8.1           „Mumia vera Aegyptica”

Das erste grössere Interesse, das man in Europa an altägyptischen Mumien hatte, war vor allem wirtschaftlicher Art.

Bitumen, ein natürlich vorkommendes Erdpech mineralischen Ursprungs wurde schon sehr früh in der Heilkunde genutzt. Doch dieses Kohlenwasserstoffprodukt ist äusserst selten, die Jahresproduktion betrug nur gerade die Grösse eines Granatapfels. Diese grosse Seltenheit der Mumia genannten Substanz erklärt, dass man sich schon früh nach billigeren Ersatzprodukten mit gleicher Heilwirkung umsah. (Mumia ist die latinisierte Form der Wörter „Mum“ oder „Mom“, die aus dem persischen Sprachraum stammen und Bitumen oder Bienenwachs bedeuten.)

Apothekergefäss für zermahlene Mumie (18. Jh.)So schrieb bereits im 12. Jahrhundert ein arabischer Arzt, dass man die mineralische Mumia durch die schwärzlichen, harzigen Substanzen aus den Körperhöhlen einbalsamierter Leichen ersetzen könne. Bis zur Verwendung von zermahlenen ganzen Mumienteilen war es dann nur noch ein kleiner Schritt. So kam es zu dieser recht makaberen Verwendung von „Mumia vera Aegyptica“. Diese hochgeschätzte Droge war vor allem im 16. und 17. Jahrhundert ein weit verbreitetes Heilmittel und gehörte in jede Apotheke, genauso wie eine echte altägyptische Mumie damals ein Muss für jede Apotheke war, die etwas auf sich hielt.

Der grosse Bedarf an Mumien liess einen schwungvollen Handel in Ägypten erblühen. Vor allem auf türkisch-arabischer Seite wurde versucht, diesen regen Handel zu unterbinden, da die Muslime aus Aberglaube verhindern wollten, dass ihre Vorfahren von Christen „verspeist“ wurden und sie befürchteten, die Christen könnten aus Mumien wirkungsvolle Zauber gegen sie selbst herstellen.

Mit dem Handel mit Mumien liess sich anscheinend viel Geld machen, der Bedarf an Mumien muss teilweise enorm gewesen sein. So wurden ab und zu auch mal Mumien gefälscht und als antike Stücke an Europäer verkauft.

Hier ein Ausschnitt aus dem „grossen vollständigen Universal-Lexicon Aller Wissenschaften und Küenste“ (Leipzig und Halle 1733-1750):

„Mumia: [...] ist ein schwartzes, hartes und hartziges Wesen von balsamirten Cörpern herrührend, eines etwas scharffen und bitterlichen Geschmacks und guten Geruchs. [...] Der Krafft und Wirkung nach hat die Mumia eine erwärmende, zertheilende und Balsamische Qualität, zerheilet die Winde im Leibe, wie auch das harte geronnene und verstockte Geblüt, so jemand gefallen und sich wehe getan hat: ist gut gegen Lungensucht, Miltz- und Seitenstechen, Schmertzen und äusserliche Wunden...“

Erst im 19. Jahrhundert begann das Produkt Mumia aus den Apotheken langsam zu verschwinden, obwohl schon viel früher immer wieder ein wissenschaftlicher Streit zwischen Ärzten und Apothekern ausbrach, ob Mumia eine heilkräftige Droge war.

8.1           Papier aus Mumienhüllen

Eine weitere wirtschaftliche Nutzung von Mumien ist die Herstellung von Papier aus ihren Leinenhüllen. Diese Verwendung hat zwar nicht lange gedauert, doch haben Tausende von Mumien daran glauben müssen. Der Papierbedarf war in den USA und in Kanada so stark gestiegen, dass die eigene Lumpenproduktion für die Papiermanufaktur nicht mehr ausreichte. Ein Pfund Mumienleinen kostete damals 3 Cents. Was mit den ausgewickelten Mumien geschah, ist nicht überliefert.

Da die Qualität des so hergestellten Papiers nicht besonders gut war und eine Cholera-Epidemie bei der Arbeiterschaft ausbrach (damals war vom Fluch der Toten die Rede), wurde der Import eingestellt.

 

8.2           Mumien, ein Souvenir aus Ägypten

Im Abendland sah man Mumien nicht nur unter dem wirtschaftlichen Aspekt, man begeisterte sich für sie auch als Kuriosum. Der Feldzug Napoleons nach Ägypten (um 1800) erweckte endgültig das Interesse der europäischen Oberschicht an den ägyptischen Mumien. Viele Kaufleute, Politiker, Feldherren und Touristen brachten sie nun als Souvenir nach Europa.

Einladungskarte zum Mumienauswickeln Im 19. Jahrhundert war das Auswickeln einer Mumie ein Ereignis für die High Society. Es wurde üblich, seine Freunde einzuladen und verbunden mit einem Apéro eine Mumie auszuwickeln. Man wollte damals vor allem einmal das prickelnde Gefühl erleben, einer bereits vor mehr als zwei Jahrtausenden verstorbenen Person ins Gesicht zu blicken. Ausserdem suchten die „Auswickler“ nach Schmuckstücken und Amuletten.         [5, S. 15-26]
                 

Moderne Mumienforschung

            

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