8 Analyse und Erklärungen8.1 Indikatoren8.1.1 ÜbersichtDie in Kapitel 6 beschriebenen acht Indikatoren kann man als eine Menge von Möglichkeiten betrachten, unter denen die HörerInnen bei Nicht-Verstehen auswählen können. Da nie zwei Indikatoren am selben Ort auftreten, sind sie durch einen sozusagen paradigmatischen Bezug im saussurschen Sinn miteinander verbunden. Mir scheint wichtig, dass die ganze Palette von Indikatoren eine mögliche Reaktion auf Nicht-Verstehen darstellt, d.h., dass im Korpus ebenso explizite wie implizite Anzeiger vorkommen. Varonis / Gass (1985) und andere ForscherInnen im Bereich Verständigungsforschung beschränken sich leider auf die Erforschung expliziter Anzeiger, die eine Reparatursequenz auslösen. Tatsächlich bilden implizite Indikatoren eine zwar kleinere und weniger scharf zu erfassende, aber nicht zu vernachlässigende Gruppe von Mitteln, um Verstehensproblemen zu begegnen. Im Korpus ist das Verhältnis von expliziten zu impliziten Indikatoren rund zwei Drittel zu einem Drittel, wie folgende Aufstellung der Mengenverhältnisse bei den Indikatoren zeigt:
Diagramm 1. Übersicht über die Indikatoren (n = 74) Die drei expliziten Indikatoren – Signalisation von Nicht-Verstehen, Nachfragen nach Details und Wiederholung eines zentralen Elements – sind mit je etwas über 20 % die häufigsten Methoden der Problemmanifestation. Bei den impliziten Indikatoren sind ‚zustimmendes Abwarten trotz Nicht-Verstehen‘ und ‚Abbruch‘ mit 12 % resp. 8 % am stärksten vertreten. Die geringe Datenmenge bei den impliziten Indikatoren (24 von 74 Fällen total) ist allerdings auf Verzerrungen besonders anfällig. Zwei Drittel der Einträge in der Kategorie ‚Abbruch‘ (h) sind auf eine Person zurückzuführen, die sehr geringe Deutschkenntnisse hat (Mehmet). Diese Mengenverhältnisse täuschen allerdings etwas über die realen Verhältnisse hinweg. Es ist eine schwer zu beantwortende Frage, ob explizite Indikatoren tatsächlich häufiger sind oder ob sie nur den GesprächspartnerInnen und der Analyse gegenüber sichtbarer sind. Tatsächlich kommt Günthner anhand der Gespräche zwischen ChinesInnen und Deutschen zum Schluss, dass implizite Indikatoren expliziten gegenüber vorgezogen werden, weil sie dem Sprecher "die Möglichkeit zur Korrektur ohne grössere Unterbrechung des Gesprächsflusses" geben (1993: 92). Die Hierarchie implizit vor explizit hätte also eine gesichtsschützende Funktion. Günthner stuft allerdings nur diejenigen Indikatoren als implizit ein, die in der vorliegenden Untersuchung als ‚Ignorieren‘ klassifiziert waren (Kat. d und e). Die zweite Gruppe von indirekten Indikatoren, Abbrüche durch abrupte Themawechsel oder Code-Switching in eine andere Sprache, werden in ihrer Klassifikation nicht berücksichtigt. Gleichzeitig bahnen sich die expliziten Anzeiger von Nicht-Verstehen meistens nicht durch immer deutlicher werdende implizite Indikatoren an, sondern können ganz unvermittelt nach dem Referenzturn auftreten. 8.1.2 Verhältnis zum Auslöser (Trigger)Die Indikatoren folgen im Diskurs dem Turn, der den Trigger (d.h. den Auslöser des Verstehensproblems) enthält. Zugleich aber werden Trigger erst durch die Indikatoren als solche identifiziert, was jene nur a posteriori zum Vorschein bringt. Da der Trigger der Analyse nicht direkt zugänglich ist (ebenso wenig wie der Introspektion der HörerInnen selbst), lassen sich zu seiner Natur nur wenige Aussagen machen. Tatsächlich beobachtbar sind aber die Hypothesen, welche die Hörerin und später in seiner Replik auch der Sprecher über die Art des Triggers aufstellen. Bremer betrachtet es sogar als ein "Gebot der Kooperativität (...), auch über die Art des Problems Auskunft zu geben, also zur ‚Verständigung über die Verständigung‘ beizutragen" (1997: 124). Tatsächlich scheinen Indikatoren, die das vermutete Problem spezifisch benennen, effizienter zur Klärung beizutragen. Deshalb ist es erstaunlich, dass die eigentliche Kategorie der Hypothesendarlegung (b – Erfragen von Zusatzinformation, S. Tabelle im Kap. 5.3) im vorliegenden Korpus nicht die dominante Rolle spielt. Daraus lassen sich zwei Schlüsse ziehen: Erstens ist es ungünstig, zu einem Trigger eine Hypothese zu präsentieren, bei dem die Hörerin selber den Grund für das Nicht-Verstehen nicht eruieren kann. Eine Hypothese der Hörerin wird vom Sprecher in allen Fällen bearbeitet, entweder wird sie ratifiziert (in 25 % der Fälle in der Kategorie) oder mittels einer Reformulierung der ursprünglichen Äusserung verworfen (in 70 % der Fälle in der Kategorie). Die Hörerin geht also ein verhältnismässig grosses Risiko ein, dass das Gespräch sich eventuell in Richtung der falschen Hypothese weiterentwickelt oder dass trotz der Hypothese das Problem nicht schneller behoben wird. Ein zweiter Grund dafür, dass nicht immer mit einer Nachfrage eine Hypothese zur Beurteilung vorgelegt wird, liegt in der Dringlichkeitsstufe von Problemen. Der Effizienz der expliziten Problemmanifestation steht also der Platz im Gespräch gegenüber, der durch die Aushandlung verwendet wird. 8.1.3 Verhältnis zur Antwort des SprechersAus den Daten im Korpus lässt sich für jede Kategorie von Indikatoren ein Profil bilden, das die Bearbeitungen nach den vier Gruppen Problemlösungsstrategien (achievement strategies – Erklärung der Bedeutung mit erweiterten Werkzeugen), funktionale Reduktion (functional reduction strategies – Veränderung der ursprünglichen Bedeutung), formale Reduktion (formal reduction strategies – Vereinfachung des sprachlichen Systems) und Ratifikation aufschlüsselt. In einem Diagramm lassen sich dann die Kategorien a-c als explizite Indikatoren und d-h als implizite Indikatoren zusammenfassen. Anhand dieser Übersicht fällt auf, dass die Problemlösungsstrategien (Achv), funktionalen Reduktionen (Func) und die Ratifikationen (Rat) jeweils anders verteilt sind, wenn die Indikatoren explizit oder implizit sind. Dies wird – mit der nötigen Zurückhaltung gegenüber statistischen Vereinfachungen bei kleiner Datenlage – an folgendem Diagramm illustriert:
Diagramm 2. Unterschiede in der Sprecherstrategie je nach Explizitheit des Indikators (n=80) Die Differenz in der Gesamtzahl zum Diagramm 1 im vorigen Abschnitt erklärt sich dadurch, dass ein Indikator mehrere Strategien zur Bearbeitung auslösen kann. So sind eine Paraphrase und eine Restrukturierung des Satzes durchaus miteinander vereinbar. Es handelt es sich um sechs Fälle, die so grösstenteils der achievement-Säule zugerechnet wurden. Nach impliziten Indikatoren sind im Durchschnitt alle Bearbeitungsstrategien mit Ausnahme der formalen Vereinfachung etwa gleich wahrscheinlich. Bei expliziten Manifestationen von Nicht-Verstehen hingegen dominieren Strategien deutlich, die mittels Paraphrasen, Wiederholungen oder Umformulierungen das ursprüngliche kommunikative Ziel zu erreichen versuchen (‚Problemlösungsstrategien‘). Bei diesem Resultat soll aber nicht verschwiegen werden, dass die möglichen Antwortstrategien auf implizite Indikatoren sehr heterogen verteilt sind und je nach Indikator ein völlig anderes Verhalten zeigen. 8.1.4 Verhältnis zu den EinzelpersonenDie Profile der Bearbeitungstypen in Diagramm 2 weisen sehr grosse individuelle Unterschiede auf, die sich jedoch weder auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Muttersprache oder einem bestimmten Geschlecht noch auf den Grad der Sprachbeherrschung des Gesprächspartners zurückführen lassen. Eine schwache Tendenz scheint sich nur in Richtung eigener Sprachkompetenz abzuzeichnen. Als grobe Bestimmung der Sprachkompetenz wurde die mean length of utterance (‚Mittlere Turnlänge‘, MLU) verwendet, die Allwood (1993) diskutiert. Die MLU ist ein indirektes Mass für Sprachbeherrschung und ist deshalb nur mit Vorsicht zu verwenden. Hier wird die MLU trotzdem verwendet, weil sie verhältnismässig leicht zu bestimmen ist und keine Sprachtests nötig macht (s.a. Frischherz 1997: 227).
Tabelle 13. Einzelprofile der Asylsuchenden geordnet nach MLU Zu der Tabelle ist Folgendes zu bemerken. Derjenige mit den meisten Indikatoren von Nicht-Verstehen ist mit Abstand Mehmet, der auch den niedrigsten MLU aufweist. Allerdings ist sein Gesprächspartner Chang jemand, der mit ausserordentlich vielen Antwortvorgaben und anderen formalen und funktionalen Reduktionen arbeitet, was darauf hindeuten könnte, dass sich diese Strategien in ein deutliches Verstehenshindernis für das Gegenüber verwandeln können, wenn sie zu stark angewandt werden. Obwohl bei den besseren SprecherInnen in der oberen Hälfte der Tabelle drei keine Indikatoren von Nicht-Verstehen zeigten, ist der Anteil an Indikatoren nicht auf die Sprachkenntnisse zurückzuführen. So ist der Durchschnitt der oberen Hälfte nur wenig kleiner als derjenige der unteren Hälfte (ohne Mehmet). 8.1.5 ZusammenfassungDie Indikatoren geben also über folgende Tatsachen Auskunft:
Hingegen lassen sich keine Aussagen zum Einfluss des Geschlechts und der Muttersprache auf den Typ und die Menge der Indikatoren machen. 8.2 Bearbeitung von Indikatoren8.2.1 ÜbersichtAuf die Anzeige von Nicht-Verstehen sind verschiedene Reaktionen denkbar. Dabei ist zuerst der Einfluss des Typs von Indikator wichtig, aber nicht allein entscheidend. Selbst auf implizite Indikatoren, die sich in ‚Ignorieren‘ oder ‚Abbrechen‘ äussern, sind Problemlösungsstrategien (achievement strategies) möglich. Anhand des Diagramms 3 wird die Anzahl Vorkommnisse der Feineinteilung in Kapitel 7.2.2 deutlich. Die Sprecherreaktionen sind nach Problemlösungsstrategien, funktionalen Reduktionen, formalen Reduktionen und Ratifizierung geordnet.
Diagramm 3. Erklärungsstrategien Bei den Problemlösungsstrategien sind die Paraphrase eines Elements und die Restrukurierung des Satzes die am häufigsten angewandten Strategien, wobei dies auch die beiden Strategien sind, die am meisten in Kombinationen mit anderen vorkommen. Die Gruppe der funktionellen Reduktionsstrategien wird von einer Sammelklasse angeführt, gefolgt von Antwortvorgabe und Themawechsel. Die formalen Reduktionsstrategien nehmen hier einen sehr untergeordneten Raum ein. Es ist aber zu bedenken, dass in Anbetracht der Nicht-Muttersprachlichkeit der Sprecher beinahe nicht zwischen formaler Reduktion als Ausdruckshilfe und formaler Reduktion als Erklärungsstrategie unterschieden werden kann. Ohne Zweifel besteht das Phänomen jedoch auf jeder Stufe der Sprachbeherrschung, wie das Beispiel 23 in 7.2.3 belegt. Die Kategorie der Ratifikationen ist die grösste im Korpus. Daraus lässt sich allerdings nicht schliessen, dass die Hypothesen oder leiseren Wiederholungen von Einzelelementen der HörerInnen immer korrekt waren, da gelegentlich auch Abbrüche ratifiziert wurden. Die Häufigkeit der Ratifikationen belegt vielmehr eine generelle Tendenz zur Zustimmung. Dies geht eventuell auf zwei widerstrebende Interessen des Sprechers zurück, die Bremer auch für die Hörerin beschreibt: Eine ausführliche Bearbeitung wäre klarer als nur kurze oder unvollständige Antworten, jedoch besteht das Interesse von Sprecher (und Hörerin), die Seitensequenz so schnell wie möglich abzuschliessen (1997: 124). 8.2.2 Verhältnis zu den GesprächspartnerInnenNeben dem Einfluss der spezifischen Indikatoren im Gespräch hängt die Wahl der Bearbeitungstyps auch von der Einschätzung der Gelingensbedingungen ab. Formale und funktionale Reduktionen der Botschaft sind Strategien, die eher schwächeren LernerInnen gegenüber in Frage kommen. Dies zeigt tendenziell folgendes Diagramm:
Diagramm 4. Strategien in Abhängigkeit vom Rang des Gesprächspartners (n=80) Die 19 ProbandInnen sind hierbei in fünf Gruppen von 4-5 TeilnehmerInnen aufgeteilt, die nach dem MLU-Rang ihres Gesprächspartners geordnet sind. Gruppe I sind diejenigen, die auf die Indikatoren der besten LernerInnen reagieren mussten und Gruppe V sind diejenigen SprecherInnen, die auf Indikatoren der schwächsten LernerInnen eine Strategie finden mussten. Es ist auffällig, dass bis zu den HörerInnen der Gruppe III keine formalen Reduktionen und beinahe keine funktionalen Reduktionen verwendet wurden. Dies lässt den Schluss zu, dass bei besseren LernerInnen Problemlösungsstrategien (achievement strategies) vorgezogen werden, während bei schwächeren LernerInnen eine Reduktion der Botschaft (z.B. Antwortvorgaben) und eine Reduktion des formalen Systems (z.B. Foreigner Talk) zumindest in Frage kommen. Die Problemlösestrategien steigen erst bei der schwächsten Gruppe (V) stark an, während sie bei den anderen Gruppen etwa gleich bleiben. Dies ist ein Hinweis darauf, dass die Reduktionsstrategien schwächeren LernerInnen gegenüber die Problemlösestrategien nicht ablösen, sondern ergänzen.
9 ZusammenfassungEs ist erstaunlich, wie beim ersten Abhören der Tonaufnahmen wenig Verstehensschwierigkeiten zutage kamen und wie verhältnismässig gross das Korpus von Stellen schliesslich wurde, als die schriftlichen Transkripte vorlagen, die sich genau analysieren liessen. Dies zeigt, dass die Anzeige und Bearbeitung von Verstehensproblemen sich praktisch unmerklich in den Gesprächsverlauf einfügt. Tatsächlich befindet sich aber in jedem der aufgenommenen Gespräche mindestens eine Stelle, die zu Verstehensproblemen Anlass gab und die eine Reaktion auslöste. Verstehensschwierigkeiten sind in jedem Gespräch und insbesondere unter Nicht-MuttersprachlerInnen etwas Normales. Während Verstehensprobleme lange als störende Nebengeräusche bei der Übertragung von Information zwischen einem Sender und einem Empfänger verstanden wurde, zeigt die genauere Analyse die Unangemessenheit dieser Funkmetapher. So ist klar, dass Kommunikation ein dynamischer Prozess ist, bei dem beide GesprächspartnerInnen sich einig werden müssen, was die Botschaft ist. Verstehen ist nicht automatisch gegeben, wenn der Übertragungskanal störungsfrei ist, sondern wird interaktiv hergestellt. Die Interaktivität bedeutet allerdings nicht, dass bei jedem Verstehensproblem eine kooperative Lösung angestrebt wird. Der Einbezug des Gegenübers ist nicht eine automatische Folge bei Verstehensschwierigkeiten. Trotz der Vielfalt von Strategien, die den HörerInnen und SprecherInnen an bestimmten Orten zur Verfügung stehen, kristallisieren sich bei Verstehensproblemen feste Strukturen heraus. So folgt der Indikator jeweils unmittelbar auf den Turn, der das Verstehensproblem ausgelöst hat. Die Analyse der Indikatoren zeigt, dass die HörerInnen selbst die Definitionshoheit darüber haben, ob ein vorheriger Turn problematisch ist oder nicht. Einen Trigger per se gibt es daher nicht. Allerdings lässt sich im Nachhinein beschreiben, welchen Grad von Explizitheit die Hörerin wählt um das Nicht-Verstehen anzuzeigen. Ausserdem werden die Hypothesen sichtbar, welche die HörerInnen anstellen. Die Hypothesen müssen nicht notwendigerweise die ‚wahren‘ Ursachen der Verstehensschwierigkeit benennen, da diese den HörerInnen wie auch dem Blick von aussen verborgen sind. So kann auch bei einer Ratifikation der Hypothese seitens des Sprechers und bei der folgenden Weiterentwicklung des Gesprächs nicht mit Sicherheit festgestellt werden, ob das ursprüngliche Problem komplett ausgeräumt ist. Die Behandlung wird aber als erfolgreich betrachtet, wenn sich eine unausgesprochene Einigung unter den GesprächsteilnehmerInnen einstellt, dass die Konversation weitergeführt werden kann. Wann ein genügender Grad an Verstehen erreicht ist, wird allerdings nicht nur durch den diskursiven Zusammenhang bestimmt. Die Entscheidung ist vielmehr Ausdruck von unterschiedlichen und in gewissem Sinne widersprüchlichen Interessen beider GesprächspartnerInnen. Die explizite Formulierung eines Problems ist immer mit einer Gesichtsbedrohung für die Hörerin verbunden und unterbricht den Gesprächsverlauf, was sich auf die Dauer negativ auf die Themaentwicklung auswirkt. Die Explizitheit hilft jedoch dem Sprecher, seine Bearbeitungsstrategien am rechten Ort anzubringen. Implizite Indikatoren sind hingegen ihrer Natur nach mehrdeutig, was neben Nicht-Verstehen auch andere Interpretationen zulässt und so der Gesichtsbedrohung entgegenwirkt und den Gesprächsverlauf nicht unterbricht. Die Entscheidung über ein Eingreifen liegt so beim Sprecher. Er erhält aber auf diese Weise nicht genügend Information zur genauen Ortung des Verstehensproblems im Gespräch, was eine Behandlung von impliziten Indikatoren uneffizient macht. Angesichts dieser widersprüchlichen Interessen ist es ein interessantes Phänomen, wie schwer sich ‚Nachfragen nach Zusatzinformation‘ als ausschliesslich problemanzeigend oder ausschliesslich interessiertes Nachfragen einstufen lässt (s. Kap. 6.1.2). An dieser Klasse wird vielleicht das Verhalten am deutlichsten, das Bange "bifocalisation" nennt: Die gleichzeitige zentrale Fokalisation auf das Thema der Konversation und nebengeordnet die periphere Fokalisation auf die Probleme, die im Zusammenhang mit der Koordination der Gesprächsaktivitäten auftreten können (1992: 56). Die oben erwähnte feste Struktur räumt auch der Antwort des Sprechers einen Platz ein. Bei expliziten Indikatoren öffnet sich eine Klammer, die sich erst mit der erfolgreichen Bearbeitung des Sprechers wieder schliesst. Diese Klammer lässt sich auch strategisch verwenden, indem scheinbar unzusammenhängende Informationen zu der Konstruktion von Hintergrundswissen eingesetzt werden – eine Taktik, die Hinnenkamp (1989) als ‚Faktorisierung‘ bekannt gemacht hat (vgl. dazu Kap. 7.1). Als Bearbeitung des Indikators kommen im Korpus Strategien vor, die in Anlehnung an Faerch / Kasper (1983) in ‚Problemlösungsstrategien‘, ‚Strategien der funktionellen Reduktion‘, Strategien der formalen Reduktion‘ und Ratifizierung unterteilt werden. Dabei werden die zwei wichtigsten Problemlösungsstrategien, ‚Paraphrase eines Elements‘ und ‚Restrukurierung des Turns‘, nicht nur für sich allein angewandt, sondern treten auch in Kombination mit anderen Strategien auf. Allerdings können wegen der kleinen Menge der Vorkommnisse keine signifikanten Kollokationen festgestellt werden. Strategien der formalen Reduktion des (hier morphosyntaktischen) Systems, die bei MuttersprachlerInnen als ‚Foreigner Talk‘ beschrieben wurden, treten in Einzelfällen auch auf. Die Identifizierung gestaltet sich allerdings ausserordentlich schwierig, da die formale Reduktion des Systems auch als (produktive) Kommunikationsstrategie von allen Nicht-MuttersprachlerInnen angewandt wird, wie Faerch / Kasper (1983) in ihrer Kategorisierung feststellen. Die Beschäftigung mit Gesprächen unter Nicht-MuttersprachlerInnen nimmt in der Forschung bisher einen untergeordneten Platz ein. Die wenigen Studien, die in diesem Bereich existieren, untersuchen zudem vor allem künstliche Konversationen unter SprachstudentInnen, die gemessen an allen Gesprächen unter Nicht-MuttersprachlerInnen nur einen kleinen Ausschnitt bilden. Die Häufigkeit aber von Sprachbegegnungen mit Hilfe einer Drittsprache ist m.E. nicht zu unterschätzen. Gerade da liegt aber ein enormer Forschungsbedarf, wenn die Vernetzung und die Mobilität der Menschen weiterhin im selben Mass zunehmen. Gleichzeitig ist nicht zu übersehen, dass in den Industrieländern die weitgehend marginalisierten Schichten von ArbeitsmigrantInnen und Asylsuchenden vor allem unter sich bleiben und die Gelegenheiten zum Deutsch sprechen sich aus den Kontakten mit anderen Asylsuchenden ergeben. 10 Bibliographie
Online-Quellen:
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