4.1
Einführung
Wie
schon im letzten Kapitel ersichtlich wurde, gab es verschiedene Arten der
Mumifizierung mit zum Teil grossen Unterschieden. Deshalb ist es nicht möglich,
einen allgemeinen Ablauf einer Mumifizierung zu beschreiben. Nach einer kurzen
Betrachtung einer schriftlichen Quelle aus dem 5. Jh. v. Chr. wird hier
dargestellt, wie sich die Mumifizierung eines Wohlhabenden in der Blütezeit
dieser Kunst (um 1000 v. Chr.) abgespielt haben könnte. Andere
Mumifizierungsarten werden im Kapitel 4 vorgestellt.
Der Vorgang der Mumifizierung galt keineswegs
nur als handwerkliche Tätigkeit, sondern war in einen vielfältigen
Ritualvollzug eingebunden. Beim Balsamierungsritual handelt es sich gleichsam um
ein religiöses Theaterspiel, wobei sowohl der Tote als auch die Priester die
Rolle von Göttern übernahmen.
Die
heutigen Kenntnisse über den Ablauf der Mumifizierung eines Leichnams und ihrer
technischen Veränderungen im Laufe der Jahrhunderte beruhen auf zwei Quellen.
Neben der Untersuchung der erhaltenen Körper selber steht uns der Bericht des
griechischen Reiseschriftstellers Herodot aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. zur
Verfügung. Die ägyptischen Quellen hingegen behandeln das Handwerk der
Balsamierung nicht. Die Mumifizierungstechniken wurden von den Ägyptern
geheimgehalten, und Einzelheiten nie schriftlich niedergelegt. Zwei Papyri aus
dem 1. Jh.
n. Chr. beschreiben
zwar den rituellen Vorgang der Salbung und des Einwickelns, enthalten jedoch
keine Einzelheiten über die Technik.
So
kann der genaue Vorgang der Mumifizierung und die exakte Quantifizierung der
angewandten Hilfsstoffe bis heute nur eingeschränkt rekonstruiert werden.
Herodot
war
sichtlich beeindruckt und schrieb in seinem 2. Buch der Historien (Kapitel
86):
„Es gibt nun Leute, die eben dazu
da sind und diese Kunst (der
Mumifizierung) in ihrer Hand haben. Die zeigen, wenn der Tote zu ihnen
gebracht wird, denen, die ihn bringen, Muster von Leichen, aus Holz und recht
natürlich bemalt, und eine Art empfehlen sie als die sorgfältigste; nach wem
dies Verfahren aber seinen Namen hat, den zu nennen scheue ich mich; eine zweite
Art zeigen sie vor als nicht so vollkommen wie die erste und billiger, eine
dritte aber als billigste (die zwei billigeren werden im Kapitel 4
vorgestellt). Die zeigen sie und erkundigen sich bei ihnen, welche von diesen
Behandlungen sie für ihre Leiche wünschten. Die einigen sich nun auf einen
Preis und gehen davon, die aber bleiben in ihrer Werkstatt zurück und machen
sich ans Balsamieren. Ist es die anspruchsvollste Art, geht das so vor sich.
Zuerst ziehen sie mit einem gekrümmten Eisendraht durch die Nasenlöcher das
Gehirn heraus; genaugenommen nur einen Teil, den anderen Teil dadurch, dass sie
auflösende Substanzen hineinleiteten. Sodann schneiden sie mit einem scharfen
äthiopischen Stein den Leib an den Weichteilen entlang auf und holen das ganze
Eingeweide heraus; wenn sie aber gereinigt und mit Palmwein ausgespült haben,
spülen sie es noch mit zerriebenem Räucherwerk. Sodann füllen sie die Bauchhöhle
mit unvermischter Myrrhe, Kasia (=Zimt) und den übrigen Spezereien,
ausser Weihrauch, und nach Ausführung der Füllung nähen sie wieder zu. Wenn
sie das gemacht haben, balsamieren sie die Leiche mit Natron ein und verwahren
sie siebzig Tage; sie länger einzubalsamieren ist nicht erlaubt. Nach Ablauf
der siebzig Tage waschen sie die Leiche, umwickeln den ganzen Körper mit
Streifen von Leinwand aus Byssos, die sie mit Gummi überstreichen, den sie in
der Regel statt Leims verwenden. Dann übernehmen die Angehörigen die Leiche
und legen sie in einen Sarkophag. Dann bergen sie ihn in der Grabkammer, indem
sie ihn an die Wand lehnen.“
Herodots
Bericht ist im Grossen und Ganzen korrekt, moderne
Tests unterstützen, verbessern
aber auch seine Beschreibungen, so dass man heute ziemlich genau weiss wie die
Einbalsamierung vonstatten ging:
4.2 Mumifizierung eines Reichen in der
Blütezeit dieser Kunst
Ausnehmen
und Austrocknen des Körpers
Die
Balsamierer arbeiteten ausserhalb der Ortschaften am Nil oder einem von
ihm ausgehenden Bewässerungskanal, denn zum Waschen der Körper wurde
reichlich Wasser benötigt. Der Leichnam wurde zunächst in der
Balsamierungswerkstatt auf einen hölzernen oder steinernern leicht
abgeschrägten Tisch gelegt. Beim Abwaschen des Körpers konnte so die Flüssigkeit
abfliessen.
Nach
Herodot begann die Arbeit der Balsamierer (nach der ersten Waschung der
Leiche mit einer Natronlösung und Palmwein) mit der Gehirnentnahme. Das
Gehirn konnte jedoch nicht einfach durch die Nasenlöcher herausgezogen
werden, man musste die Hirnhaut zerreissen und das Gehirn verquirlen, bis
es die Konsistenz eines dickflüssigen Breis hatte. Nach einiger Zeit
verflüssigte es sich durch natürliche Verwesung von selbst. Dann wurde
der Körper auf den Bauch gelegt und das Gehirn konnte aus den künstlich
erweiterten Nasenlöchern
herausfliessen. Bei der
Gehirnentnahme musste
mit grösster Vorsicht vorgegangen werden, um das Gesicht des Leichnams
nicht zu beschädigen, da sonst die „Seelen“ es nicht wiedererkennen würden.
Dies war wohl der schwierigste und mühsamste Teil des ganzen
Mumifizierungsprozesses, da ein so grosses Organ durch eine sehr kleine Öffnung
entfernt werden musste. So wurde es entfernt und - in Unkenntnis seiner
Bedeutung - beseitigt. Die Balsamierer arbeiteten mit einem ganzen Set von
verschiedenen Haken, denn sie mussten nicht nur die knöcherne
Siebbeinplatte im Schädel durchbrechen um den Zugang zum Gehirn zu öffnen,
sondern auch die Hirnsubstanz und –haut entfernen.
Erhitztes,
dünnflüssiges Salböl wurde in den Schädel gegossen, wo es erstarrte.
Dieses Salböl bestand aus einem Gemisch verschiedener Harze, Bienenwachs,
aromatisierenden Pflanzenölen und manchmal auch aus Bitumen (natürliches
Erdpech). Viele dieser Zutaten wie Harz und Bitumen mussten aus Nachbarländern
importiert werden und waren deshalb nur den reicheren Leuten vorbehalten. |
Nach dem Behandeln des Kopfes wandten sich
die Balsamierer dem Leib des Verstorbenen zu und schnitten mit einem
scharfen Stein oder einem Messer den Bauchraum an der linken Unterseite
ungefähr 20 cm auf, worauf man alle inneren Organe bis auf das Herz und
die von vorn nur schwer erreichbaren Nieren herausnahm. Das Herz musste
aus religiösen Gründen drinnen gelassen werden. Jetzt wurde die Körperhöhle
mit Palmwein und duftenden Essenzen ausgewaschen. |
Nun
wurde der Körper mit trockenem Natron, einem Gemisch aus verschiedenen
Natriumsalzen, überhäuft. Magen,
Lungen, Gedärme und Leber wurden mit zerriebenem Räucherwerk behandelt
und dann in Natron eingelegt. Natronsalz
entzieht dem Körpergewebe das Wasser, sodass es fast völlig vertrocknet.
Manchmal
benutzte man auch kleine mit Natron gefüllte Leinensäckchen. Diese
Methode hatte den Vorteil, dass man feucht gewordene Säcke einfach
austauschen konnte. Ungefähr 200kg Natron waren nötig. Bei der Dauer der
Aufbewahrung in Natron muss Herodot etwas verwechselt haben, der Leichnam
wurde nur ungefähr 40 Tage eingelegt und nicht 70.
Salbölbehandlung
und Körperhöhlenfüllung
Erst
nach dieser sorgfältigen Trocknungsphase - der Körper war nun vor allem in der
Breite geschrumpft - konnte die eigentliche Balsamierung beginnen: Nachdem man
den Leichnam mit wenig Wasser gewaschen hatte, goss
man erhitztes Salböl in den Körper und rieb ihn damit ein, sodass die nun spröde
Haut ihre Elastizität zurückgewann und nicht derart ausgetrocknet aussah. Da
Salböl in jeder Ritze der Mumien gefunden wurde, nimmt man an, dass der Körper
zumindest reicher Leute in ein Salbölbad eingelegt wurde. Die Zusammensetzung
des Salböls für das Bad ist eine ähnliche wie die des Öls, mit dem der Schädel
ausgegossen und der Körper eingerieben wurde, nur war dieses auch in kaltem
Zustand noch flüssig.
Die
nach ihrer Entfernung gesondert präparierten Eingeweide und inneren
Organe (Lungen, Gedärme, Magen und Leber) setzte man nach einer
Behandlung mit Salböl in vier Krüge, die sogenannten Kanopen. Solche
Kanopen sind Gefässe aus Alabaster (Calcit), Stein oder Ton, deren Deckel
als die Köpfe von vier Schutzgöttern der Eingeweide gestaltet waren, die
vier Horus-Söhne. Diese Krüge wurden in einen Kanopenkasten gestellt und
hatten die Aufgabe, die inneren Organe zu beschützen und den Toten vor
Hunger und Durst zu bewahren.
Der
Brust- und Bauchraum wurde nun mit den verschiedensten Gegenständen
aufgefüllt: Leinenpäckchen, Natronbeutel, oft auch Sägespäne vermischt
mit Gewürzen, Samen und Flechten wurden benutzt. Hinzu kamen manchmal
grosse Mengen an Spezereien wie Myrrhe, Weihrauch, Öle, Harze, Fette und
Bienenwachs, denen man ausser ihrem Wohlgeruch auch eine konservierende
Wirkung zuschrieb. So wurde ein Zusammenfallen der Körperhöhle
verhindert und die Leiche erhielt ihr natürliches Volumen zurück. Die
Nasenöffnungen wurden auf verschiedene Arten aufgefüllt, z.B. bei der
Mumie Tutanchamuns mit salbölgetränkten Leinenbinden, bei Ramses II
erstaunlicherweise mit Pfefferkörnern.
Nun
wurde der Schnitt im Bauch verschlossen. Das geschah nach Herodot durch
Zunähen. Meistens aber verschloss man den Schnitt mit einem Leinenpfropf,
einer Wachsplatte oder bei bedeutenden Persönlichkeiten wie dem Pharao,
mit einem dünnen Goldblech.
Zu diesem Zeitpunkt besass die Mumie eine durch die Trocknung und Salbung
verursachte schwarzbraune Farbe.
Umhüllung
des Mumienkörpers
15
Tage soll das Anbringen der Mumienbinden gedauert haben. Jede Einzelheit war
vorgeschrieben. Unmengen von mit Salböl imprägnierten Leinenbinden
verschiedener Dicke und Breite mussten vorbereitet werden, die insgesamt eine Länge
von nahezu 4800 m erreichen konnten. Es
musste immer auf eine korrekte Dosierung des Salböls geachtet werden, da sich
zu viel davon negativ auf die Konservierung ausgewirkt hätte. Das
hierzu verwendete Salböl besass eine andere Zusammensetzung als die beiden
bisher erwähnten. (siehe Kapitel 7)
Für
das Einwickeln nahmen sie entweder speziell für das Begräbnis gekauftes
Material oder in passende Streifen gerissene ausgediente Haushalts- und
Bekleidungstextilien. Vor dem eigentlichen Wickeln hatte man alle Binden
nach Verwendungsart, Länge, Breite und Dicke geordnet und den Beginn
jeder Bahn markiert. Der Leichnam lag auf einer speziell angefertigten
Liege, die es dem Einbalsamierer ermöglichte, ohne Behinderung rund um
den Körper zu arbeiten.
|
Bei
aufwändig hergestellten Mumien wurde zuerst jedes einzelne Glied, dann die
Extremitäten und schliesslich der gesamte Rumpf in mehreren Lagen
bandagiert. Bei diesem nach festen Regeln vollzogenen Ritual führte
meistens ein Priester in der Maske des schakalköpfigen Gottes Anubis die
Oberaufsicht. Die Bandagen wurden mit Harz zusammengeklebt. Zum Abschluss
konnten auch noch grossformatige Leichentücher mit daraufgemalten
Gottheiten zur Umhüllung verwendet werden. |
Während
dieses Vorgangs wurden
zahlreiche magische Amulette aus Fayence,
Halbedelsteinen und anderen kostbaren Materialien beigefügt, die entweder
lose mit eingewickelt oder auf den Mumienbinden festgenäht wurden. Sie
hatten alle ganz spezielle Schutzfunktionen und sollten die Regeneration
des Verstorbenen nach seinem Tode sichern. Oft
wurde dem Verstorbenen ein mit
magischen Formeln beschrifteter Herzskarabäus auf die Brust gelegt und
miteingewickelt oder dem Herzen beigelegt. Durch die Verwendung dieser
Formeln sollte vermieden werden, dass das Herz beim Jenseitsgericht gegen
seinen Besitzer aussagte. Manchmal wurde dem
Einbalsamierten eine
mehrere
Meter lange
Papyrusrolle, das Totenbuch, zwischen die Hände gelegt und
mit eingewickelt oder mit in den Sarg gegeben.
Diese
auf Papyrus oder Leinen
geschriebenen Texte sind eine Zaubersprüche- und Ratschlägesammlung, die, einem Reiseführer ähnlich, dem Verstorbenen
dabei helfen
Sarglegung
Die
Mumifizierung des Leichnams ist nur ein Versuch, den Toten für die Ewigkeit
auszustatten. Nachdem der Leichnam durch Einbalsamieren sowie das Wickeln mit
Leinenbinden physisch und durch Amulette auch geistig-magisch geschützt war,
wurde noch ein weiterer Schutz durch einen Sarg benötigt, und wenn möglich,
einen diesen noch umschliessenden Sarkophag.
Der
Sarg war meist auf der Innenseite bemalt. Dabei spielten Türen und Augen eine
wichtige Rolle, damit der Verstorbene seine Grabbeigaben wahrnehmen und sein ka
in die Aussenwelt treten konnte. Im Alten und Anfang des Mittleren Reiches
hatten die Särge noch Kastenform, danach wurden sie in anthropomorpher
(menschlicher) Gestalt angefertigt.
Zusammenfassung
Die Mumifizierung besteht aus
folgenden Schritten:
|
1. Erste
Waschung der Leiche
|
|
2. Entfernung
des Gehirns
|
|
3. Eingiessen
von Salböl in den Schädel
|
|
4. Entfernung
der Eingeweide
|
|
5. Zweite
Waschung der Leiche
|
35-40
Tage
|
6. Entwässerung
der Leiche und der Eingeweide durch Natron
|
|
7. Dritte
Waschung der Leiche
|
|
8. Salbung
der Leiche und der Organe nach der Entwässerung
|
|
9. Ausstopfung
der Körperhöhlen
|
|
10.
Besondere
Behandlung bestimmter Körperteile (z.B. Nägel)
|
|
11.
Verschluss
des Einschnitts
|
|
12.
Letzte
Vorbereitungen vor dem Bandagieren
|
15
Tage
|
13.
Bandagierung
der Mumie
|
Das
Begräbnis des Verstorbenen fand etwa 70 Tage nach seinem Tode statt.
[2]
[5, S. 459-461, 473/474]
Das
Resultat der Mumifizierung: Ein nach 3000 Jahren noch sehr gut
erhaltener Körper; Mumie
der Nesittanebascheru,
21. Dynastie (um 1000 v. Chr.)
|