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Pushkar Camel Fair
17. November 2000

Schon von weitem sahen wir das Zirkuszelt, neben drei Riesenrädern, die so schnell drehten, dass sich die Leute am Rand der Kabine festkrallen mussten. Nicht das romantische Aufsteigen in den Himmel, wie wir es kennen. Ab und zu blieb das Riesenrad stehen, worauf mindestens zehn Inder waghalsig auf der einen Seite hochkletterten, um dem Rad neuen Schwung zu verleihen. Sicherheit steht bei indischen Jahrmärkten bestimmt nicht an erster Stelle, das wurde uns bald klar, nachdem wir uns im Zirkus in den wackligen hinteren Rängen niedergelassen hatten. Am Anfang war es einfach nur laut, schrille Musik aus scheppernden Lautsprechern. Dann kam ein ca. 5-jähriges Mädchen, das sich hoch oben auf einer Stange in alle Richtungen verenkte. Während die gelangweilten Zirkushelfer - nicht die emsigen Nordafrikaner, die wir vom Knie her kennen - noch dabei waren, die Vorrichtung wieder abzubauen, spielte sich irgendwo am Rande der Arena auf einem Podest bereits die nächste Nummer ab. Künstlerische Ansprüche und dramaturgisches Flair scheinen in Indien keinen allzu grossen Stellenwert zu haben. So erinnerte die ganze Vorstellung eher an eine schlecht inszenierte Schülervorführung als an einen professionellen Zirkus. Die Truppe bestand aus ca. 15 Mädchen im Alter von fünf bis fünfzehn Jahren, die zwar ihr Bestes gaben, aber dennoch einen seltsam unmotivierten und untalentierten Eindruck hinterliessen. Bemerkenswert waren die offensichtlich vom westlichen Fernsehen beeinflussten Disco-Tanzeinlagen - in der entsprechenden, für indische Verhältnisse äusserst freizügigen Kleidung -, die das fehlende Taktgefühl der Tänzerinnen nur zu deutlich zur Schau stellten. Aber es gab auch einen richtigen Helden in der Vorstellung, der sich bereits einige Nummern vor seinem Auftritt bemerkbar machte, indem er sein Motorrad draussen immer wieder aufheulen liess. Die Rampen, die in der Zwischenzeit hingestellt wurden, verhiessen einen echten Höhepunkt. Und wir wurden nicht enttäuscht. Mit viel Schwung brauste der Held schliesslich über die erste Rampe, landete nach einem halsbrecherischen Sprung von nicht weniger als einem Meter krachend auf der zweiten - und ward nimmer gesehen. Eine tolle Showeinlage, wir lachten Tränen! Nach dieser Meisterleistung liessen wir unseren Blick wieder in die Höhe gleiten, wo drei Mädchen auf einem Trapez herumturnten. Mit Erstaunen stellten wir fest, dass sie sogar gesichert waren, jede mit einem Seil und einem Gurt um die Hüfte. Doch oh Schreck,
mitten in der Vorstellung löste sich das eine Seil ohne ersichtlichen Grund vom Bauchgurt, worauf die Artistin verlegen lächelte und fröhlich weiterturnte. Doch dann kam eine wirkliche Überraschung: der  Wassertrinker. Nonchalant kippte er ein Glas Wasser nach dem anderen die Kehle hinunter. Als er fertig war, verbeugte er sich und lief davon. Doch dann drehte er sich auf dem Absatz um, kam zurück und liess die drei Liter Wasser in hohem Bogen wieder rausschnellen. Das war schon ziemlich erstaunlich. Die nächste Nummer wurde wieder richtig gefährlich. Es war die einzige Paarnummer im ganzen Programm. Claude und Erika, ein Schweizer Traveller-Paar, mit denen wir schon länger e-Mail-Kontakt und die wir in Pushkar nun endlich persönlich kennengelernt hatten, waren vor zwanzig Jahren schon in Indien und meinten, so was hätte es damals nie gegeben. Überhaupt sei der Zirkus viel professioneller geworden, was wir mit Erstaunen zur Kenntnis nahmen. Auf einem Podest drehte sich das Paar auf Rollschuhen im Kreis herum, zu heisser Disco-Musik. Nachdem sie von ihm einige Minuten lang an den Armen in der Luft herumgewirbelt worden war, hielten sie inne, und legten sich - während die Clowns nebenan irgendeine Nummer abzogen - gemächlich eine Schlinge um Hals und Brust. Dann wurde die Musik wieder lauter, ihre Halsschlinge wurde an seinem Brustgurt festgebunden und einige Sekunden
später hing sie nur noch am Hals befestigt in der Luft. Doch da verfehlte er den Rand des Podests und beide krachten zu Boden. Ein Raunen ging durch die Menge, bevor die Artisten hinkend die Arena verliessen. Für die nächste Nummer wurde in der Mitte der Arena eine Stange aufgestellt und an vier Seilen befestigt. Ein Fahrrad wurde hochgehievt und kurz darauf kletterte die Artistin hinauf. Während sie bereits oben war, waren die Zirkushelfer unten immer noch damit beschäftigt, die Stange mit einem Riesenhammer zurechtzurücken, was auch nicht unbedingt unseren Sicherheitsanprüchen entsprach... Die Nummer selbst war eher unspektakulär. Nach dem Grande Finale verliessen wir das Zirkuszelt voller neuer Eindrücke und fanden uns im Lärm und Getümmel der Pushkar Camel Fair wieder.

Nachts war da wirklich die Hölle los. Kleine Essbuden versuchten sich gegenseitig mit quakender Musik zu übertönten und so um Kunden zu buhlen, Souvenirshops priesen indischen und ausländischen Touristen ihre Ware an - alle gaben ihr Bestes, um an den wenigen Tagen der Camel Fair möglichst viel zu verkaufen, bevor das heilige Städchen Pushkar wieder im Alltagstrott versinkt. Wir erkämpften uns unseren Weg zurück zum Camping durch gerammelt volle Basargassen, an den Treppenstufen, die zum heiligen Pushkar-See – in Tat und Wahrheit ein kleiner Drecktümpel - hinunterführen hatten sich Hunderte von Pilgern versammelt, die von weither kommen, um sich in der Vollmondnacht im reinigenden Wasser zu baden. Alkohol und Fleisch (auch Eier) sind in Pushkar stengstens verboten.

Auf dem spontan entstandenen "Overlander Camp" (Overlander = Leute, die mit dem eigenen Fahrzeug überland reisen) angekommen, lehnten wir uns erst einmal zurück, froh, den Menschenmassen entflohen zu sein. Langzeitreisende, die Jahr für Jahr an die Camel Fair in Pushkar kommen, hatten uns aufgeklärt: Bis letztes Jahr gab es ein offizielles Overlander Camp, doch dieses Jahr hatte der Besitzer beschlossen, keine Leute mehr aufzunehmen. Als wir einige Tage vor der Fair nach Pushkar kamen, suchten wir nach eben diesem Camp, doch fanden wir neben einem Hotel lediglich einen riesigen Lastwagen mit Berlinerkennzeichen. Unglaublich, was die alles dabei hatten. Neben einem zusammenfaltbaren "Marsmobil" entluden sie dem Truck auch zwei Motorroller, mit denen sie in der Stadt herumflitzten. Wir stellten uns neben sie, und kurz nach unserer Ankunft trafen weitere Overlander ein, die ebenfalls nach einem geeigneten Standplatz suchten. Nach ein paar Tagen hatte sich jedoch am anderen Ende der Stadt ein neues Camp entwickelt; ein cleverer Hotelbesitzer hatte auf einer Rosenfarm einen Platz eingerichtet, und nach einer Weile fanden sich so ziemlich alle Overlander dort ein. Eines Abends organisierte der Hotelbesitzer für uns sogar eine private Puppenvorstellung mit den traditionellen Marionetten aus Rajasthan. Uns gefiel es so gut, dass wir nicht widerstehen konnten und gleich zwei dieser Puppen kauften. Wir feierten unser Wiedersehen mit den Holländern Jeroen und Rielle und Erik und Ester, die wir bereits aus Pokhara kannten, und lernten endlich Claude und Erika aus Zürich persönlich kennen. Mit ihnen und Jan und Leonie, einem sehr netten Paar aus Südafrika, die alles überland nach Indien kamen, verbrachten wir viele schöne Stunden. Die vier sind auch hauptsächlich schuld daran, dass wir jetzt doch nicht nach Australien verschiffen, sondern noch länger in Indien bleiben. Insgesamt standen auf dem Campingplatz über ein Dutzend Fahrzeuge, vom kleinen VW-Bus mit Basler-Kennzeichen bis zum riesigen Truck. Unser Landcruiser gehörte eindeutig zu den Kleinsten - und wir zu den Jüngsten.

Wir verbrachten über eine Woche in Pushkar, schlenderten tagsüber durch die Sanddünen neben dem Marktgelände, wo stolze Turbanträger ihre Kamele zum Verkauf anboten, eins schöner bemalt und geschmückt als das andere. Ab und zu sah man wilde Reiter, die die Kamele vor dem Kauf auf Herz und Nieren testeten. Wir kamen uns vor wie im Märchen aus tausend und einer Nacht.

Überhaupt gleicht ganz Rajasthan einer Märchenwelt. Nach der Fair brachen wir zusammen mit Jeroen und Rielle auf, die Wüste zu erkunden. Bereits einige Kilometer von Pushkar enfernt befanden wir uns mittendrin und sind so begeistert, dass wir heute, sechs Tage später, immer noch kreuz und quer durch die Wüste kurven. Ab und zu kommen wir durch kleine, verlassene Wüstendörfer und können uns nicht vorstellen, wovon die Leute hier leben. Endlich können wir wieder einmal richtig wild campen, ohne ständig von einer Horde Indern beäugt zu werden, die alle unsere Bewegungen in Hindi kommentieren. Erstaunlich ist aber, dass selbst an den abgelegensten Orten noch Leute herumspazieren, die uns natürlich auch immer gleich entdecken. Einmal campten wir - wie wir dachten - irgendwo im Niemandsland und waren gerade mit Kochen beschäftigt, als wir am Horizont Scheinwerfer entdeckten, die das Gebiet abzusuchen schienen. Es dauerte eine Weile, bevor uns klar wurde, dass diese Suche uns galt. Von allen Seiten kamen Leute, wir hörten ihre Stimmen, doch als sie uns sahen, blieben sie in einiger Entfernung stehen. Wir erinnerten uns an den nächtlichen Vorfall im Iran und dachten, dass es wohl besser wäre, auf sie zuzugehen. Und tatsächlich kam aus, dass sie Angst vor uns hatten und befürchteten, wir würden die unzähligen Springböcke in diesem Gebiet jagen. Nach einem Blick in unsere Kochtöpfe waren sie überzeugt, dass da nirgends Fleisch war und sie machten sich mit ihrer uralten museumsreifen Pistole und ihren Heugabeln wieder auf den Heimweg. Am nächsten Morgen kamen einige von ihnen kurz nach Sonnenaufgang zurück und brachten uns eine Wassermelone. Am nächsten Campingspot schafften wir einen neuen Rekord: Wir verbrachten über vierzig Stunden dort, ohne von jemandem entdeckt zu werden. Morgen wollen wir das ganz im Westen Rajasthans gelegene Jaisalmer erreichen, um unsere Vorräte aufzustocken und bald wieder in die Wüste einzutauchen.

 

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