Blüten zählen im Hotel-Klo
Trickreiche Betrüger
Blüten zählen im Hotel-Klo
Sie treten als Schweizer Geschäftsmann oder als reicher Araber auf - um an das Geld gutgläubiger Bürger zu kommen, inszenieren Betrüger ein perfektes Schauspiel.
Mailand/München - Die Einkaufspassage in Diemen ist eigentlich nicht der richtige Ort für Geldgeschäfte im sechsstelligen Bereich. Zumindest nicht für das Geschäft, von dem sich Jens Brückner* die Lösung seiner Finanzprobleme erhoffte.
Der Geschäftsmann aus Herne war in den Vorort von Amsterdam gereist, um dort Geld aufzutreiben. Ein Kredit über 440.000 Euro sollte das Überleben seiner Firma sichern. Weil deutsche Banken ihm längst den Geldhahn zugedreht hatten, ließ sich der Unternehmer vom Angebot eines Finanziers beeindrucken, der im Internet als "Sudan Casay" mit verlockenden Konditionen wirbt.
Bankübliche Sicherheiten verlangte der angeblich aus Kuwait stammende Mann nicht, lediglich zehn Prozent Eigenkapital sollte Brückner vorweisen - "in bar".
Mit 44.000 Euro in der Aktentasche fährt Brückner über die Grenze. Ein renommiertes Hotel in der Amsterdamer Innenstadt war als Treffpunkt ausgemacht. Doch dann klingelt das Handy, Casay lotst Brückner in ein Café nach Diemen. Der Geldkurier stecke "leider im Stau".
Rasante Flucht nach der Geldübergabe Dort angekommen, geht alles sehr schnell. Brückner übergibt dem Boten sein gebündeltes Bargeld. Der wiederum überreicht dem Deutschen einen Koffer. "Und das hier ist Ihr Geld."
Mit diesen Worten springt der orientalisch aussehende Mann in einen Peugeot 307, der mit quietschenden Reifen und Brückners Euros davonbraust.
Als der verdutzte Unternehmer den Koffer öffnet, liegen darin gebündelte 500-Euro-Scheine. Ziemlich genau die vereinbarte Darlehenssumme. Nur leider Falschgeld. Unter der Banderole ist "Facsimile Monopoly" aufgedruckt.
Rip-Deals: Tarnen und Täuschen in großem Stil
Jens Brückner ist Opfer eines
"Rip-Deals". So heißen im Polizeijargon vorgetäuschte Devisengeschäfte, bei denen Kreditsuchende oder Immobilienverkäufer über den Tisch gezogen werden.
"Rip" ist englisch und steht für "entreißen". Der Begriff wurde ursprünglich von der niederländischen Polizei kreiert und später von deutschen Kriminalbeamten übernommen, die sich zunehmend mit dieser Form grenzüberschreitender Kriminalität auseinandersetzen müssen. Im Schnitt werden in Deutschland jeden Monat 25 Rip-Deals gemeldet. Das sind bereits über 1800 registrierte Fälle in den vergangenen sechs Jahren. Gesamtschaden: 70 Millionen Euro.
Die Dunkelziffer ist enorm. "Nur jede zehnte Tat wird angezeigt", schätzt Martin Menhofer vom Bayerischen Landeskriminalamt. Manche Opfer verzichten aus Schamgefühl auf eine Anzeige, viele aber auch aus Angst vor peinlichen Fragen nach der Herkunft des geraubten Bargelds.
Andere haben sich organisiert. Es gibt bereits eine Interessengemeinschaft der Rip-Deal-Geschädigten in München. Vorsitzender ist der ehemalige Filialleiter einer deutschen Großbank.
Auch Verkäufer werden zum Opfer In den Netzen der "Ripper" verfangen sich nicht nur Kreditsuchende. Jeder, der etwas Wertvolles verkaufen möchte, kann Opfer eines Rip-Deals werden: eine Wohnung zum Beispiel, Rennpferde, eine Yacht oder Kunstwerke. Für alle diese Güter kann es schwer sein, einen Käufer zu finden. Auf diese Zielgruppe haben sich die Rip-Dealer spezialisiert. Systematisch werten sie Kleinanzeigen in Tages- und Fachzeitungen aus, durchforsten Portale im Internet.
Dort fanden sie auch die Anzeige von Carla Becker*. Die Kauffrau hatte ein Haus geerbt, suchte monatelang einen Käufer. 350.000 Euro sollte die Immobilie bringen. Einige Interessenten meldeten sich, aber keiner griff zu.
Dann ruft eine Frau an, will das Objekt kaufen. Schnell, ohne Besichtigung, zum ausgeschriebenen Preis. Sie klingt freundlich und seriös. Ihr Chef sei arabischer Geschäftsmann, der in deutsche Immobilien investieren wolle. Er zahle bar. Einzige Bedingung: Das Geschäft lasse sich nur in Mailand abwickeln.
Geschäftsabschluss im Nobelhotel Carla Becker fährt nach Mailand. Im Hotel Astoria lernt sie Ahmed Rashid kennen, einen eloquenten Herrn im dunkelblauen Maßanzug. Er habe große Mengen Schweizer Franken, die er zumindest offiziell nicht in Euro wechseln könne, sagt der Geschäftsmann in fließendem Deutsch. Und auch das Bündel 500-Euro-Scheine, das er Carla Becker "zum Anfühlen" dezent in die Hand drückt, könne er "nicht so einfach auf die Bank bringen".
Sein Angebot: Vor dem Immobilienkauf solle Becker eine größere Summe schon mal wechseln. Dafür zahle er ebenso wie auf den Kaufpreis eine Provision - 15 Prozent bar auf die Hand. Das wirkt. Im Geiste hat Becker bereits das Haus verkauft und obendrein noch eine satte Provision eingestrichen. "Der kleine Teufel Gier wurde geweckt", sagt sie heute selbstkritisch.
Beim zweiten Besuch in Mailand steckt sie ein Geldbündel in die Handtasche: 5000 Euro - wie verlangt - in kleinen Scheinen. ,,Mehr konnte ich damals nicht locker machen.‘‘
Bitte nachzählen - auf der Toilette Wieder treffen sich die Geschäftspartner in einem Restaurant. Rashid zückt einen Briefumschlag mit gebündelten Scheinen, Becker überreicht ihre "Anzahlung". "Bitte diskret nachzählen", flüstert der Araber, "vielleicht auf der Toilette."
Dort stellt sie fest, dass der Umschlag fotokopierte Schweizer Franken enthält. Sie sprintet zurück zum Tisch, doch ihr Gastgeber ist längst verschwunden, untergetaucht im Verkehrsgewühl von Mailand.
Zwei Wochen später entdeckt Becker Rashid wieder: im Fahndungscomputer der Kripo Ravensburg. Ein Opfer hatte den angeblichen Araber mit einer Handykamera fotografiert - ausgerechnet bei einer Geldübergabe.
Ahmed Rashid, der mit Sicherheit einen anderen Namen trägt, ist nur einer von schätzungsweise 500 Tätern, die vermögende Deutsche zu solchen Tauschgeschäften ins Ausland locken - vornehmlich nach Norditalien oder in die Niederlande.
Hochintelligentes Netzwerk "Meist geben sich die Täter als wohlhabende Araber aus, mal tarnen sie sich als Schweizer Geschäftsleute mit jüdisch klingendem Namen", sagt Eugen Koros von der Kripo Ravensburg. Tatsächlich stammen sie nach den Erkenntnissen der Polizei aus dem ehemaligen Jugoslawien. Die Tätergruppen sind "hochintelligent und bestens vernetzt", weiß Koros.
Rip-Dealer arbeiten wie eine international tätige Firma - mit Callcenter und bestens geschulten Mitarbeitern, die genau die Bedürfnisse und Mentalitäten ihrer Opfer kennen. Diese kommen häufig aus Kreisen, die sich immun wähnen gegen Bauernfänger-Tricks.
Tatsächlich befinden sich die Opfer in bester Gesellschaft: Steuerberater, Industrielle, selbst Rechtsanwälte, Ärzte und Notare sind schon nach Mailand oder Amsterdam gereist, um mit Herren wie Rashid in Nobelrestaurants über Kredite, Kaufpreise und Provisionen zu verhandeln.
Großes Theater mit guten Schauspielern Für Außenstehende ist es stets ein Rätsel, wie die Betrüger es schaffen, redliche Bürger zu solch abenteuerlichen Geschäften zu verleiten. Kriminalhauptkommissar Koros argumentiert dagegen: "Für die Opfer wird eine große Theaterbühne aufgebaut. Auf der spielen gute Schauspieler mal den Banker, mal einen Firmenboss und erschleichen sich so das Vertrauen ihrer Kunden."
Manchmal ist der Tatort auch gleich die Vorhalle einer Bank. Der Angestellte trägt Krawatte und Namensschild, während er die Echtheit der Banknoten prüft. Dass der vermeintliche Banker gar nicht auf der Gehaltsliste dieser Filiale steht, erfährt der Geprellte in der Regel etwas später - bei der Polizei.
* Namen von der Redaktion geändert