7 Wie bearbeiten die SprecherInnen Indikatoren?7.1 Verwobenheit der Indikatoren und der BearbeitungDie Zusammengehörigkeit von Indikator und Bearbeitung ist beinahe so gefestigt wie die der Frage und der Antwort. Die expliziten Indikatoren zumindest verlangen so ausdrücklich nach einer Beantwortung, dass sich niemand aus dem Korpus einer Erklärung entziehen kann. Die gricesche Maxime der Modalität, die ‚sei klar‘ fordert (Grice 1979: 250), drückt sich hier also in der einforderbaren Maxime ‚rede verständlich‘ aus. Anders als bei MuttersprachlerInnen ist hier weniger der Appell an generell verständliche Äusserungen gemeint, sondern der Appell an die Bereitschaft, Verstehensprobleme aufzulösen und mittels einer Bearbeitung den Fluss des Gesprächs wieder herzustellen. Die grosse Erwartbarkeit, die von einer expliziten Problemmanifestation ausgeht, lässt sich z.B. dadurch illustrieren, dass ein Redebeitrag nach einem Indikator eventuell als Einleitung zu der Erklärung betrachtet wird (s.a. Levinson 1990: 305). So können Antworten mehrstufig aufgebaut sein, ohne dass gleich im ersten Redebeitrag nach dem Indikator eine komplette Erklärung folgt. An folgendem Beispiel wird dies deutlich: Beispiel 20 Naser (Algerier) und Enver (Kosovo-Albaner)
Trotz dreimaliger Zwischensequenz in Turn 3, 5, und 7 bleibt die Verpflichtung für beide bestehen, die ursprüngliche Frage zu beantworten. Diese Klammer hilft Naser, die Zwischenfragen und –bemerkungen als Einleitung zur eigentlichen Reformulierung seiner ursprünglichen Frage zu markieren. Hinnenkamp hat für dieses Phänomen den Begriff der "Faktorisierung", also die Zerlegung in Einzelbestandteile, eingeführt. Die Faktorisierung ist zudem "im Kleinen wie im Grossen wirksam. Nicht nur werden die jeweiligen Teilinformationen zergliedert und wo nötig durch Korrekturanforderungen weiter zerlegt oder anderweitig ersetzt, sondern auch innerhalb eines Schemas werden komplexere Informationen ‚zerhackt‘ (...)" (1989: 72). Die eigentliche Reformulierung der Frage in Turn 9 schliesslich passt die ursprüngliche Absicht an und reduziert die Antwort auf zwei Alternativen. Die Antwortvorgabe ist eine von verschiedenen Techniken, die hier nach Faerch / Kasper (1983) functional reduction strategies (s.u.) genannt werden, da sie die ursprüngliche Redeabsicht durch eine funktionell reduzierte Form ersetzen. Diese und andere Strategien zur Behandlung von Verstehensproblemen werden im nächsten Abschnitt vorgestellt. 7.2 Bearbeitungsstrategien7.2.1 KlassifizierungWie eingangs in der Besprechung der Kommunikationsstrategien erwähnt (2.4), sind sich m.E. Strategien von Nicht-MuttersprachlerInnen, die sich auszudrücken versuchen, und Strategien von SprecherInnen, die ein Verstehensproblem erklärend beheben wollen, sehr ähnlich. Ich erlaube mir deshalb, den Begriff ‚Kommunikationsstrategie‘, der ursprünglich nur für den ersten Fall angewandt wird, auf die Bearbeitungsstrategien des Sprechers anzuwenden und die Klassifikation von Faerch / Kasper (1983) als Basis zu übernehmen. Nach Faerch / Kasper (1983: 52) lassen sich die Bemühungen sich auszudrücken grob in drei Teile fassen:
Tabelle 11 Kommunikationsstrategien nach Faerch / Kasper (1983) Dieser Ansatz hat anderen Vorschlägen (z.B. demjenigen von Gülich 1991 oder Hinnenkamps Strategieliste 1989) voraus, dass er die etwas disparaten Phänomene systematisch zu ordnen vermag. Dennoch ist eine klare Abgrenzung der Klassen nicht möglich, da die Strategien eng miteinander verwoben sind. So ist z.B. die Unterscheidung zwischen Reduktion des Sprachsystems (der ‚formalen Reduktion‘) und der Reduktion oder Veränderung der ‚ursprünglichen‘ Absicht (der ‚funktionalen Reduktion‘) nicht deutlich, wenn man von einer Interdependenz zwischen Absicht und sprachlicher Form ausgeht. Bei der Vermeidung eines schweren Wortes wird also nicht klar, ob es um eine bloss oberflächliche formale Reduktion oder um die Vermittlung eines unterschiedlichen Sachverhalts geht. Trotz vieler grundsätzlicher Gemeinsamkeiten zwischen den Kommunikationsstrategien im Sinne der Spracherwerbsforschung und der hier besprochenen Problembearbeitung kommt im Korpus eine weitere Kategorie vor, die innerhalb der achievement strategies einen Grenzfall bildet. Dabei handelt es sich um die schlichte Ratifizierungen der vorhergehenden Indikatoren, wenn darin eine Hypothese zur Bejahung oder Ablehnung präsentiert wird. Am deutlichsten wird dies an folgendem Beispiel: Beispiel 21 Taytu (Äthiopierin) und Lawin
(irakischer Kurde)
Die Bearbeitung des Indikators in Turn 2 ist hier lediglich auf die Zustimmung zu der Hypothese reduziert. Die Ratifizierung ist aber nicht auf Hypothesen beschränkt, sondern kann grundsätzlich jeden Indikator von Nicht-Verstehen betreffen, der das Verstehensproblem nicht explizit signalisiert (Kat. a bei der Klassifikation von Verstehensproblemen, s. 6.1.1). Mit der blossen Zustimmung zum vorherigen Redebeitrag wird nicht immer ein strategisches Ausdrucksziel erreicht, so dass die Ratifikation als bloss ‚reaktiver‘ Sprechakt in einer eigenen Kategorie dargestellt wird. 7.2.2 Feinklassifizierung der Beispiele im KorpusIn einer Übersicht werden nun alle Strategien vorgestellt, die im Korpus als Reaktionen auf die Manifestation von Nicht-Verstehen vorkommen. Teile dieser Strategien werden schon in der Aufstellung von Faerch / Kasper (1983) beschrieben und andere Strategien sind für die Erklärungssituation spezifisch, so z.B. die Antwortvorgabe.
Tabelle 12. Strategien der Reaktion auf Indikatoren des Nicht-Verstehens Die Strategien lassen sich nicht in dem Sinn voneinander abgrenzen, dass sie sich gegenseitig ausschliessen. Kombinationen von Paraphrasen mit einer Restrukturierung des Satzes etwa sind durchaus üblich. Solange eine bestimmte Strategie hingegen auch einzeln vorkam, wurde sie als Element in die Übersicht aufgenommen. Darstellung einer Mustersequenz An Stelle einer ausführlichen Diskussion der Beispiele zu den einzelnen Strategien tritt hier die Darstellung einer längeren Sequenz, die viele der oben genannten Methoden in einem Beispiel vereinigt. Der Stelle geht eine Anregung meinerseits voraus, einander gegenseitig zu den Sprachkenntnissen zu befragen. Beispiel 22 Chang (Myanmar), Mehmet und Milaim (Kosovo-Albaner)
Die sechs schattierten Redebeiträge sind alle Reaktionen auf einen Indikator des Nicht-Verstehens. Von röm. i – vi werden die Strategien im Einzelnen besprochen, die Chang und der auch anwesende Milaim anwenden, um Mehmet die Frage zu erklären.
7.2.3 Abgrenzung zu Kommunikationsstrategien als Ausdruckshilfe für LernerInnenAnders als in den meisten Studien zu Verstehensproblemen befinden sich die TeilnehmerInnen an diesen Gesprächen in der speziellen Lage, dass sie als Nicht-MuttersprachlerInnen in die Situation kommen, Verstehensschwierigkeiten in einer Antwort bearbeiten zu müssen. Viele der vorgestellten Techniken sind daher nicht eindeutig der Bearbeitung des Problems oder ihren Ausdrucksschwierigkeiten zuzuordnen, die sie als SprecherInnen einer Fremdsprache haben. Besondere Probleme bietet hier die formale Reduktion, die sich bei MuttersprachlerInnen relativ leicht als ‚Foreigner Talk‘ oder an Hand eines reduzierten Wortschatzes identifizieren lässt. Anzeichen für formale Reduktion als Bearbeitung von Verstehensproblemen wurden hier deshalb nur vorsichtig mit einbezogen. Dennoch existiert das Phänomen der formalen Vereinfachung auch bei Nicht-MuttersprachlerInnen, wie folgendes Beispiel m.E. illustriert. Beispiel 23 Chang (Myanmar), Mehmet und Milaim (Kosovo-Albaner)
Nebst der funktionalen Reduktion auf die Wortbedeutung wird an Turn 3 von Chang deutlich, dass morphosyntaktische Reduktion auch in der Interimssprache möglich ist und strategisch angewandt werden kann. |