In diesem Kapitel wird erklärt, wie die Konservierung von Leichen durch die Mumifizierung gelingen konnte. Als erstes wird kurz beschrieben, was bei der Verwesung eines Körpers geschieht. So kann nachher genauer erklärt werden, wie die Mumifizierung dagegen wirkt. 7.1
Der
Verwesungsprozess
Kaum
ist ein Mensch oder Tier tot, beginnen die Bakterien und andere Mikroorganismen im Körper, die zu Lebzeiten vom Immunsystem
abgewehrt
wurden, sich zu vermehren und das Gewebe anzugreifen. Auch körpereigene
Stoffe des Organismus, wie z.B. die Salzsäure des Magens, beginnen das Körpergewebe
langsam zu zersetzen. In
der zweiten Phase kommen dann noch Insekten und Würmer dazu, die sich
durch den Körper fressen und ihre Eier ablegen. Die
Mumifizierung setzt sich wie schon bekannt aus verschiedenen Schritten zusammen,
von denen jeder einzelne auf eine andere Art zur Konservierung des Leichnams
beiträgt. 7.2.1
Die Wirkungsweise von
Natron Die Dehydrierung in Natron ist der wichtigste Schritt der Mumifizierung; er trägt am meisten zur Konservierung bei. Natron
ist ein natürlich vorkommendes Salzgemisch, das vor allem zwischen dem heutigen
Kairo und Alexandrien im nach ihm benannten „Wadi Natrûn“ in grösseren
Mengen zu finden ist. Es besteht aus verschiedenen Natriumsalzen, wobei der grösste
Anteil das Na2CO3 (Natriumcarbonat) ausmacht, daneben enthält
es 17 % NaHCO3 (Natriumhydrogencarbonat) und ein wenig NaCl
(Natriumchlorid) und Na2SO4 (Natriumsulfat).
In Ägypten beträgt der Kochsalzgehalt manchmal bis zu 50 %. [4, S.
101-105] Alle
diese Salze sind hygroskopisch (wasseranziehend) und bilden bis auf
Natriumchlorid auch Kristallwasser, schliessen also Wasser in sich ein und
isolieren es. Das Natron, aufgeschichtet um den Leichnam, entzieht dem Körpergewebe Wasser durch Osmose: Da die Konzentration der Salze ausserhalb des Körper grösser ist als in den Zellen, muss ein Konzentrationsausgleich stattfinden, wobei Wasser entzogen wird. Dieses Wasser wird dann an der Oberfläche des Körpers vom Natron aufgenommen und wird in die Kristallgitter integriert, wodurch Klumpen entstehen. Das Wasser wird so eingeschlossen, dass keine flüssige Lösung auf der Körperoberfläche entsteht. Das ist natürlich von Vorteil, da man die kristallwasserhaltigen Klumpen einfach durch wasserfreies Natron ersetzen kann. Dies ist aber oft nicht nötig: Natriumcarbonat kann bis zu 10 Wassermoleküle in eine Gittereinheit aufnehmen (Decahydrat, Na2CO3 . 10 H2O). Oberhalb von 35°C gibt es jedoch den Grossteil des Wassers ab und geht in das Monohydrat (Na2CO3 . H2O) über. [12] In
Ägypten ist es an der Sonne oft über 35°C warm, sodass das Kristallwasser
verdunstet und somit das Natron wieder Wasser aufnehmen kann. Auf diese Weise
kann fast das gesamte Wasser aus dem Körper entfernt werden. Wasser ist die Grundlage jedes Lebewesens. Durch das Entfernen dieser Grundlage können sich die Bakterien im Körper nicht vermehren und sterben zum grossen Teil ab. Dies, und die Tatsache, dass Natron an der Körperoberfläche den pH-Wert bis über 10 erhöht, so dass ein Grossteil der Bakterien abstirbt, hemmt den Verwesungsprozess. Für den Anstieg des pH-Wertes ist vor allem das Natriumcarbonat verantwortlich: H2O + CO3-2 HCO3- + OH-
Zwar
liegt das Gleichgewicht dieser Säure-Base-Reaktion links, es entstehen jedoch
trotzdem kleine Mengen an OH--Ionen, die den pH-Wert ansteigen
lassen. Bei den anderen Komponenten des Natronsalzgemisches ist dies nicht oder
nur in geringem Masse der Fall. Die
Geschwindigkeit der Dehydrierung von Gewebe durch Natron hängt von folgenden
Faktoren ab: -
Qualität
des Natrons: -
Zusammensetzung:
Der NaCl-Gehalt sollte nicht zu hoch sein, da Kochsalz kein Kristallwasser
bildet und den pH-Wert nicht ansteigen lässt. -
Wasserfreiheit:
Je trockener das Natron ist, desto besser und mehr kann es Kristallwasser
bilden. -
Temperatur:
Je höher die Temperatur ist, desto schneller läuft die Osmose ab. Zudem
trocknet das schon feucht gewordene Natron, sodass es wieder Wasser aufnehmen
kann. -
Luftfeuchtigkeit:
Bei hoher Luftfeuchtigkeit nimmt das Natron auch Wasser aus der Luft auf und
kann so weniger Wasser aus dem Gewebe entfernen. Gleichzeitig kann das
Kristallwasser weniger gut verdunsten, da die Luft nicht mehr viel zusätzliches
Wasser aufnehmen kann. -
Masse
des Gewebes:
Je grösser die Masse ist, desto länger dauert der Wasserentzug.
7.2.2
Die
Wirkungsweise des harzigen Salböls Das
Austrocknen verhindert aber nicht, dass die Luftfeuchtigkeit die Oberfläche des
ausgetrockneten Körpers später wieder anfeuchten kann, so dass Bakterien und
Schimmelpilze ihn besiedeln und Insekten ihre Eier auf ihm ablegen. Er braucht
also eine schützende Schicht. Diesen
Schutz bildet das harzige Salböl, mit dem der ausgetrocknete Leichnam behandelt
wird. Die genaue Zusammensetzung der für die Einbalsamierung verwendeten Salböle
ist nicht bekannt, doch lassen sich durch Quellen und Untersuchungen an Mumien
die wichtigsten Bestandteile herausfinden. Trotzdem ist die chemische Analyse
problematisch, da die Ägypter meistens Substanzgemische verarbeiteten, in denen
dann die einzelnen Bestandteile im Laufe der Jahrhunderte miteinander chemisch
reagierten. Wie in Kapitel 4 schon teilweise erwähnt, besteht das Salböl aus
einer Basis von Tier- und Pflanzenfetten, vermischt mit geschmolzenen
Koniferenharzen, Weihrauch, Myrrhe, Galbanum, Bienenwachs und manchmal Bitumen.
[4, S. 104] Neueste Untersuchungen haben gezeigt, dass auch Wacholder- und
Kampferöl verwendet wurden. Das Salböl wird auf die Haut aufgetragen und eingerieben und verschliesst so die Poren. Die Haut, durch das Natron spröde geworden, nimmt das Öl auf und wird elastischer. Es hat eine antibakterielle und fungizide Wirkung. Ausserdem hat es einen hohen Gehalt an ungesättigten Fettsäuren, welche die Eigenschaft haben, spontan zu polymerisieren [7]; unter Lufteinwirkung oxidieren sie. Die oxidierten Zwischenprodukte verbinden sich an den Sauerstoffbindungen zu vernetzten Makromolekülen, wobei das Salböl so im Laufe der Jahre zu einer harten beständigen Schicht erstarrt. Dadurch bildet sich eine Barriere gegen Mikroorganismen und gegen Luftfeuchtigkeit und behindert so die Zersetzung der Leiche. Das
Salböl durfte jedoch nicht allzu reichlich verwendet werden wie
das Beispiel der Mumie von Tutanchamun zeigt. Die Balsamierer hatten der
eingewickelten Mumie zusätzlich Öl über Bauch und Brust gegossen. Im Laufe
der Zeit verfestigte sich das harzige Öl, so dass es die ganze Mumie mit dem
Untergrund zu einem Block verband. Um die Mumie zu untersuchen, musste sie aus
ihrem Sarg gemeisselt werden, wobei sie in mehrere Stücke zerbrach. Zudem hatte
das Salböl die Leinenbinden durch chemische Reaktionen so weit verkohlt, dass
sie zerbröckelten als man die Mumie auswickeln wollte. [4, S.54]
Das
Salbölgemisch wird bei der Herstellung auf über 150 °C erhitzt, um die harten
Bestandteile wie Harz, Weihrauch und Bienenwachs darin zu schmelzen. Dadurch
werden natürliche Antioxidantien (wie zum Beispiel Vitamin E), die häufig in
pflanzlichen Ölen enthalten sind, zerstört. Dies hat zur Folge, dass die
Oxidation der mehrfach ungesättigten Fettsäuren beschleunigt wird, da die
„Konservierungsmittel“ des Öls nicht mehr vorhanden sind. [8] Wacholder-
und Kampferöl sind jedoch von diesem Vorgang nicht betroffen, da sie sogenannte
etherische Öle sind und aus verschiedenen Kohlenwasserstoffen, Alkoholen und
Phenolen bestehen. Es müssen andere Fette im Salböl vorhanden sein, aufgebaut
aus drei Fettsäure-Fragmenten und einem Glycerin-Fragment (Triglyceride). Bienenwachs
besteht aus ca. 70 Estern von C16
bis C36–Säure-
und C24
bis C36–Alkoholfragmenten
wie zum Beispiel Palmitinsäuremyricilester sowie aus Cerotinsäure, Melissinsäure
und 10-15 % Paraffinkohlenwasserstoffen. [9] Er
besteht also aus langkettigen Molekülen, welche den Effekt der Barrierenbildung
unterstützen; dies ist auch bei den verwendeten Harzen und bei Bitumen der
Fall. Interessant
ist, dass ein Bestandteil des Salböls das in Bienenwachs enthaltene Paraffin
ist, und Paraffin wird neben Formaldehydlösungen noch heute zur Konservierung
von alten Gegenständen und Leichen verwendet (wie zum Beispiel Lenin oder Mao
Tse Tung).
Das
Salböl bildet also eine Barriere für Mikroorganismen; doch wie erklärt sich
die antibakterielle fungizide Wirkung des Öls? Wenn man ein wenig genauer
nachforscht, kommt man zu dem Schluss, dass viele Bestandteile des Salböls eine
antibakterielle Wirkung haben. So wird den Koniferenharzen, Weihrauch und
Myrrhe, alles Harze, die eigentlich dazu da sind, den Baum vor Eindringlingen zu
schützen und als Wundverschluss dienen, eine antibakterielle Wirkung
nachgesagt. Kampfer- und Wacholderöl werden heute noch in der Alternativmedizin
als Heilmittel bei kleineren Beschwerden angewendet und sollen antiseptisch
wirken. Dies lässt sich durch Experimente nachweisen (siehe Kapitel 12). Welche
Inhaltsstoffe für diese Wirkung verantwortlich sind, daran wird z.T. heute noch
geforscht; man vermutet beim Weihrauch z.B., dass bestimmte Boswelliasäuren dafür
verantwortlich sind. 7.2.3
Die Wirkungsweise von Füllung,
Bandagen, Särgen und Grab Die
Leibeshöhle und der Schädel der Mumie werden gefüllt, was eine Stütze von
innen bildet. Die straff um den Mumienkörper gewickelten Bandagen stützen das
Ganze von aussen und verhindern die Verwitterung des Körpers, indem sie keinen
Spielraum freilassen und alles zusammenhalten. Wie sich bei chemischen
Untersuchungen an Mumien aus Münchner Mumienbeständen herausgestellt hat,
besteht die Imprägnierungssubstanz der Binden aus 30 bis 50 % Gummi arabicum
(Akazienharz), 20 bis 30 % Ölen, 20 bis 30 % Bienenwachs, 10 % Soda und bis 10
% Koniferenharz. [10, S. 13] So schaffen die vielen Schichten Leinen und ihre
Imprägnierung, die Särge, der Steinsarkophag und das tiefe, mehrfach
versiegelte Grab stabile klimatische Verhältnisse. Es werden also
Temperaturschwankungen eingedämmt und die Luftfeuchtigkeit niedrig gehalten.
Die
Kombination all dieser Massnahmen und nicht zuletzt auch das heisse und trockene
Klima Ägyptens verhindern den
natürlichen Fäulnis- und Verwesungsprozess des Leichnams und lassen ihn
Jahrtausende überdauern. |
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