erklärung entziehen kann. Die gricesche Maxime der Modalität, die ‚sei klar‘ fordert (Grice 1979: 250), drückt sich hier also in der einforderbaren Maxime ‚rede verständlich‘ aus. Anders als bei MuttersprachlerInnen ist hier weniger der Appell an generell verständliche Äusserungen gemeint, sondern der Appell an die Bereitschaft, Verstehensprobleme aufzulösen und mittels einer Bearbeitung den Fluss des Gesprächs wieder herzustellen. Die grosse Erwartbarkeit, die von einer expliziten Problemmanifestation ausgeht, lässt sich z.B. dadurch illustrieren, dass ein Redebeitrag nach einem Indikator eventuell als Einleitung zu der Erklärung betrachtet wird (s.a. Levinson 1990: 305). So können Antworten mehrstufig aufgebaut sein, ohne dass gleich im ersten Redebeitrag nach dem Indikator eine komplette Erklärung folgt. An folgendem Beispiel wird dies deutlich:

Beispiel 20 Naser (Algerier) und Enver (Kosovo-Albaner)

1 Na okey was=äh glaubst du äm=ja; was denkst du über (-) zum beispiel hier in der schweiz mit asylsystem. sind gu:t freundlich oder (.) schlecht, schwer, schlimm, (-) <<lachend> kein problem sowieso du zwei monat=f du bist weg=hha>>
2 En (-) nein nicht verstehen
3 Na ja (.) ja hier für asyl,
4 En =ja:
5 Na du hast=äh kollegen in deutschland=oder
6 En nein. bruder.
7 Na bruder.
8 En bruder schwester
9 Na und was du denkst beisp zum beispiel HIER ist besser oder in deutschland ist besser=oder
10 En weiss nicht in deutschland isch besser. (-) ein jahr in svi:tser (-) (nicht) vielleicht= so probiere() in deutschland (.) isch besser

Trotz dreimaliger Zwischensequenz in Turn 3, 5, und 7 bleibt die Verpflichtung für beide bestehen, die ursprüngliche Frage zu beantworten. Diese Klammer hilft Naser, die Zwischenfragen und –bemerkungen als Einleitung zur eigentlichen Reformulierung seiner ursprünglichen Frage zu markieren. Hinnenkamp hat für dieses Phänomen den Begriff der "Faktorisierung", also die Zerlegung in Einzelbestandteile, eingeführt. Die Faktorisierung ist zudem

"im Kleinen wie im Grossen wirksam. Nicht nur werden die jeweiligen Teilinformationen zergliedert und wo nötig durch Korrekturanforderungen weiter zerlegt oder anderweitig ersetzt, sondern auch innerhalb eines Schemas werden komplexere Informationen ‚zerhackt‘ (...)" (1989: 72).

Die eigentliche Reformulierung der Frage in Turn 9 schliesslich passt die ursprüngliche Absicht an und reduziert die Antwort auf zwei Alternativen. Die Antwortvorgabe ist eine von verschiedenen Techniken, die hier nach Faerch / Kasper (1983) functional reduction strategies (s.u.) genannt werden, da sie die ursprüngliche Redeabsicht durch eine funktionell reduzierte Form ersetzen.

Diese und andere Strategien zur Behandlung von Verstehensproblemen werden im nächsten Abschnitt vorgestellt.

7.2 Bearbeitungsstrategien

7.2.1 Klassifizierung

Wie eingangs in der Besprechung der Kommunikationsstrategien erwähnt (2.4), sind sich m.E. Strategien von Nicht-MuttersprachlerInnen, die sich auszudrücken versuchen, und Strategien von SprecherInnen, die ein Verstehensproblem erklärend beheben wollen, sehr ähnlich. Ich erlaube mir deshalb, den Begriff ‚Kommunikationsstrategie‘, der ursprünglich nur für den ersten Fall angewandt wird, auf die Bearbeitungsstrategien des Sprechers anzuwenden und die Klassifikation von Faerch / Kasper (1983) als Basis zu übernehmen.

Nach Faerch / Kasper (1983: 52) lassen sich die Bemühungen sich auszudrücken grob in drei Teile fassen:

Achievement strategies

Der Sprecher löst das Problem durch Anwendung oder Erweiterung seiner kommunikativen Ressourcen. In diese Kategorie fallen alle zielsprachlichen Methoden wie Paraphrase oder Restrukturierung sowie zwischensprachlicher Transfer, Code-Switching, usw.

Functional reduction strategies

Der Sprecher reduziert sein kommunikatives Ziel, um ein Problem zu umgehen. Er ersetzt die ursprüngliche Absicht durch eine andere.

Formal reduction strategies

Der Sprecher kommuniziert mittels eines ‚reduzierten‘ Systems. Die formale Vereinfachung kann die Syntax oder das Lexikon, bisweilen auch die Morphologie und Phonologie betreffen.

Tabelle 11 Kommunikationsstrategien nach Faerch / Kasper (1983)

Dieser Ansatz hat anderen Vorschlägen (z.B. demjenigen von Gülich 1991 oder Hinnenkamps Strategieliste 1989) voraus, dass er die etwas disparaten Phänomene systematisch zu ordnen vermag. Dennoch ist eine klare Abgrenzung der Klassen nicht möglich, da die Strategien eng miteinander verwoben sind. So ist z.B. die Unterscheidung zwischen Reduktion des Sprachsystems (der ‚formalen Reduktion‘) und der Reduktion oder Veränderung der ‚ursprünglichen‘ Absicht (der ‚funktionalen Reduktion‘) nicht deutlich, wenn man von einer Interdependenz zwischen Absicht und sprachlicher Form ausgeht. Bei der Vermeidung eines schweren Wortes wird also nicht klar, ob es um eine bloss oberflächliche formale Reduktion oder um die Vermittlung eines unterschiedlichen Sachverhalts geht.

Trotz vieler grundsätzlicher Gemeinsamkeiten zwischen den Kommunikationsstrategien im Sinne der Spracherwerbsforschung und der hier besprochenen Problembearbeitung kommt im Korpus eine weitere Kategorie vor, die innerhalb der achievement strategies einen Grenzfall bildet. Dabei handelt es sich um die schlichte Ratifizierungen der vorhergehenden Indikatoren, wenn darin eine Hypothese zur Bejahung oder Ablehnung präsentiert wird. Am deutlichsten wird dies an folgendem Beispiel:

Beispiel 21 Taytu (Äthiopierin) und Lawin (irakischer Kurde)

1 Ta doctorates (-) sieben jahre (--) sieben jahre
2 La doctorates ARZ
3 Ta ja arzt.
4 La aha.

Die Bearbeitung des Indikators in Turn 2 ist hier lediglich auf die Zustimmung zu der Hypothese reduziert. Die Ratifizierung ist aber nicht auf Hypothesen beschränkt, sondern kann grundsätzlich jeden Indikator von Nicht-Verstehen betreffen, der das Verstehensproblem nicht explizit signalisiert (Kat. a bei der Klassifikation von Verstehensproblemen, s. 6.1.1). Mit der blossen Zustimmung zum vorherigen Redebeitrag wird nicht immer ein strategisches Ausdrucksziel erreicht, so dass die Ratifikation als bloss ‚reaktiver‘ Sprechakt in einer eigenen Kategorie dargestellt wird.

7.2.2 Feinklassifizierung der Beispiele im Korpus

In einer Übersicht werden nun alle Strategien vorgestellt, die im Korpus als Reaktionen auf die Manifestation von Nicht-Verstehen vorkommen. Teile dieser Strategien werden schon in der Aufstellung von Faerch / Kasper (1983) beschrieben und andere Strategien sind für die Erklärungssituation spezifisch, so z.B. die Antwortvorgabe.

Problemlösungsstrategien

(achievement strategies)

  • Paraphrasen
  • Restrukturierung des Satzes
  • Emphatische Wiederholung
  • Identische Wiederholung
  • Code – Switching
  • Zwischensprachlicher Transfer

Funktionale Reduktion

(functional reduction strategies)

  • Funktionale Reduktion der Absicht
  • Antwortvorgabe
  • Themawechsel

Formale Reduktion

(formal reduction strategies)

  • Morphosyntaktische Reduktion

Ratifikation

  • Zustimmung
  • Wiederholung des Indikators

Tabelle 12. Strategien der Reaktion auf Indikatoren des Nicht-Verstehens

Die Strategien lassen sich nicht in dem Sinn voneinander abgrenzen, dass sie sich gegenseitig ausschliessen. Kombinationen von Paraphrasen mit einer Restrukturierung des Satzes etwa sind durchaus üblich. Solange eine bestimmte Strategie hingegen auch einzeln vorkam, wurde sie als Element in die Übersicht aufgenommen.

Darstellung einer Mustersequenz

An Stelle einer ausführlichen Diskussion der Beispiele zu den einzelnen Strategien tritt hier die Darstellung einer längeren Sequenz, die viele der oben genannten Methoden in einem Beispiel vereinigt. Der Stelle geht eine Anregung meinerseits voraus, einander gegenseitig zu den Sprachkenntnissen zu befragen.

Beispiel 22 Chang (Myanmar), Mehmet und Milaim (Kosovo-Albaner)

1 Ch ich spreche=ich spreche du dann ich sprechen=was?
2 Me was? wo?
3 Ch kosova=du sprechen kosova. du sagen ich ko spreche kosova.
4 Me a:h. (-) kosova.
5 Ch du sprechen kosova.
6 Me du?
7 Ch nein du=du
8 Mi TI fal ()((alb. DU sprichst))
9 Ch ich frage was du sprechen du sagen nicht ich spreche kosova
10 Me (---) ((alb.))
11 Mi ((alb.))
12 Me ah=SHQI:p (.) albanisch? ((alb.‚shqip‘ = albanisch))
13 Ch du sprechen albanisch=he?
14 Me ja:

Die sechs schattierten Redebeiträge sind alle Reaktionen auf einen Indikator des Nicht-Verstehens. Von röm. i – vi werden die Strategien im Einzelnen besprochen, die Chang und der auch anwesende Milaim anwenden, um Mehmet die Frage zu erklären.

  1. Bei Turn 3 beginnt die erste einer Reihe von Versuchen von Chang, seine ursprüngliche (sehr verwirrliche) Frage zu bearbeiten. Er verringert die vielen Möglichkeiten der Beantwortung funktional auf die Antwort "ich spreche kosova" und bietet mit seiner Antwortvorgabe ein Beispiel für die funktionale Reduktion der Botschaft:

  2. 1

    Ch ich spreche=ich spreche du dann ich sprechen=was?

    2

    Me was? wo?

    3

    Ch kosova=du sprechen kosova. du sagen ich ko spreche kosova.

  3. Die Reaktion auf die Wiederholung eines zentralen Elements ist in Turn 5 die Ratifikation der Antwort. Chang interpretiert den Indikator als Beantwortung seiner Antwortvorgabe in Turn 3 und ratifiziert mit seiner Bemerkung "du sprechen kosova" die Richtigkeit des Einzelwortes in Turn 4:

  4. 4

    Me a:h. (-) kosova.

    5

    Ch du sprechen kosova.

  5. Auf die erstaunte Frage "du?" von Mehmet in Turn 4 berichtigt ihn Chang in Turn 7 mittels einer Kombination von Restrukturierung des Teilsatzes und emphatischer Wiederholung des zentralen Wortes, wobei er die Referenz auf Mehmet wieder herstellt. Beides sind Problemlösungsstrategien:

  6. 6

    Me du?

    7

    Ch nein du=du

  7. Milaim mischt sich schliesslich als Übersetzer ein und paraphrasiert für Mehmet mit einem Code-Switching auf Albanisch die betonte Wiederholung von Chang in Turn 7:

  8. 8

    Mi TI fal ()((alb. DU sprichst))

  9. Auf die fehlende Wiederaufnahme der Restrukturierung in Turn 7 reagiert Chang mit einer erneuten Restrukturierung der ursprünglichen Frage in Turn 9:

  10. 9

    Ch ich frage was du sprechen du sagen nicht ich spreche kosova

  11. Erst nach der klärenden nochmaligen Intervention des Freundes und Übersetzers Milaim formuliert Mehmet die Hypothese, was mit ‚kosova sprechen‘ gemeint sein könnte. Chang ratifiziert die Hypothese in Turn 13 implizit mit der Wiederaufnahme von ‚albanisch‘ und restrukturiert seine Frage, die schliesslich von Mehmet verstanden und bejaht wird.

10

Me (---) ((alb.))

11

Mi ((alb.))

12

Me ah=SHQI:p (.) albanisch? ((alb.‚shqip‘ = albanisch))

13

Ch du sprechen albanisch=he?

14

Me ja:

7.2.3 Abgrenzung zu Kommunikationsstrategien als Ausdruckshilfe für LernerInnen

Anders als in den meisten Studien zu Verstehensproblemen befinden sich die TeilnehmerInnen an diesen Gesprächen in der speziellen Lage, dass sie als Nicht-MuttersprachlerInnen in die Situation kommen, Verstehensschwierigkeiten in einer Antwort bearbeiten zu müssen. Viele der vorgestellten Techniken sind daher nicht eindeutig der Bearbeitung des Problems oder ihren Ausdrucksschwierigkeiten zuzuordnen, die sie als SprecherInnen einer Fremdsprache haben. Besondere Probleme bietet hier die formale Reduktion, die sich bei MuttersprachlerInnen relativ leicht als ‚Foreigner Talk‘ oder an Hand eines reduzierten Wortschatzes identifizieren lässt. Anzeichen für formale Reduktion als Bearbeitung von Verstehensproblemen wurden hier deshalb nur vorsichtig mit einbezogen. Dennoch existiert das Phänomen der formalen Vereinfachung auch bei Nicht-MuttersprachlerInnen, wie folgendes Beispiel m.E. illustriert.

Beispiel 23 Chang (Myanmar), Mehmet und Milaim (Kosovo-Albaner)

1 JM gehst du gerne ins kino; ((zu Me gewandt))
2 Me nee( )
3 Ch kino=kino=filem=filem schauen=öh
4 Mi filem=ja=ja kino
5 Me ah filem kino

Nebst der funktionalen Reduktion auf die Wortbedeutung wird an Turn 3 von Chang deutlich, dass morphosyntaktische Reduktion auch in der Interimssprache möglich ist und strategisch angewandt werden kann.

      

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