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Zu Gast bei Uma und Deepak Patel
25. Dezember 2000

Wir hatten Uma und Deepak in Udaipur kennengelernt, wo wir auf einem Hotelparkplatz campierten. Sie kamen neugierig auf uns zu, und da ihr Englisch sehr gut war, entwickelte sich bald ein interessantes Gespräch. Am Ende gaben sie uns ihre Adresse und luden uns ein, sie auf dem Weg nach Goa in Ahmedabad zu besuchen. Das hatten wir auch fest im Sinn, doch zuerst entschieden wir uns für einen „Erholungsurlaub“ auf der ehemals portugiesischen Insel Diu. Sechs Tage lang genossen wir die entspannte, südländische Atmosphäre, badeten an den unendlichen und menschenleeren Stränden im Arabischen Ozean und assen jeden Tag Fisch, den wir jeweils morgens auf dem Markt einkauften. Umgeben vom „trockenen“ Staat Gujarat ist Diu unter anderem auch ein Paradies für Alkohol, den es hier sehr billig und in grossen Mengen zu kaufen gibt. Überschreitet man die Grenze nach Diu, ist die Strasse links und rechts plötzlich gesäumt von kleinen Bars und Alkoholshops. Es fiel uns nicht ganz leicht, uns von Diu wieder loszureissen, aber schliesslich wollten wir ja vor Weihnachten Goa erreichen. Nach zwei Fahrtagen und einem eindrücklichen Abstecher nach Palitana, wo 3000 Stufen auf einen Berg führen, der mit mehr als 800 alten Jain-Tempeln übersät ist, fuhren wir im modernen Ahmedabad ein.

Und bereits wenige Minuten später befanden wir uns fest in den Händen von Deepak und Uma und ihrem zweijährigen Sohn namens Schlog, liebevoll auch Sloggi genannt (nein, hat nichts mit der Unterwäsche zu tun, sondern bedeutet "heilige Chance“).

Deepak war in einem kleinen Dorf aufgewachsen, ca. 30km von Ahmedabad enfernt. Dieses Dorf wollte er uns unbedingt zeigen, also fuhren wir als erstes dorthin. Im Hause seiner Eltern wurden wir mit einem Masala-Tee herzlich begrüsst. Dann nahm uns Deepak mit auf einen Dorfrundgang. Er erklärte uns die traditionelle Struktur eines Dorfes, streng gegliedert nach den verschiedenen Kasten bzw. Berufsständen. Zuerst führte er uns zum Wohnviertel der niedrigsten Kaste, den Harijans, die ursprünglich als Strassenfeger und Latrinenputzer tätig waren. Früher gingen diese Leute mit einem an ihrem Hintern befestigten Besen durch die Strasse, um sie gleich wieder von dem Dreck zu reinigen, den sie, als Unreine und Unberührbare, verursacht hatten. Heute ist das zum Glück nicht mehr so. Zwar ist dieser Berufsstand immer noch verantwortlich für das Wischen der Dorfgassen und das Beseitigen von Tierkadavern, doch fallen ihnen auch andere Aufgaben zu wie das Verbreiten von Nachrichten innerhalb des Dorfes mittels Trommeln. Auch unsere Ankunft wurde mit Trommeln begrüsst. Im nächsten Dorfteil besuchten wir diejenigen Leute, die seit Jahrhunderten für die Bauern und Landbesitzer arbeiten, sei es als Hausangestellte, Hirten oder Feldarbeiter. In der neueren Zeit sind häufig auch die ehemaligen Krieger für die Bauern tätig, wenn sie sich nicht gerade als Bus- und Taxichauffeure auf ihrem neuen Schlachtfeld, den indischen Strassen, tummeln. Früher waren sie hoch angesehen, doch mit dem Rückgang kriegerischer Handlungen sahen sie sich gezwungen, sich neu zu orientieren. Später spazierten wir durch die Gasse der Barbiere und Händler und besuchten das Haus des Geldverleihers, der im Dorf die Funktion einer Bank übernimmt. Allerdings sind diese Berufsleute in der Dorfgemeinschaft nicht sehr hoch angesehen, da sie ärmere Leute durch die Vergabe von Krediten oft jahrelang oder gar lebenslänglich von ihnen abhängig machen. In einem weiteren Dorfteil begegneten wir dem Brahmanen, dem Priester, der uns feierlich begrüsste und uns bat, doch bitte der Dorfgöttin kurz unsere Ehre zu erweisen. Die Häuser, die wir besuchten, waren alle sehr sauber und ordentlich, an den Wänden waren neben Familienfotos und kitschigen Götterbildchen Regale angebracht, auf denen die silberglänzenden Wasserkrüge, Töpfe und Teller zur Schau gestellt wurden. Sie stellen den Reichtum einer Familie dar.

Ohne zu werten führte uns Deepak durch die Gassen und Häuser und zeigte uns auf eindrückliche Weise, wie alle diese Leute ihren Teil zur Dorfgemeinschaft beitragen. Er selbst gehört der Kaste der Bauern und Landbesitzer an, die alle den Nachnamen Patel tragen. Uma ihrerseits ist eine geborene Brahmanin und damit Deepak kastenmässig übergeordnet. Sie ist berufstätig, führt mit ihrer Schwägerin einen Keramikladen. Ihre Heirat stellt selbst im Indien von heute eine Seltenheit dar, da normalerweise nur innerhalb der gleichen Kaste geheiratet wird und nach wie vor über 95% aller Ehen von den Eltern arrangiert werden. Deepak arbeitete lange als Designer für Umas Vater und fragte ihn eines Tages, ob er seine Tochter zu einer Tasse Kaffee einladen dürfe. Umas Vater willigte ein und Uma und Deepak wurden Freunde. Als er jedoch einige Jahre später um Umas Hand anhielt, wies ihn Umas Vater zurück mit dem Argument, er besitze ja gar nichts, weder ein Haus noch ein Geschäft. Die nächsten fünf Jahre arbeitete Deepak sehr hart, bis er genügend Geld hatte, um sich ein Eigenheim zu kaufen. Und wieder hielt er um Umas Hand an. Diesmal war der Vater nicht abgeneigt, meinte aber, er solle noch mindestens ein Jahr warten. Als diese Frist verstrichen war, durften die beiden endlich heiraten. Ungewöhnlich ist auch, dass ihr Sohn Schlog adoptiert ist und sie das offen erzählen. Denn normalerweise ist eine Frau, die keine Kinder kriegen kann, in Indien überhaupt nichts wert (und selbstverständlich liegt der Fehler immer bei der Frau). Uma meinte, es sei einfach, in Indien Kinder zu adoptieren, allerdings seien die Wartezeiten für Knaben um ein Vielfaches höher als für Mädchen... Die beiden sind Verfechter der Kleinfamilie – ein, höchstens zwei Kinder, nur so könnten Indiens Probleme langfristig gelöst werden.

Zurück ins Dorf. Hier sah es gar nicht nach Kleinfamilien aus. Kinder waren überall und begleiteten uns auf Schritt und Tritt. Überhaupt wollten alle wissen, wer denn diese Fremden waren, die Deepak ins Dorf mitgebracht hatte. Doch anders als sonst, wenn wir uns plötzlich in einem ländlichen Dorf befinden, stand uns diesmal ein Begleiter und Übersetzer zur Seite. Wie oft waren wir frustriert gewesen, da wir uns mit den Leuten nicht unterhalten konnten. Als wir aber mit Deepak durchs Dorf spazierten und immer wieder Leute auf uns zukamen und via Deepak Fragen stellten, hatten wir zum ersten Mal das Gefühl eines kulturellen Austausches. Wir waren erstaunt, wie viele der Leute in diesem Dorf, das nur 30km von der Fünfmillionenstadt Ahmedabad entfernt und über Strassen gut erschlossen ist, noch nie in ihrem Leben Weisse gesehen hatten. Plötzlich konnten wir auch besser verstehen, weshalb wir immer gleich überall zur Attraktion werden (siehe letzter Bericht). Mit unseren merkwürdigen Autos und unserer andersartigen Erscheinung müssen wir der Landbevölkerung wirklich wie Marsmenschen vorkommen. Als wir später bei Deepaks Eltern ein herrliches Abendessen serviert bekamen, dass sie als „very simple village food“ bezeichneten, in Tat und Wahrheit aber das beste Mahl war, das wir je in Indien gegessen hatten, drängte sich draussen vor dem Fenster eine ganze Schar von Kindern, um zu sehen, wie sich diese Fremden bemühten, mit den Fingern einigermassen ordentlich zu essen. Deepaks Eltern hinterliessen einen starken Eindruck auf uns; sie wirkten sehr glücklich und im Frieden mit sich selbst. Beide sind strenggläubige Hindus, doch vertreten sie die Ansicht, dass alle Menschen gleich respektiert werden sollten und es keine Rolle spielt, zu welchem Gott man betet. Das mag banal klingen, doch was uns wirklich beeindruckte, war die Art und Weise, wie diese Leute ihre Philosophie mit ihrem ganzen Wesen zu verkörpern schienen. Eins zu sein mit sich selbst, wer wünscht sich das nicht.

Nach dem Essen packten wir unsere Schlafsäcke und Taschenlampen und machten uns auf den Weg zu Deepaks „Farmhaus“. Das Haus war nicht ganz so, wie wir es uns vorgestellt hatten, sondern nur eine Wasserpumpstation, inmitten weiter Felder. So gut es ging, machten wir es uns auf dem Dach bequem und schliefen unter dem Sternenhimmel ein. Am nächsten Morgen spazierten wir nach einem Bad im Wasserbottich – das Grundwasser war richtig schön warm – zurück ins Dorf. Das „einfache“ Frühstück stand dem Abendessen in nichts nach. Kurz vor Mittag verabschiedeten wir uns, präsentierten noch kurz unsere Reisefahrzeuge und fuhren zurück ins mondäne Ahmedabad.

Hier bestimmten wir das Programm. Wir hatten drei Wünsche: E-Mail, einen grossen Buchladen sowie ein Kleidergeschäft mit T-Shirts guter Qualität (in Indien schwer zu finden!). Im Buchladen verbrachten wir fast zwei Stunden und verliessen ihn mit zwei grossen Tüten, prall gefüllt mit Strandlektüre für Goa. Unsere E-Mail- und T-Shirt-Wünsche wurden ebenfalls erfüllt. Da wir am folgenden Tag weiterfahren wollten, blieb uns nicht viel Zeit für die Sehenswürdigkeiten Ahmedabads, aber darum ging es uns auch nicht in erster Linie. Abendessen gab es bei Deepak und Uma zu Hause, doch wir waren alle so müde, dass wir kaum die Augen offenhalten konnten. Als Deepak und ein Freund von ihm uns nach 23 Uhr noch mit in die Stadt nehmen wollten, um das Abendessen traditionell mit Paan zu beenden, dem ekelhaften Kaugemisch aus Betelnuss, konnten wir nur noch müde abwinken. Dafür mussten wir hoch und heilig versprechen, morgen vor unserer Abfahrt noch bei diesem Freund zum Frühstück vorbeizukommen. Ehrlich gesagt hatten wir keine grosse Lust dazu, da wir erstens früh losfahren wollten und zweitens das Gefühl nicht loswurden, dass dieser Freund, ein stadtbekannter Generalunternehmer, der die höchsten Gebäude Ahmedabads baut, Deepaks Gastfreundschaft uns gegenüber noch übertrumpfen wollte. Das Frühstück war dann auch wirklich überwältigend und seine Frau und Tochter reizend. Die Tochter, die Computerwissenschaften studiert, wollte von uns unbedingt ein Rezept für Fondue. Da es im trockenen Gujarat aber absolut keinen Weisswein zu kaufen gibt, waren wir etwas ratlos... (Falls jemand von euch ein Fonduerezept ohne Wein - vielleicht mit Bouillon? - kennt, bitte mailen an: sibyllezuercher@dplanet.ch). Während des Frühstücks offenbarte uns Uma, dass ihre Eltern gleich nebenan wohnten und wir auch noch kurz bei ihnen vorbeischauen würden. Nur fünf Minuten, aus denen natürlich locker wieder eine Stunde wurde, aber was solls, sooo eilig hatten wir es ja auch wieder nicht. Anschliessend brachten uns Uma und Deepak zum National Highway, und umgeben von einer grossen Zuschauerschar verabschiedeten wir uns.

Die Fahrt nach Goa verlief problemlos, am vierten Tag erreichten wir Calangute, wo wir unser Wiedersehen mit Ester und Erik (den Holländern auf den Motorrädern) feierten. Inzwischen sind wir weiter südlich gezogen, auf der Suche nach einem ruhigeren und idyllischeren Strand. In Agonda haben wir ihn gefunden und es uns unter Kokospalmen gemütlich gemacht. Gestern feierten wir Heiligabend mit Riëlle und Jeroen, assen herrlichen Fisch (Shrimps und Blauer Merlin), tranken Portwein und sangen Weihnachtslieder. Sogar drei Miniatur-Weihnachtsbäumchen standen auf unserem Festtisch (bevor die ganze Pracht von Stapper und Laxmi – den beiden Reisehunden - zu Boden gerissen wurde...).

 

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