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Die Strasse nach Pakistan
22. Februar 2001

In zwei Tagen wollten wir von Delhi nach Amritsar fahren. Der erste Tag war leider nicht nur erfreulich. Christoph war nach seiner Grippe noch nicht 100% auf den Beinen und mich hatte plötzlich die Delhi-Übelkeit gepackt, die sich in Kopfschmerzen und Erbrechen äussert. Kurz nach zwei Uhr beschlossen wir deshalb, das Fahren für diesen Tag bleiben zu lassen. Doch als wir rechts zu einem Guesthouse abbiegen wollten, kollidierte der Landrover von Riëlle und Jeroen mit einem Motorroller, der sie in der typisch indischen Fahrweise unbedingt noch schnell rechts überholen musste. Zum Glück stand der beturbante Sikh-Jüngling unverletzt wieder auf und unsere erste Reaktion war, ebenfalls in der typisch indischen Fahrweise einfach weiterzufahren. Doch da wir mitten in einer Stadt waren, sahen wir im Rückspiegel schon die Polizei auftauchen und wir hielten es für besser, anzuhalten. Ohne zu fragen, was passiert war, stellten die Polizisten fest: „This is your fault!“ Der Nachsatz „...and you have to pay for it“ hing schon in der Luft, doch wir waren schon zu lange in Indien, um sprachlos dazustehen. Riëlle erklärte den Polizisten, dass es nicht ihre Schuld war, dass sie sogar bereits den Blinker gestellt hatten und dieser Junge wohl eine Brille brauche, da er es nicht gesehen habe. Die Polizisten schauten verwundert auf eben diesen Blinker, der in Indien nie für die uns bekannten Zwecke eingesetzt wird, und bestanden darauf, dass wir 1000 Rupees (ca. 40 Franken) bezahlten. Der Motorroller war zwar noch fahrtüchtig, sah aber ziemlich mitgenommen aus. Der junge Sikh beteiligte sich nicht an der Diskussion. Er war schon ganz erstaunt gewesen, als Jeroen ihm auf die Schulter geklopft und ihn gefragt hatte, ob mit ihm alles in Ordnung wäre. Wäre der Landrover ein indisches Fahrzeug gewesen, wäre er wohl einfach nur zusammengeschissen worden... Nachdem wir uns weigerten, 1000 Rupees zu bezahlen, berieten sich die Polizisten und wollten plötzlich nur noch 200 Rupees. Alles so unglaublich willkürlich, davon hatten wir inzwischen wirklich die Nase voll. Riëlle und Jeroen waren schon fast soweit, diesen Betrag zu bezahlen, einfach nur, um wegzukommen, da kam aus der Menge, die sich inzwischen gebildet hatte, ein Mann auf sie zu, der besser Englisch sprach als die Polizisten und sich als erster den Unfallvorgang erklären liess. Glücklicherweise war er auf unserer Seite, wechselte ein paar Worte mit der Polizei und wir konnten fahren. Wir fuhren noch ein paar Kilometer und fanden eine noch nicht eröffnete Raststätte, wo wir herrlich übernachten konnten.

Zu diesem Zeitpunkt waren wir mit Indien ziemlich am Ende. Die Willkür, das Machtgehabe, die ganze „Underdog“-Kultur – immer gegen die Schwächeren - konnten wir kaum mehr ertragen. Mehr als einmal sahen wir, wie in Delhi Polizisten wegen Kleinigkeiten mit Schlagstöcken auf die schwächsten Verkehrsteilnehmer, die Fahrradrikshawfahrer, losgingen. Reines Machtgehabe. In unserem Fall war es natürlich etwas anderes. Sind Ausländer in Indien – und wohl auch im restlichen Asien - in Unfälle verwickelt, sind sie grundsätzlich immer schuld. Wir hatten schon viele Geschichten gehört. Die eine zeigt schön, weshalb dies so ist. Holländische Bekannte von uns waren in einen Unfall mit einem Kleinwagen verwickelt, an dem sie nicht schuld waren. Die Insassen des Kleinwagens verlangten 3000 Rupees von ihnen, mit dem Argument, dass sie ja schliesslich reich wären. Am Ende bezahlten sie 200 Rupees. Einem anderen Paar aus Südafrika blieb nichts anderes übrig, als $100 zu bezahlen, nachdem ein Fahrradfahrer im Süden Nepals ohne zu schauen aus einer Seitenstrasse auf den Highway und in ihr Fahrzeug gefahren war. Hört man solche Geschichten und verbindet diese mit dem Fahrverhalten, das man tagtäglich auf asiatischen Strassen beobachtet, ist es zwar traurig, doch nicht weiter erstaunlich, dass man eine ziemlich harte Haut entwickelt und unter Umständen – wie wir im oben erwähnten Unfall – ohne grosse Skrupel einfach weiterfahren würde. Die Inder machen es genauso. Hilda und Nico hatten in Südindien einen schweren Unfall. Sie hatten abseits der Strasse angehalten, als sie ein Lastwagen mit voller Wucht von hinten rammte. Die Insassen des Lastwagens waren zum Teil schwer verletzt, doch innerhalb von wenigen Minuten waren sie allesamt verschwunden, ohne sich um Hilda und Nico zu kümmern, die zum Glück unverletzt geblieben waren. Der tägliche Überlebenskampf in Indien macht sich in allen Bereichen bemerkbar und irgendwie sind wir froh, diesem bald entfliehen zu können.

Der Grenzübertritt nach Pakistan verlief fast problemlos. Natürlich wird auch hier mit Macht experimentiert und Aussagen wie „If you change money with me, I won’t search your car“ sind an der Tagesordnung. Wir gingen nicht darauf ein, worauf die pakistanischen Grenzbeamten bei Riëlle und Jeroen prompt zwei hinduistische Statuen fanden und behaupteten, die wären antik und dürften nicht importiert werden. In Tat und Wahrheit waren die Statuen alles andere als antik und auch nicht sehr wertvoll, doch es war offensichtlich, dass sich die Grenzbeamten etwas aus dieser Aktion erhofften. Als sie merkten, dass wir nicht so einfach Geld herausrücken, kritzelten sie auf die letzte Seite von Jeroens Pass, dass er zwei Statuen mit sich trage – ein absoluter Witz. Wir hatten keine grosse Lust, die täglich stattfindende Torschlusszeremonie der Grenzbeamten abzuwarten, zu deren Zweck sowohl auf der indischen wie auch auf der pakistanischen Seite spezielle Tribünen gebaut worden waren, von wo aus die Zuschauer das Spektakel verfolgen und ihre jeweilige Seite anfeuern können.

Wir fuhren weiter nach Lahore, das wir von unserem letzten Besuch im Juli vergangenen Jahres als ziemliche Dreckstadt in Erinnerung hatten. Wahrscheinlich hatte der Monsun viel zu diesem Eindruck beigetragen, denn diesmal waren wir positiv überrascht. Es gefiel uns so gut, dass wir gleich drei Tage blieben. Mit einem der vielen Minibusse, die hier als Hauptverkehrsmittel benutzt werden, fuhren wir bis vor die Tore der Altstadt. Den Billetverkäufern in den Bussen fällt nicht nur die Aufgabe zu, pro Fahrgast fünf Rupees einzuziehen, sondern auch die Frauen so zu platzieren, dass sie möglichst keinen Körperkontakt mit den Männern haben. Das ist nicht ganz einfach, da die Busse immer übervoll sind und die Frauen sowieso eine kleine Minderheit darstellen. Sind keine frauengerechte Sitzplätze vorhanden, müssen die weiblichen Fahrgäste unter Umständen lange warten, bis sie in einem Bus Platz finden. Wir waren aber erstaunt, wieviele Frauen in Lahore unterwegs sind; es scheint doch eine der offeneren Städte Pakistans zu sein.

Die Altstadt, die von einer Mauer umgeben ist und durch dreizehn Tore erreicht werden kann, ist unglaublich faszinierend. Ein wahres Fest für die Augen. Die Gassen sind nach Handwerk geordnet. So findet man in der einen Gasse Pfannen, Töpfe und andere Küchengeräte in allen Grössen und Formen, in der nächsten alles rund um die Kleidung und in der übernächsten – endlich, wir haben grossen Hunger – Essstände mit Snacks und Leckereien, die einem das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen. Wir werden den Eindruck nicht los, dass die Leute hier freundlicher sind als die Inder. Wir sind zwar die absoluten Exoten im Basar und die Leute sind sehr neugierig, doch das Gefühl, nur als wandelnde Geldbeutel oder Sexobjekte angesehen zu werden, wie wir es in Indien oft hatten, bleibt hier fast weg.

Mit diesem positiven zweiten ersten Eindruck machen wir uns auf, Pakistan von Ost nach West zu durchqueren.

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