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Girdhari, 35, Rikshawfahrer - ein Portrait
2. November 2000

Girdhari ist Rikshawfahrer in Jaipur, Rajasthan, Indien. Einer dieser waghalsigen Typen, die sich Tag für Tag auf den überfüllten Strassen Indiens ihren Lebensunterhalt verdienen. Sein Onkel hat ihm vor Jahren das Fahren dieser dreirädrigen Zweitaktmotorvespas beigebracht. Die Prüfung bestand darin, das Fahrzeug zur Stosszeit durch eine besonders enge und befahrene
Basargasse zu steuern - ohne einen Unfall zu verursachen und ohne auch nur einmal anzuhalten. Girdhari bestand und ist seither stolzer Besitzer einer eigenen Rikshaw mit der Nummer RNP 976. Irgendwann hat er den Entschluss gefasst, sich auf Touristen zu "spezialisieren". Um andere Sprachen zu lernen, wie er sagt, und mit inoffiziellen Stadtführungen seinen Fahralltag interessanter zu gestalten. Und tatsächlich unterhält sich Girdhari in fliessendem Englisch mit uns, was unter Rikshaw-Wallahs - wie sie hier genannt werden - eher selten anzutreffen ist. Und als wir später auf italienische Touristen stossen, stellt er augenblicklich um und erklärt die Maharajah-Gräber in einem beindruckenden Italienisch. Er, der kaum zur Schule gegangen ist, da seine Eltern nach der Trennung Indiens im Jahre 1947 ihr gutbürgerliches Leben in Lahore aufgeben und sich in Jaipur eine neue Existenz aufbauen mussten. So erging es wohl vielen im muslimischen Pakistan lebenden Hindu-Familien, die dem durch die Trennung entfachten ethnischen Konflikt entfliehen mussten. Und umgekehrt sahen sich natürlich auch viele muslimische Familien gezwungen, von Indien nach Pakistan zu flüchten. Insgesamt überquerten nicht weniger als 10 Mio. Hindus und Moslems in beiden Richtungen die neue Grenze; mehr als 250'000 Menschen wurden dabei von Angehörigen der jeweils anderen Glaubensrichtung massakriert.

Girdhari hat drei Töchter und einen Sohn - für indische Verhältnisse eine Kleinfamilie. Geheiratet hat er mit 15 Jahren, seine Frau war damals 13. Fünf Jahre später kam die erste Tochter zur Welt, die heute auch schon 15 ist und in ein bis zwei Jahren verheiratet werden soll. Ja, er, Girdhari, suche den Bräutigam aus, der natürlich derselben Kaste angehören müsse wie seine Familie. Ob die Tochter den Auserwählten auch ablehnen dürfe, wollen wir wissen. Girdhari antwortet, dass sie ihn von weitem (!) betrachten und ihm dann nicht als Vater, sondern als Freund oder älterem Bruder offen sagen könne, ob er ihr gefalle oder nicht. Falls nicht, würde er nach einem neuen Kandidaten Ausschau halten. Sein eigener Vater dürfe aber auf keinen Fall erfahren, dass er seiner Tochter dieses Recht einräume, ihren zukünftigen Ehemann vor der Hochzeit zu sehen und ihr Schicksal wenigstens ein bisschen mitzubestimmen, sonst würde er von ihm verhauen... Eine indische Hochzeit ist ein riesiges Ereignis. Girdhari meint, für Inder gäbe es der Gelegenheiten, um Erspartes im grossen Stil auszugeben: bei der Geburt eines Kindes, für eine Hochzeit oder für eine Bestattung. So wurden für die Hochzeit von Girdharis jüngerem Bruder vor zwei Jahren stolze 5000 Dollar zusammengelegt und ausgegeben. In ein paar Tagen heiratet die Tochter von Girdharis Schwester. Drei Tage land wird gefeiert, über 1000 Gäste werden erwartet. Auch wir sind eingeladen, doch leider fällt das Datum mit der Camel Fair in Pushkar zusammen. Schade, das wäre bestimmt höchst interessant - aber sicher auch sehr anstrengend! - gewesen.

Dies alles erzählt uns Girdhari beim Mittagessen, bei Gemüsecurry und Chapati. Gleich geht's weiter zum Amber Fort, in halsbrecherischem Tempo an Fahrrädern, Kamelen, Elefanten und Jeeps vorbei - Girdhari überholt sie alle, wobei er durch geschickte Gewichtsverlagerung jeweils das Kippen des Vehikels verhindert. Einmal halten wir kurz an, um zu tanken, und als dem Benzin noch 15% Öl beigemischt werden, wird uns klar, weshalb diese Dreiräder alle so stinken.

Nach einem erlebnisreichen Sightseeing- und Shoppingtag in Jaipur sind wir zurück im Hotel. Girdhari zeigt uns stolz sein Notizbuch, prall gefüllt mit Einträgen von Touristen, die ihn in den höchsten Tönen loben. Zurückhaltend sei er, ehrlich (er sagt wenigstens, bei welchen Läden und Hotels er Kommission einkassiert), kenne Jaipur wie seine eigene Hosentasche. Wir können dem nur zustimmen und nennen ausserdem seinen feinen Sinn für Humor. Ironie haben wir bei den Indern bisher noch nicht kennengelernt.

 

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