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Kulturschock!
6. Juli 2000

Während die Unterschiede von Griechenland in die Türkei und von der Türkei in den Iran zwar bemerkenswert waren, nahmen sie sich minim aus verglichen mit dem Grenzübertritt nach Pakistan. Statt „geordnet“ drängelnder Taxis plötzlich motorisierte Rikshaws von links, rechts, vorne und hinten, dazwischen Kamelwagen und Eselkarren, Herden von Ochsen mitten in der Stadt und überall Männer. Und zwar wirklich nur Männer. Die ersten 600 km durch das heisse, hauptsächlich aus Wüste bestehende Beluchistan erinnerten uns noch sehr an den Iran, doch mit Quetta, der ersten grösseren Stadt nach der Grenze, tauchten wir in eine vollkommen andere Welt ein. Strassenbau zum Beispiel geschieht in Pakistan „von Hand“: Steine werden klein gehauen, ausgestreut und aus Schalen mit Asphalt übergossen.

Aus den Logbüchern der Polizeikontrollen unterwegs wussten wir, dass unsere Freunde Harald und Nicole auch schon in Quetta sein mussten, und anhand der im „Lonely Planet“ empfohlenen Hotels fanden wir sie ziemlich schnell. Allerdings empfingen sie uns mit einer schlechten Nachricht: Harald hatte einen der bösartigen „Speadbreaker“ übersehen, die ohne grosse Warnung in Pakistan in die Strassen eingebaut werden, und hatte mit seinem Motorrad einen üblen Sturz. Zum Glück hatte er nur ein paar minime Schürfungen abgekriegt, und wartete nun auf die Reparatur seiner Maschine. Die Pakistani erwiesen sich als sehr freundlich und hilfsbereit, so dass Harald und Nicole zuversichtlich ihre Weiterreise planen konnten. Im Basar von Quetta deckten wir uns mit der ortsüblichen Kleidung ein, dem Shalwar Qamiz: eine Pluderhose und ein sehr langes Hemd. Das trägt hier jeder!

Die Orientierung erwies sich hierzulande als sehr schwierig, da es nirgends Wegweiser gibt, und auch das Nachfragen bei den Leuten häufig nicht weiterhilft. So nahm es über eine Stunde in Anspruch, den richtigen Weg aus Quetta hinaus zu finden. Während die halsbrecherischen Minibusfahrer jeden vorhandenen oder nicht vorhandenen Millimeter auf der (oft einspurig asphaltierten) Strasse zum Überholen ausnutzen, sind wenigstens die Lastwagen hier eher gemütlich unterwegs. Und ausserdem sehr kunstvoll bemalt und geschmückt! Den vollen Genuss erhält man bei Dunkelheit, wenn die Brummis mit ihren Lichtern und Geräuschen wie fahrbare Spielcasinos über die Strassen gondeln. Nach einer letzten Übernachtung in dem „kühlen“ Bergort Fort Munro gings hinein in die Indusebene. Die sprunghaft höhere Luftfeuchtigkeit liess den Schweiss aus allen Poren strömen. Auf dem Indus-Highway kamen wir ganz flott voran, vorbei an endlosen Palmenhainen, weiten Flussläufen und Leuten, Leuten, Leuten überall. 

Am frühen Nachmittag setzte sich der Landy mal wieder in Szene: Der 3. und 4. Gang liessen sich nicht mehr einlegen... 40 Grad, hohe Luftfeuchtigkeit, aber keine Sonne, denn die Luft war voller Sandstaub, und ein Ort namens D.I. Khan. Laut „Lonely Planet“: „unsettled and potentially dangerous“. Wie froh waren wir, als wir ein Hotel mit einem geschlossenen Innenhof fanden! Während sich Frieder, Bernhard, Axel und Marzena nun an die Zerlegung des Landygetriebes machten, entschlossen sich Sibylle, Ute und ich, vorsichtig die Gegend um das Hotel nach etwas Essbarem zu erkunden. Was für eine Welt! Wilde Gesichter mit langen Bärten, zum Teil leicht geschminkt und ab und zu sehr freundlich. Grelles Entsetzen stand dem Konditor ins Gesicht geschrieben, als Ute und Sibylle voraus seinen Laden betraten, doch als er mich entdeckte, hellte sich sein Blick auf und er bediente uns sehr zuvorkommend. Wahrscheinlich war er durch den Anblick zweier Frauen zuerst total überfordert...

Zwar hatte die Arbeit am Landy kein sichtbares Problem zu Tage gefördert, aber wie das so kommt, hatte das Öffnen des Getriebes den Verlust eines Sperrstifts zur Folge: PLUMPS – und weg war er im Getriebe. Die nächsten Stunden wurden also damit verbracht Öl abzulassen, durchzuspülen und mit einem Draht zwischen den Getriebezähnen herumzufischen. Kurz bevor wir völlig aufgeben wollten (d.h. mit einer kalten Cola bewaffnet unterm Ceiling Fan uns hinfletzen wollten), fischte Frieder mit seinen schlanken Gynäkologenfingern den Stift aus der Ablassöffnung heraus. Unverrichteter Dinge wurde das Getriebe wieder geschlossen, nachdem der vierte und dritte Gang im geöffneten Zustand eingelegt werden konnten (halt Landrover-mässig – man weiss nicht warum plötzlich!), so dass wir am nächsten Tag die Reise über Peshawar in den Norden fortsetzen konnten. Und was für ein Fahrtag, denn der dritte Gang ging anfänglich nur mit Würgen und gut Zureden rein, und Frieder musste versuchen, möglichst nur im Dritten und Vierten zu fahren, also kein Anhalten an Zollbrücken oder Speedbrakers!

Madyan, ein als Ex-Hippie-Absteige beschriebenes Dorf im Swat Valley erwies sich als sehr geschäftig und touristisch, aber auch sehr pittoresk und freundlich. Und alle hatten einen Tag zum Ausspannen nötig! Im „Swat Holiday Hotel“ gab es neben uns sehr viele Touristen aus Lahore, die sich hier alle sehr locker und weltoffen zeigten. Allerdings erzählte uns die eine junge Frau später, dass sie Zuhause nur in der Burka gekleidet (gespensterhaft aussehendes Gewand mit Seh-Gitter) auf die Strasse gehen würde. 

In einem der Seitentäler war gerade ein neues Schulhaus in Bau, mit Weltbank-Geld, wie uns der anwesende Projektmanager erklärte. Backsteine und Zement werden auf 4WD-Pickups über eine furchterregende Strasse angeliefert und dann auf Eselsrücken die lezten paar hundert Meter zur Baustelle gebracht. Auf der Baustelle herrscht eine strickte Rangordnung: Die lokalen Arbeiter mischen den Zement und mauern die Wände. Dabei werden sie überwacht von den regionalen „Consultants“, welche wiederum kontrolliert werden vom Projektmanager, welcher alle Arbeiten in der Umgebung unter sich hat. Letzterer gab sich sichtlich gelangweilt über seine Position und war froh, uns seine Lebensphilosophie zum Besten geben zu können... („Der Tag wird kommen, an dem die pakistanische Atombombe das ganze Land zerstören wird und nur noch einige wenige „Auserwählte“ übrig bleiben werden.“)

„Be afraid, very afraid, it’s coming!“ hatten uns gewisse Freunde noch mit auf den Weg gegeben, und tatsächlich: Am siebten Tag Pakistan lagen fünf von uns flach! Der Magen verkrampfte sich, der Darm spielte verrückt, und auf ein Mal war alle Energie aus dem Körper. Glück im Unglück: Dieses Trauerspiel fand an einem sehr geruhsamen Ort mit einem richtigen Sitzklo statt, und nach ca. 36 Stunden absoluter Ruhe konnten wir unsere Reise mit schwachen Kräften weiterführen.

Zur Zeit tanken wir neue Kräfte im Rumbur Valley, einem der drei letzten Täler nahe der afghanischen Grenze, in denen noch die Kalash wohnen, das einzige nicht muslimische Volk in weitem Umkreis. Der einzige Zugang ist ein enger Jeep-Track der sich schwindelerregend an der Felswand entlangschmiegt. Doch die Mühe (und die erste Beule am Landcruiser) lohnten sich: hier hinten ist ein kleines Paradies der Ruhe! 

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