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Pakistan zum Zweiten
6. März 2001

"What are the differences between Pakistan and India?"

Abgesehen von "What is your name?" und "What is your country name?" war dies in den zwei Wochen, die wir auf dem Rückweg in Pakistan verbrachten, mit Abstand die meistgestellte Frage. Von Indien herkommend drängte sich diese Frage auch uns geradezu auf, denn obwohl die beiden Länder, zwischen denen bis 1947 noch keine Grenze verlief, viele Gemeinsamkeiten haben, sind auch mindestens so viele Unterschiede erkennbar, die die Trennung zumindest teilweise erklären helfen. Der wichtigste und meistgeschürte Unterschied, von dem fast alle anderen abhängen, ist sicher die Religion. Kaum waren wir über die Grenze, wurden wir wieder zu den verschiedensten Tages- und Nachtzeiten daran erinnert, dass Allah immer noch der Grösste ist. Dies hatten wir nach all den Monaten in Indien doch glatt vergessen; ja schlimmer noch, wir hatten uns zum Teil richtig angefreundet mit den indischen Gottheiten. Aber wir passten uns den neuen Gegebenheiten im Rahmen unserer Möglichkeiten an und tauschten unseren Glücksbringer und Hecktürhüter, den Elefantengott Ganesh, gegen ein muslimgerechteres Tuch ein. Schneller als an die indoktrinierenden Stimmen aus den Lautsprechern der allgegenwärtigen Moscheen gewöhnten wir uns an das Fehlen herumstreunender "heiliger" Kühe in den Städten und Dörfern. Wir hatten uns in Indien nie so richtig an diesem zum Teil eher traurigen Anblick erfreuen können. Karton- und müllfressende Kühewollten einfach nicht in unsere Vorstellung von "heilig" passen. Einige der Pakistani, mit denen wir uns unterhielten, strichen die Tatsache, dass Muslime Rindfleisch essen und die Hindus das Töten von Mutter Kuh verbieten würden, als eine der Schwierigkeiten heraus, die ein Zusammenleben beider Religionen darstellen würde. Überhaupt essen Muslime im Vergleich viel mehr Fleisch; manchmal hatten wir Mühe, in Pakistan ein vegetarisches Mahl zu bekommen. Die indische Küche erschien uns abwechslungsreicher, obwohl sie in den Grundsätzen - Chapati oder Reis mit Gemüse bzw. Fleisch - durchaus mit der pakistanischen Küche verglichen werden kann. Vielleicht liegt dies daran, dass die Inder mit ihren Gewürzen virtuoser jonglieren.

Als wir im vergangenen Jahr von Pakistan nach Indien kamen, waren wir überwältigt vom Anblick der vielen Frauen auf der Strasse. Als wir nun die Grenze in die andere Richtung überquerten, fiel uns dieser Gegensatz viel weniger auf. Zwar fahren die Frauen auf der pakistanischen Seite weder Fahrrad noch Mofa und tragen fast immer eine Kopfbedeckung, doch in Lahore und überhaupt der ganzen östlichen Provinz Punjab sind Frauen durchaus keine Seltenheit. Ein paar Tage lang fragten wir uns, ob wir in dieser Hinsicht ein falsches Bild von Pakistan hatten, doch je weiter wir Richtung Westen fuhren und spätestens mit dem Übertritt in die Provinz Beluchistan wurden wir in unserem ersten Eindruck bestätigt: Die Frauen waren wieder fast ganz von der Bildfläche verschwunden und am Strassenrand hockten wieder diese gespenstischen Erscheinungen in der Burqa, dem grotesken zeltähnlichen Überwurf. Dennoch erscheint uns der Unterschied zwischen Indien und Pakistan in dieser Hinsicht im Nachhinein weniger gross und Frauen stehen sicherlich in beiden Ländern auf der Schattenseite des Lebens.

Wie bereits im letzten Bericht erwähnt, fiel uns sofort nach der Grenze auf, wie freundlich und hilfsbereit die Pakistani sind. Dies mag ebenfalls mit der Religion in einem Zusammenhang zu stehen, ist doch die Gastfreundschaft Fremden gegenüber im islamischen Raum eine wahre Tugend. In Indien schienen die Leute allgemein mehr Angst davor zu haben, Verantwortung für uns übernehmen zu müssen, falls sie sich zu hilfsbereit zeigten. In Pakistan hingegen war es keine Seltenheit, dass jemand alles stehen und liegen liess, um uns den Weg zu zeigen und uns persönlich ans Ziel zu bringen. Auch schienen die Leute ehrlicher zu sein, an den berühmten Strassensperren zum Beispiel, an denen wir in Indien immer zu kämpfen hatten, wurden wir meistens freundlich durchgewunken oder es wurde ohne Umstände der richtige Preis verlangt. Leider ist Englisch in Pakistan deutlich weniger verbreitet als in Indien, was die Verständigung schwierig macht, die Leute aber nicht davon abhält, auf uns zuzukommen. Im Punjab wurden wir von der Gastfreundschaft geradezu überwältigt. In Lahore campierten wir im Hof einer Familie, die, wie sich im Gespräch herausstellte, der christlichen Minderheit in Pakistan angehörte. Fast verschwörerisch erzählten sie uns dies, und als wir ihnen unsere Strandmatten aus Goa als Geschenk überliessen, war der gegenseitige Geschenkaustausch eröffnet. Als erstes schenkten sie mir einen richtig kitschigen Armreif aus "Gold", mit dem dazugehörigen Ohrschmuck. Nach dem Abendessen servierten sie uns - Ester und Erik waren da und Riëlle und Jeroen - drei verschiedene pakistanische Süssspeisen, alle selbst zubereitet. Doch damit nicht genug. Bevor wir ins Bett gingen übergaben sie uns Frauen je einen typisch pakistanischen Schal, ohne den die Frauen hier nicht aus dem Haus gehen. Damit war der Ball endgültig wieder bei uns. Wir durchsuchten unsere Autos nach möglichen Geschenken und am Ende fanden wir ein Bild von uns in der Wüste Rajasthans, das wir in einen Goldrahmen steckten und ihnen am Tag unserer Abreise als Andenken überreichten.

Bevor wir am nächsten Tag weiterfuhren, besuchten wir das Lahore Museum. Dort wurden Christoph und ich von zwei Jungen im Alter von ca. 22 Jahren angesprochen, die uns nach einem kurzen Gespräch zum Mittagessen einluden. Wir nahmen an und zum ersten Mal in unserem Leben kosteten wir - wenn auch sehr zögerlich - Ziegenhirn. Kleingehackt schmeckte es gar nicht schlecht, doch die gelblichen Hirnauslagen in den Metzgereien im Iran waren uns noch zu deutlich vor Augen... Shabbir und Shiraz waren interessante und in ihrer pakistanischen Art liebenswerte Gesprächspartner. Der aus Kashmir stammende Shiraz erzählte uns, er werde in ein paar Monaten nach England zu seinen Verwandten gehen, um dort ein ihm noch unbekanntes Mädchen zu heiraten und eine Existenz aufzubauen. Der belesene Shabbir, der Literatur in Englisch und Urdu studiert und auch Englisch unterrichtet, machte sich grosse Gedanken über seine Zukunft. Mit seinem Studium bleibt ihm in Pakistan nur die Möglichkeit des Lehrerberufes, den er aber nicht ein Leben lang ausüben möchte. Überhaupt sei es für junge Leute sehr schwierig, einen Job zu finden. Er hat sechs Schwestern und zwei Brüder. Für die Schwestern fühlt er sich als ältester Sohn der Familie in hohem Masse verantwortlich. Zwei von ihnen studieren Medizin, doch sieht es Shabbir neben seinem Vater auch als seine Aufgabe an, sie zu gegebener Zeit erfolgreich zu verheiraten. Das sei eine grosse Verantwortung. Amüsiert hat uns seine Antwort auf die Frage, ob seine Schwestern verschleiert seien: "No, I don't ask them to wear the burqa." Ein grosszügiger Bruder, auch uns gegenüber, denn selbstverständlich durften wir nicht für das Mittagessen bezahlen.

In Multan, immer noch in der Provinz Punjab, standen wir auf dem Parkplatz eines Hotels, als Christoph von einem Herrn angesprochen wurde. Am Abend desselben Tages kam dieser mit seiner Frau und seinen drei Töchtern zurück, um uns in sein Haus einzuladen. Ich war von Anfang an begeistert von Saifa, der ältesten Tochter, von ihrer Herzlichkeit und ihrem Charme. Als wir die Einladung annahmen, war es der Familie richtig anzusehen, wie erfreut sie waren. Saifa, die gut Englisch sprach, erzählte uns von einer Schweizerin, die sie vor ein paar Jahren kennengelernt hatten. Ihr und einer weiteren Bekannten aus der Schweiz wollten sie durch uns ein paar Geschenke zukommen lassen. In ihrem Haus zeigten sie uns bei Tee und Kuchen diese Geschenke und wir überzeugten uns von deren Harmlosigkeit (man weiss ja nie...). Der Abend war gemütlich, Mr. Afiz hatte viele Fragen, die er uns mit der Übersetzungshilfe seiner Tochter, auf die er sehr stolz war, stellte. Wir erfuhren auch einiges über ihre Familie. Mr. Afiz ist Taxifahrer und freut sich immer, wenn Ausländer seine Fahrgäste sind. Er und seine Familie scheuen auch keine Mühe, Fremden in den verschiedensten Situationen zu helfen. Sie zeigten uns ihre Fotosammlung von Ausländern, zu der wir wohl auch bald hinzugefügt werden. Die Familie ist muslimisch, doch die drei Töchter besuchen christliche Schulen, da diese besser seien und die Kinder "nicht geschlagen würden". Der Prozentsatz der muslimischen Kinder dort betrage über 40%, das sei aber gar kein Problem. Kurz peinlich wurde es, als wir das Alter der Eltern schätzen mussten. Mrs. Afiz schätzen wir auf 40, dabei war sie erst 33. Aber wir hätten uns in unserem westlichen Weltbild auch nicht unbedingt denken lassen, dass sie erst 17 war, als sie Saifa bekam. Und das in einer Liebesheirat, wie sie betonten. Zum Glück lagen wir mit Mr. Afiz nicht viel daneben. Natürlich durften wir das Haus nicht ohne Geschenke verlassen. Nach einem kurzen Blick auf meine Handgelenke wurden diese als schmal genug für die typisch pakistanischen Glasarmreife erklärt. Als sie die ca. zwanzig Reifen brachten, winkten sowohl Christoph und ich entsetzt ab; die waren im besten Fall für Kinder gedacht. Aber nein, Mrs. Azif ergriff meine Hand, massierte sie während ein paar Minuten, quetschte sie anschliessend zu einer Vogelklaue zusammen und würgte Reif um Reif über die Knochen, bis schliesslich alle zwanzig Reifen fröhlich an meinem Handgelenk klimperten. Der Preis: drei zerbrochene Reifen und eine Blutspur. Ich selbst war nicht richtig frö;hlich, denn ich konnte mir nicht vorstellen, wie ich die Dinger je wieder über meine Hand bringen sollte. (Später im Basar von Uch Sharif wurden wir Augenzeugen von dem professionellen Vorgehen: Einer Kundin wurden an einem Schmuckstand die alten Armreife zuerst abgenommen, indem der Verkäfer sie einfach zerbrach. Anschliessend wurde die Hand dick mit Fett eingerieben und ebenfalls massiert, bevor die neuen Armreife mit Hilfe einer Schnur fast gewaltsam über das Handgelenk gezogen wurden.) Mit den Armreifen, Ohrschmuck von Sofia, der mittleren Tochter, und zwei bedruckten Servietten machten wir uns nach Mitternacht auf den Heimweg. Natürlich konnte die Familie nicht verstehen, dass wir lieber in unserem Auto auf dem Hotelparkplatz als in ihrem Haus schliefen...

Doch auch in der westlichen "wilderen" und konservativeren Provinz Beluchistan wurden wir eingeladen. Riëlle, Ester und ich spazierten durch den Basar von Quetta, auf der Suche nach Beluchi-Sandalen, dem typischen Schuhwerk aus alten Autoreifen und Leder, das hier viele tragen. Drei blonde Frauen im Basar, wo sonst kaum Frauen zu sehen sind, erregen natürlich einiges an Aufmerksamkeit. Wir stellten fest, dass es doch einen Unterschied ist, ohne männliche Begleitung unterwegs zu sein, und konnten uns nicht richtig vorstellen, alleine als Frau durch Pakistan zu reisen. An einem Fruchstand tranken wir einen Orangensaft und wurden von einem hellhäutigen und blauäugigen jungen Mann angesprochen. Seine Art war feiner als die der Mehrheit der Männer im Basar, und als er fragte, ob er mit uns ins Hotel kommen könnte, um unsere Ehemänner kennenzulernen, waren wir einverstanden. Sein Name war Nadeem. Christoph, Erik und Jeroen waren den ganzen Tag damit beschäftigt gewesen, Autoersatzteile und Motorradreifen aufzutreiben - leider ohne Erfolg. Als Nadeem in der typisch pakistanischen Art fragte, ob er uns irgendwie behilflich sein könnte, klagte ihm Christoph sein Leid mit unserem kaputten Geschwindigkeitsabnehmer. Er versprach zu helfen und sie verabredeten sich für den nächsten Tag. Als Nadeem am nächsten Tag auftauchte, hatte er sein Shalwar Qamiz gegen westliche Kleidung eingetauscht und war kaum mehr zu erkennen. Auf seinem Motorrad brausten sie davon und kamen einige Stunden später mit dem richtigen Teil zurück. Mit lokaler Hilfe ist in Pakistan alles viel einfacher. Am Abend lud Nadeem Christoph und mich ins Haus seiner Eltern ein. Für die Rikshaw, die uns hinbrachte, durften wir nicht bezahlen. Auf dem Hinweg fragte ich Nadeem, wer denn alles dort sein würde. Er antwortete, seine Mutter und seine zwei Schwestern. Tatsächlich aber waren am Ende mindestens zehn Männer und zehn Frauen im gleichen Raum anwesend: Schwestern, Brüder, Cousinen und Cousins, Grossmutter, Neffen usw. Alle waren sie gekommen, um uns zu begutachten. Die Frauen waren hinreissend, doch leider sprachen sie kaum Englisch. Wir assen Snacks, tranken Tee und zeigten uns gegenseitig Fotos. Doch solche Besuche sind nun mal sehr anstrengend und da wir am kommenden Tag eine lange Fahrt durch die Wüste Beluchistans Richtung Grenze vor uns hatten, verabschiedeten wir uns nach ein paar Stunden und blieben nicht zum mitternächtlichen Abendessen. Natürlich durften wir das Haus auch hier nicht ohne Geschenke verlassen. Wir bekamen je einen Schal, um den wir in der kalten Osttürkei vielleicht noch froh sein werden.
 
Selbstverständlich basieren die obenerwähnten Unterschiede zwischen Pakistan und Indien auf individuellen Erfahrungen, und andere Reisende mö;gen einen ganz anderen Eindruck erhalten. Zum Schluss noch eine schlechte Erfahrung: In Quetta wurden wir beim Versuch, iranische Rial zu tauschen, von einem versierten Trickdieb um fünfzig Dollar erleichtert. Den Verlust bemerkten wir erst später und mussten unsere Niederlage zähneknirschend eingestehen.

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