Startseite

INDIEN 2000

Expedition

Länder-/Routeninfo

Ausrüstung

Reiseberichte

Fotogalerie

Links

Danke

 

Indien2000@bigfoot.com

Fast in Europa
18. März 2001

Verschwunden waren die bunt bemalten Lastwagen, die hoffnungslos überfüllten Taxis, die Kamelwagen, die Burqa und das Shalwar Qamiz. Wir waren wieder im Iran, wieder mit Mantel und Kopftuch – jedenfalls Riëlle und ich. Allerdings befanden wir uns noch im wilden Beluchistan, nahe der Grenzen zu Pakistan und Afghanistan, wo Gesetze nicht immer ernstgenommen werden und der Drogenschmuggel floriert. Zwar wurden wir diesmal zwischen der Grenzstadt Zahedan und dem einige hundert Kilometer entfernten Bam nicht mit einer Eskorte versehen, doch als wir bei einem Rastplatz Pause machten, dauerte es nicht lange, bis ein Militärpickup mit überdimensionalem Maschinengewehr auf der Ladefläche anhielt und uns zur Weiterfahrt drängte. Ihre Aussage, es sei viel zu gefährlich hier, untermalten sie mit einer „Kopf-ab“-Geste und einem vielsagenden Blick Richtung Wüste und Berge. (Kleiner Hinweis für Eingeweihte: Es war derselbe Parkplatz, wo wir im vergangenen Jahr plötzlich von mehreren Melonen und Messern umgeben waren und Bernhard den legendären Satz „Können wir jetzt gehen“ prägte.) Doch mit der Einfahrt in Bam wähnten wir uns eindeutig wieder in der Zivilisation und fast schon in Europa. Die jungen Frauen erschienen uns selbstbewusst und richtig modern, unter dem Mantel waren eindeutig hohe Absätze und modische Kleidung zu erkennen; etwas, woran wir überhaupt nicht mehr gewöhnt waren. Gut siebzig Prozent der Frauen machten auf uns den Eindruck, als würden sie bei einem Erlass der islamischen Kleidervorschriften Mantel und Kopftuch ohne lange zu zögern ablegen. Daneben sahen wir aber auch noch die - mehrheitlich - älteren Frauen, die im Tschador durch die Strassen wandern und immerzu bemüht sind, den Stoff entweder mit der Hand oder mit den Zähnen über ihrem Gesicht zu halten. Ein unnatürlicher und irgendwie trauriger Anblick, der zeigt, dass der Iran doch kein freies Land ist. Die Leute scheinen sich dessen auch allzu deutlich bewusst zu sein, wie dieser junge Iraner, der in melancholischem Ton zu uns sagt: „I think Switzerland is one of the best countries in the world – it’s a FREE country“. Auch uns überfällt bei dieser an sich banalen Aussage plötzlich eine gewisse Melancholie. Wir können nicht viel erwidern, denn was er sagt, trifft sicher zu. Wir können wählen, darin besteht der grosse Unterschied. Die Moscheen im Iran sind dezenter als in Pakistan, die Leute zurückhaltender und unserer Vorstellung von einem „gesunden“ Menschenverstand näher. Die Strassen in den Städten sind grosszügig angelegt und Kreisel sind auch hier gross im Trend. Wir staunen über die vielen Verkehrstafeln und Ampeln, die fast immer beachtet werden. Verglichen mit Indien und Pakistan sind viel mehr Privatautos unterwegs. 

Die iranische Botschaft In Neu Delhi hatte uns leider nur ein Transitvisum von sieben Tagen ausgestellt. Wir hatten aber gehört, dass eine Verlängerung normalerweise kein Problem wäre. Die genauen Bestimmungen – falls es überhaupt welche gibt – kannten wir jedoch nicht, und als wir unser Visum am drittletzten Tag seiner Gültigkeit in Kerman verlängern wollten, wurde uns mitgeteilt, dass eine Verlängerung erst am zweitletzten oder gar letzten Tag gewährt würde und wir unser Glück in der nächsten grösseren Stadt, in Yazd, versuchen sollten. Nachdem wir aber bereits einen wertvollen Tag in Kerman gewartet hatten, da Freitag und alles geschlossen war, baten wir die verantwortliche Dame eingehendst, doch eine Ausnahme zu machen. Sie liess sich auch tatsächlich erweichen, doch wollte sie uns partout nicht mehr als fünf zusätzliche Tage gewähren – wir hatten auf zehn gehofft. Gemessen an dem ganzen Aufwand – ein Tag Wartezeit, drei Passfotos mit Kopftuch, Passkopien, Bezahlung der Visagebühren mittels Banküberweisung – hatte sich diese Verlängerung nicht unbedingt gelohnt. Nachträglich erfuhren wir auch, dass Esfahan der beste Ort wäre, um eine Verlängerung einzuholen. Doch da wir je nach Umfang der Verlängerung in die Wüste und nach Maschad hoch wollten, erschien uns Kerman am geeignetsten. Fünf Tage waren leider zu kurz, um den weiten Umweg über Maschad zu machen und wir mussten uns mit einem zweitägigen Abstecher in die Wüste von Yazd aus begnügen. Danach blieb uns nichts anderes übrig, als ziemlich direkt an die Grenze zu fahren. Dass es in der Osttürkei kalt sein würde, war uns bewusst, doch im Iran hatten wir noch nicht mit nächtlichen Temperaturen unter Null Grad gerechnet. Während ich bei unserem ersten Besuch den Mantel verflucht hatte, da es darunter unerträglich heiss gewesen war, war er diesmal bei weitem nicht warm genug. Die Landschaft erschien uns unglaublich karg und wir wunderten uns nicht weiter über das verschrumpelte Gemüse, das in den sonst nach wie vor sehr reizvollen Basaren angeboten wurde. 

Dem Landcruiser war die Fahrerei zu viel und er fing an zu bocken. Zuerst leckte das Zentralgetriebe. Das Problem offenbarte sich in Form eines losen Dichtungsbalgs, der in einer nächtlichen Aktion bei Regen mit einem Draht wieder befestigt werden musste. Einige Tage später leuchtete plötzlich die Batteriewarnlampe auf und wollte einfach nicht mehr ausgehen. Nach ein paar erfolglosen Bastelversuchen beschlossen wir, eine Garage aufzusuchen. Wir hatten Glück und fanden auf Anhieb den richtigen Shop und die richtige Person, die Christophs Vermutung bestätigte, dass die Bürsten im Alternator ersetzt werden müssten. Dann, als der Alternator nach fast zwei Stunden immer noch nicht ausgebaut war und es bereits dunkel wurde, zweifelten wir kurz daran, ob wir wirklich den richtigen Shop erwischt hatten. Doch als wir weitere zwei Stunden später mit einem komplett revidierten Alternator und einer sich wieder aufladenden Batterie weiterfuhren, war uns wieder bestens zumute. Gekostet hatte uns dieser Service inklusive Ersatzteile umgerechnet zwölf Franken. 

Am letzten Tag unseres Visums und drei Tage vor dem iranischen Neujahrsfest, das während mindestens zehn Tagen alles lahmlegt, erreichten wir die iranisch-türkische Grenze, wo wir vier Stunden lang von Büro zu Büro irrten und uns in dem allgemeinen Chaos zurechtzufinden versuchten. Auf der ganzen Reise war dies bei weitem die geschäftigste Grenze, mit kilometerlangen Lastwagenschlangen und unzähligen Bussen. Das Nichtvorhandensein jeglicher Schilder und die gänzlich fehlende Hilfsbereitschaft der Beamten machen den Grenzübergang zu einem zeit- und nervenraubenden Postenlauf. Doch der Gedanke an Rotwein auf der anderen Seite spornte uns an. In Dogubayazit - früher ein Alptraum eines jeden Überlandreisenden, heute ein ganz nettes Städtchen mit nur noch vereinzelten Schusslöchern in den Ladenvitrinen – wurden wir für die Mühe belohnt und spazierten staunend und mit einem richtigen Einkaufskorb bewaffnet durch die prall gefüllten Regale eines Supermarkts. Wie oft hatten wir von sowas geträumt! Mit Oliven, frischem Brot und zwei Flaschen Wein machten wir uns auf den Weg zum uns vom letzten Jahr bereits bekannten Murat-Camping. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt feierten wir nach vier Monaten Abschied von Riëlle und Jeroen, die in der Hoffnung auf wärmere Gefilde den Süden der Türkei ansteuern, während wir den direkteren Weg durchs Landesinnere vorziehen. 


zurück | neuerer | älterer | Top